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2.Der Gedanke der Dienstgemeinschaft

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Neben dem verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrecht ist das Leitbild der kirchlichen Dienstgemeinschaft ein „Schlüsselbegriff des kirchlichen Arbeitsrechts“58 und eine weitere tragende Begründung für die eigenen Kollektivverfahren der Kirchen. Es handelt sich bei diesem Begriff jedoch nicht um eine eigenständige Rechtsquelle.59 Die Dienstgemeinschaft ist kein Verband im Rechtssinne, sondern drückt aus, was das Proprium im Dienst der Kirche ist, wie sie ihren Dienst erbringt.60 Der Begriff der Dienstgemeinschaft beschreibt den religiös geprägten Sendungsauftrag: Der Dienst aller Beschäftigten im kirchlichen Bereich wird demnach vom Wesen und Auftrag der Kirche beherrscht.61 Sowohl in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse62 als auch in den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR)63 wird der Begriff der Dienstgemeinschaft umschrieben.64 Eindeutig ist der Gehalt dieses Begriffes jedoch nicht geklärt, vielmehr weist er sowohl theologische, soziologische und auch arbeitsrechtliche Ebenen auf.65 Das Leitbild der Dienstgemeinschaft wird im kollektiven Arbeitsrecht bemüht, um besondere Regelungen im kirchlichen Bereich zu legitimieren.66 In Art. 7 Abs. 2 S. 1 GrO heißt es: „Wegen der Einheit des kirchlichen Dienstes und der Dienstgemeinschaft als Strukturprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts schließen kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften ab“. Der Begriff der Dienstgemeinschaft wurde und wird dazu genutzt, kirchliche Beschäftigungsverhältnisse von anderen Beschäftigungsverhältnissen abzugrenzen.67 Der Begriff hält fest, dass sich die Gestaltung des Arbeitsrechts in Kirche und Caritas nicht allein an den Notwendigkeiten eines ökonomischen Betriebes orientieren darf.68 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Ausrichtung der Arbeitsbedingungen unter Zugrundelegung dieses Leitbildes durch die Kirchen und ihre Einrichtungen ist von der Rechtsprechung bestätigt worden.69 Diese Anerkennung führt dazu, dass dem bürgerlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis das Strukturelement der Dienstgemeinschaft zugrunde liegt, es entsteht nicht etwa ein kirchenrechtliches Statusverhältnis.70 Bis heute ist der Begriff nicht unumstritten, sondern wird durchaus skeptisch gesehen, insbesondere da er keine theologische Auslegungstradition vorweisen kann.71

Es stellt sich im Hinblick auf das Leitbild der Dienstgemeinschaft historisch betrachtet ebenfalls die Frage, ob dieses auch ursprünglich die Entstehung des Dritten Weges geprägt hat. Wie zu sehen sein wird, taucht der Begriff der Dienstgemeinschaft zunächst in den 1936 erlassenen Tarifordnungen für die dem DCV angeschlossenen Anstalten auf, ehe er dann mit den ersten AVR der Caritas 1949 wieder Eingang in arbeitsrechtliche Regelungen der Caritas findet. Der Gedanke, dass eigene Vertragsordnungen und Verfahren im kirchlichen Arbeitsrecht eher auf Akzeptanz stoßen, wenn sie theologische Hintergründe vorweisen können, tauchte zu Beginn der 1950er Jahre so bereits in den Entscheidungsgremien der Caritas auf.

38BAG 20.11.2012 - 1 AZR 179/11.

39BAG 20.11.2012 - 1 AZR 179/11.

40BVerfG 04.06.1985 - 2 BvR 1703/83; BAG 20.11.2012 - 1 AZR 179/11; zuvor bereits Jurina, Das Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, S. 29 ff.; zum kirchlichen Selbstverständnis und seinen Modifikationen im Arbeitsrecht Herbolsheimer, Arbeitsrecht in kirchlicher Selbstbestimmung, S. 90 ff.

41Reichold, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 160, Rn. 1 m.w.N.

42Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO) v. 27. April 2015.

43BVerfG 22.10.2014 - 2 BvR 661/12; das bedeutet freilich nicht, dass jede einzelne Einrichtung zur Etablierung eines kirchenarbeitsrechtlichen Kollektivsystems befugt ist, denn die wesentliche staatskirchenrechtliche Beziehung zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht besteht zwischen dem Staat und der jeweiligen Religionsgemeinschaft, nicht aber zu deren jeweiliger Einrichtung. Solche Einrichtungen nehmen allerdings über die verfasste Kirche an deren Selbstbestimmungsrecht teil, können sich aber insoweit nicht auf eine eigenständige, insbesondere nicht auf eine von der amtskirchlichen Position abweichende Position berufen, näher Dütz, NZA 2008, 1383 ff.

44Rüfner, Die Bedeutung der verbandlichen Caritas, in: Feldhoff/Dünner (Hrsg.): Die verbandliche Caritas, S. 170, 171 mit Verweis auf BVerfG 16.10.1968 - 1 BvR 241/66; BVerfG 11.10.1977 - 2 BvR 209/76.

45Hillgruber, KuR 2018, 3; zum Verhältnis des Art. 4 GG zu Art. 140 GG; Arleth, Das Recht kirchlicher Arbeitnehmer auf Streik, S. 74 ff.; Classen, Religionsrecht, Rn. 36 ff.; von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 76; Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, Rn. 137; Korioth, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 137 WRV, Rn. 20-22.

46BVerfG 1.12.2009 - 1 BvR 2857/07, Rn. 127 ff.

47Landau, Die Rechtsprechung des BVerfG zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Bereich ihrer Arbeitsverhältnisse anhand des Chefarzt-Beschlusses vom 22. Oktober 2014 in: Reichold (Hrsg.), Führungskultur und Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen, S. 35.

48Landau, Die Rechtsprechung des BVerfG zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Bereich ihrer Arbeitsverhältnisse anhand des Chefarzt-Beschlusses vom 22. Oktober 2014 in: Reichold (Hrsg.), Führungskultur und Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen, S. 35.

49Zur Entwicklung siehe hier nur: Arleth, Das Recht kirchlicher Arbeitnehmer auf Streik, 2016, S. 100 ff.

50Unruh in: v. Mangold/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl., 2018., Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 42.

51BVerfG 22.10.2014 - 2 BvR 661/12.

52Unruh in: v. Mangold/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl., 2018., Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 42.

53Keßler, Die Kirchen und das Arbeitsrecht, S. 342; Nitsche in: Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 112; Schatz, Arbeitswelt Kirche, S. 36.

54Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 113, der von einer sinnvariierenden Bedeutung des Art. 137 WRV ausgeht, welche es ermögliche, die dort genannten Schranken des für alle geltenden Gesetzes als variable, von der Kirche verschiebbare Schranken zu verstehen. Nach Nitsche war die Herausnahme der Kirchen aus dem BetrVG Anfang der 1950er Jahre eine politisch motivierte Entscheidung; dazu auch unten B. III. 2. a).

55Nitsche, in: Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 112.

56So bereits Anfang der 1950er Jahre Smend, ZevKR 1951, 4 („Aber wenn zwei Grundgesetze dasselbe sagen, so ist es nicht dasselbe“); auch aufgegriffen von Campenhausen, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR, 2. Aufl., S. 56.

57von Campenhausen, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR, 2. Aufl., S. 55; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 3. Aufl., § 31, Rn. 12, beide mit Verweis auf den Aufsatz von Smend, ZevKR 1951, 4 ff.; näher zu diesem Wandel unten: B. V. 2.

58Herr, Arbeitgeber Kirche – Dienst in der Kirche, S. 64; Joussen, RdA 2007, 328, 335.

59Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 4, Rn. 18.

60Richardi, ZfA 1984, 109 (119 f.).

61Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 2.

62Art. 1 S. 1 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO) i.d.F. des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands. v. 27.04.2015: „ Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft) “.

63§ 1 der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) i.d.F.v. 15.03.2018: „Die Caritas ist eine Lebens- und Wesensäußerung der katholischen Kirche. Die dem Deutschen Caritasverband angeschlossenen Einrichtungen dienen dem gemeinsamen Werk christlicher Nächstenliebe. Dienstgeber sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden eine Dienstgemeinschaft und tragen gemeinsam zur Erfüllung der Aufgaben der Einrichtung bei…“

64Zu Begriff und Grundlagen der Dienstgemeinschaft Neuhoff, Die Dienstgemeinschaft als Grund und Grenze des kirchlichen Arbeitsrechts.

65Neuhoff, Die Dienstgemeinschaft als Grund und Grenze des kirchlichen Arbeitsrechts, S. 32, 33; Thüsing/Mathy, Mutatur, non tollitur – Kirchliche Dienstgemeinschaft als Grund und Grenze der Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts, in: Schavan/Thüsing (Hrsg.), FS für Feldhoff zum 80. Geburtstag, S. 563 ff.

66Joussen, RdA 2007, 328, 332; siehe auch Richardi, Die Dienstgemeinschaft als Leitbild für die arbeitsrechtliche Ordnung des kirchlichen Dienstes, in: Eder/Floß (Hrsg.), Grundkonsens in der Dienstgemeinschaft, Festschrift für Wolfgang Rückl, S. 169 ff.

67Neuhoff, Die Dienstgemeinschaft als Grund und Grenze des kirchlichen Arbeitsrechts, S. 33.

68Herr, Arbeitgeber Kirche – Dienst in der Kirche, S. 68.

69BVerfG 11.10.1977 - 2 BvR 209/76; BVerfG 25.3.1980 - 2 BvR 208/76; BVerfG 4.6.1985 - 2 BvR 1703/83; BAG 16.9.1999 - 2 AZR 712/98; BAG 26.10.2006 - 6 AZR 307/06; BAG 20.11.2012 - 1 AZR 179/11.

70Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 4 Rn. 7.

71Dazu Bock, Der kirchliche Dienst und das staatliche Recht, in: Rau/Reuter/Schlaich (Hrsg.), Das Recht der Kirche, S. 569 ff.; Heinig, ZevKR 2009, 62 (72 ff.); von Nell-Breuning, Stimmen der Zeit 1977, 705 ff.

Der Dritte Weg in der Retrospektive

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