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Bilderkrampf

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»Der Fußball«, erklärte Edmund Stoiber 1997, »ist ja heute praktisch schon ein gesellschaftliches Grundnahrungsmittel«, und eine Gesellschaft, die ihren Stoffwechsel kapitalistisch organisiert und destruiert, geht nicht zimperlich um mit dem Volksseelenfutter. Seit Juli eskaliert zwischen der Kirch-Gruppe und dem ARD-Fernsehen eine höchst krampfige Auseinandersetzung wegen der TV-Kurzberichterstattung von der samstäglichen Bundesliga. Das Konsortium des fränkischen Medienunternehmers löhnt den Vereinen pro Saison 750 Mio. Mark für die Übertragungsrechte, die der schwer defizitäre Bezahlkanal Premiere World refinanzieren muß, und weigert sich, dem Ersten freie Hand zu lassen bei der Wahl jener Partien, die man vor der auf die Prime Time 20.15 Uhr verlegten Gurkensendung ran (Sat.1/Kirch) in der Tagesschau zeigen möchte. Selbstredend begehrt die ARD das sog. Topspiel, Kirch, der Ligaverband und der assistierende DFB weisen das zurück. Borussia Dortmund, bemüht, Monetenspender Kirch in der Währung der Abhängigkeit und Exklusivität etwas zurückzuzahlen, gab bekannt, »keine ARD-Teams in die Stadien zu lassen« (Süddeutsche Zeitung, 24. Juli), während die »beleidigte« (FAZ) ARD »ihren Kamerateams und Reportern notfalls mit Hilfe der Gerichte Zugang zu den Stadien verschaffen« (Süddeutsche Zeitung, 20. Juli) will.

Nun steht außer Zweifel, daß das Bundesverfassungsgericht 1998 die unreglementierte Kurzberichterstattung zum unantastbaren Rechtsgut erklärte. Deshalb reichte die ARD beim Landgericht München I einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen Kirchs Sportrechteagentur ISPR ein, der aber abgelehnt wurde. Bis zur letzten Instanz kämpfe man, hieß es danach aus den Reihen der tapferen Anwälte der Informationsfreiheit (»ein harter und dorniger Weg«, so der ARD-Vorsitzende Peter Voß, die Kirch-Hauspostille Bild tobte: »Feldzug«!), und die Chancen sind nicht übel. Dennoch fragte die Funkkorrespondenz (30/2001) zu Recht: »Für wie schlecht müssen die Kirch-Leute die ran-Sendung halten, wenn sie tatsächlich der Meinung sein sollten, diese einzweidrittel Minuten machen der anschließenden Sat.1-Sendung die Zuschauer abspenstig?«

Die jüngsten ran-Quoten waren eine Offenbarung. Eine heimatmusikalische ARD-Produktion schlug am 4. August Jörg Wontorras alberne Faselshow locker – bei 7,1 zu 2,0 Mio. Zuschauern. Kirch wird die Sat.1-Zumutung an die Wand fahren, dann den eigenen Pay-TV-Laden versenken; die potenten Bundesligavereine danken für die Ocken und gründen, nach englischem Vorbild und der Verwertungslogik folgend, klubeigene Sender mit Hofschranzen an den Mikrophonen und gegebenenfalls virtuellen Stadionkulissen. Es wäre, käme es so, ein Segen, nämlich die Öffentlichkeit erlöst vom endlos zyklischen Theater um einen Sport, dessen Protagonisten nichts unversucht lassen, um ihn zu ruinieren.

Und das deutsche Volk sollte deshalb nicht gleich verhungern.

Fußball! Vorfälle von 1996-2007

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