Читать книгу Lisanne - Julia Beylouny - Страница 12
Kapitel acht
ОглавлениеAls sie in den Hausflur trat, wäre sie beinahe über etwas gestolpert. Zwei riesige Reisetaschen versperrten den Weg und Lisanne musste einen großen Schritt machen, um über das Gepäck zu steigen. Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Sie war noch nie geflogen. Früher war Ma mit ihnen zweimal im Jahr rauf nach Wales zu Tante Maggie und Onkel Ted gefahren. Einmal hatten sie Urlaub in Irland gemacht. Aber geflogen war sie noch nie.
„Huhu“, rief sie in Richtung Küche, von wo aus sie die Stimmen ihrer Eltern vernahm. „Ich bin wieder da. Bin oben und packe!“
Sie lief die Treppe hinauf und überlegte genau, was sie alles mitnehmen wollte. Der Sommer in Südfrankreich war wirklich das, was man einen Sommer nennen konnte. Vielleicht würde sie neue Klamotten benötigen, denn so warm wie in Arles wurde es in Cornwall nie. Sie warf die Tür ins Schloss, kramte den Koffer unter dem Bett hervor und schob ihn vor den Schrank. Draußen hatte es zu regnen begonnen. Das Prasseln der Tropfen übertönte das Brummen der Melkmaschine. Die Treppe knarrte. Wenig später klopfte jemand an die Zimmertür.
„Komm rein“, sagte Lisanne und fuhr fort, ihre Kleider in den Koffer zu legen. Ein kurzer Seitenblick verriet, dass es Dad war. Er schwieg und setzte sich auf die Bettkante. „Um wie viel Uhr geht denn der Flug?“
„Um zehn am Morgen“, antwortete er. „Wir müssen sehr früh aufstehen, um rechtzeitig in Bournemouth zu sein. Von dort aus fliegen wir nach Nîmes. Vielleicht nehmen wir einen Mietwagen bis Arles.“
„Prima! Damit habe ich kein Problem. Fährt Logan uns zum Flughafen?“
„Nein“, Dad räusperte sich. „Er wäre zum Melken nicht rechtzeitig zurück. Mein Freund Ian fährt uns. Hör zu, Liebling.“
Ian. Der schräge, rothaarige Typ aus Little Bree. Er nannte sich selbst „Landwirt“, dabei besaß er allenfalls drei Hühner und zwei Schafe. Lisanne schmunzelte und faltete einen Rock zusammen.
„Ma und ich ...“, Dad druckste herum. Sie fragte sich, ob sie eine lange Jeans benötigen würde. „Erinnerst du dich daran, was du mir damals versprochen hast, Lissy? Ich meine, als Onkel Jamie gestorben ist.“
Sie erstarrte. Onkel Jamie. Nein, das war kein guter Zeitpunkt, um sie an irgendwelche Versprechen, die sie mal gegeben hatte, zu erinnern. Ganz langsam drehte sie sich um. Dad schaute auf seine Hände hinab und redete immer weiter.
„Weißt du, wir haben nur Shannon und dich. Sicher, ich habe mir oft einen Sohn gewünscht, der mit anpackt. Einen Hoferben.“ Er lachte. „Onkel Jamie musste dran glauben, solange, wie Ma immer sagte, bis sie einen Sohn zustande bekommt. Aber wir haben nur euch beide. Und Jamie ist tot. Du sagtest damals, dass ...“
„Dad, was soll das jetzt? Ich weiß, was ich gesagt habe! Ist das im Augenblick so wichtig?“
Er erhob sich, drehte sich wie ein unbeholfener kleiner Junge zu ihr.
„Du hast gesagt, dass du immer für mich da sein wirst. Wann immer ich dich brauche. Weißt du das noch? Dabei warst du erst zwölf und so süß wie Zuckermais. Du wolltest mir immer den Sohn ersetzen, obwohl ich euch beide nie hergeben würde.“
„Und das habe ich auch, oder?“ Lisanne warf ein paar T-Shirts in den Koffer. „Ich habe immer mit angepackt, wo ich konnte. Bei der Heuernte, beim Silieren, ich kann sogar Treckerfahren. Dad, du hast gesagt, dass es okay ist, wenn ich nach London gehe, um Lehramt zu studieren. Willst du mir das jetzt vorhalten? Hast du Angst, dass ich den Hof nicht haben will?“
Er lächelte, kam näher, strich ihr die zerzausten Haare aus der Stirn. Seine schwielige Hand war immer etwas schmutzig, auch wenn er sie noch so oft wusch.
„Nein, Liebling. Wenn du Lehrerin werden willst, dann werd es. Wenn es das ist, was dich glücklich macht, werde ich dir nicht im Weg stehen. Ich wollte dir etwas anderes sagen ...“
Sie schluckte und verdrängte die aufkommende Ahnung. Dad griff nach ihren Händen.
„Lisanne, ich brauche dich in den nächsten Tagen hier. Hier, auf Wildflowers Hill, verstehst du? Ich möchte dich ein letztes Mal an dein Versprechen erinnern, denn jetzt brauche ich dich wirklich dringend.“
„Was?“ Sie zog ihre Hände weg, wich einen Schritt zurück, prallte an die Schranktür. „Soll das heißen, dass ... dass ich ...?“ „Dass Ma und ich allein fliegen, ja.“ Er schaute zu Boden. „Es tut mir so leid.“
Ihr fehlten die Worte. Sie musste sich verhört haben. Das konnte nicht wahr sein.
„Dad, ... das heißt, ich meine ... Ich würde ...“ Sie kämpfte gegen die Enttäuschung, gegen ihre Tränen. Dad nutzte den Moment, um weiterzureden.
„Weißt du, Liberty und ich sind dieses Jahr fünfundzwanzig Jahre lang verheiratet. Im August. Es ist unsere Silberhochzeit und wir sind noch nie zusammen verreist. Wir hatten keine Flitterwochen, immer stand der Hof im Vordergrund. Immer die Tiere, die Arbeit, ihr.“ Er machte eine Pause. Sie spürte, wie der Schmerz in ihr abwechselnd aufbrauste und abflachte.
„Endlich ergibt sich eine Gelegenheit, Lissy. Wir haben immer davon geträumt, nach Südfrankreich zu fahren. Ihr seid erwachsen, ich habe jemanden eingestellt, der für die Woche klarkommen wird. Logan ist ein guter und vertrauenswürdiger Arbeiter. Und er ist ja nicht ganz allein auf dem Hof. Du bist da und passt mit auf, hab ich recht? An zwei Tagen besuchen wir Shan, den Rest der Zeit verbringe ich mit deiner Mutter. Lissy, jetzt, vor der Ernte, ist die einzige Gelegenheit, Urlaub zu nehmen. Im August ist Hochsaison, das weißt du.“
„Klar“, murmelte sie und bemühte sich, ihre Trauer zu verbergen. „Klar verstehe ich das, Dad. Flitterwochen. Ihr habt Silberhochzeit. Wow, ... das solltet ihr unbedingt feiern.“
„Ich danke dir, dass du Verständnis hast.“ Er breitete die Arme aus, zog sie an seine Brust. „Wir fahren ein anderes Mal weg. Alle zusammen. Das meine ich ernst, Liebling.“
„Sicher. Ich hab’s versprochen, hm? Onkel Jamie kann dir nicht mehr zur Hand gehen, ich schon.“
„Lissy“, Dad löste die Umarmung, „da ... ist noch etwas.“
Sie atmete tief durch. Wie viel schlimmer konnte es schon noch werden? Eine Woche Semesterferien ohne ihre Eltern, allein mit einem herzamputierten Arbeiter, kein paar schöne Tage in Frankreich, kein Wiedersehen mit Shannon.
„Ja?“
„Du weißt doch, dass unsere Becky großes Potential hat, zur besten Kuh Großbritanniens gekürt zu werden. Ihre Milchleistung ist phänomenal, ihr Euter ist straff, die Zitzen sind ...“
„Dad! Ich will das alles nicht wissen! Was habe ich damit zu tun?“
„Am Wochenende finden in Bristol die großen Viehauktionen und die Rindershow statt.“ Er kratzte sich nervös am Hinterkopf, druckste herum. Ihr wurde heiß und kalt. „Ich ... ich habe Becky angemeldet. Zur Show. Logan fährt mit ihr hin. Und du ... du musst mit und ihm helfen. Es ist immer besser, wenn eine hübsche, junge Dame wie du in der Show ...“
„Was hast du da gerade gesagt?“
„Er kann sie da unmöglich vorführen. Er ist mein Arbeiter. Ich möchte, dass du das tust. Als meine Tochter.“
„Ich ... soll ... eine ... Kuh ... rumführen? Dad, das kann unmöglich dein Ernst sein! Frankreich, okay, aber eine Kuhshow? Das ist Schwachsinn!“ „Das Preisgeld für die Siegerin beläuft sich auf mehrere Tausend Pfund, die du sicher gut für dein Studium gebrauchen kannst. Becky wird auf das Titelbild der ‚Cow and Cattle‘ kommen, von den Zuchtangeboten ganz zu schweigen. Lissy, das ist die Chance für mich! Darauf wartet ein Landwirt sein Leben lang.“
Sie heulte und sank in den Koffer. Das war ein Albtraum! Mit Logan und einer Kuh nach Bristol! Für ein ganzes Wochenende! Jill würde sich kringeln vor Lachen.
„Ich weiß, du bist geschockt. Ich habe die Anmeldung eingereicht, da hatten wir die Reise nach Frankreich noch gar nicht geplant. Glaub mir, ich wäre selbst gern mitgefahren. Aber das mit Arles ... das kommt so schnell nicht wieder.“
„Schon gut, Dad“, flüsterte sie resigniert. „Vergiss es einfach. Ich ... hab’s schließlich versprochen. Aber das kannst du nie wieder gut machen, hörst du? Nie wieder!“
Er ging vor ihr in die Hocke, strich ihr über den Kopf und umarmte sie.
„Doch. Wir schreiben dir eine Karte.“
Ma und Dad waren schlafen gegangen. Sie hatten sich verabschiedet und zurückgezogen, um fit für die Reise zu sein. Der Regen hatte nachgelassen.
Lisanne zog sich die beigefarbene Strickjacke über, ging vom Hof, Richtung Felder, um den Sonnenuntergang anzuschauen. Die frische Luft würde ihr gut tun. Die wunderschöne Seifenblase Arles schwebte dem goldenen Horizont entgegen, um irgendwo dort oben zu zerplatzen. Das Leben konnte so unfair sein.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, schloss die Augen und ließ den Wind durch ihre langen Haare wehen. Die Brise, die vom Meer heraufkam, streichelte sanft über die Gerstenhalme. Die Kornfelder wogen wie ein goldgelber Ozean hin und her. Lisanne lauschte dem Knistern und Knacken der Ähren. Breda und Dad hatten recht. In ein paar Wochen würde das Korn reif sein und die Erntezeit beginnen, was stets mit viel Arbeit verbunden war. Trotzdem ließ sie sich von der Melancholie in ihrem Herzen treiben. Sie hatte sich auf Frankreich gefreut. Auf Shannon. Auf ein paar lustige, unbeschwerte Tage an der Côte d’Azur. Urlaub mit der Familie, wie sie ihn nie erlebt hatten. An Bristol wollte sie nicht denken. Das setzte dem Elend die Krone auf! Bristol! Mit Kuh und Stallburschen!
In der Ferne wieherte ein Pferd. Lisanne schaute auf, entdeckte einen Reiter, der sich im Garten des Cottages mit Logan unterhielt. Sie kniff die Augen zusammen. Das Pferd kannte sie doch! War es nicht die bildschöne, schwarzweiße Irish Cob Stute mit der gescheckten Mähne, die nur von einer ganz bestimmten Person geritten wurde?
Jill!, knurrte sie in Gedanken. Ihre Freundin hatte es tatsächlich fertig gebracht und war vorbeigekommen, um Logan zu begutachten! Lisanne stapfte drauf los. Das Blut in ihren Adern kochte. Während sie sich wild entschlossen und mit großen Schritten dem Cottage näherte, wurde ihr bewusst, dass sie Logan eigentlich gar nicht begegnen wollte. Zudem würde Jill sicher irgendeinen zweideutigen Kommentar ablassen und Lisanne bloßstellen. Nein. Sie blieb stehen, versteckte sich rasch hinter einem Eichenstamm und versuchte, zu lauschen. Der Wind war ihr gnädig. Er trug das Gespräch direkt an ihr Ohr.
„Ich weiß auch nicht, ich hatte das Gefühl, dass sie lahmt.“ Jill klang gespielt besorgt. Sie war in bester Flirtlaune und schaute an Bernies Beinen hinab.
„Kein Problem, ich schau mir das mal an. Hinten links, sagten Sie?“ Logan hielt die Stute am Zaumzeug, tätschelte ihren Hals.
„Ja, genau, hinten links.“
Er ging um das Pferd herum, während Jill aus dem Sattel glitt wie Butter von einem heißen Messer. Ein seltsames Gefühl breitete sich in Lisannes Magen aus, während sie beobachtete, wie er auf die Stute einging. Es war dasselbe Gefühl wie neulich im Stall, als sie ihn mit Fin und Alf gesehen hatte. Er fuhr mit der Hand über Bernies Rücken, um sie zu beruhigen. Ganz behutsam ging er vor ihrer Hinterhand in die Hocke, strich an der Innenseite ihres Beins entlang und stemmte sich dagegen, bis sie ihren Huf anhob. Er prüfte die Unterseite, die Fessel. Nach einer Weile setzte er ihr Bein wieder ab, tätschelte Bernie, schien ihr etwas zuzuflüstern. Jill, die alles beobachtet hatte, tänzelte um ihn herum.
„Alles in Ordnung, Miss, ich habe nichts ungewöhnliches entdeckt“, sagte er.
„Oh, wirklich?“, säuselte Jill. „Ich hätte schwören können, dass sie sich was eingetreten hat.“
„Sie sollten mit einem unbeschlagenen Pferd nicht über die Kieswege reiten. Die spitzen Steine sind ziemlich schmerzhaft.“
„Da haben Sie recht. Sie hat das Eisen verloren. Der Hufschmied weiß Bescheid, aber Sie wissen ja, wie diesen Typen ticken.“
Lisanne bebte vor Wut über Jills dreiste Art. Wie gut, dass die Eicheln noch nicht reif waren, sonst hätte das Vibrieren unter dem Stamm sie alle herabfallen lassen.
Ihre Freundin machte Logan so schöne Augen, dass ihr Strahlen Lisanne blendete.
„Ja, also dann. Guten Abend, Miss.“
„Oh, vielen Dank. Ihnen auch. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.“
Das war Jills Stichwort. Sie würde nicht aufgeben. Kein Mann, den sie so umgarnte, war in der Lage, ihr zu widerstehen. Niemand wich Jills Blicken aus oder blieb kalt bei ihrer süßen Art.
„Ach, ... Sie haben nicht zufällig einen Eimer Wasser für mein Pferd? Es ist mir peinlich, zu fragen, aber Bernie leidet an einer Stoffwechselkrankheit und muss regelmäßig getränkt werden.“
Lisanne klammerte sich an den Eichenstamm. Bisher hatte es sie kalt gelassen, wenn Jill ihre Baggertour fuhr. Aber bei Logan ... Nein, wenn ihre Freundin nur gewusst hätte, was für ein Ekel er war, so was verdiente sie nicht. Außerdem war er Dads Arbeiter.
„Tut mir leid, nein“, antwortete er und schob die grüne Tür auf. Hatte er tatsächlich nein gesagt? Zu Jill? „Mein Boiler ist kaputt. Zur Zeit spuckt er nur kochendheißes Wasser aus. Aber Sie könnten dort unten fragen.“ Er zeigte nach Wildflowers Hill. „Auf dem Hof bekommen Sie jede Menge Wasser.“
Damit verschwand er im Cottage und schloss die Tür hinter sich.
Für einen Moment schien die Zeit stehenzubleiben. Weder Jill noch Lisanne rührte sich. Logan hatte sie tatsächlich abblitzen lassen. Das musste Lisanne sich rot im Kalender markieren. Aber da war noch etwas anderes. Seine Abfuhr würde Jills Kampfgeist wecken. Und das bedeutete, dass Logan ihr bereits leid tat.
Die Schritte wurden lauter. Jills Schritte. Sie führte Bernie neben sich her über den Seitenstreifen. Das Gras war weich und würde dem unbeschlagenen Huf gut tun. Als ihre Freundin auf Höhe der Eiche war, sprang Lisanne hinter dem Stamm hervor. Sie wusste, dass Bernie nervenstark war, um vor Schreck nicht durchzugehen. Jill dagegen bekam einen halben Herzinfarkt.
„Hast du sie noch alle?“, schimpfte ihre Freundin mit leichenblassem Gesicht.
„Und was ist mit dir? Spinnst du? Bernie leidet also an einer Stoffwechselerkrankung, ja? Davon weiß ich gar nichts. Ist es sehr schlimm?“
„Pfff!“ Jill zog eine Grimasse. „Davon verstehst du nichts. Wer gewinnen will, muss das Spiel beherrschen, kapiert?“
„Ich spiele nicht, weil ich gelernt habe, dass man weder mit Essen noch mit den Gefühlen anderer Menschen spielt.“
„Du bist so süß. Sag mir, wieso hast du dich hinter diesem Baum versteckt? Zum Blumen pflücken, oder weil du uns belauscht hast? Ist das etwa kein Spiel?“
„Lass uns damit aufhören, Jill. Ich will nicht mit dir streiten. Ich finde es bloß albern, dass du dich so offensichtlich an ihn schmeißt. Was soll er jetzt wohl denken?“
„Er ist ein Mann, Lisanne.“ Sie stieg in den Steigbügel und schwang sich auf Bernies Rücken. „Die denken nicht. Außerdem habe ich doch gesagt, dass ich heute noch vorbeikomme. Schon vergessen? Du meine Güte! Ist das ein Bild von einem Kerl! Wenn du sogar da nicht zugreifst, sollte ich mir langsam ernsthafte Sorgen um dich machen. Ich gebe dir eine Woche, Süße. Vielleicht weniger. Wenn du ihn dann immer noch nicht willst, kümmere ich mich um ihn, Deal?“
Das mit dem Wochenende sage ich ihr besser nicht.
„Ich interessiere mich nicht für ihn. Und das wird sich auch in einer Woche nicht ändern.“
Jill schüttelte den Kopf, schnalzte ein paar Mal mit der Zunge und ließ Bernie antraben.
„Viel Spaß in Arles.“
„Oh, das weißt du ja noch gar nicht! Meine Eltern fliegen allein. Ich muss mal wieder hier bleiben.“
„Hahaha!“, lachte ihre Freundin im Wegreiten. „Dann also doch eine Woche! Deine Zeit läuft!“
Die Sonne war untergegangen, der Spaziergang durch die Felder beinahe beendet. Er hatte gut getan, die herrliche Abendluft Lisanne geholfen, den Ärger über ihre verrückte Freundin zu vergessen. So war Jill nun mal.
Die ersten Sterne blinkten vom Himmel herab, während der Mond über dem Waldrand aufging. Im Westen war noch immer die rote Spur des Abendkusses zu sehen, den die Sonne auf das Firmament gehaucht hatte. Der Wind frischte auf, ließ das Laub in den Bäumen am Wegrand rauschen. Sie zog die Strickjacke enger um ihre Schultern und blieb stehen. Ohne es bemerkt zu haben, hatte sie den Weg, der am Cottage vorbeiführte, eingeschlagen. Umzukehren wäre keine gute Idee, denn dann müsste sie den unteren Weg nehmen, der mindestens eine halbe Stunde länger dauerte. Sie grummelte über ihre Unachtsamkeit und schlich auf leisen Sohlen weiter. Sie würde die grüne Tür einfach ignorieren. In der Küche brannte warmes Licht und leugnete Behaglichkeit. Dort drinnen herrschte in Wahrheit eisige Kälte. Als sie auf Höhe des Cottages angelangt war, schwang die Tür auf. Logan trat heraus und Lisanne versteinerte. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, zu atmen, in der Angst, er könnte sie bemerken. Seine plötzliche Nähe schnürte ihr die Luft ab. Hatte er sie gesehen? Nein. Sie atmete erleichtert auf. Er trug eine Abfalltüte zur Mülltonne. Wie sollte sie es bloß anstellen, mit ihm nach Bristol zu fahren, vier Stunden lang seine Beifahrerin zu sein? Mit einer Kuh im Schlepptau ...
Er klappte die Tonne auf, warf den Müll hinein und ließ den Deckel zuschlagen. Für einen Moment verharrte er im Dunkel. Lisannes Augen hatten sich mit der Dämmerung an das spärliche Licht gewöhnt, sodass sie ihn voll und ganz erkannte. Er stemmte die Hände in die Seiten, lehnte sich leicht zurück, streckte Brust und Schultern. Eine ähnliche Dehnübung, wie Dad sie manchmal machte, wenn er von der Arbeit verspannt war. Logan atmete tief ein, schien die frische Meeresbrise ebenso zu genießen wie Lisanne. Dann drehte er sich um, ging auf die Tür zu und blieb plötzlich stehen, als hätte er eine Bewegung auf dem Feldweg bemerkt. Sie bebte, weigerte sich, zu blinzeln und hoffte, er würde sie nicht sehen. Aber seine Blicke trafen direkt auf ihre regungslose Gestalt im Schatten der Nacht. Für eine Sekunde wirkte er überrascht.
„Oh, hallo“, sagte er und ging weiter, während die simplen Worte sie wie ein Gespenst überfielen. Sie schauderte, musste dringend etwas erwidern, bevor er im Haus verschwand und sie für vollkommen übergeschnappt hielt. Das, worum Breda sie gebeten hatte, kam in ihrer Erinnerung hoch. Der Zeitpunkt war ideal. So müsste sie nicht noch mal zu ihm gehen und ihm begegnen.
„Hallo, Logan.“
Er blieb stehen, schaute verwundert, als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie etwas erwiderte.
„Ich ... ich war eine Runde im Feld spazieren und wo ich dich gerade sehe ...“ Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Ich habe heute Mrs. Belforce besucht. Sie liegt krank im Bett und bat mich, dich zu fragen, ob du dich in den nächsten Tagen vielleicht um ihren Garten kümmern könntest. Er ist ziemlich verwildert und sie schafft es nicht allein, die Stauden zu beschneiden.“
„Verstehe.“ Er kratzte sich am Hinterkopf und schaute den Weg hinunter. „Hm, mal sehen, was ich tun kann.“
„Danke. Ach, ... und was das mit Bristol angeht, du bist sicher im Bilde.“ Sie fühlte sich unwohl. Bei dem Wort Bristol wandte er den Kopf herum und schaute sie direkt an. Die Hitze ließ ihre Wangen glühen. Gut, dass er das in der Dunkelheit nicht bemerkte. „Mein Dad will, dass ich mitfahre, aber das werde ich nicht tun. Ich muss ... lernen. Außerdem weiß ich nicht, wie man eine Kuh auf so einer Show herumführt. Ich wäre dir dankbar, wenn du meinem Dad nichts davon sagst. Dass ... ich nicht mitkomme, meine ich.“
„Hm.“ Er wandte sich ab, ging ins Haus und schloss die Tür, ohne ein einziges Wort zu sagen.
Idiot!, dachte sie und lief erleichtert heim.