Читать книгу Negatio - Julia Fürbaß - Страница 23
-Jenni- 28.04.2016, Donnerstag
ОглавлениеSie ist fast angekommen.
Es ist bereits Abend, als sie mit ihrem Mini Cooper durch die Siedlung fährt. Sie hält Ausschau nach dem Wohnhaus, vor dem so viele Mülltonnen stehen, dass man meinen könnte, es gäbe nur diese für die gesamte Gegend. An die Hausnummer kann sich Jenni nicht mehr erinnern, es ist schon eine Ewigkeit her, dass sie ihre Cousine besucht hat. Aber das liegt nur an Steve, dem bekloppten Exfreund von Carmen. So richtig leiden konnten ihn damals außer ihr nicht viele - am allerwenigsten Jenni. Zum Glück ist ihre Cousine nach zwölf Jahren endlich zur Vernunft gekommen und hat diesen Macho in die Wüste geschickt. Schon alleine dieser Name, Steve! Wenn man ihn bei seinem richtigen Vornamen nannte - also Stefan -, ist er fast ausgerastet. Denn Amerika war ja sein Land. Einige Male ist er mit seinen Kumpels, deren Intelligenzquotienten auch nicht viel höher sein konnten als seiner, nach Las Vegas geflogen, um abzufeiern. Was seine Freundin davon hielt, hielt er wiederum nicht für wichtig. Hauptsache, sie blieb mit ihrem gemeinsamen Sohn zu Hause, während sie versuchte, Karriere und Mutterschaft unter einen Hut zu kriegen. Der Kleine muss inzwischen auch schon recht groß sein, wie alt würde er jetzt wohl sein? Zehn?
Auf jeden Fall brachte dieser Mistkerl von Steve Carmen niemals Souvenirs von seinen Ausflügen mit, außer Fotos von den Stripperinnen in diversen Clubs. Und er scheute auch nicht davor zurück, im Beisein anderer Leute damit zu prahlen, welche er davon gevögelt hat und wie gut die schmecken würden. Aber weil er ja sooo ein fürsorglicher Papi war, erzählte er es natürlich nur, wenn keine Kinder anwesend waren. Und für Jason brachte er immer Spielzeug mit. Wer den Jungen wohl so nennen wollte, hatte sich wahrscheinlich nicht nur Jenni gefragt.
Obwohl, einmal brachte er Carmen ein Geschenk mit. Er warf ihr einen Büstenhalter von einer seiner Vegas-Doppel-D-Puppen zu und sagte wortwörtlich: „Hier! Der kleinen Ashley passte er ganz gut, obwohl sie ihn nur kurz anhatte. Wenn deine Möpse ihn mal ausfüllen, kannst du ihn behalten.“ Das hat Carmen ihr zumindest am Telefon erzählt. Aber sie war dumm, saudumm um genau zu sein. Denn sie blieb trotzdem bei ihm, weil sie ihn liebte. Es war zum Kotzen. Jenni konnte sich das blöde Verhalten beider Seiten nicht mehr ansehen und brach den Kontakt mehr oder weniger ab. Bis Carmen sie vor ein paar Monaten angerufen und ihr von der Trennung erzählt hat. Steve dürfe Jason so oft sehen wie er will, aber ansonsten möchte sie nichts mehr von ihm wissen.
Jenni parkt vor dem Haus mit den unzähligen Mülltonnen. Im Rückspiegel kontrolliert sie noch einmal ihr Make-up, denn ihre Wimperntusche ist vorhin bei ihrem Abgang vom Café etwas verlaufen. Ihren schauspielerischen Fähigkeiten sei Dank. Soll dieser Sebastian ruhig erkennen, dass man so nicht mit ihr umspringen kann!
Als sie vor der verschlossenen Wohnungstür steht und klingelt, wird sie gleich darauf mit einer stürmischen Umarmung von Jason begrüßt. „Wow, Jason! Du bist ja groß geworden!“
„Ja, ich bin schon zehn!“, lautet seine Antwort.
„Na sowas, das ging aber schnell!“, stellt sie mit übertriebener Freude fest. Hinter Jason steht bereits Carmen. Sie kichert und sagt: „Diesen Satz sagt er fast zu jedem. Unabhängig davon, ob man ihn nach seinem Alter fragt oder nicht. Hi erstmal, was führt dich her?“
„Och, ich dachte, wenn ich schonmal in der Gegend bin, bringe ich Jason ein paar Schokokekse mit und wir zwei gönnen uns eine Flasche Prosecco.“
Jason klatscht in die Hände und ruft: „Jaa, Kekse!“
„Heute gibt es keine Kekse mehr für dich und du musst dann sowieso bald ins Bett“, erwidert seine Mutter.
Sie bittet Jenni herein und schickt ihren Sohnemann ins Badezimmer. Daraufhin geht sie mit ihrer Cousine in die Wohnküche.
Jenni setzt sich und sagt: „Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.“
„Was? Nein! Ich bin vor ungefähr fünfzehn Minuten selbst erst heimgekommen. So, was gibt es denn zu feiern?“, fragt Carmen und stellt zwei Gläser neben die Flasche auf den Tisch.
Jenni antwortet erst, als sich ihre Cousine ebenfalls hinsetzt und einschenkt. „Ich hab ihn.“
„Du hast wen? Basti?“
„Ja.“
„Heute schon? Das ging ja schnell. Habt ihr auch verhütet?“
„Wird das jetzt etwa eine Aufklärungsstunde? Außerdem meinte ich das nicht so. Ich hab ein bisschen die Verrückte raushängen lassen.“
„Also dein normales Ich?“
„Sehr witzig. Nein, ich habe ihn bei einem gemeinsamen Snack sitzenlassen.“
„Wow! Na, wenn das so ist, dann hast du ihn ja wirklich!“
„Sarkasmus beendet? Danke. Ich glaube auf jeden Fall, dass er schon Interesse an mir hat, und vielleicht schaffe ich es ja, dass er über den Vorfall redet.“
„Na, wenn du das sagst… Aber steigere dich bitte in nichts hinein. Und wenn dir irgendetwas an ihm komisch oder verdächtig vorkommt, musst du es mir sagen, okay? Und dann lässt du gefälligst deine Finger von ihm.“
„Sicher doch. Und für den Fall, dass ich mich heute volllaufen lasse, gebe ich dir gleich etwas, bevor ich es vergesse.“
Jenni holt einen kleinen, gefalteten Zettel aus ihrer Handtasche und gibt ihn ihrer Cousine. Carmen fragt: „Was ist das?“
„Eine Nachricht für ihn. Total romantisch oder?“
„Bleiben wir bei deinem vorherigen Ausdruck: Verrückt.“
„Ist ja auch dasselbe. Romantiker haben sowieso alle einen an der Waffel. Vielleicht kannst du ihm den Zettel ja irgendwie zukommen lassen.“
Carmen sieht nicht so aus, als würde sie ihr bei ihrem Wie-kriege-ich-ihn-rum-nachdem-seine-Eltern-abgemetzelt-worden-sind-aber-er-ist-rattenscharf-also-scheiß-drauf-Spiel helfen, meint dann aber schließlich doch: „Ich werde sehen, was sich machen lässt. In der Arbeit könnte ich es sonst über Ralf versuchen, wenn es für dich in Ordnung ist…?“
„Ja, ja. Hauptsache, er bekommt es. Bald!“
„Na gut. Und du willst dich heute wirklich volllaufen lassen?“
„Ich bin eben gut drauf. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich heute deine Couch in Beschlag nehmen.“
„Nur zu, aber allzu lange kann ich nicht aufbleiben, ich muss morgen früh raus.“
„Kein Problem, ich muss morgen auch um halb 8 in der Praxis sein.“