Читать книгу Die nächste Generation - Jule Beatsch - Страница 17
ОглавлениеEnd of the Day
(One Direction, 2015)
„Bitte biegen Sie rechts ab in die Wellington Ave Street, dann folgen sie dem weiteren Straßenverlauf, Sie haben ihr Ziel erreicht", schnarrte die Frau aus dem Navi nun zum letzten Mal auf dieser Fahrt und Clementine richtete sich aufgeregt von ihrem Sitz auf. Sie starrte aus dem von außen abgedunkelten Fenster und beobachtete die vielen farbenfrohen Häuser, die am Wagen vorbeizogen. Sie staunte, denn das kannte sie so nicht; die Gegend, in der sie aufgewachsen war, war nur einfarbig und modern gestaltet, mit zahlreichen Luxusvillen, die ganzen Straßen füllten, mit riesigen Garagen, in denen locker zwei Yachten Platz fanden – doch hier waren die Häuser eher schlicht und individuell, jedes hatte eine andere Farbe und einen hübschen kleinen Vorgarten mit ordentlichen kleinen Gartenwegen und winzigen Büschen, die diese Wege auf eine hübsche Weise einrahmten. Wenn sie so darüber nachdachte, dass ihr altes Zuhause ungefähr den Platz von fünf Wohnhäusern hier einnahm, machte sich in ihr schleichend ein schlechtes Gewissen breit.
„Da wären wir. Hier wohnt dieser Junge", sagte Mr. Mitchell zufrieden, ließ seine Finger knacksen und streckte sich. Sein Rücken hatte sich wohl während der langen Fahrt versteift.
„Denken Sie, wir sollten lieber klingeln oder kommt er von selbst her?", wagte Clementine neugierig zu fragen und lehnte sich bei dieser Frage wieder vor zwischen die beiden eng zusammenstehenden Vordersitze, dabei setzte sie ein schelmisches Grinsen auf: „Schließlich beiße ich ja nicht."
„Noch nicht", lachte Mr. Mitchell, seufzte dann jedoch kurz auf und griff mehr suchend unter seinen Sitz, um eine Wasserflasche hervor zu angeln, die während der Autofahrt unter diesen gerollt war. Das war aber auch kein besonders großes Wunder – bei Mr. Mitchells wildem Fahrstil.
„Da!", rief Clementine auf und ihr Zeigefinger schoss waagerecht nach vorne und deutete auf zwei Gestalten, die im Türrahmen standen und sich in die Arme fielen.
„Ist der da… der etwa der Typ, den wir suchen?", fragte sie resigniert und ihr Gesichtsausdruck war verwirrt.
„Wieso, passt er dir etwa nicht?", stichelte Mr. Mitchell belustigt, setzte seine vermeidlich "coole" Sonnenbrille wieder auf und lehnte sich entspannt zurück.
„Naja…ich habe ihn mir irgendwie ganz anders vorgestellt", gab sie zu und runzelte die Stirn. „Was macht der da eigentlich so lange in der Tür?".
"Er verabschiedet sich. Sieht man doch. Das ist, glaube ich, seine Mutter. Du musst bedenken, die beiden werden sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr wiedersehen, niemand weiß, ob es Tage, Wochen, Monate oder Jahre sein werden."
„Oh", meinte Clementine, ließ den fremden Jungen aber noch nicht aus den Augen. Nach einer gefühlten Ewigkeit setzte er sich endlich in Bewegung und lief in Richtung des Wagens. Das Mädchen setzte sich automatisch kerzengerade auf und ihr Blick war wie versteinert. Sie war nicht so gut im Umgang mit Menschen, die sie noch nicht kannte. So war sie einfach.
Die Tür des schwarzen Wagens öffnete sich zaghaft und ein dunkelhaariger Junge mit grauen Augen und einem scheuen Lächeln auf den Lippen erschien im Blickfeld des Mädchens.
„Hi. Ich denke mal, dass das hier das richtige Auto ist?", fragte er halb scherzend und strich sich nervös eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr, als er sich zu Clementine auf die Rückbank gesellte. Seinen Koffer stellte er zu seinen Füßen ab und klemmte ihn so ein, dass während der weiteren Fahrt nichts passieren konnte.
„Nein das ist definitiv das falsche, weißt du“, antwortete sie an Mr. Mitchells Stelle und erntete ein Schmunzeln von dem alten Mann.
„Ehm, ach so. Sieht so aus, als würdet ihr euch schon kennen", sagte der Junge und seine Augen sahen interessiert von Clementine zu Mr. Mitchell. Für einen kurzen Moment herrschte eine peinliche Stille zwischen dem ungewöhnlichen Trio.
„Wie heißt ihr eigentlich, wenn ich fragen darf?", meinte der Junge dann schüchtern und blickte erwartungsvoll zu dem Mädchen neben ihm.
„Also, ich mache den Anfang, um das Eis gleich mal zu brechen: mein Name ist Mr. Mitchell und ich werde euch fahren. Soviel zu mir", stellte der ältere Herr sich vor und räusperte sich leise, um Clementine zu signalisieren, dass sie nun das Wort hatte.
„Ich bin Clementine. Kannst mich auch einfach nur Clem nennen", bot sie dem Jungen großzügig an und warf ihre Haare, die zu einem lockeren Zopf zusammengebunden waren, energisch nach hinten, da sie ihr die Sicht verdeckten.
„Ich heiße Tarik. Es ist schön, euch kennenzulernen, angesichts der Tatsache, dass wir wohl in nicht allzu weiter Ferne viel Zeit zusammen verbringen werden müssen", sagte Tarik, lehnte sich zurück an seinen Sitz und atmete leise aus.
„Das hört sich so negativ an, wie du das sagst", bemerkte Clementine und verschränkte die Arme.
„Stimmt", meinte Tarik und blickte sie flüchtig von der Seite an. Clem war das jedoch nicht entgangen. Sie kannte das von Kai. Ja, von Kai…
„Nun, wenn das ja dann erstmal geklärt wäre, können wir uns ja schon einmal gleich auf den Weg machen, wir haben noch ein kleines Stück vor uns, und je eher wir hier wegfahren, desto schneller kommen wir an", schlug Mr. Mitchell vor und drehte den Schlüssel um, um den Motor zu starten.
„Also, auf geht‘s!"
Die ganze Fahrt über sah Tarik entweder einfach aus dem dunklen Fenster und grübelte vor sich hin oder er warf einige verstohlene Blicke hinüber zu dem mysteriösen blonden Mädchen.
„Was glotzt du so blöd? Noch nie ein Mädchen gesehen, oder was?", schnauzte sie ihn plötzlich an und ihre Augen glitzerten kalt. Tarik schüttelte schnell den Kopf, sodass seine schwarzen Haare ihm wieder ins Gesicht fielen und seine Sicht verdeckten. Der Rest ihrer Reise schwieg er meist, nur ein paarmal fragte er, wie lange es wohl noch dauern würde, bis sie ihr geheimes Ziel erreicht hatten, worauf er nur giftige Blicke von Clementine und ein belustigtes Schnaufen von Mr. Mitchell erntete.
Als es schon dämmerte, die kleinen Schäfchenwolken sich am Horizont in rote Feuerbälle verwandelten und die Schatten immer länger wurden, hielt der schwarze Wagen endlich nach einer scheinbar ewigen Reise an, und kam mit einem sanften Ruck zum Stehen. Clem hob sofort alarmiert und neugierig den Kopf und griff aufgeregt zum Türgriff.
„Wartet noch!", rief Mr. Mitchell energisch und verdeutlichte dies nochmal durch eine abschweifende Handbewegung.
„Was? Aber warum? Ich will sehen, wo wir sind! Ich habe doch nicht neun Stunden in diesem stickigen Jeep gesessen, nur um zu erfahren, dass ich mir noch eine Abschlusspredigt anhören muss?!", erwiderte das blonde Mädchen verärgert und setzte sich fast in Zeitlupe, mehr oder weniger freiwillig zurück auf ihren Ledersitz. Tarik zog prüfend eine Augenbraue nach oben. Er war fasziniert von ihrem Selbstbewusstsein, Tarik hätte so eine freche Antwort niemals zustande gebracht.
„Du musst dir ja auch keine Abschlusspredigt anhören, ich wollte euch lediglich noch einmal warnen", antwortet der Mann in aller Ruhe und drehte sich nach hinten, um seinen Schützlingen direkt in die Augen zu sehen: „Seid gewarnt, von nun an, ab dem Augenblick, in dem ihr einen Fuß aus diesem Wagen setzt, beginnt ein völlig neues Leben für euch beide. Ihr werdet beinahe auf euch allein gestellt sein, aber ihr habt euch gegenseitig. Helft euch bitte, glaubt mir, es ist ausschließlich zu eurem Besten. Ihr schadet euch, wenn ihr weiterhin so verfeindet seid", bat Mr. Mitchell, und Tarik murmelte nur:
„Tja, ich will ja keinen Ärger, aber sie muss ja immer ein Riesendrama aus jeder Kleinigkeit machen" und fast auf die Sekunde genau schnellte Clementines Kopf zu ihm herüber und sie zischte aufgebracht: „Hey, das habe ich gehört, du Nerd!"
„Ganz ruhig, ihr zwei!", mahnte Mr. Mitchell beschwichtigend und atmete langsam und konzentriert ein und wieder aus. Nach einem kleinen Moment sagte er dann schließlich doch: „Na los, steigt schon aus. Wir sehen uns morgen früh um sieben in Halle vier. Seid pünktlich!", rief er ihnen zum Abschied hinterher, bevor er mit quietschenden Reifen den Kiesweg entlangfuhr und aus dem Blickfeld der beiden Teenager verschwand.
Tarik nahm seine schwere Reisetasche auf die Schulter und fragte etwas ratlos:
„Und wo genau müssen wir jetzt hin?"
Clementine versuchte ebenfalls ihr Gepäck hochzuheben, das wesentlich mehr war als bei Tarik, doch scheiterte am Gewicht.
„Soll ich dir tragen helfen?", bot Tarik freundlich an und wollte sich schon hinknien, um ihr den Koffer abzunehmen, aber sie schnappte ihre Tasche energisch weg und sagte nur patzig: „Nein danke, ich komme auch sehr gut ALLEINE zurecht", und stolzierte auf eine große hölzerne Tür zu, die offenbar der Eingang war.
„Ich wollte ja nur helfen! …“
Die ist heute wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden, dachte der schwarzhaarige Junge und seufzte nur leise. Es half alles nichts. Dann richtete er seinen Blick nach vorne und folgte Clementine zu der großen Tür, vor der sie bereits stand und die kleinen Schilder las, die dort sorgfältig angebracht waren. Tarik beschloss, einen erneuten Versuch zu wagen, das Mädchen zum Sprechen zu bringen: „Hast du vielleicht eine Ahnung, wo wir hier sind? Ich habe nämlich nicht den leisteten Schimmer, um ehrlich zu sein."
Bevor er überhaupt richtig mit seinem Satz geendet hatte, fuhr sie schon zu ihm herum und meinte genervt: „Genau das versuche ich ja gerade irgendwie herauszufinden! Sehe ich etwa aus wie ein verdammtes Reisebüro? So wie du aussiehst, könnte man eher davon ausgehen, dass du alles weißt!", schleuderte sie ihm entgegen und widmete sich wieder ihrer Suche nach dem richtigen Schild an der Tür.
„Boah, tut mir ja leid, ich versuche ja nur nett zu sein", rief Tarik vorwurfsvoll, fuhr sich mit der linken Hand seufzend durch die tiefschwarzen Haare und sah sich auf dem Anwesen um. Es war von vielen Wiesen umgeben und lag gut versteckt hinter ein paar einzelnen Felsmassiven, die die glatte Landschaft wie Dolche durchstießen. Von außen würde man gar nicht vermuten, dass hier jemand wohnen würde. Allerdings war das auch nicht sonderlich wunderlich, denn nur eine alte, verwitterte, schmale Landstraße verband dieses versteckte, abgelegene Grundstück mit der nächsten Stadt, die locker über zwei Stunden Fahrt von hier entfernt liegen musste. Plötzlich ging dem Jungen ein Licht auf. Die Fenster waren auch von innen abgedunkelt gewesen! Mr. Mitchell wusste ganz genau, was er tat: Er wollte verhindern, dass er selbst oder Clem den Weg sähen und sich womöglich daran erinnern könnten. Aber er hatte ja mehrmals besonders betont, wie wichtig es war, dass dieser Standort geheim blieb. Ganz schön clever.
„Hey, du komischer Vogel, ich habe das richtige Schild gefunden. Bei der Verwaltung muss doch bestimmt jemand dabei sein, der uns hier weiterhelfen kann!", rief Clementine zu ihm herüber und klingelte dreimal hintereinander.
„Mach das doch nicht so aufdringlich", schimpfte Tarik, „sonst haben sie gar keinen Bock uns zu helfen".
„Das musst gerade du sagen, wie witzig", murmelte das blonde Mädchen, doch als Tarik etwas erwidern wollte, öffnete sich mit einem langgezogenen unheilvollen Knarzen die schwere Holztür und ein großer dunkler Schatten fiel auf die beiden.