Читать книгу Zerrissen - Das Böse in mir - J.S. Ranket - Страница 5
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Оглавление„Also Yale“, stellte Marlene pragmatisch fest, nachdem ich ihr von meinem Gespräch mit Scholz berichtet hatte.
Sie stand vor der großen Terrassentür, die in den etwas heruntergekommenen Garten führte, und beobachtete wie unser Nachbar seinen Rasen golfplatzkurz trimmte. Sein Grundstück entsprach schon eher dem, was man in der Nähe zum Hubertussee von einer Immobilie erwartete.
Bis zum Tod unserer Mutter hatte es mein Vater ebenso gehandhabt, doch danach irgendwie das Interesse daran verloren. Und auch ich wollte damals, neben Schule und wilden Partys, nicht allzu viel Zeit für die aufwendige Pflege aufbringen. Also mutierte das pittoreske Häuschen aus den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts langsam zu einem verwunschenen Märchenschloss, hinter dessen verwilderten Büschen die Nachbarskinder Feen und Elfen vermuteten.
„Du gibst dich ja wirklich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden“, fügte sie hinzu, während sie sich zu mir umdrehte.
Marlene war, wie ich, recht hoch gewachsen und hatte etwas Vornehmes an sich. Etwas, das alle anderen verstummen ließ, wenn sie einen Raum betrat, und mich als kleinen Jungen davon überzeugte, dass sie eine Prinzessin war.
Allerdings trug sie jetzt einen Schlabbershirt und zu große Knuddelsocken.
„Na ja …“, gab ich ein wenig skeptisch zurück. „Es ist ja zumindest eine theoretische Möglichkeit.“
„Du bist ein Idiot, Alex, weißt du das?!“, fuhr sie fort.
Marlene entschwebte in Richtung Küche und tauchte kurz darauf mit zwei Flaschen Radeberger wieder auf.
„Ich dachte, das mit diesem Underdog-Ding und deiner infantilen Opposition gegen den Industriekapitalismus hast du hinter dir gelassen.“ Sie grinste überheblich, während sie mir das Bier in die Hand drückte. „Du kannst natürlich auch gerne dein Smartphone wegwerfen, irgendwo in den Wald ziehen und dich von Wurzeln und Quellwasser ernähren“, bot sie an und riss demonstrativ meine Flasche wieder an sich.
„Hoffentlich wirst du bei deiner nächsten Mission von einem Löwen gefressen“, witzelte ich, bevor ich mir mein Bier zurückeroberte und einen großen Schluck trank. „Du warst doch früher auch immer irgendwie anti“, erinnerte ich Marlene an ihre Sturm-und-Drang-Zeit. „Anti-Atomkraft, Anti-Massentierhaltung … Hauptsache anti.“
„Tja …“, musste sie eingestehen, nachdem sie sich ebenfalls einen Zug genehmigte, „irgendwann wird jeder mal erwachsen.“ „Und nur der Zweig, der sich im Sturme biegt, wird nicht brechen.“
Ich sparte mir einen deftigen Kommentar zu Marlenes Spruch, denn mit ihrer Wortgewandtheit konnte ich es noch lange nicht aufnehmen. Sie klaute sich bei ihren Gegnern einfach die Argumente, bastelte sie für ihre Zwecke um und schoss sie zurück.
„Du hast ja recht“, gab ich schließlich zu. „Aber gesetzt dem Fall, das sollte wirklich klappen, dann wird erwartet, dass man ständig nobelpreisverdächtiges Zeug von sich gibt.“
„Das ist doch totaler Schwachsinn“, konterte Marlene. „Du hast doch nur Schiss, dass du es wirklich schaffen könntest. Die haben da jedes Jahr hunderte Absolventen. Glaubst du ernsthaft, dass da jeder ein zweiter Bill Clinton wird?“
„Natürlich nicht“, musste ich eingestehen. „Aber Yale, das klingt irgendwie ganz schön versnobt.“
„… könnte dir aber jede Menge Türen öffnen“, ergänzte Marlene. „Du weißt ja noch gar nicht, in welche Richtung du dich entwickelst.“
Sie hatte inzwischen ihr Notebook hervorgekramt und scrollte sich durch eine Liste der amerikanischen Elite-Unis.
„Und wenn dir der Name zu großspurig ist, wie wäre es denn dann mit …“ Sie zögerte kurz. „… okay, die Cornell könnte man noch kennen. Aber sagt dir Dartmouth oder Brown irgendwas.“
„Nö“, musste ich ehrlicherweise zugeben.
„Ich bin echt enttäuscht“, kicherte Marlene, dann kippte sie den Rest ihres Radeberger hinunter. „Die akademische Hoffnung unserer Familie hat noch nie etwas von Dartmouth und Brown gehört ….“
„Du bist dämlich“, unterbrach ich meine Schwester gespielt beleidigt, während sie auf ihrer Tastatur herumhämmerte.
„… und dabei haben alle Unis echt gute Sport-Teams“, fuhr sie fort. „Einschließlich Schwimmen“, flüsterte sie anschließend geheimnisvoll und drehte ihr Notebook mit einer übertriebenen Geste zu mir herum. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass die deine Hundert-Meter-Zeit von den Socken haut.“
„Die schwimmen aber hundert Yards“, stellte ich nach einem Blick auf den Monitor fest. „Das sind knapp zweiundneunzig Meter.“
„Ich weiß, wie viel hundert Yards in Meter sind“, gab Marlene pikiert zurück. Dann murmelte sie laut vor sich hin, klickte anschließend auf eine Tabelle und tippte triumphieren auf das Display. „Hier …“, ihr Fingernagel klackte aufgeregt auf das Plastik, „… du hättest mit deiner Zeit diesen Princeton-Typ glatt vom Treppchen gekickt.“
„Ich will aber nicht …“, versuchte ich meine Bedenken zu äußern.
„Hallo!“ Marlene klopfte mir demonstrativ gegen die Stirn. „Du musst immer nehmen, was du kriegen kannst, sonst kommst du irgendwann unter die Räder.“ „Vielleicht solltest du deine Zeiten nicht gleich auf der ersten Seite erwähnen, aber irgendwie unauffällig einbauen würde ich das schon“, riet sie mir mit stolz geschwellter Brust.
„Deine Tricks waren auch schon mal subtiler“, wies ich Marlene auf das Offensichtliche hin. „Du willst doch nur mit mir angeben oder brauchst jemanden, der aufgrund seiner Verbindungen mehr Fördertöpfe für deine Projekte anzapfen kann.“
Marlene verdrehte ertappt ihre Augen. „An meiner Taktik sollte ich wirklich arbeiten“, gab sie grinsend zu.
„Wie geht es eigentlich Papa?“, wechselte ich abrupt das Thema, weil ich ihn heute noch nicht gesehen hatte und seine Demenz schneller voranschritt, als ich anfangs geglaubt hatte.
„Nicht so gut“, stellte meine Schwester betrübt fest. „Wir waren zwar über eine Stunde spazieren, aber als ich ihn zu einem Kartenspiel überreden wollte, hat er mir seinen Tee ins Gesicht geschüttet.“ Sie tupfte sich mit ihrem überlangen Ärmel eine Träne aus den Augen. „Dann hat er bis vorhin vor dem Fernseher gesessen und wollte schließlich ins Bett.“
Ich legte ihr mitfühlend meine Hand auf die Schulter und zog sie an mich. „Er kann nichts dafür, das ist diese heimtückische Krankheit.“
„Ich weiß“, schluchzte Marlene. Dann schob sie sich tapfer von mir weg. „Da habe ich schon ganz andere Sachen hinbekommen“, stellte sie trotzig fest.
Ich hoffte inständig, dass sie sich da nicht täuschte.