Читать книгу Die nächste Generation - Jule Beatsch - Страница 10
ОглавлениеA Kind of Magic
(Queen, 1986)
„Autsch, verflixt", fluchte Tarik leise und rieb sich den schmerzenden Arm, als er die Haustür öffnete. Die Schlägerei in der Schule hatte ihre Wirkung erzielt, sein Arm fühlte sich geprellt an und sein Gesicht schmerzte, als wäre jemand ein paar Mal mit einem Mähdrescher darüber gefahren (und so sah es, ehrlich gesagt, auch aus). Jake lief dem Jungen freudig entgegen, sprang voller Freude an ihm hoch und bellte ein paar Mal.
„Hallo, mein Freund", begrüßte Tarik den Vierbeiner und streichelte den schwarz-weißen Husky ausgiebig. „Warte mal kurz, ich räume nur kurz meine Schulsachen auf", fügte er mit ruhiger Stimme hinzu, warf sich seinen Rucksack mit Camouflage-Muster über den Rücken und lief in sein Zimmer hinauf. Hier war er sowieso am liebsten. Hier nannte ihn niemand einen „Spinner" oder einen „Tier-Freak". Hier war er einfach nur Tarik und mehr wollte er auch nicht sein.
„Wuff", bellte Jake von unten und kläffte ein paar Mal ungeduldig.
„Ich komme doch gleich", rief der schwarzhaarige Junge hinunter und warf dann doch noch schnell einen Blick auf eine seiner Tierzeichnungen auf dem Schreibtisch, die er in seiner Freizeit anfertigte. Diese hier war eine ganz besondere. Sie zeigte ein Wolfsrudel bei der Jagd. Auf dieses Bild war Tarikfurchtbar stolz und er wollte es nachher unbedingt seiner Mutter zeigen. Also schnappte er sich das Papier und rannte schwungvoll die alte Holztreppe wieder hinunter. Jake kratzte erwartungsvoll am Boden herum und seine hellen Augen leuchteten freundlich und fröhlich. Bei diesem süßen Anblick musste Tarik einfach grinsen. Schon damals, als sie Jake im Welpenalter adoptiert hatten, war der Husky unfassbar süß gewesen. Das war noch gar nicht so lange her. Zwei Jahre vielleicht oder zweieinhalb. Länger aber nicht.
„Weißt du was? Ich glaube, wir haben noch Fleisch von gestern Abend übrig. Ich schaue mal schnell", sagte Tarik und schlängelte sich flink an seinem Hund vorbei in die Küche, denn der Husky stand mal wieder mitten im Weg. „Aha, wusste ich es doch, hier ist es!", triumphierte Tarik und angelte ein Stück Restfleisch aus dem Kühlschrank. „Aber so ein großes Stück bekommst du nicht", ermahnte der Junge seinen Hund und holte sich noch ein Messer und ein Schneidebrett, um ein Stück für den Vierbeiner zurechtzuschneiden. Tarik erhob das scharfe Messer und setzte an.
„Autsch", erschrak er und ließ das Messer fallen. „Verdammt!" Schnell versuchte Tarik das herablaufende Blut von seinem Finger zu lecken. „Oh das war ein tiefer Schnitt", bemerkte er und drückte fest auf die Wunde, sodass es nicht mehr blutete.
„Mensch, wo sind denn die Pflaster? Haben wir eigentlich überhaupt noch welche?", fragte er sich selbst und wühlte in allen möglichen Schränken herum. „Ah, hier, mal schauen, ob… ähm was…?", rief Tarik verwirrt aus und starrte auf seine Hand. Der Schnitt war weg.
„Hä?", sagte er verwundert und drehte seine Hand im Licht. Nichts. Da war nichts mehr zu sehen. Gar nichts. „Ich hätte schwören können, dass ich mir gerade in den Finger geschnitten habe", murmelte Tarik höchst verwundert, aber dann hatte er einen Geistesblitz. Er lief wieder zurück zu dem Stück Fleisch und dem Messer. Vorsichtig nahm er es in die Hand und hielt die Klinge so in das Licht, dass er kleine Blutstropfen darauf erkennen konnte. Er hatte sich also doch nicht getäuscht; er hatte sich tatsächlich geschnitten.
„Mal sehen, ob…", flüsterte er und setzte das Messer vorsichtig noch einmal an seinen Handrücken. Er kniff die Augen zusammen und drückte kurz zu. Als er die Augen wieder öffnete und die Klinge anhob, quoll leuchtend rotes Blut aus der kleinen frischen Wunde. Aber dann sah Tarik etwas, was er sich nicht erklären konnte. Sekundenschnell begann die Wunde sich zu verschließen. Das Blut verschwand augenblicklich und es blieb nicht einmal eine klitzekleine Narbe zurück. Gar nichts dergleichen. Man konnte nichts mehr erkennen.
„Wow, sowas habe ich ja noch nie gesehen", staunte Tarik und sah seine Hand an, als wäre sie das achte Weltwunder. Jake bellte wieder ungeduldig und trat Tarik mit seinen Pfoten ans Bein.
„Cool, was?", grinste der Junge begeistert. „Ach ja, jetzt hätte ich es fast vergessen: Hier für dich!", fügte er noch hinzu und reichte seinem Husky das Fleischstück, das Jake gierig und in schnellen Bissen verschlang.
„Tarik kannst du mir vielleicht kurz etwas abnehmen, bitte?", fragte eine Frauenstimme, die aus der Richtung der Haustür kam.
„Ja Mum, ich bin sofort da!", rief Tarik aufgeregt und legte das Messer und das Schneidebrett schnell auf die Anrichte.
Dann rannte er in einem Affentempo den Flur entlang und hätte fast eine Vase mitgerissen.
„Tarik, was ist denn mit deinem Gesicht passiert?", fragte Ms. North besorgt und strich ihrem Sohn vorsichtig über die Wange. Er machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte ausweichend:
„Bin nur blöd hingefallen, es ist nichts passiert, mir geht es gut!", versicherte er seiner Mutter und versuchte möglichst glaubhaft zu erscheinen, denn er wollte nicht, dass sie sich Sorgen um ihn machen musste. Denn auch so hatten sie schon genug Probleme. Schnell schnappte er sich eine der beiden Tüten und sagte:
„Komm mal mit in die Küche, ich muss dir etwas zeigen!".
Ms. North nickte nur müde und folgte ihrem Sohn zu Jake in die Küche; der Hund strich der blonden Frau freudig um die Beine und bettelte um Streicheleinheiten.
„Sieh mal", rief Tarik begeistert, nahm sich das Messer aus der Spüle und setzte an.
„Tarik, halt, was soll das den werden??", rief seine Mutter und wollte vorschnellen und ihm das Messer aus der Hand reißen. „Nein, warte Mum! Es ist einfach unglaublich, sieh doch selbst!
Mir wird nichts passieren!", versicherte ihr der Junge und schnitt sich geschwind noch einmal in die Hand, genau wie beim ersten Mal auch. Es blutete, was ja auch nicht anders zu erwarten war.
„Was sollte das denn Tarik!? Das war eine dumme Idee! Ich will das nie wieder von dir se – was…??", stotterte sie ungläubig, als sie mit eigenen Augen sah, wie sich die kleine Wunde binnen Sekunden wieder verschloss.
„Cool, nicht wahr?", neckte Tarik zufrieden und sah Mrs. North stolz an. Diese sackte fassungslos auf ihren Stuhl zurück und war einfach nur sprachlos.
„Wie…wie kann das nur möglich sein? So etwas habe ich noch nie gesehen!", murmelte sie und fixierte gedankenverloren irgendeinen Punkt in der Küche.
„Weißt du, was das bedeutet?", fragte Tarik immer noch ganz aufgeregt. Seine Mutter schüttelte stumm den Kopf und seufzte, als könnte sie das alles, was sie hier sah, nicht glauben.
„Das bedeutet, dass ich jetzt kein Tier-Freak mehr bin, sondern etwas Besonderes!", schlussfolgerte Tarik glücklich und lief um den Tisch herum zu seiner Mutter hinüber, die immer noch kein
Wort gesagt hatte. „Mum, was ist denn?", wollte er mit gerunzelter Stirn wissen und sah ihr in die Augen. Ihr Blick sagte mehr als tausend Worte, man konnte ihr ansehen, dass ihr Tariks (wie sollte man das am besten nennen? Talent? Fähigkeit? Angewohnheit?) mehr Angst machte als Freude.
„Ach Junge, auch so bist du etwas Besonderes, bloß… so etwas ist einfach nicht möglich, kein Mensch auf dieser Welt kann das. Es geht einfach nicht…", stammelte sie und man sah, wie krampfhaft sie überlegte, ob es vielleicht doch eine Lösung gab, sein Verhalten vernünftig zu erklären. Doch vergebens.
„Vielleicht bin ich ja gar kein Mensch", sagte Tarik nur zum Spaß, hatte aber keine Ahnung, dass es eine Tatsache war.