Читать книгу Recht im E-Commerce und Internet - Jürgen Taeger - Страница 16
ОглавлениеI. Vertragsanbahnung
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Der Vertragsschluss über das Internet, gleich ob per E-Mail, Website oder über Apps auf mobilen Endgeräten, insbesondere „Smart Devices“ wie Smartphones und Tablets, ist Alltag und wesentlicher Wirtschaftsfaktor weltweit. Dabei handelt es sich um Geschäfte von Unternehmern mit Verbrauchern (sog. Businessto-Consumer, kurz: B2C) sowie um Geschäfte zwischen Unternehmern (sog. Business-to-Business, kurz: B2B). Ein Sonderfall des B2B sind Geschäfte über die Nutzung von Plattformen zwischen deren Anbietern und den auf der Plattform agierenden Unternehmern (sog. Plattform-to-Business).1
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Vertragsanbahnung und Vertragsschluss müssen daher im Hinblick auf die Nutzung von Fernkommunikationsmitteln i.S.d. § 312c Abs. 2 BGB auf ihre rechtlichen Besonderheiten sowohl im Bereich B2C als auch im Bereich B2B hin analysiert werden. Dies gilt ebenso für Sonderformen des Absatzes von Waren, Dienstleistungen und digitalen Inhalten, insbesondere über sog. Online-Auktionen oder Internet-Versteigerungen.
1. Elektronische Willenserklärungen und Computererklärungen
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Besonderheiten ergeben sich bereits daraus, dass es sich bei Willenserklärungen im E-Commerce um elektronische Willenserklärungen handelt.
a) Elektronische Willenserklärung
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Elektronische Willenserklärungen sind von einem Menschen über IT (Informationstechnologie) und Kommunikationsmittel (z.B. Internet) abgegebene oder übermittelte Erklärungen, die sich der Abgebende zurechnen lassen muss, wenn die Voraussetzungen einer wirksamen Willenserklärung gegeben sind.2 Diese Voraussetzungen sind subjektiv aus Sicht für den Erklärenden der Handlungswille (Gegensatz: Reflexe), das Erklärungsbewusstsein (Bewusstsein, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben) und der Geschäftsbindungswille (die Absicht, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen), während objektiv nach außen ein Rechtsbindungswille des Erklärenden sichtbar werden muss.
b) Computererklärung
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Von der elektronischen Willenserklärung ist die automatisierte Willenserklärung als sog. Computererklärung abzugrenzen. Unter einer solchen automatisierten Willenserklärung versteht man eine Erklärung, die zum Zeitpunkt ihrer Herstellung und Abgabe keines aktiven menschlichen Handelns mehr bedarf.
In diesen Fällen wird eine Software eingesetzt, die beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses die Abgabe der Erklärung bewirkt. Bei der Computererklärung handelt es sich dennoch um eine Willenserklärung im Rechtssinn, weil die Programmierung der Software und die Bestimmung ihrer Funktionen auf einem menschlichen Willen beruht.3
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Dazu zählt allerdings nicht die automatisierte Zugangsbestätigung nach § 312i Abs. 1 Nr. 3 BGB. Demgemäß ist der Unternehmer als Empfänger eines Angebots auf Abschluss eines Vertrages via Telemedien verpflichtet, dem Kunden den Zugang seines Angebots zu bestätigen. Es handelt sich um ein standardisiertes Verfahren, wofür regelmäßig Automatismen geschaffen werden. Da es sich jedoch um eine gesetzliche Pflicht handelt, kann in die Bestätigung der Gehalt einer Willenserklärung in Form der Annahme des Angebots nicht hineingelesen werden. Es liegt eine Wissenserklärung, aber keine Willenserklärung vor, da es erkennbar am Rechtsbindungswillen fehlt.
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Nicht geklärt ist bislang, wie von einer künstlichen Intelligenz (auch artifizielle Intelligenz, AI oder KI)4 abgekoppelt von jedem menschlichen Handeln abgegebene Erklärungen einzuordnen sind. Dort entscheidet ein Algorithmus oder ein künstliches neuronales Netz aufgrund eigener Lernerfahrungen (mittels Machine Learning oder Deep Learning) über Inhalt und Zeitpunkt einer Erklärung, ohne dass dies noch auf einen menschlichen Willen zurückgeführt werden könnte. Mit der Willenserklärungslehre ist dies nicht in Einklang zu bringen, sodass für derartige Erklärungen allenfalls eine deliktische Verantwortlichkeit des jeweiligen Anwenders in Betracht kommt, aber keine Rechtsgeschäfte begründet werden.5
c) Mausklick oder Fingertipp als Erklärungshandlung
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Eine rechtliche Besonderheit der elektronischen Willenserklärungen besteht darin, dass sie zuweilen nur in einem schwachen Bezug zum Äußernden stehen. Oft bestehen die Erklärungen „nur“ aus einem Mausklick oder einem Fingertipp auf einem Touchscreen, sodass die Zuordnung der Erklärung zum Erklärenden nicht immer ohne Weiteres erfolgen kann. Dabei ist zu beachten, dass jeder Nutzer mit einer Vielzahl von Mausklicks oder Fingertipps durch Websites oder Anwendungen auf einem Smart Device navigiert; nur in einzelnen Fällen handelt es sich hierbei aber um rechtserhebliche Erklärungen.
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Probleme können sich dabei daraus ergeben, dass im Internet, z.B. aus Unachtsamkeit oder wegen einer verwirrend gestalteten Website, versehentlich eine rechtserhebliche Erklärung abgegeben wird. Allerdings gelten hier dieselben Grundsätze wie in der Offline-Welt: Ob der Internet-Nutzer bei einem Mausklick das Bewusstsein hat, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, ist nicht relevant, da das Erklärungsbewusstsein keine Voraussetzung für eine wirksame Willenserklärung ist.6 Ausreichend ist, dass die Willenserklärung dem Erklärenden zugerechnet werden kann.7 Zurechenbar ist eine Erklärung aber bereits dann, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Erklärung oder sein Verhalten nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.8
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Klickt oder tippt ein Internet-Nutzer versehentlich einen Button, welcher einen rechtlich relevanten Vorgang wie eine Bestellung oder den Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber einer Internet-Plattform auslöst, gilt demnach Folgendes: Hätte ein Internet-Nutzer durch die Gestaltung der Website erkennen können, dass er eine rechtserhebliche Handlung vollzieht, so ist diese ihm zurechenbar und stellt rechtlich eine ihn bindende Willenserklärung dar. Ist dies nicht der Fall, so liegt keine zurechenbare Willenserklärung vor.9
2. Formbedürftigkeit
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Wenn nach den gesetzlichen Regeln für eine Willenserklärung keine bestimmte Form einzuhalten ist, so kann diese unproblematisch auch als elektronische Willenserklärung abgegeben werden.
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Dort, wo gesetzlich eine bestimmte Form vorgeschrieben ist, wurden die gesetzlichen Regelungen mit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften an die Erfordernisse des elektronischen Geschäftsverkehrs angepasst. So ist z.B. in § 126 Abs. 3 BGB bestimmt, dass grundsätzlich die gesetzliche Schriftform durch die elektronische Form gemäß § 126a BGB ersetzt werden kann.10 Gleichwohl ist für jeden Einzelfall zu prüfen, ob eine gesetzliche Form bei elektronischen Willenserklärungen durch ein elektronisches Pendant ersetzt werden darf. Der Ausschluss der Ersetzung ergibt sich entweder aus der jeweiligen Formvorschrift selbst oder aus dem Zweck- und Sachzusammenhang der Norm.11 So ist beispielsweise die schriftlich zu erklärende Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in elektronischer Form wegen § 623 BGB unzulässig.12
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Soweit Allgemeine Geschäftsbedingungen vertragliche oder sog. gewillkürte Schriftformerfordernisse i.S.d. § 127 BGB vorsehen,13 hat der BGH für elektronisch durchgeführte oder abgewickelte Vertragsverhältnisse entschieden, dass in diesen Fällen die Anordnung einer strengen Schriftform mit Papier und Unterschrift i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB für Kündigungen von Verbrauchern unzulässig ist, weil hierdurch der Verbraucher gehindert wird, sich ebenso einfach von einem Internetvertrag zu lösen, wie er zuvor den Internetvertrag abgeschlossen hat.14
3. Arten der Vertragsanbahnungen
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Die Vertragsanbahnung im Internet und E-Commerce erfolgt üblicherweise über Onlineshops.
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Bei einem Onlineshop gestaltet jemand, der Waren, Dienste oder digitale Inhalte im Internet anbieten möchte, eine Website oder App so, dass seine Leistungen beschrieben werden und deren Bestellung ermöglicht wird. Um den Bestellvorgang zu automatisieren, wird meist ein virtueller Warenkorb integriert, in den der Besteller alle Waren, die er erwerben möchte, per Mausklick oder Fingertipp übernehmen kann. Hat er alle Waren ausgewählt, so muss er seine persönlichen Angaben (Name, Adresse, ggf. Kundennummer, Zahlungsform usw.) über eine Bildschirmmaske eingeben und per Mausklick oder Fingertipp die nunmehr vollständige Bestellung an den Anbieter abschicken.
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Derartige Onlineshops werden zunehmend in soziale Netzwerke oder Informationsangebote im Internet integriert, z.B. in Themenportale. Solche Themenportale können von Anbietern oder Herstellern zur Kundenansprache mit dem Ziel vertrieblicher Abschlüsse betrieben werden, ebenso aber auch von selbstständigen Dritten, welche dort die themenbezogenen Informationen mit Erwerbsmöglichkeiten für passende Produkte oder Leistungen verknüpfen. Dabei kann der Vertragsschluss dadurch erleichtert werden, dass der Verbraucher keinen eigenen Account unter Eingabe persönlicher Daten mehr anlegen muss, sondern seine Daten aus einem Nutzerzugang etwa bei Amazon, Google, Apple oder PayPal übernehmen kann.
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Früher gab es stattdessen die Anbahnung von Verträgen über E-Mail. Dabei wurden zwei Alternativen genutzt: Zum Teil versendete ein Anbieter eine E-Mail an E-Mail-Adressen aus Adresslisten, also eine Massen-E-Mail, vergleichbar einer entsprechenden Mailing-Aktion über Briefpost, oder aber er bot konkret einem Kunden seine Leistung per individueller E-Mail an. Heute werden E-Mails oder Massenansprachen in sozialen Netzwerken nur noch sehr selten zum individuellen Vertragsabschluss genutzt. Regelmäßig erfolgt von dort der Absprung in einen Onlineshop. Anders lassen sich die stetig wachsenden Anforderungen an den Verbraucherschutz im E-Commerce kaum sicher gewährleisten.15
1 Zur Regulierung der Plattformverträge durch die sog. P2B-Verordnung siehe Kap. 7, Rn. 7. 2 Zusammenfassend Paulus, JuS 2019, 960, 962f. 3 Glossner, in: Leupold/Glossner, MAH IT-Recht, 2013, Teil 2, Rn. 15; Säcker, in: MüKo-BGB, 2018, Einl. BGB AT Rn. 189; Spindler, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2019, Vorb. §§ 116 BGB ff. Rn. 6. 4 Ausführlich zu technischen Grundlagen und aktuellen Entwicklungen von KI Pieper, InTeR 2016, 188, 189ff.; InTeR 2018, 9, 11ff.; aus Sicht des Datenschutzes siehe Datenschutzkonferenz (DSK), Positionspapier der DSK zu empfohlenen technischen und organisatorischen Maßnahmen bei der Entwicklung und dem Betrieb von KI-Systemen v. 6.11.2019, https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/en/20191106_positionspapier_kuenstliche_intelligenz.pdf. 5 Zum Diskussionsstand etwa Borges, NJW 2018, 977; Denga, CR 2018, 69. 6 Mit Beispielen Glossner, in: Leupold/Glossner, MAH IT-Recht, 2013, Teil 2, Rn. 20ff. 7 Vgl. BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83; Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 2021, Kap. 13.1, Rn. 63ff. 8 Teilweise wird mit Blick auf die Vertragsautonomie aus Art. 2 I GG der Vertragsschluss durch nicht (erklärungs-)willensgetragenes, fahrlässiges Verhalten konzeptionell abgelehnt; einen Überblick dazu bietet Armbrüster, in: MüKo-BGB, 2018, § 119 Rn. 97. 9 Zu den Besonderheiten im elektronischen Geschäftsverkehr gemäß § 312j BGB Kap. 5 Rn. 188ff. 10 Zu Formvorschriften ausführlich Kap. 4. 11 Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2016, § 126 Rn. 52. 12 Weitere ausdrückliche Ausschlüsse der Ersetzung finden sich in §§ 623 Hs. 2, 630 S. 3 (ggf. i.V.m. § 109 Abs. 3 GewO), 761 S. 2, 766 S. 2, 780 S. 2, 781 S. 2 BGB. 13 Zur Zulässigkeit der gewillkürten Schriftform und deren Anforderungen vgl. Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2016, § 127 Rn. 1ff. 14 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – III ZR 387/15, K&R 2016, 596f. m. Anm. Kremer/Garsztecki, jurisPR-ITR 20/2016 Anm. 5. 15 Ausführlich dazu Kap. 5 und Kap. 6.