Читать книгу Die nächste Generation - Jule Beatsch - Страница 11
ОглавлениеHighway to Hell
(AC/DC, 1979)
Clementine rannte, immer noch unwissend wie es jetzt weitergehen sollte, und mit einem ziemlich überfüllten Koffer in der Hand die Marmortreppe hinunter in die Eingangshalle, und erwartete dort wieder den Anblick ihres toten Freundes. Doch zu ihrem großen Erstaunen war er (oder das, was sie von ihm übrig gelassen hatte) weg.
„Mum, was… wo… wo hast du ihn hin?", fragte sie mit piepsiger Stimme und drückte an ihrem Handgelenk herum, bis jegliche Farbe aus diesem wich, und ihre sowieso schon sehr blasse Haut weiß wurde. Ihre Mutter nickte ihr nur ernst zu und sagte:
„Lass das mal meine Sorge sein, Schatz."
Clementine senkte stumm den Kopf und alles begann sich zu drehen. Sie glaubte, Stimmen zu hören, die ihr sagten: „Du bist nicht schuld, es war ein Unfall.", aber auch: „Du bist ein furchtbares Wesen, keiner braucht dich. Scher dich sonst wo hin!"
Angestrengt umklammerte das Mädchen den Griff ihres Koffers noch fester und atmete schnell, als sie zur Tür hinauslief. Ihre Mutter kam ein paar Augenblicke nach ihr aus dem Haus, aber blieb dann in der Eingangstür stehen. Sie sah auf Clementine herab wie ein König, der seinem Diener sagte, dass er sterben muss. Genauso kam es ihr vor.
„Und was jetzt?", fragte Clementine nervös und zupfte an ihrem Armband, das sie einmal von Kai bekommen hatte. Wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen und sie wischte sie mit dem Handrücken weg, bevor sie jemand sehen konnte.
„Clem, ich kann leider nicht mit dir kommen. Jetzt beginnt für dich ein neues Leben. Du musst lernen, allein zurechtzukommen und du kannst das schaffen, das weiß ich sicher. Gleich wird vor unserem Haus ein schwarzer Jeep halten. Steige einfach ein. Der Fahrer ist ein Mann, er wird dich lehren und du bist dort, wo du jetzt hin gehst, auch nicht allein. Habe Vertrauen in dich, denn du bist stärker, als du glaubst. Ich hab dich lieb, Clem, viel Glück!", verabschiedete sich Mrs. Campbell von ihrer Tochter und machte ein paar Schritte zurück in die Villa.
„Aber Mum, ich verstehe nicht…" Ein Hupen unterbrach Clementine und sie drehte sich um. In genau diesem Moment fiel hinter ihr die Tür ins Schloss und ihre Mutter war weg. Vielleicht für immer. Wiederholt ertönte ein nicht gerade leises Hupen und Clem reckte ihren Hals, um besser sehen zu können. Ihre Mutter hatte Recht gehabt. Ein dunkler, schwarzer Jeep parkte vor dem großen, luxuriösen Anwesen und schien nur darauf zu warten, dass Clementine einstieg. Wie ein schwarzer Panther auf der Lauer. Zögerlich schritt das 16-jährige Mädchen auf den Wagen zu und öffnete vorsichtig die Hintertür. Ein wahrscheinlich letztes Mal warf sie einen sehnsüchtigen Blick auf das Haus, in dem sie aufgewachsen war. Viele Erinnerungen kamen in ihr hoch. Wie ihr Stiefvater ihr beibrachte, Fahrrad zu fahren, wie sie mit ihren Eltern hier eine große Party an ihrem 10. Geburtstag gefeiert hatte, wie sie mit ihrer Mutter einen Ausflug hinter die Kulissen Hollywoods gemacht hatte, und als sie mit ihren Eltern nach Miami geflogen war. Nun würde nichts mehr so sein wie vorher.
„Ich habe nicht ewig Zeit, junge Dame!", ertönte eine ernste Stimme aus dem Jeep, wodurch Clementine sich wieder fasste und mit einem tiefen Atemzug einstieg.
Das Leder der Sitze roch neu, der Wagen war wohl noch nicht besonders alt. Die Fenster waren von außen abgedunkelt, sodass kein Außenstehender hineinsehen konnte, ansonsten war es ziemlich komfortabel. Das Auto gab ein leises zischendes Geräusch von sich, als der Fahrer den Schlüssel drehte und der Motor ansprang.
Clementine fragte sich, wie hochmodern dieses Gefährt wohl sein mochte, denn sie spürte gar nicht, dass sie über unebenen Asphalt fuhren; es fühlte sich viel eher so an, als würden sie über eine große weiche Wolke gleiten. Sie warf einen Blick aus dem Seitenfenster und sah, wie Häuser, Casinos und viele andere Menschen an ihr vorbeizogen. Auf Wiedersehen, Los Angeles, dachte Clementine traurig und stützte ihren Kopf ab.
„Na, wie geht´s dahinten so?", fragte die Männerstimme noch einmal und der Fahrer warf einen Blick in den Rückspiegel, um seine Gesprächspartnerin besser begutachten zu können.
„Wie man sich halt so fühlt, nachdem man seinen Ex umgelegt hat", gab sie schnippisch zur Antwort und sah beleidigt weg.
„Wow, ganz ruhig, ich habe dir doch nur eine simple Frage gestellt", sagte der Mann freundlich und drehte etwas Musik auf. Irgendetwas Klassisches. Clementine wagte einen kurzen Blick nach vorne. Der Chauffeur sah schon etwas älter aus, das erkannte sie an dem weißgrau gesträhnten kurzen Haar, welches akkurat nach hinten gekämmt war. Seine Haut war sonnengebräunt, offenbar kam er irgendwo aus dem Süden. Außerdem trug er eine schwarze Sonnenbrille, die seine Augen verdeckte, sodass Clementine nicht sehen konnte, was er wohl gerade dachte.
„Wie hat es sich denn angefühlt, jemanden zu töten? Hat´s dir wenigstens Spaß gemacht?", fragte der Man erneut, wodurch Clementine einfach nur rasend wurde. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und merkte, wie die Wut wieder die Oberhand nahm; sie spürte, wie ihr Flügel aus dem Rücken wuchsen, was in dem kleinen Jeep etwas beengend wurde. Die gedrehten schwarzen Hörner kamen zum Vorschein, ihre Augen färbten sich komplett rabenschwarz, ihre Eckzähne verlängerten sich und ihre Hände wurden zu langen Klauen. Mit einem wütenden Schrei wollte sie sich nach vorne stürzen und dem Fahrer den Hals durchbeißen, doch stattdessen prallte sie gegen eine Polycarbonatscheibe und fiel benommen zurück auf ihren Ledersitz. Sternchen tanzten um sie herum und ihr war schwindelig. Wie auf Kommando verschwanden alle Teufelsanzeichen und sie sah wieder aus wie ein ganz normales Mädchen. Verwundert beugte sie sich vor und berührte die Scheibe. Komisch, die hatte sie beim Einsteigen gar nicht bemerkt. Normalerweise fiel ihr so etwas doch sofort auf. Der Mann fuhr unbeirrt weiter. Während ihrer Verwandlung hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt; es schien fast so, als hätte er damit gerechnet. Lächelnd sah er in den Rückspiegel:
„Beim nächsten Mal würde ich etwas genauer schauen, junge Dame. Vorsicht ist in deinem jetzigen Zustand alles", sagte er provokant und schob seine Sonnenbrille ein kleines Stück zurück. Clementine wich seinem Blick aus und schaute stur in eine andere Richtung. Der Fahrer lachte kurz und rief dann wie ein Lokführer: „Nächster Halt: Kanada.“