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1. Einleitung 1.1 Zielsetzung der Arbeit

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Der öffentliche Raum – und dabei insbesondere der urbane öffentliche Raum – ist in starkem Maße durch einen spezifischen Typ sprachlicher Zeichen, nämlich durch Namen, geprägt. Wie groß der Anteil der Namen im Bereich der öffentlichen Schriftlichkeit ist, zeigt ein Streifzug durch jede beliebige deutsche Großstadt. So bilden Ortsnamen, Straßennamen und Namen von Plätzen beispielsweise einen wichtigen Bestandteil der Verkehrsbeschilderung. Daneben finden sich im öffentlichen Raum die Namen von wichtigen touristischen Zielen oder Sehenswürdigkeiten, die auf Wegweisern und Hinweisschildern sichtbar werden und Ortsfremden die Richtung zu ebendiesen Zielen weisen. Zur Betextung des Stadtraums gehören auch die Namen von öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Behörden oder Museen, die typischerweise direkt am Objekt, d.h. an der Außenwand des Gebäudes, oder auf einem Schild in unmittelbarer Nähe des Objekts angebracht sind.

Neben diesen Namen, die primär der Orientierung und der Organisation des Alltagslebens dienen, sind im öffentlichen Stadtraum auch Namen von Konsumgütern oder Dienstleistungen sichtbar, die in erster Linie einen werbenden Charakter aufweisen. Dazu gehören beispielsweise die Namen von Produkten und Produktlinien, wie sie in Schaufenstern, auf Werbeplakaten, großen Bannern, Litfaßsäulen und Leuchttafeln zu sehen sind. Geschäftsnamen zählen ebenfalls zu den onymischen Formen im Stadtraum. Das sind die Namen von Restaurants, Cafés, Reisebüros, Juwelieren etc., die in der Regel auf einem Schild am bezeichneten Objekt angebracht sind.

Wie dieser Streifzug zeigt, ist der öffentliche Raum durchzogen von einer Vielzahl von Namen. Dies stellt auch PUZEY fest, der sich mit Linguistic Landscapes (LL)1, also den schriftlichen Sprachvorkommen im öffentlichen Raum, beschäftigt und schreibt, dass Namen „a significant component of the LL“ bilden (2016: 396). Ähnlich äußert sich AUER, der hier eine funktionale Perspektive einnimmt und feststellt, dass das „Benennen […] eine grundlegende Funktion öffentlicher Schrift“ ist (2010: 290, Hervorh. i.O.). Stärker zugespitzt ließe sich sagen, dass Namen nicht nur einen wesentlichen Teil der Linguistic Landscape darstellen, sondern dass sich im öffentlichen Raum bei genauerer Betrachtung regelrechte Namescapes2 bzw. onymische Landschaften erkennen lassen.

Onymische Landschaften stehen im Fokus der vorliegenden Arbeit. Thematisiert werden jedoch nicht jene bereits erwähnten gedruckten oder anderweitig maschinell hergestellten Namen, die auf Städte, Straßen, öffentliche Einrichtungen oder Produkte verweisen. Stattdessen wird eine spezifische Art von Namen, die mit Farbstiften und Sprühdosen – oft illegal – an die Wände der Stadt gebracht werden, in den Blick genommen. Bei diesen Namen handelt es sich um Graffitinamen – eine im öffentlichen Raum hochpräsente Erscheinung, die als Namenart bisher weitestgehend übersehen worden ist.

Graffitinamen sind die Namen, die die Mitglieder der Graffitiszene (Writer) wählen, um sie überall im öffentlichen Raum zu sprühen oder zu schreiben. Im Gegensatz zu den anderen Namen der städtischen Namescape handelt es sich somit um Personennamen. Diese finden sich an diversen Orten im öffentlichen Raum, zum Beispiel in einem besprühten Hauseingang, wie er in Abb. 1 zu sehen ist. In diesem Hauseingang lassen sich fünf verschiedene Graffitinamen ausmachen. Das Foto, das 2008 in Mannheim aufgenommen wurde, zeigt die Namen CPUK, IKON, KOOL JÜRGEN, SHOP und OBC.3 Die unterschiedlichen Schriften und Strichstärken deuten darauf hin, dass die Namen von unterschiedlichen Schreibern und vermutlich auch mit einer zeitlichen Differenz angebracht wurden.


Abb. 1: Graffitis in Mannheim (25758)4

Graffitiwriter4 legen sich einen solchen Namen zu, weil sie diesen für die Teilnahme an den Aktivitäten der Graffitiszene benötigen. Im Szenegraffiti geht es um das Getting Up, d.h. das Aufsteigen innerhalb der Szene. Der soziale Aufstieg geht damit einher, „das verwendete Pseudonym […] in der ganzen Stadt und darüber hinaus bekannt zu machen“ (REINECKE 2012: 27). Graffitiwriter müssen sich daher gleich in zweierlei Hinsicht einen Namen machen: Zum einen ist es das erklärte Ziel im Szenegraffiti, mit dem eigenen Namen bekannt zu werden. Zum anderen müssen sich die Akteure auch im wörtlichen Sinn einen Namen machen, insofern sie zu Beginn ihrer Szeneaktivität ein Pseudonym auszuwählen haben. Um in der Szenehierarchie aufzusteigen, bringen die Writer diesen Wahlnamen möglichst oft und auf individuelle, qualitativ hochwertige Weise im öffentlichen Raum an. Namen sind für das Szenegraffiti demnach von elementarer Bedeutung.

Diese handschriftlichen Graffiti-Namescapes, die die Städte durchziehen, werden von vielen szeneunkundigen Passanten gar nicht als solche erkannt. So werden Graffitis5 zwar wahrgenommen – ob mit Ärger oder mit Bewunderung –, allerdings oftmals nicht mit dem Wissen, dass es sich bei den Sprühwerken mehrheitlich um Namen handelt. So ist es auch zu erklären, dass man im Bereich der Onomastik6, der linguistischen Subdisziplin, die sich der Erforschung von Namen widmet, bislang nicht auf die Graffitinamen aufmerksam geworden ist. Während andere Namenarten, die im öffentlichen Raum zu finden sind, bereits intensiv untersucht worden sind7, sucht man nach Informationen zu den Graffitinamen in onomastischen Publikationen bislang vergeblich. Die Beschreibung und Analyse dieser Namenart stellt in diesem Sinne ein Desiderat dar.

Der Schwerpunkt der Onomastik lag lange Zeit primär auf der Erforschung der etymologischen Bedeutung von Personennamen (Anthroponyme) und Ortsnamen (Toponyme), d.h., es ging darum, die alten Bedeutungsschichten dieser Onyme8 freizulegen (NÜBLING ET AL. 2015: 9, 14). Erst in der jüngeren Forschung werden auch verstärkt neue Namenarten, z.B. Namen von Himmelskörpern (KUNITZSCH 2004) oder Tieren (WARCHOL 2004), in den Blick genommen. Dabei entstanden auch Studien zur Benennung ganz spezifischer Objektgruppen wie Schulen (EWALD 2012) oder Katzen (KRASS 2014). Daran lässt sich erkennen, dass sich die Perspektive der Onomastik in den letzten Jahren erheblich erweitert hat.

Graffitinamen sind von der Namenforschung bisher allerdings schlichtweg übersehen worden. Erkennbar wird dies etwa an einem Aufsatz im kürzlich erschienen „Oxford Handbook of Names and Naming“ (HOUGH (Hg.) 2016b). Die entsprechende Publikation mit dem Titel „Linguistic Landscapes“ (PUZEY 2016) macht die Namen im öffentlichen Raum ganz gezielt zum Thema, ohne dabei jedoch die Namen im Graffiti zu berücksichtigen. Der Autor PUZEY hebt zwar hervor, dass „Names occupy a privileged space in the LL“ (2016: 403) und geht in seinem Text sogar kurz auf Graffitis ein (2016: 397), er stellt allerdings keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Themen her. So ist zwar zu lesen, dass Graffitis zur Linguistic Landscape zählen (PUZEY 2016: 397), paradoxerweise wird in einem Handbuch der Namenforschung jedoch nicht darauf hingewiesen, dass es sich bei Graffitis typischerweise um Namen handelt.

Sucht man in den Publikationen anderer wissenschaftlicher Disziplinen nach Informationen zu Graffitinamen, so zeigt sich dort ein ähnliches Bild. Es wird allenfalls am Rande auf sie verwiesen. Dabei haben seit der Entstehung der Graffitiszene in den 60er- und 70er-Jahren verschiedene wissenschaftliche Disziplinen ein Interesse an den Graffitiwerken und auch an den Urhebern entwickelt. Zu nennen sind hier beispielsweise die Ethnologie, Soziologie, Psychologie, die Rechtswissenschaften und auch die Kunstgeschichte.9 Viele Facetten des Graffitiwritings sind hierbei umfassend erforscht worden. Eine systematische Beschreibung und Analyse der Graffitinamen steht allerdings auch außerhalb der Onomastik noch aus.10 Diese Arbeit setzt sich daher zum Ziel, die hier ermittelte Forschungslücke zu schließen und die Graffitinamen als eine „neue“ Namenart in den Blick zu nehmen.

Graffiti ist in der Linguistik generell erst seit einigen Jahren zum Untersuchungsgegenstand geworden. Ein gesteigertes Interesse an diesem urbanen Phänomen entwickelte sich etwa mit der Herausbildung der Schriftbildlichkeitsforschung11 und der Bildlinguistik12 sowie der Linguistic-Landscape-Forschung13. PENNYCOOK musste 2009 in der Linguistic-Landscape-Forschung jedoch zunächst darauf hinweisen, dass Graffitis – in gleichem Maße wie Werbebanner, Leuchtreklamen und Verkehrsschilder – überhaupt einen Bestandteil der Schrift- oder Sprachlandschaft einer Stadt darstellen.

In jüngster Zeit sind in der germanistischen Sprachwissenschaft allerdings gleich zwei Projekte entstanden, die eine systematische Beschäftigung mit Graffiti ermöglichen. Zum einen ist hier das Kooperationsprojekt „Metropolenzeichen: Visuelle Mehrsprachigkeit in der Metropole Ruhr“ der Universität Duisburg-Essen und der Ruhr-Universität Bochum zu nennen. Dabei wurden unter der Leitung von Prof. Dr. Evelyn Ziegler öffentlich sichtbare ortsfeste Zeichen in den Städten Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund fotografiert und zu einem 25500 Fotos umfassenden Korpus zusammengestellt (vgl. dazu ZIEGLER 2013a, CINDARK UND ZIEGLER 2016: 135ff., WACHENDORFF ET AL. 2017: 158ff.).14

Das zweite große Projekt, das sich die Erforschung von Graffiti zur Aufgabe gemacht hat, ist das „Informationssystem Graffiti in Deutschland“ (INGRID). Es handelt sich hierbei um ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt der Universität Paderborn (Germanistische Sprachwissenschaft, Leitung Prof. Dr. Doris Tophinke) und des Karlsruher Instituts für Technologie (Kunstgeschichte, Leitung Prof. Dr. Martin Papenbrock), das von der DFG gefördert wird. Das Ziel von INGRID ist der Aufbau einer umfassenden Datenbank, mit der Graffiti systematisch wissenschaftlich erforscht werden kann. Im Rahmen von INGRID erfolgte auch die Forschung, die dieser Arbeit zugrunde liegt, weshalb eine konkrete Beschreibung des Projekts mit Informationen zur Laufzeit, Datengrundlage und Zielsetzung in Abschnitt 1.2 anschließt.

Wie bereits angeklungen ist, ist das Thema dieser Arbeit für verschiedene linguistische Teildisziplinen relevant. Es liefert zum einen neue Erkenntnisse für die Linguistic-Landscape-Forschung, weil Graffitinamen einen Teil der schriftsprachlichen Landschaft darstellen. Im Gegensatz zum übrigen Bestand der Linguistic Landscape handelt es sich bei den Namen allerdings nicht um maschinell produzierte, sondern um handschriftliche Formen. Zum anderen – darauf wurde bereits hingewiesen – lässt sich die Erforschung von Graffitinamen im Aufgabenbereich der Onomastik verorten. Noch spezifischer kann das Thema dabei dem Bereich der Sozioonomastik15 zugeordnet werden:

In socio-onomastics, names in society are examined. Socio-onomastics can be defined, put briefly, as a sociolinguistic study of names. Above all, it explores the use and variation of names. The socio-onomastic research method takes into account the social, cultural, and situational fields in which names are used. (AINIALA 2016: 371)

Die Erforschung der Graffitinamen stellt ein sozioonomastisches Thema dar, weil die Namen in starkem Maße an eine soziale Gruppe – die Graffitiszene – gebunden sind. Formen und Funktionen der Namen sind daher stets vor diesem sozialen Kontext zu beurteilen, in dem sie verwendet werden.

Das Thema dieser Arbeit leistet im Bereich der Onomastik insbesondere einen Beitrag zur Pseudonymenforschung, denn Graffitinamen können – wie in den nächsten Kapiteln erläutert wird – diesem Typ der inoffiziellen Personennamen16 zugeordnet werden. Im Bereich der inoffiziellen Personennamen, zu dem neben Pseudonymen auch Spitznamen gehören, lässt sich ein genereller Forschungsbedarf konstatieren. In der Spitznamenforschung, in der sich lange Zeit nur einige wenige, ältere Publikationen fanden (vgl. dazu KANY 1992, NAUMANN 1995), ist in jüngster Zeit allerdings eine zunehmende Forschungstätigkeit zu konstatieren (vgl. dazu EWALD 2014, KÜRSCHNER 2014, NÜBLING 2014, 2017, EWALD UND MÖWS 2018, DAMMEL ET AL. 2018). Studien zum Thema Pseudonymie beschränken sich hingegen in der Regel auf den Bereich der Internetpseudonymie (vgl. dazu ZIEGLER 2004, WOCHELE 2012 u.a.).17 Daher merken NÜBLING ET AL. noch 2015 an, dass „[d]ie Motive für die Selbstverleihung von Pseudonymen, deren genaue Wahl sowie der (erhoffte sowie erfolgte) Identitätswechsel […] noch wenig erforscht“ sind (2015: 180). Auch DEBUS stellt in seinem Einführungswerk „Namenkunde und Namengeschichte“ Folgendes fest: „Eine befriedigende umfassende Typologie der Pseudonyme gibt es bisher nicht.“ (2012: 134) Eine Beschreibung und Analyse der Graffitinamen liefert demzufolge auch neue Erkenntnisse für die Pseudonymenforschung.18

Die Beschäftigung mit Graffitinamen ist auch für diejenigen linguistischen Forschungsrichtungen relevant, die sich mit der Materialität bzw. der visuellen Erscheinung der Schrift beschäftigen. Dazu gehören etwa die Multimodalitätsforschung und die Schriftbildlichkeitsforschung. Graffitinamen stellen einen interessanten Gegenstand für diese Forschungsfelder dar, weil sie erstens fast ausschließlich in schriftlicher Form in Erscheinung treten und weil sie – anders als beispielsweise Rufnamen – in der Regel nicht nach euphonischen, sondern nach bildlich-ästhetischen Kriterien ausgewählt werden. Darauf deutet eine Aussage des Graffitiwriters FYE hin, der sich im Szenemagazin „Backspin“ folgendermaßen zu seinem Namen äußert:

Das soll einen dicken Klumpen bilden. Bei den Bildern soll immer alles gefüllt sein. Damit kann man schön groß malen, da dann bei Whole-Cars nur noch wenig Background übrig bleibt. Background ist Luxus (lacht). (FYE in Backspin 86/2007: 69)

Auch weitere Sprüher geben in Interviews mit Szenemagazinen an, ihren Namen anhand der Buchstabenformen ausgesucht zu haben.19 Daraus ergeben sich sowohl für die Namenforschung als auch für die Multimodalitätsforschung bzw. Schriftbildlichkeitsforschung interessante Fragestellungen. Derartige Namen, die in ihrer Bildlichkeit wirken sollen, sind bisher namentheoretisch noch nicht beschrieben worden. So ist für Graffitinamen etwa zu diskutieren, ob Aussagen wie Namen seien „unmeaning mark[s]“, was auf MILL (1843: 43) zurückgeht, oder – wie NÜBLING ET AL. es formulieren – „sie sind ohne Semantik“ (2015: 13, Hervorh. i.O.) überhaupt gültig sind.

Äußerungsformen, in denen die Materialität der Schrift besonders relevant ist, sind stattdessen in anderen linguistischen Forschungsrichtungen untersucht worden, z.B. in der Multimodalitätsforschung. Die Ergebnisse der Multimodalitätsforschung sind bislang jedoch noch nicht speziell auf Namen bezogen worden. Es ist somit zu prüfen, ob sich Erkenntnisse der Multimodalitätsforschung auf Graffitinamen übertragen lassen und die Namen möglicherweise auf anderen Ebenen – z.B. über ihre Schriftbildlichkeit – systematisch Bedeutung kommunizieren. Damit ergeben sich für das Thema dieser Arbeit auch Anknüpfungspunkte an SPITZMÜLLERS Habilitationsschrift „Graphische Variation als soziale Praxis“ (2013), die die sozialen Funktionen graphischer Mittel in den Blick nimmt.

Dass die vorliegende Arbeit im Schnittbereich verschiedener linguistischer Forschungsrichtungen zu verorten ist, zeigt sich auch an der Methodik, die bei der empirischen Untersuchung der Graffitinamen zum Tragen kommt. Methoden wie die Erhebung von Fragebögen, qualitativen Interviews oder „die Methode der offenen oder verdeckten teilnehmenden Beobachtung“, die typische Methoden der soziologisch orientierten Onomastik darstellen (DEBUS 1995: 347), werden in der vorliegenden Arbeit nicht angewandt.20 Im Rahmen dieser Studie erfolgt somit – wie im Folgenden noch begründet wird – keine Befragung einzelner Sprüher zu den Motiven ihrer Namenwahl oder zu den Kontexten, in denen sie ihre Namen verwenden. Stattdessen wird der Name selbst in seinen (schrift-)sprachlichen und (schrift-)bildlichen Eigenschaften sowie in seiner Platzierung im öffentlichen Raum in den Blick genommen.21

Die Zusammenstellung des Korpus erfolgt über die „technique of photographic data collection“, die eine typische Herangehensweise der Linguistic-Landscape-Forschung darstellt (PUZEY 2016: 398).22 Die Daten wurden bei dieser Untersuchung allerdings nicht selbst erhoben, sondern es wurde ein bereits existierender Datenbestand für die wissenschaftliche Erforschung der Graffitinamen genutzt. Bei der Auswertung der Daten werden ferner (auch) typische Methoden der Onomastik wie „die Analyse des formalen Baus der Namen“ und die „Klassifikation der Namen (nach verschiedenen Gesichtspunkten)“ (BLANÁR 2004: 159) angewandt.


Abb. 2: Das Thema dieser Arbeit im Schnittbereich der Teildisziplinen

Das Thema „Namen im Graffiti“ betrifft somit sowohl inhaltlich als auch methodisch verschiedene linguistische Forschungsbereiche. Wie Abb. 2 zusammenfasst, ist es in der Linguistic-Landscape-Forschung, der Namenforschung und der Multimodalitäts- bzw. Schriftbildlichkeitsforschung zu verorten. Des Weiteren lässt sich aus den bisherigen Ausführungen festhalten, dass für eine Erforschung der Graffitinamen sowohl ein empirischer als auch ein theoretischer Bedarf besteht. Die vorliegende Arbeit macht es sich zum Ziel, die ermittelte Forschungslücke zu schließen und wird dabei von den folgenden Fragestellungen geleitet:

 Wie lassen sich Graffitinamen namentheoretisch einordnen? Welche formalen und funktionalen Unterschiede ergeben sich zu anderen Namen- und Pseudonymentypen?

 Mit welchem theoretischen Ansatz bzw. Konzept lassen sich die Namen angemessen beschreiben?

 Welche (schrift-)sprachlichen und (schrift-)bildlichen Muster bestimmen die Graffitinamen und welche Funktionen kennzeichnen sie?

Um diese Fragen zu beantworten, wird in Kapitel 2 zunächst das Phänomen Graffiti beschrieben. Dabei werden auch Informationen zum soziokulturellen Kontext der deutschen Graffitiszene zusammengestellt, denn im Rahmen einer sozioonomastischen Studie werden Namen – wie bereits erläutert – vor der Folie ihres sozialen, kulturellen und situativen Kontextes betrachtet. An dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, dass Theorie und Empirie dabei nicht immer strikt getrennt werden können: Sowohl in Kapitel 2 als auch in den folgenden Kapiteln werden bereits Fallbeispiele aus dem Korpus, das der empirischen Untersuchung zugrunde liegt, einbezogen.

In Kapitel 3 wird das Grundlagenwissen der Onomastik zusammengefasst, auf das bei der namentheoretischen Verortung der Graffitinamen zurückgegriffen wird. Es schließt ein Kapitel zu Pseudonymen an, das aufzeigt, wie Pseudonyme im System der Namen zu verorten sind und auf welche Beobachtungsschwerpunkte sich die bisherige Pseudonymenforschung konzentrierte (Kapitel 4).

Im 5. Kapitel wird herausgearbeitet, worin die allgemeine Spezifik der Graffitipseudonyme besteht, um anschließend – an dieser Spezifik ausgerichtet – einen theoretischen Rahmen auszuwählen, der eine angemessene Beschreibung der Namen ermöglicht. Es kann bereits vorweggenommen werden, dass sich hier als wichtig erweisen wird, einen erweiterten Bedeutungsbegriff zugrunde zu legen: Neben den Bedeutungen, die sich aus der Schriftsprachlichkeit der Namen ergeben, gilt es auch andere Möglichkeiten der Bedeutungsgenerierung zu berücksichtigen.

Den Bedeutungen, die sich aus der Schriftbildlichkeit ergeben, widmet sich anschließend Kapitel 6. In diesem wird erläutert, wie der Phänomenbereich der Bildlichkeit der Schrift in der bisherigen Forschung abgesteckt worden ist. Darüber hinaus werden verschiedene Ansätze dazu vorgestellt und diskutiert, wie Typographie bzw. die Schriftbildlichkeit überhaupt Bedeutung generieren kann.

Kapitel 7 umfasst die empirische Untersuchung der Graffitinamen. Es beinhaltet eine ausführliche Erläuterung des Korpus, der Methodik und der Ergebnisse. Die Ergebnisse werden in zwei separaten Teilkapiteln (7.4 und 7.5) dargestellt, da die linienförmig gestalteten Namen, die in der Graffitiszene als Tags23 bezeichnet werden, und die flächig gestalteten Namen, die Pieces, separat voneinander in den Blick genommen werden. Die Ergebnisse der Untersuchung der Tags bestehen insbesondere in der Beschreibung und Analyse der (schrift-)bildlichen und (schrift-)sprachlichen Muster, die sich in den Mannheimer Graffitipseudonymen aufdecken ließen. Da der Graffitiname in den Pieces typischerweise von anderen Einheiten umgeben ist und mit diesen komplexere Kompositionen bildet, liefert die Untersuchung der Pieces in erster Linie Erkenntnisse zu den Formen und Funktionen der verschiedenen Einheiten, aus denen die Kompositionen bestehen können.

Sich einen Namen machen

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