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VIII. Über den Rhenus

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Der Kampf gegen den Römer und das Verstecken des Toten kostete die beiden jungen Leute viel Zeit und schneller als erwartet versank Sunna am Horizont. Sigmar trieb sie beide zur Eile an: „Wir müssen in der Dunkelheit über den Fluss! Es wird schwierig werden, sich tagsüber in der Nähe des Grenzwalls zu verstecken. Sollten wir es jetzt nicht schaffen, über den Rhenus zu kommen, dann liegt ein ganzes Stück Weg zurück vor uns! Die Gefahr von den Römern erwischt zu werden, wird dann zu groß. Also, komm Iska. Nicht langsamer werden!“

Iska stolperte hinter Sigmar her. Obwohl sie Strapazen gewohnt war, brannten ihre Füße, als würden sie in einem lodernden Feuer stecken. Ihr Atem ging stoßweise und das Mädchen sehnte sich nach einer Pause und etwas Ruhe. Das Licht nahm immer mehr ab und aus der diffusen Dunkelheit wurde Nacht. Einzig der Mond spendete ihnen jetzt noch ein wenig Helligkeit. Sie waren fast den ganzen Tag gelaufen und ihrer beide Kräfte verließen sie zusehends. Auch hatten sie inzwischen die mageren, von dem Römer erbeuteten Vorräte, aufgebraucht. Hunger und Durst quälten Iska und immer wieder musste sie sich zwingen, nicht einfach in das weiche Gras zu fallen, sondern ihre Füße weiter und weiter voreinander zu setzen. Wann würden sie diesen verflixten Wall endlich erreichen? Das fahle Licht des Mondes wurde hin und wieder durch Wolken verdeckt und in solchen Momenten konnte man die Hand nicht vor Augen sehen. Sigmar aber war sich des Weges sicher und gönnte ihnen keine Pause; eher beschleunigte er noch einmal seine Schritte. Nicht einen Moment ließ seine Aufmerksamkeit nach. In der Ferne bemerkte Iska Lichter und sie sprach Sigmar darauf an.

„Das ist ein Wachtposten am Limes!“

„Am Limes? Ist das ein Fluss?“

„Nein, Iska, so wird der römische Grenzwall genannt. Er durchzieht das gesamte Land und führt fast immer am Fluss Rhenus entlang. Von Zeit zu Zeit findest du einzelne Türme und hier und dort gibt es Durchgänge, die von den Römern kontrolliert werden. Der Grenzwall selbst besteht aus Gräben und Holzpalisaden. Andere Abschnitte bestehen aus Gräben und aufgeschütteter Erde. Eigentlich soll es kein Überwinden geben, aber wer bestimmte Stellen kennt, kann als einzelner oder in einer kleinen Gruppe durchaus zu Fuß den Wall überwinden.“ Er schritt jetzt etwas langsamer und geduckt voran. Iska tat es ihm gleich.

„Sieh dort!“ Sigmar zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf etwas vor ihnen. Iska sah nichts. Langsam näherten sie sich dem, was Sigmar bezeichnet hatte, und endlich erkannte das Mädchen einen Erdwall, der mit kurzgehaltenem Gras bewachsen war. Mitten auf dem Wall standen angespitzte Pfähle. Sie waren dicht nebeneinander in den Boden gerammt und bildeten eine undurchdrignliche Wand. Iska schätzte, dass die Höhe der Pfähle die Größe eines Mannes um das Anderthalb- bis Zweifache übertraf.

„Da kommen wir doch niemals drüber. Das ist doch viel zu hoch!“ Fragend schaute sie Sigmar an.

„Nein, drüber nicht. Aber warte ab. Es gibt einen Weg.“ Jetzt krochen sie auf allen Vieren durch das Gras und Iska wurde schmerzvoll an ihre zerschundenen Knie erinnert. Plötzlich tauchten die Pfähle vor ihnen in der Dunkelheit auf. Prüfend legte Sigmar eine Hand an den ein oder anderen Pfahl und drückte sanft dagegen. „Warte hier, Iska.“ Dann kroch er mal nach rechts, mal nach links und prüfte die Pfähle. Letztlich kam er zu Iska zurück. „Gib mir mal deine Hand.“ Iska tat wie ihr geheißen, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, was Sigmar von ihr wollte. Vorsichtig führte er die Hand über das spröde Holz eines Pfahles. „Fühlst du das?“

„Eine Kerbe?“

„Ja, es handelt sich um ein Zeichen, wo genau bestimmte Pfähle zu finden sind. Folge mir leise und bleib am Boden, es ist nicht weit.“

Sigmar folgte der Pfahlwand in linker Richtung. „Hier. Schau.“ Eingehend beobachtete er noch einmal die Umgegend. Dann zog der junge Krieger mühelos einen Pfahl nach dem anderen aus dem Boden. So entstand in kürzester Zeit eine Lücke in der Wand, durch die sie sich hindurch quetschen konnten. Auf der anderen Seite des Walls beobachtete Sigmar wieder die Gegend und lauschte angestrengt. Zufrieden stellte er die Pfähle wieder an ihren ursprünglichen Platz. „Drüber kommen wir nicht, aber hindurch! Wenn die Römer wüssten, wie durchlässig ihr Schutzwall ist ...“ Sigmar ließ den Satz unbeendet und zog Iska langsam weiter. „Jetzt ist es nicht mehr weit bis zum Fluss.“

Sie überquerten eine breite Straße, die Iska in Staunen versetzte. Massiver Stein bildete den Untergrund und die Straße war so eben und gleichmäßig, wie Iska selten einen Weg gesehen hatte. Am Rand des breiten Weges standen Steine, senkrecht aufgestellt und sie sah Sigmar fragend an: „Sind das dort Gedenksteine für die Toten?“

Der junge Krieger schüttelte den Kopf. „Nein, das sind Steine, die Entfernungen angeben. Bis zur nächsten Stadt oder bis zu einer Weggabelung. Die Römer nennen sie Meilensteine.“ Sigmar zog sie von der Straße fort. Ein längerer Aufenthalt hier war auf keinen Fall ratsam. Dafür kamen zu häufig Menschen oder sogar Fuhrwerke über die Straße. Wie würden Iska wohl erst die Augen übergehen, wenn sie einmal eine der römischen Städte zu Gesicht bekäme?

Schneller als erwartet erreichten sie das Flussufer. Aber es war kaum noch notwendig gewesen, sich geduckt oder kriechend zu bewegen. Der junge Krieger beobachtete zwar weiter ständig die Umgegend, aber er legte hier lange nicht die Vorsicht an den Tag, wie zuvor auf der anderen Seite des Walls. Iska hörte plötzlich Worte und Geräusche, die auf Fuhrwerke und Menschen auf der zuvor überquerten Straße schließen ließen. Doch je mehr sie sich dem Fluss näherten, umso leiser wurde es wieder. „Selbst des Nachts sind die Straßen der Römer gerne genutzte Wege“, erklärte Sigmar. „Sie sind sicherer als die kleinen Wege, da überall römische Patrouillen sind.“ Dann suchte er etwas zwischen den einzelnen Büschen am Flussufer. Nach einer Weile schien er gefunden zu haben, wonach er suchte, denn leise rief er Iska zu sich: „Iska, komm hierhin. Aber sei leise!“

Iska staunte nicht schlecht, als sie unter dem Busch versteckt ein kleines Boot entdeckte. „Ich habe Angst, Sigmar. Ich kann doch nicht schwimmen!“

„Wir haben keine Wahl. Jetzt gibt es keinen Weg mehr zurück! Das Boot ist sicher, glaube mir und die Strömung an dieser Stelle nicht allzu stark. Dafür ist der Fluss hier breiter und es wird ein gutes Stück Arbeit werden, ihn zu überqueren. Trotzdem brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

Iska schaute unsicher über das in der Dunkelheit schwarz vor ihnen liegende, träge fließende Wasser. Dann zeigte sie mit dem Arm auf eine Stelle im Fluss. „Was ist das?“

Sigmar folgte mit dem Blick ihrem Arm. Auf dem Fluss tanzten plötzlich einzelne Lichter. Die Entfernung war zu groß, um Einzelheiten ausmachen zu können, aber der Krieger wusste sofort, worum es sich handelte. „Das sind Boote, die den Rhenus herauf- oder herunterfahren.“ Er hoffte, dass Iska mit seiner Antwort zufrieden sein würde. Aber da täuschte er sich in seiner Begleiterin.

„Nachts? Was machen die Boote in der Dunkelheit dort? Erzähl mir nicht, dass jetzt Waren transportiert werden! Bei der Dunkelheit.“

Sigmar sah sich in seiner Hoffnung, sie mit der kurzen Erklärung zufrieden zu stellen, getrogen. Trotzdem bewunderte er Iskas wachen Verstand. Trotz dieser gefährlichen Situation war sie immer noch in der Lage, klar zu denken. Iska verfügte zwar nicht über allzuviel Wissen, aber mit Dummheit war sie, bei den Göttern, gewiss nicht geschlagen.

Mit einem Seufzen beschloss er, ihr die Wahrheit, oder zumindest einen Teil davon, zu erzählen: „Nein, das sind keine Transportboote. Das sind Wachen, die auf dem Rhenus hin- und herfahren. Meistens sind die Boote mit zwei bis drei Bogenschützen besetzt. Aber“, Sigmar machte eine kleine Pause, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, „wenn wir darauf achten, ihnen nicht zu nahe zu kommen und uns leise verhalten, dann besteht kaum die Möglichkeit, dass sie uns entdecken.“

Hoffentlich würde Iska das jetzt glauben. Er musste selbst schon oft genug erleben, wie gute Leute durch die Pfeile der Bogenschützen mitten auf dem Rhenus ihr Leben ließen. Einmal konnte er sich selbst auch nur durch den Sprung in das kalte Wasser des Flusses retten. Aber das brauchte das junge Mädchen jetzt nicht zu erfahren. Schon gar nicht, wenn sie nicht einmal schwimmen konnte.

„Iska. Mach dir keine Gedanken. Wir haben sowieso keine Wahl. Bleiben wir hier, ist das unser sicherer Tod. Sieh, die Boote sind gleich vorüber. Sollten die Römer keine Änderungen in den Zeiten, wann die Boote auf und ab fahren, vorgenommen haben, so sind wir längst weit über die Mitte des Flusses hinaus, bevor ein neues Wachboot hier ist. Komm, hilf mir mal.“

Leise drehten sie das Boot herum und schleiften es zum Fluss herunter. Dort ging Sigmar noch einmal die paar Schritte zu den Büschen zurück und kam mit zwei Rudern wieder, die er ins Boot legte. Gemeinsam schoben sie es ins Wasser und Iska stieg vorsichtig in das schwankende Gefährt. Ihr wurde fast schlecht vor Angst. Beinah wäre sie wieder aus der Nussschale herausgesprungen, doch diesen Impuls unterdrückte sie. Sigmar gab dem Boot einen Stoß und schwang sich hinein. Erneut schwankte es bedenklich und Iska klammerte sich ängstlich an der Bordwand fest. Würden sie jetzt umkippen? Doch nichts geschah. Sigmar nahm die beiden Ruder und begann das Gefährt leise aber zielstrebig über den Fluss zu bewegen. Dabei achtete er sorgfältig darauf, möglichst kein Geräusch beim Eintauchen der Ruder in das Wasser, zu machen.

Iska hielt den Atem an. Dies war eine neue Erfahrung für sie und bei dem Gedanken an das viele Wasser unter der dünnen Holzwand überkam sie ein Schaudern und sie spürte, wie ihre Härchen am Körper sich aufrichteten. Angst wollte sie übermannen und mit fest geschlossenen Augen lauschte sie dem leisen, gleichmäßigen Plätschern, das die Ruder im Wasser verursachten. Beide sprachen sie jetzt kein Wort. Iska vor Angst und Sigmar, da er sich ganz auf das Manövrieren konzentrierte. Immer wieder suchte er mit den Augen die Wasseroberfläche nach Wachbooten ab. Aber nur in weiter Ferne schimmerten einzelne Lichter. Mit kräftigen Ruderschlägen trieb Sigmar das Boot zügig voran. Er querte den Fluss nicht zum ersten Mal und um von der Strömung nicht abgetrieben zu werden, hielt er ständig leicht dagegen. Die Wolken gaben den Mond zögerlich wieder frei und das fahle Licht spiegelte sich in den feinen Wellen. Hin und wieder rumpelte etwas gegen den Bootsrumpf. Iska zuckte jedes Mal angstvoll zusammen. Aber Sigmar konnte sie beruhigen, es handelte sich lediglich um Unrat, der im Wasser herumschwamm. Mehr Sorgen bereitete ihm der schwache Schein des Mondes, den natürlich auch die Römer zu nutzen wussten. Doch noch schienen die Wachboote in einem ausreichenden Abstand.

So ruderte er eine ganze Weile und beobachtete angespannt den Fluss. Dann fixierten sich seine Augen auf einen entfernten Punkt im Wasser. Iska saß immer noch mit fest geschlossenen Augen da und hielt sich krampfhaft an den Bootsplanken fest. Sigmar hoffte, sie würde auch weiter die Augen geschlossen halten, denn was da jetzt auf sie zukam, hätte bestimmt nur Panik in dem Mädchen ausgelöst. Sigmar war sich zunächst nicht ganz sicher gewesen, doch jetzt konnte er allmählich deutlich die Fackeln ausmachen. Als würden sie über das Wasser schweben, kamen sie langsam näher. Aber er wusste, dass es nicht nur Fackeln waren. Jede Fackel wurde von einem Soldaten gehalten. Und diese Soldaten saßen in einem der Wachboote, die den Rhenus befuhren. Leise schickte Sigmar ein Gebet an Odin und hoffte, der würde den Wolken einen Stups geben und sie vor den Mond schieben. Aber entweder hatten die Götter andere Pläne mit ihnen oder Odin schlief. Sigmar blickte kurz zum Himmel und sah seine Hoffnung sinken. Keine einzige Wolke näherte sich dem Mond. Bis jetzt schienen sie von den Soldaten noch nicht entdeckt worden zu sein und es würde vermutlich auch noch eine Weile dauern, denn die Patrouille ruderte stromaufwärts. Sigmar verstärkte noch einmal seine Bemühungen und legte ein wenig an Geschwindigkeit zu. Doch immer musste er sich bemühen, möglichst geräuschlos zu rudern. Mehr als ein leichtes Plätschern war auch nicht zu vernehmen. Trotz der leichten Kälte kam er ordentlich ins Schwitzen. Immer wieder wanderte sein Blick zu den näherkommenden Fackeln. Das Boot selbst war noch nicht zu erkennen, die Entfernung noch zu groß.

„Da, sieh Sigmar!“ Iska musste die Augen doch irgendwann geöffnet haben und natürlich hatte sie auch die Fackeln entdeckt.

„Ja, leise, Iska. Das sind die Wachen, aber sie können uns noch nicht sehen. Erst wenn wir ihr Boot erkennen können, dann sind auch wir für sie sichtbar!“ Wieder stieß etwas gegen ihr Boot und Iska stieß einen leisen Schrei aus. „Ruhig, Iska!“ Sigmar kam eine Idee. Während er die Richtung des Bootes etwas mehr gegen den Strom richtete, ruhte sein Blick unverwandt auf dem Wasser. „Iska, beobachte die Fackeln. Wenn du das Boot darunter erkennen kannst, dann sag mir Bescheid! Aber leise, denn wenn die Soldaten uns entdecken, dann haben wir kaum eine Chance zu entkommen.“ Konzentriert suchte er das Wasser rings um ihr kleines Boot ab. Und da - lange brauchte er nicht zu warten! Rasch zog Sigmar beide Ruder ins Boot und beugte sich vorsichtig über den Rand. Bevor das grobe Stück Holz an die Bootswand schlagen konnte, fischte er es aus dem Wasser und legte es vor sich ins Boot. Schon begann sich ihr kleines Gefährt in die Strömung zu drehen und rasch nahm der Mann wieder die Ruder auf und setzte ihren Weg fort. Wie weit war es noch bis zum Ufer? Bei diesem fahlen Mondlicht ließ sich die Entfernung schwer schätzen. Wieder warf er einen Blick auf die Fackeln. Sie waren wirklich noch nicht entdeckt worden, denn der Kurs des Wachbootes lag immer noch so, dass es jetzt hinter ihrem kleinen Boot vorbeifahren würde. Hin und wieder klang ein Lachen oder ein lauter Ton von den Römern zu ihnen herüber. Die Männer fühlten sich sicher und niemand befahl ihnen, keine Geräusche zu machen. Obwohl das Wachboot offensichtlich langsam vorankam, war die Gefahr entdeckt zu werden für Sigmar und Iska inzwischen sehr hoch. Es könnte sich nur noch um wenige Augenblicke handeln, dann mussten die Wachen sie entdecken. Der junge Kämpfer beschloss seine Idee in die Tat umzusetzen. Wieder steuerte er etwas mehr gegen die Strömung, dann nahm er die Ruder erneut ins Boot. Vorsichtig richtete er sich auf, das aus dem Wasser gefischte Holzstück in der Hand. Es war ein schweres Stück Holz, ‚Eiche vermutlich‘, dachte er. Aber eigentlich spielte das ja keine Rolle. Sigmar schätzte die Entfernung zum Wachboot. Jetzt hing alles von seinem Plan und der erforderlichen Präzision ab. Weit holte der junge Mann aus und warf das Holzstück mit voller Kraft seitwärts neben das Wachboot. Kurz konnte er den Flug des Holzes noch verfolgen, dann verschwand es in der Dunkelheit. In diesem Moment tauchte die Spitze des Bootes aus der Dunkelheit auf. Noch waren die Soldaten nicht auszumachen, aber das würde jetzt nicht mehr lange dauern. Sigmar ruderte schon wieder mit allen Kräften, als sich auf dem Wachboot ein Tumult erhob.

‚Jetzt haben sie uns entdeckt - oder mein Plan hat funktioniert‘, dachte er und blickte auf Iska, die mit großen Augen das fremde Boot beobachtete. Sie war starr vor Angst und vergaß völlig Sigmar auf die Römer hinzuweisen. Aber das war ja auch nicht mehr notwendig. Alles hing nun davon ab, wie die Patrouille sich verhalten würde. Einige bange Sekunden vergingen. Waren sie entdeckt worden? Bedeutete das jetzt ihr Ende?

Fast hätte Sigmar laut gejubelt, denn das Wachboot drehte nun von ihnen ab. Einzelne Rufe drangen zu ihnen herüber. Offensichtlich funktionierte sein kleines Ablenkungsmanöver. Wieder waren nur die Fackeln zu erkennen. Das Licht entfernte sich nun aber von ihnen.

„Das war knapp.“ Iska sprach aus, was er ebenfalls dachte. „Wir haben es bald geschafft, Iska. Jetzt kann das Ufer nicht mehr weit sein.“ Die Worte sollten Iska trösten, da sie aber nicht antwortete, wusste Sigmar nicht, ob es etwas nutzte. Schweigend ruderte er weiter.

Irgendwann erreichten sie doch noch das rettende Ufer. Sigmar war erschöpft und klatschnass geschwitzt. Nachdem sie das Boot am Ufer versteckt hatten, gönnten sie sich eine kurze Rast. Zum Schlafen blieb jetzt aber keine Zeit, denn noch vor Anbruch der Dunkelheit mussten sie aus dem Uferbereich heraus sein. Sigmar hielt Iska bei beiden Händen und sprach eindringlich auf sie ein: „Weiter hinten beginnt der Wald, da können wir eine längere Rast einlegen. Hier diesen Bereich müssen wir noch in der Dunkelheit hinter uns lassen. Alle Bäume und Büsche wurden von den Römern abgeholzt oder verbrannt. Dank der ständigen Beobachtung kann sich hier niemand bei Tageslicht dem Fluss nähern. Also, Iska, einmal müssen wir noch alle unsere Kräfte zusammennehmen!“ Sigmar stand auf. Iska konnte sich während der Überfahrt leidlich ausruhen und hielt jetzt einigermaßen mit ihm Schritt. Sie warf keinen Blick zurück auf den Fluss.

Wie eine dunkle Wand erhob sich plötzlich der Wald vor ihnen. Sigmar stieß ein tiefes Seufzen aus und dankte den Göttern. Dann lenkte er Iska in den Wald hinein und nach einem kurzen Stück Weges erreichten sie eine kleine, aus dicken Ästen und Blättern, gebaute Hütte.

„Hier haben wir eine schützende Unterkunft. Aber pass auf Iska, folge mir genau auf dem Fuße.“ Er ließ Iska direkt hinter sich gehen. Dabei mied er den kleinen Pfad, der direkt zur Hütte führte und schlug erst einmal einen Bogen. Von hinten gelangten sie an die kleine Behausung, die hier von dichten Büschen umgeben war. Iska sah Sigmar fragend an, sagte aber nichts.

Der Mann erklärte ihr schließlich von sich aus: „Hier hinten ist der Eingang zur Hütte. Getarnt durch die Büsche. Vorne die Tür ist keine wirkliche Tür. Und der Weg, den wir meiden mussten - und auch die Gegend um die Hütte herum - ist mit Fallen gespickt. Sollte sich wirklich einmal ein Römer oder jemand, der hier nichts zu suchen hat, hierhin verirren, so werden wir frühzeitig gewarnt.“

Sigmar drückte ein paar Zweige zur Seite und zog eine primitive Türe, die aus mehreren rohen Brettern zu bestehen schien, auf. Dann ließ er Iska in die Hütte schlüpfen. In dem Raum war es ziemlich düster und Iskas Augen mussten sich erst an das Dunkel gewöhnen. Auf dem Boden befand sich Stroh und sie machten es sich darauf bequem. „Bitte verlasse die Hütte nicht allein, du könntest in eine der Fallen laufen!“

Iska dachte gar nicht daran die Hütte jetzt noch einmal zu verlassen. Sie war einfach zu müde. Trotzdem forderte die Natur ihren Tribut. „Sigmar, ich muss mal.“

„Hier.“ Sigmar reichte ihr ein Gefäß. „So brauchst du in der Nacht nicht vor die Hütte zu treten.“ Dann kramte er aus einer anderen Ecke etwas Brot und getrocknetes Fleisch. Das Brot schmeckte muffig aber beide waren zufrieden, Nahrung zu sich nehmen zu können. Erschöpft schliefen sie nach dem kargen Mahl Arm in Arm ein.

Iska - Die Flucht

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