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XI. Das Dorf

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„Also wird es jetzt Zeit für den Aufbruch.“ Sigmar packte einige Dinge zusammen. Er wollte jetzt keine Zeit mehr verlieren und so schnell wie möglich zu seinem Dorf gelangen. „Vor uns liegt noch ein weiter Fußmarsch. Bis zu unseren Leuten ist es ein Tagesmarsch, wenn wir gut vorankommen.“

Iska reckte sich, dann tat sie wie ihr geheißen. Sorgfältig schnürte sie die römischen Schuhe. Sie hatte diesen Schutz ihrer Füße schnell schätzen gelernt. Zusätzlich gaben ihr die genagelten Sohlen im Gelände noch einen sicheren Halt und kleine Steinchen oder spitze Äste konnten ihren Fußsohlen nichts anhaben. Bevor sie die Hütte durch den schmalen Graben verließen, vernichtete Sigmar alle Anzeichen ihres Aufenthaltes. Insbesondere die Hinweise auf das Mädchen.

Dann krochen sie ans Tageslicht. Leise zwitscherten Vögel in den Bäumen und ein kleines Reh huschte erschreckt davon. Sigmar trat von hinten an das Mädchen und schlang die Arme um sie. „Ein herrlicher Tag. Schau, Iska, wie die Vögel singen und das Leben um uns herum pulsiert!“

„Du bist ja ein richtiger Dichter!“, staunte die junge Frau. „Was weißt du von Dichtern, Iska?“

„Nicht viel. Unser Dorfältester, Thoralf, sprach hin und wieder von bedeutenden Dichtern, die Geschichten erzählen und aufschreiben. Das hat mich immer schon fasziniert und zum Träumen angeregt. Einen Namen, ich glaube es war Homer, nannte er sehr häufig.“

„Euer Dorfältester ist ein gebildeter Mann.“

„Leider ist er tot. Dieser, dieser,“ Iska rang nach Worten. Langsam steigerte sie sich in eine Wut hinein. Sigmar war erstaunt, wie dieses kleine verträumte Mädchen sich so wandeln konnte.

„Ruhig, Iska. Es ist schlimm, was geschehen ist. Aber denke nicht mehr daran. Die Götter bestimmen unser Schicksal und die Götter werden es so gewollt haben!“ Er ließ Iska los. „Wir sollten jetzt keine Zeit mehr verlieren. Lass uns losgehen, komm hier entlang.“ Ihr Weg führte sie an der kleinen Quelle vorbei, wo sie kurz innehielten und ihren Durst löschten. Immer tiefer drangen sie in den dichten Wald und gerade als Iska meinte, es ging nicht mehr weiter, so dicht standen die Büsche und Bäume, da führte Sigmar sie auf einen kleinen, unscheinbaren Pfad. Nebeneinander setzten sie ihren Weg schweigend fort. Allmählich wurde das Gelände zusehends hügeliger. Jetzt ließ sich nicht mehr so einfach voranschreiten. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Sigmar dachte an seine Ankunft im Dorf und Iska an das Geschehene der letzten Tage. Sigmar sprach zuerst aus, was beiden auf der Zunge lag: „Iska, wirst du bei mir bleiben? Willst du mich heiraten?“

Iska sah Sigmar an. „Es ist schwierig, Sigmar. Wer von meiner Familie sollte mich verheiraten, da niemand mehr da ist. Wer von meinem Dorf? Es ist so, ... so entgegen allen Regeln. Ich war Guntram versprochen, ihn sollte ich heiraten. Aber ich wollte nicht. Ich habe mich als Junge verkleidet und als wir in unser Dorf zurückkamen, da bestraften uns die Götter mit diesen Präfekten.“ Iska fühlte sich den Tränen nahe. „Die Götter straften nicht nur mich, sondern das ganze Dorf. Und das nur, weil ich nicht gehorsam war!“ Doch Sekunden später ging eine Wandlung mit dem Mädchen vor sich. Sie spuckte voller Wut aus. „Gaius Quintus Vulturius!“, stieß sie voller Zorn hervor und hob beide Fäuste zum Himmel. „Diesen Namen werde ich in meinem Leben nicht vergessen!“

Sigmar versuchte sie zu beruhigen: „Iska, wenn die Götter den Präfekten geschickt haben, so hat dies auch eine Bewandtnis! Die Götter werden dich nicht haben strafen wollen - die Götter haben vielleicht besondere Pläne mit dir!“

„Aber kann ich dich heiraten, Sigmar? Kann ich Kinder von dir empfangen? Was, bei Odin, haben die Götter dann mit mir vor? Liebend gerne würde ich dein Weib werden, Sigmar. Aber ist es dann recht getan? Oder würden die Götter diesmal einen Präfekten in euer Dorf schicken, weil ich gegen ihren Willen handele?“

„Iska, wir haben in unserem Dorf eine weise, alte Frau, die Seherin Yelva. Wir wollen sie nach unserer Rückkehr befragen. Es wird eine Lösung finden und in unserem Dorf kannst du ein neues Zuhause finden.“ Iska nickte. Die Entscheidung Sigmars erschien ihr sinnvoll. Warum sich jetzt zu viele Gedanken darüber machen? Doch der Gedanke Sigmars Frau zu werden, stimmte sie irgendwie heiter.

Fast unbemerkt überzog sich der Himmel mit Wolken und als sie jetzt eine Lichtung im Wald erreichten, fiel leichter Regen auf sie herab. „Lass uns eine kurze Rast einlegen, Iska.“ Sigmar suchte eine trockene Stelle unter einer ausladenden Buche. An den Stamm gelehnt saßen sie auf dem Boden und beide waren dankbar für diese kurze Pause.

„Wie wird es den Leuten aus meinem Dorf wohl ergangen sein?“ Iska sprach leise zu sich selbst, doch Sigmar verstand sie und nahm ihre Hände.

„Nicht anders, als anderen Germanen auch. Die Römer werden diejenigen, die sie am Leben ließen, als Sklaven verschleppt haben. Meistens die jungen Frauen und Männer. Arbeitsfähige, zur Sklavenarbeit taugende Menschen. Sie werden verkauft oder von demjenigen, der sie gefangen nahm, selbst als Sklaven genutzt. Kleine Kinder, die noch zu nichts Nütze sind, werden, genauso wie die Alten, getötet. Oder, wenn sie Glück haben und die Götter ihnen beistehen, ebenfalls als Haussklaven behalten.“

Beide schwiegen eine Weile. Der Regen nahm noch weiter zu und Iska konnte kleine Rinnsale beobachten, die sich ihrem Lagerplatz immer mehr näherten. Auch Sigmar schaute auf das Wasser. „Lange wird es hier nicht mehr trocken bleiben. Es wird Zeit, dass wir unseren Weg fortsetzen. Komm, Iska, bleiben wir in Bewegung, dann macht uns die Nässe nicht so viel aus.“

Das Fortbewegen wurde jetzt schwieriger, da sich der kleine Pfad, dem sie folgten, allmählich in einen Schlammweg verwandelte. Einmal mehr dankte Iska den Göttern, die römischen Schuhe an den Füßen zu tragen. Trotzdem musste sie häufig Sigmars Hilfe in Anspruch nehmen, besonders dort, wo der Weg recht steil anstieg oder abfiel. Beide waren sie jetzt bis auf die Haut durchnässt.

Plötzlich wich der Wald und sie standen vor einem abgeernteten Feld. Sigmar stoppte abrupt und deutete Iska sich neben ihn hinzuknien. Iska sah ihn fragend an. „Reiter.“ Sigmar deutete mit dem Arm in eine Richtung. „Aus dieser Richtung.“ Jetzt vernahm auch Iska leises Pferdegetrappel.

„Sie sind nicht mehr allzu weit fort, bei diesem Regen sind entfernte Geräusche allerdings schlecht auszumachen.“ Er sprach leise und spähte angestrengt in der angegebenen Richtung. Alsbald schälten sich drei Reiter aus dem Regen. Sigmar sprang auf. „Das ist Veikko, wenn ich mich nicht täusche.“ Weitere Erklärungen blieb er Iska schuldig. Stattdessen winkte er heftig mit den Armen und schrie den drei Reitern entgegen: „Uuu Veikko ... Uuu Veikko.“

Die Reiter hielten kurz inne und änderten dann die Richtung. Sigmar wandte sich zu Iska: „Steh auf, Iska. Das sind Leute unseres Dorfes. Meine Gefährten. Der Vordere von ihnen ist Veikko, mein Bruder. Die beiden anderen kann ich noch nicht erkennen. Wie ich Veikko allerdings kenne, sind das Brix und Wibke. Die beiden sind ebenfalls Geschwister.“ Sigmars Wangen glühten vor Freude. Strahlend sah er den Reitern entgegen. Kurz vor Sigmar und Iska zügelten sie ihre Pferde und wie auf ein Kommando sprangen alle drei zu Boden.

Veikko stürzte auf Sigmar zu und schloss ihn in die Arme. „Sigmar, mein Bruder. Schön dich wohlbehalten wiederzusehen!“ Alle vier begrüßten sich jetzt wortreich. Veikko sah auf Iska: „Wen hast du uns da mitgebracht? Einen neuen, jungen Krieger? Wie ich sehe, auch schon mit dem Schwert und Dolch der Römer bewaffnet. Oh, Sigmar, du wirst uns am Ende doch nicht einen Römer mitgebracht haben?“ Veikko wand sich in gespieltem Entsetzen.

Lachend winkte Sigmar ab: „Das ist Iska. Ihr Bruder ist Wiborg, von dem ich euch schon einige Male berichtete. Sie lebte in dem Dorf Voghat, jenseits des Limes. Bis die Römer sie überfielen. Aber später erzähle ich euch die ganze Geschichte. Lasst uns zum Dorf reiten, es wird Zeit auszuruhen, etwas zu essen und an ein wärmendes Feuer zu kommen. Was treibt euch bei dem Wetter überhaupt heraus?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich zu Brix: „Brix, treuer Freund, nimm deine Schwester zu dir aufs Pferd, so kann ich mit Iska Wibkes Gaul nehmen.“

Brix nickte und sie saßen auf. Allein Iska stand ein wenig verlassen vor dem großen Tier. „Komm, Iska. Gib mir deine Hand und schwinge dich hinter mir auf das Pferd. Halte dich einfach an mir fest, dann wird dir nichts geschehen!“

Iska betrachtete den Gaul mit Skepsis. Sicherlich hatte sie schon das ein oder andere Pferd - oder auch einen Ochsen - vor einen Karren gespannt, doch auf so einem Tier zu sitzen, war natürlich etwas anderes. Sigmar bemerkte ihr Zögern. „Keine Angst, Iska, dir wird nichts passieren. Pferde wirst du doch wohl kennen, oder?“ Veikko sprang von seinem Tier und stellte sich neben Iska. „Komm, ich helfe dir.“ Er fasste sie bei den Hüften und setzte sie mit Schwung auf den Pferderücken. Mit geschlossenen Augen hielt Iska sich krampfhaft an Sigmar fest. ‚Erst die Fahrt in einem Boot, dann dies hier‘, dachte sie. ‚Bleibt mir denn nichts erspart? Wo wird das wohl noch enden?‘ Dann, als sich das Tier in Bewegung setzte, fügte sie sich in ihr Schicksal und hielt sich einfach nur fest.

Nachdem sie eine Weile in gemächlichem Tempo daherritten, stellte Iska fest, dass diese Art der Fortbewegung nicht halbwegs so unangenehm war, wie sie zunächst dachte. Der Körper des Pferdes bewegte sich warm und geschmeidig unter ihr und sie spürte an ihren Schenkeln die starken Muskeln des Tieres. Der Regen lies ein wenig nach und war nur noch als leichtes Nieseln wahrzunehmen. Von vorne wärmte sie der Körper Sigmars und Iska bemerkte ein leichtes Kribbeln zwischen ihren Schenkeln. Nur allzu gerne gab sie sich dem Gefühl hin.

„Schau, Iska. Unser Dorf.“ Sigmar riss sie aus ihren Träumen. Auf dem letzten Stück ihres Weges war sie in einen leichten Halbschlaf gefallen, die gleichmäßige Bewegung und die Wärme des Tieres taten ihr Übriges. Iska öffnete vorsichtig die Augen. Vor ihr lag eine Wand aus angespitzten Baumstämmen, die als Schutz des dahinterliegenden Dorfes diente. Unwillkürlich drängte sich ihr der Vergleich mit dem Zaun der Römer auf. Jetzt öffnete sich ein Tor und sie ritten darauf zu. Nachdem die Reiter das Tor passiert hatten, wurde es von zwei Männern wieder geschlossen. Iska sah sich neugierig um. Das Dorf sah fast wie ihres aus, nur war es viel größer und von der Wand umgeben. In regelmäßigen Abständen befanden sich vor der Umzäunung kleine Türme, die die Beobachtung der Umgegend ermöglichten. Iska schätzte die Höhe der Wand auf doppelte Menschenhöhe. Dicht an den Holzpfählen waren Stege angebracht, so dass Posten in einiger Höhe an der Wand entlanglaufen konnten.

Der Regen hörte jetzt endgültig auf und zögerlich ließ sich die Sonne zwischen den Wolken blicken. Die Männer lenkten die drei Pferde auf eine große Hütte links von einem Platz in der Dorfmitte zu. Wie in ihrem Heimatdorf, wurde auch hier der Mittelpunkt des Dorfes von Hütten umzäunt. Hinter den ersten und größeren Unterkünften um den Platz herum bemerkte Iska weitere kleinere. Unschwer ließen sich vier Reihen von Hütten erkennen, wobei die nächsten längs zum Platz standen, und die anderen dahinter mit der schmalen Seite dazu. Jetzt, da es nicht mehr regnete, kamen immer mehr Menschen aus den Hütten und gingen dort verschiedenen Tätigkeiten nach. Viele der Männer, die Iska sehen konnte, trugen lange Bärte und langes Haupthaar, das sie oft hinter dem Kopf zusammengebunden hatten. ‚Das ist ja so anders als bei uns‘, dachte sie und musste sich daran erinnern, was sie wegen der abgeschnittenen Haare in ihrem Dorf erwartet hätte.

Dann hielten die Pferde und Sigmar half ihr abzusteigen. „Das hier ist der Stall für unsere Pferde.“ Er übergabWibke die Zügel, die ihn schelmisch ansah. Iska, die den Blick bemerkte, spürte einen Stich in ihrem Herzen. Aber auch Sigmar beobachtete Iska und lachte sie an: „Keine Sorge, Iska. In deinem Gesicht kann man wie in einem Buch lesen. Wibke hat einen Mann. Nur ... nur sie ist ein wenig zu wild, als dass der sie hinter dem Herd festhalten könnte.“

Veikko und Brix, die Sigmars Rede mitbekommen hatten, stimmten ein herzhaftes Lachen an, in das Wibke ebenfalls einfiel. Sigmar sah sich zu weiteren Erklärungen genötigt: „Also, Wibke ist ihrem Gatten bestimmt eine gute Frau, auch wenn die beiden noch kein ganzes Jahr zusammen sind und der gewünschte Kindersegen auf sich warten lässt. Aber Wibke hat zuviel Freiheit genossen. Als Kinder sind wir über die Wiesen getollt, ritten hier- und dorthin und überstanden auch so manches Abenteuer. Nachdem Wibke ihr sechzehntes Jahr überschritt, und immer noch ohne einen Auserwählten dastand, hat das Dorf beschlossen, sie unter die Haube zu bringen. Aber Wibke verlangt weiter nach ihrer Freiheit und so sehr sich ihr Ehemann, der gute Alrik, auch die Haare raufen mag, die Ausritte mit ihrem Bruder, Veikko und auch mir, sind ihr nicht auszureden. Nun“, Sigmar machte eine kurze Pause und sah die sich vor Lachen krümmenden drei Freunde strafend an, „nun, das ganze Dorf hat sich mit Wibkes Eigenart arrangieren müssen.“ Jetzt musste auch Iska schmunzeln. Eine seltsame Vertrautheit zu diesen Leuten und diesem Dorf überkam sie.

Veikko, Brix und Wibke führten ihre Pferde in den Stall, wo sie damit begannen die Tiere sorgfältig zu versorgen. Iska musste einmal mehr ihr Staunen verbergen, denn dass diese Tiere solch eine Pflege erfuhren, war sie nicht gewohnt. Neugierig beobachtete sie, wie Wibke ihr Pferd mit einem Stück Stoff abrieb. „Wieso verwendet ihr soviel Aufwand auf die Tiere?“

Sigmar beantwortete ihr diese Frage ebenfalls bereitwillig: „Sieh, Iska. Wir brauchen die Pferde nicht nur für den Ackerbau. Die, die du hier im Stall findest, sind nur für den Ritt ausgebildet, Pferde oder auch Ochsen für das Feld findest du in den Hütten der Bauern beim übrigen Vieh. Diese Pferde sind etwas Besonderes.“ Sigmar sprach mit Stolz in der Stimme. „Abgeguckt haben wir uns das bei den Römern. Die Pferde sind extra für den Ritt und den Kampf ausgebildet. Sie sind schnell, zuverlässig und wendig. Bestimmte Männer im Dorf, und“, er warf einen Seitenblick auf die im Hintergrund beschäftigte Wibke, „und eine Frau befassen sich intensiv mit der Zucht, Pflege und Ausbildung dieser Tiere. Ja, unser Dorf ist berühmt für seine Pferde und in Jahren, in denen sie viel Nachwuchs haben, tauschen wir junge Fohlen regelmäßig mit anderen Dörfern gegen anderes Vieh.“

Iska staunte. Was Sigmar ihr hier erzählte, war neu für sie. Ihr Dorf verfügte nur über ein paar ausgemergelte alte Klepper. Die wenigen Ochsen, die zur Feldbestellung genutzt wurden, waren kaum jünger. Welch Reichtum hier dagegen doch herrschte!

Sigmar hob an, ihr noch mehr zu erzählen. Es brannte in ihm, ihr alles zu zeigen und zu erklären. Doch sein Redefluss wurde jäh gestoppt, als ein älterer Mann würdevoll zu ihnen trat. Seine Kleidung war einfach, aber sauber und selbst der leicht ergraute Bart zeugte von intensiver Pflege.

Sigmar neigte das Haupt. Der Mann sprach ruhig, mit wohltönender Stimme: „Ich grüße euch. Dich, Sigmar, der du wohlbehalten heimgekehrt bist und dich junger Krieger, der du ein Römer sein könntest, deinen Waffen und Schuhen nach.“ Iska sah aus den Augenwinkeln, wie der junge Krieger vor dem Mann den Kopf demütig senkte und sie tat es ihm nach. Sigmar sprach jetzt ohne seinen Blick zu heben. „Sei gegrüßt, Baldram. Weiser Herrscher unseres Volkes.“

„Nun, Sigmar, erzähle, wie es dir ergangen ist. Aber zuvor folge mir mit deinem jungen Gefährten in meine Hütte, dort ist es warm und eure Kleidung kann ein wenig trocknen.“

Die jungen Leute folgten dem Mann, der sie zu einer großen Hütte in der Nähe des Pferdestalls führte. Iska erkannte, dass viele der Hütten nicht einfach aus Ästen oder kleinen Baumstämmen mit Flechtwerk dazwischen erbaut waren, sondern dass massive, bearbeitete Baumstämme die Wände bildeten. Über der Eingangstür, die nicht nur aus einer Öffnung bestand, sondern durch ein verschließbares Flechtwerk gebildet wurde, bemerkte Iska verschiedene Abbildungen. Sie nahm sich vor, Sigmar später auf die Bedeutung der Zeichen anzusprechen. Baldram wies Iska an, auf einem strohgefüllten Fell Platz zu nehmen. Verstohlen sah sie sich in der großen Hütte um.

Wandbehänge vermittelten eine gemütliche und warme Atmosphäre und mehrere kleine Kohlebecken, die aber nicht alle befeuert wurden, sorgten für ausreichende Wärme. Auch wenn die kalte Jahreszeit noch nicht angebrochen war, so konnte es in den Nachtstunden doch schon recht ungemütlich werden. Iska zeigte sich für die Wärme, die hier herrschte, dankbar, war ihre und Sigmars Kleidung doch immer noch ziemlich nass.

Erhellt wurde der Raum von mehreren Öllämpchen, die auf einer Art Sims rund um die Hütte an der Wand standen. Es war so hell in dem Raum, dass Iska problemlos von einem zum anderen Ende sehen konnte. Hier und dort bemerkte sie einen Krug oder eine Vase und die ein oder andere Schale. Kleine Symbole und Anhänger hingen und lagen an den Wänden und Iska erkannte mehr als einmal das Symbol für Thors Hammer Mjölnir.

Nachdem sie sich gesetzt hatten, wandte Baldram sich dem vor ihm stehenden Sigmar zu und schloss diesen fest in die Arme. „Sigmar, gut dich wieder bei uns zu haben!“

„Vater, ich freue mich ebenfalls. Es gibt viel zu berichten.“

„Nimm Platz, mein Sohn. Bevor du aber berichtest, stelle mir zunächst deinen jungen Freund hier vor.“

Sigmar setzte sich neben Iska und druckste ein wenig herum. Gerade, als er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte, betrat eine ältere Frau mit mehreren Bechern und einem Krug den Raum. Sigmar beugte sich zu Iska und flüsterte ihr schnell zu: „Das ist Diotrun.“ Dann sprang er auf.

„Mutter. Den Göttern sei Dank, dir geht es gut.“ Mutter und Sohn umarmten sich, dann reichte sie jedem einen Becher und füllte aus dem Krug auf. Leise verließ Sigmars Mutter wieder den Raum.

Baldram nahm wieder das Wort auf: „Du wirst später noch Gelegenheit haben, mit deiner Mutter Worte zu wechseln. Jetzt, ist es an der Zeit, dass nur wir Männer uns hier unterhalten. Trinken wir auf die Götter und dass sie dich haben unbeschadet heimkehren lassen! Trinken wir auf Odin, als Herrscher der Götter und trinken wir auf seine Raben Hugin und Munin, auf dass sie ihm immer von dem was auf Erden geschieht, berichten mögen!“

Baldram erhob seinen Becher und Sigmar und Iska taten es ihm gleich. Dann leerten sie die Becher gleichzeitig in einem Zug.

Iska rechnete nicht damit, dass sich in dem Becher Wasser befinden würde. Auch hatte sie, dank ihrem Dorfältesten Thoralf, schon von den Getränken der Römer erfahren. Wein nannten die das. Was ihr jetzt aber die Kehle hinabrann, süß und doch so brennend, stürzte sie in Verwirrung. In ihrem Inneren tobte plötzlich ein Feuer und aus mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen blickte sie Sigmar angstvoll an. Der sah ihren Blick, schaute zu seinem Vater und beide begannen schallend zu lachen. Sigmar beruhigte sich langsam und sprach zu Iska: „Du hast wohl noch nie in deinem Leben Met getrunken?“

Iska schüttelte den Kopf, der plötzlich merkwürdig leicht schien. „Met? Nein, was ist das. Ist das ... verzaubertes Blut der Götter?“ Iska meinte, der Boden würde sich unter ihr auftun. Zumindest schwankte er ein wenig.

Baldram konnte sich kaum beruhigen: „Blut der Götter. Welch ein Einfall! Ja wahrlich, das könnte ‚Blut der Götter‘ genannt werden. Aber, Sigmar, was für einen merkwürdigen, jungen Mann hast du mir da angeschleppt? Kennt er keinen Honigwein? Jetzt mache mich endlich mit deinem jungen Freund bekannt!“

Sigmar sah sich genötigt, die ganze Angelegenheit aufzuklären: „Vater, bei diesem jungen Mann handelt es sich um ein junges Mädchen.“ Er erzählte die Geschichte der Flucht, so wie Iska sie ihm geschildert hatte. Baldram ließ Sigmar sprechen, ohne ihn zu unterbrechen und Iska, die jetzt mit einem leichten Schluckauf kämpfte, fügte hin und wieder einige Worte hinzu.

Als Sigmar endlich endete, strich sich Baldram durch den Bart. „Hmm, Iska also. Da schicke ich meinen Sohn einmal in Feindesland und schon bringt er ein Mädchen mit nach Hause, das er heiraten will!“ Schmunzelnd blickte Baldram auf die beiden.

Sigmar protestierte. „Vater, das stimmt so nicht ganz! Du hast mich zahlreiche Male ins Feindesland geschickt, und ...“

Baldram unterbrach seinen Sohn: „Ja, ja. Ich werfe dir ja auch nichts vor. Deiner Mutter und mir ging es vor vielen, vielen Jahren kaum anders. Glaube mir, zahlreiche Ehen werden geschlossen, um Stämme oder Familien zu verbinden und oft folgt diesen Verbindungen dann auch die Liebe. Aber ebenso oft bleiben sie ohne Liebe und es folgt nur der Hass oder - im günstigeren Fall - die Gleichgültigkeit. Meinen Segen für eine Heirat sollt ihr haben und deinen Gedanken zuvor die Weise Yelva zu befragen, kann ich nur gutheißen. Da sich der Tag aber dem Ende entgegen neigt, sollten wir jetzt unseren Hunger stillen und uns anschließend der Nachtruhe widmen. Morgen, so die Götter wollen, wird wieder ein Tag anbrechen und dann ist es an der Zeit, weitere Dinge zu regeln. Du musst mir und den Dorfältesten später auch über deine Erkenntnisse im Römerland jenseits des Limes berichten!“ Sigmar nickte zustimmend und Baldram wandte sich jetzt an Iska: „Du kannst vorläufig dein Lager bei Wibke und ihrem Gatten aufschlagen. Die Hütte bietet genügend Platz. Die beiden sind informiert worden und erwarten dich zum Essen.“

Eine ältere Frau trat in die Hütte und sah Iska auffordernd an. Iska verstand. Vorsichtig stand sie auf, denn immer noch schien der Boden etwas zu schwanken. Leicht verneigte sie sich vor Baldram, warf Sigmar noch einen warmen Blick zu und folgte der Alten. Die brachte sie direkt zu einer am Waldrand stehenden, ebenfalls recht großen, Hütte.

Inzwischen langte Sunna an ihrem Himmelsziel an und es herrschte Dunkelheit. Iska wollte ein paar Worte mit der alten Frau wechseln, aber die war ebenso leise, wie sie erschienen war, auch wieder verschwunden. Knarrend öffnete sich die Tür der Hütte und Wibke erschien in der Öffnung. „Iska, komm herein. Wir haben dich schon erwartet.“

Verwundert schaute Iska auf die junge Frau. Kaum wurde ihre Geschichte Baldram bekannt, so schienen sich die Nachrichten durch das ganze Dorf zu verbreiten. Fragend sah sie Wibke an, folgte ihr dann aber ohne die auf den Lippen brennende Frage zu stellen. Die junge Frau lachte kurz auf: „Na, Iska, ich sehe deinem Gesicht an, was dich beschäftigt! Ja, wir haben hier ein ganz ausgezeichnetes System, Neuigkeiten allen kundzutun. Die alte Frau, die dich hergebracht hat, Yelva, erfährt mit Baldrams Zustimmung alles, was in dessen Hütte besprochen wird, ebenso wie sie alles erfährt, was bei den Ältestentreffen gesprochen wird. Ja, man sagt sogar, Yelva könne die Gedanken der Männer und Frauen lesen - so wie man in einem Buch lesen kann. An Yelva liegt es dann, die gewonnen Informationen zu verwerten und weiterzugeben oder geben zu lassen.“

Beide standen jetzt in der großzügig angelegten Hütte und Iskas Augen gewöhnten sich allmählich an das hier herrschende Halbdunkel. Zwar brannten mehrere Öllämpchen in dem Raum, aber hier war es lange nicht so hell, wie in Baldrams Hütte. Ein Mann trat auf sie zu, groß, aber recht mager und als er nahe genug bei Iska stand, erkannte sie ein schmales, bärtiges Gesicht, das freundlich auf sie herabblickte. Der Mann schien ihr bald doppelt so groß wie sie, aber das musste an dem Licht liegen.

„Das ist mein Mann, Alrik.“ Wibke legte besitzergreifend eine Hand auf dessen Arm und schaute ihn mit warmem Blick an. Iska und Alrik begrüßten sich. Der Mann war ihr gleich sympathisch. Die freundliche und zurückhaltende Art gefiel ihr. Alrik setzte sich an einen kleinen Tisch im Raum und Wibke zog Iska hinter eine Decke, die über ein Seil gespannt war. „Alrik ist kein Freund großer Worte, aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck. Die Götter - und das Dorf - haben mir einen guten Mann gegeben!“ Wibke sagte dies heiter und sorglos und Iska erkannte, dass es zwischen den beiden eine gewisse Verbundenheit gab. Aber Wibke sprach weiter: „Hier, wir haben einen Schlafplatz schon vorbereitet. Du kannst deine feuchte Kleidung dort über den Schemel legen, noch schüren wir kein Feuer. Erst wenn es kälter wird. Ich habe dir auch etwas zum Anziehen herausgelegt. Ein paar Sachen von mir. Sie müssten dir eigentlich passen. Schau dort.“ Eine Decke lag auf einer Ansammlung von Stroh und obenauf erkannte Iska ein einfaches, sauberes Gewand. Dankbar sah sie Wibke an.

„Zieh dir die trockene Kleidung an und dann geselle dich zu uns. Du wirst bestimmt hungrig sein.“

Iska nickte und als Wibke sich zurückzog, streifte sie schnell die feuchte Männerkleidung ab. Sorgfältig legte sie die römischen Waffen neben den Schemel. Ebenso tat sie es mit den Schuhen, die ihr gute Dienste geleistet hatten. Wenn es nicht unbedingt sein müsste, würde sie diese Schuhe - auch wenn es römische Soldatensandalen waren - nicht wieder hergeben. Das Leinengewand war ihr ein wenig zu groß und Iska zog den Dolch und das römische Kurzschwert von dem Gürtel des Soldaten und legte den Riemen um ihre Taille. Schon saß das Kleid besser. Jetzt, da sie aus den feuchten Sachen heraus war, fühlte sie sich direkt wohler. Rasch trat sie zu Wibke und Alrik. Auf ein Zeichen Wibkes setzte sie sich auf einen Schemel an den Tisch.

„Noch etwas Hirsebrei?“ Wibke meinte es gut, aber Iska konnte beim besten Willen nichts mehr essen. „Nein, danke. Ich platze gleich. Soviel habe ich seit Jahren nicht mehr gegessen.“ Iska wiegte ein wenig den Kopf. „Na, wenn ich recht überlege, soviel habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gegessen! Brot, Fleisch, Brei. Und dann der köstliche Met.“ Iska kannte sich nicht wieder. Sie fühlte sich leicht und beschwingt. Ihre Zunge fand manchmal eigene Wege und ihre Gedanken flogen immer häufiger zu Sigmar, den sie jetzt liebend gerne in ihren Armen halten würde und dessen starken Phal...

„Iska, hallo Iska, hörst du mir eigentlich zu?“ Wibke schubste Iska leicht an der Schulter. Dann wandte sie sich mit gespielter Empörung an ihren Mann: „Alrik! Was sagst du dazu? Trinkt kaum einen halben Becher Met, die Gute, und schon ist sie betrunken!“

Alrik grunzte nur und führte dann seinen eigenen Becher an die Lippen.

„Ich bin nicht betrunken. Nein, das bin ich nicht!“ Iska wollte das nicht auf sich sitzen lassen. „Gib mir noch einen Becher, dann zeig ich euch, was ich vertrage!“ Wibke und Iska fingen gleichzeitig schallend an zu lachen und sogar Alrik konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Aber Wibke schenkte Iska nicht erneut ein. „Genug. Es wird Zeit, dass wir schlafen gehen. Komm, Iska, ich zeige dir noch, wo wir Frauen nachts hingehen - falls es sein muss ...“

Ohne viele Worte machte Alrik sich daran, den Tisch abzuräumen und abzuwischen, während Wibke mit Iska vor die Hütte trat und ihr dann einen schmalen Pfad zeigte, der hinter die Hütte in einen Wald führte. Anschließend betraten beide wieder den Raum und müde fiel Iska endlich auf ihr Lager. Schon im Einschlafen hörte sie Wibke und Alrik leise miteinander reden, dann kichern. Wibkes und Alriks lustvolles Stöhnen bekam sie schon nicht mehr mit.

Iska - Die Flucht

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