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Justice For All

(Metallica, 1988)

Entsetzt starrte Tariks Mutter ihn an und Tränen liefen ihr über die Wange: „Sag so etwas nicht“, flehte sie und schnäuzte sich in ein Taschentuch, auf dem eine lachende Sonne abgebildet war. Nur blöd, dass die Situation gar nicht zum Lachen war. Zumindest nicht für Tariks Mutter.

„Das war doch nur Spaß, Mum", beruhigte der schwarzhaarige Junge die Frau und nahm ihre Hand.

„Es tut mir so leid, Tarik", schniefte sie und schien sich innerlich riesengroße Vorwürfe zu machen.

„Was tut dir leid, Mum? Du kannst doch nichts dafür!", versuchte er sie zu trösten, doch er merkte, dass seine Mutter ihm offenbar etwas verschwieg. Zögerlich zog er seine Hand weg und zwang sie mit einem plötzlich eisernen Blick dazu ihn anzusehen: „Wer bin ich?", fragte er voller Ernst und ließ Mrs. North keinen einzigen Augenblick aus den Augen.

„Es tut mir so leid, mein Junge… Hätte ich das nur gewusst… Wenn ich das doch nur gewusst hätte!", schluchzte sie aufgebracht weiter und vergrub ihr Gesicht in den zitternden Händen. Tarik riss fast der Geduldsfaden:

„Mum! Sag es mir doch einfach! Wer, oder besser gesagt, WAS bin ich?", fragte er forsch; man konnte die knisternde Spannung im Raum bestimmt noch Kilometer weit spüren. Tarik starrte seine Mutter so aufmerksam an wie ein Löwe auf der Jagd eine Antilope fixierte.

„Sag es mir einfach", bat er und versuchte seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben, obwohl er vor Neugier fast am Rande des Wahnsinns stand. Dann hob seine Mutter mit einem sehr schuldbewussten Blick ihren Kopf und sah ihren Sohn lange an: „Ich hätte es wissen müssen, Tarik. Dein Vater und ich kannten das Risiko. Ich könnte mich ohrfeigen!", weinte sie wieder und schnäuzte sich noch einmal in ihr mittlerweile völlig zerknittertes Sonnen-Taschentuch. Tarik ging auf die Knie und sah seiner Mutter eindringlich in die tränennassen Augen:

„Bitte sage es mir", bat er und setzte seinen Hundeblick auf, den er ehrlich gesagt ziemlich gut beherrschte. Sie sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der sagte, wie leid es ihr tat, was nun folgen würde. Aber dann raffte sie sich auf und sagte immer noch mit wackeliger Stimme: „Dein Vater….dein Vater ist der Erzengel Samuel."

Tarik starrte sie lange an, dann gab er ein trockenes, fast schon hysterisches Lachen ohne jegliche Freude von sich.

„Das ist ein Witz, oder? Du hast mich reingelegt! Mein Vater ist doch kein Erzengel", lachte er, doch es lag auch eine kleine Spur Unsicherheit darin. "Ist doch nicht so, oder?", fragte er nervös nach und ließ seine Finger knacksen. Das war eine Angewohnheit von ihm, die er einfach nicht mehr wegbekam. Ms. North sah ihn aus ihren tieftraurigen Augen an und wollte nach seiner Hand greifen, aber Tarik zog sie schnell und reflexartig von ihr weg. Sie hatte also nicht gelogen. Ihr Schweigen bedeutete, dass jedes Wort wahr sein musste.

„Tarik… es", hob sie verzweifelt an, aber der 16-jährige Junge sprang auf und rannte nach oben, während er noch schrie:

„Das ist eine Lüge! Ich bin ein normaler Mensch, ein ganz normaler Junge! Ich kann nicht der Sohn eines Engels sein! Das ist unmöglich!", rief er verletzt und hetzte die Treppe hinauf, als wäre eine Horde wild gewordener Dämonen hinter ihm her. Seine Mutter rief ihm noch irgendetwas hinterher, aber Tarik hörte es nicht mehr, weil er die Holztür seines Zimmers fest hinter sich zuknallte. Er wollte nichts davon hören. Ein Engel, Pffft. Die existierten doch nur im Märchen, nichts weiter, sie waren einfach nur erfundene Wesen in Geschichten und Mythen. Grollend warf er sich auf sein Bett und starrte verwirrt die hellgrün gestrichene Wand an. Grün war seine Lieblingsfarbe. Er dachte angestrengt über die Worte seiner Mutter nach. Er hatte Zweifel, aber die hätte vermutlich jeder, dem seine Mutter sagen würde, dass der Vater ein Engel sei. Jedenfalls wusste er, dass sie die Wahrheit gesagt hatte, aber er wollte es irgendwie nicht wahrhaben.

Ein leises Klopfen war an seiner Tür zu vernehmen und Ms. North fragte zögerlich:

„Tarik? Kann ich vielleicht kurz reinkommen? Bitte…. bitte hör mir doch zu. Danach kannst du mich hassen, aber lass mich dir die ganze Geschichte erzählen, bevor du dein Urteil über mich fällst", bat sie traurig und seufzte tief. Tarik nuschelte in sein Kissen: „Okay."

Dankbar und sichtlich erleichtert drückte seine Mutter die Metallklinke herunter und zog die Tür so vorsichtig hinter sich zu als wäre sie aus Porzellan oder Glas. Dann setzte sie sich neben ihren Sohn aufs Bett, rückte aber nicht zu dicht an ihn heran, denn sie schien zu spüren, dass er gerade nicht so gut auf sie zu sprechen war.

„Hör mir bitte zu, Tarik. Du musst mich nicht verstehen, du sollst nur wissen, dass ich dich immer lieben werde, egal was oder wer du bist oder sein wirst.", versprach sie und der Junge nickte nur stumm.

„Also es war so…“ begann sie wehmütig: „Es ist bestimmt schon zwanzig Jahre her, dass ich deinen Vater kennenlernte. Sofort war klar, dass da mehr als nur Freundschaft war, wir hatten uns auf Anhieb sehr gut verstanden und ergänzten uns gegenseitig in unseren Interessen, genauso wie auch in unserem Verhalten. Vier Jahre war ich mit Samuel zusammen und wir waren glücklich, nichts konnte uns trennen."

Sie stockte kurz und wischte sich eine Träne aus den Augen, bevor sie fortfuhr. „Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dein Vater ein Erzengel war. Du musst wissen, die Kinder eines Engels mit einer Sterblichen sind ausgesprochen mächtig und haben viele Feinde. Aber, wie gesagt, dass wusste ich nicht. Als ich ihm verkündete, dass ich schwanger war, hatte er keine Freude in den Augen, sondern blankes Entsetzen und auch Angst. Er erklärte mir, was er war, und ich habe ihm am Anfang auch nicht geglaubt, so wie du jetzt. Er sagte zu mir, zu meiner eigenen Sicherheit sollte ich mit dir so weit weg gehen, wie es möglich war, damit du ein weitgehend normales Leben führen könntest. Ein Leben als ein normaler Junge…"

Wieder unterbrach sie und schluchzte kurz auf, die Erinnerung tat ihr immer noch sehr weh, aber dann fasste sie sich wieder und berichtete weiter: „Mit diesem Entschluss hatte er mir das Herz gebrochen. Selbst heute, nach so langer Zeit vermisse und liebe ich ihn noch immer. Daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Er verließ mich und sagte es wäre sicherer für uns alle, wenn wir niemals wieder Kontakt zueinander haben würden. Dann war er weg. Einfach weg. Von einem auf den anderen Tag. Am Anfang war es sehr schwer für mich, aber mit der Zeit funktionierte es und als du gerade mal sieben Jahre alt warst, habe ich erfahren, dass er eine andere Sterbliche geheiratet hatte. Denn nur das erste Kind eines Erzengels und eines Menschen ist mächtig. Alle darauffolgenden sind normale Menschen, wenn man das so sagen kann", beendete Ms. North ihre Erzählung und sah ihren Sohn an, dessen Augen ungläubig weit aufgerissen waren. „Glaubst du mir jetzt?", fragte sie ein zweites Mal und strich sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. Tarik nickte langsam und bewegte sich wie in Trance. Konnte das wirklich sein? War er tatsächlich ein Nephilim? Ein absolut mächtiges Wesen, vielleicht sogar das mächtigste dieser Erde? Eine sogenannte Kreuzung aus einem Erzengel und einem Menschen? War das das Leben, das er leben wollte?

Die nächste Generation

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