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1.3 Politisch-geografischer Kontext und Aufbau der Studie

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Diese Studie untersucht Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg. Das Bundesland Baden-Württemberg entstand am 25. April 1952 auf Grundlage eines Volksentscheids als Gliedstaat der Bundesrepublik mit der Landeshauptstadt Stuttgart durch den Zusammenschluss der im Zuge der Besatzung entstandenen Länder Baden,103 Württemberg-Baden104 und Württemberg-Hohenzollern.105 Vor 1945 war das heutige Baden-Württemberg in die Länder Baden, Hohenzollern (bzw. Hohenzollernsche Lande, so die amtliche Bezeichnung seit 1928) und Württemberg untergliedert (Abbildung 4).


Abb. 4: Staatliche Gliederung bis Kriegsende 1945 im Gebiet des heutigen Baden-Württembergs.

Im Verlauf der sogenannten NS-Gleichschaltung der ehemals föderalen Verwaltungen der Gebiete des historischen Württembergs, Hohenzollerns106 und Badens,107 zu dem von 1940 bis 1945 auch das im Zuge des Frankreichfeldzugs von der deutschen Wehrmacht besetzte Elsass gehörte, mussten die Länder Baden und Württemberg zwar wichtige Kompetenzen an das Reich abtreten, behielten aber wesentliche institutionelle Zuständigkeiten.108 Die »[…] praktische Umsetzung der Verwaltung, die Polizei und die Gerichte« – und damit auch die Verfolgung und Repression von homosexuellen Männern bzw. nach den §§ 175, 175 a – blieb »in großen Teilen Aufgabe der Kommunen und Länder.«109

Trotz der politisch-geografischen Begrenzung dieser Studie auf die Region des heutigen Baden-Württemberg ist es unerlässlich, punktuell über die jeweiligen Landesgrenzen forschend hinauszublicken – etwa, wenn es um die Dokumentation der grenzüberspannenden Lebenswelten homosexueller Männer im deutschen Südwesten geht.110 Aber auch wenn es gilt, die Verfolgungsschicksale homosexueller Männer über die Landesgrenzen hinaus zu erfassen, beispielsweise dann, wenn sie in nationalsozialistische Konzentrationslager jenseits der badischen und württembergischen Landesgrenzen, etwa in das bei München gelegene KZ Dachau,111 in das bei Weimar gelegene KZ Buchenwald112 oder das bei Berlin liegende KZ Sachsenhausen113 verbracht wurden.

Die Verfolgung in der Region des Elsass wird in dieser Studie nur unter Auswahl spezifischer Aspekte berücksichtigt. Im Zuge des Frankreichfeldzugs wurde das Elsass im Jahr 1940 von deutschen Truppenverbänden besetzt und der badischen Verwaltung unterstellt. Bekannt ist, dass die NS-Regierung im Elsass eine brutale »Germanisierungspolitik« verfolgte.114 Vielleicht weniger bekannt ist, dass die NS-Verfolgung homosexueller Männer im deutschen Südwesten mit der Besetzung des Elsass und der Einführung des deutschen Strafrechts im Januar 1942 (Strafrechtsverordnung für das Elsass) auch auf dieses Gebiet ausgeweitet wurde und hier mit der Einführung des NS-Strafrechts besonders rigide verlief.115 Die Verfolgung homosexueller Männer im besetzten Elsass ist inzwischen relativ gut erforscht. Hingewiesen sei auf die Publikationen der Historiker Régis Schlagdenhauffen »Désirs condamnés. Punir les ›homosexuels‹ en Alsace annexée, 1940–1945« (2014),116 Frédéric Stroh »Être homosexuel en Alsace et Moselle annexées de fait« (2017) und Jean-Luc Schwab »Die Homosexuellenverfolgung im annektierten Elsass (1940–1945)« (2018).117

In den Vogesen ließ der Badische Gauleiter und Reichsstatthalter Robert Wagner das sogenannte Sicherungslager Schirmeck errichten, das in Vorbruck bei Schirmeck von August 1940 bis November 1944 betrieben wurde. Ebenfalls im besetzten Elsass wurde das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof als das größte KZ des deutschen Südwestens errichtet. Es bestand vom 1. Mai 1941 bis zum 23. November 1944. Ab 1944 war der deutsche Südwesten von einem dichten Netz von Konzentrationslagern durchzogen, meist Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof. Nicht nur homosexuelle Männer aus der Region des heutigen Baden-Württembergs wurden durch ihre Inhaftierung in diesen und anderen Lagern eingebunden in das NS-System »Vernichtung durch Arbeit«.118 Auch vor diesem Hintergrund gilt es den Forschungsblick über die heutigen Landesgrenzen hinaus zu richten.

Die vorliegende Studie weist drei Schwerpunktsetzungen auf. In einem ersten Schritt rücken die Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in der Weimarer Republik in den Fokus (Kapitel 2:Baden ist nicht Berlin und Württemberg nicht Weimar. Lebenswelten in der Weimarer Republik). Dabei stellt sich die Frage nach der Gestalt der Lebenswelten homosexueller Männer in den 1920er und zum Beginn der 1930er Jahre, also nach den Szenen, Treffpunkten und Aktivitäten homosexueller Männer in den städtischen Zentren Badens und Württembergs.

Vor diesem Hintergrund rücken in einem zweiten Schritt die Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in der Zeit des NS-Terrors (1933–45) in den Fokus dieser Studie (Kapitel 3:Lebenswelten und Verfolgungsschicksale im nationalsozialistischen Baden und Württemberg). Hier gilt es, die sukzessive entstehende Repression gegen die von homosexuellen Männern frequentierten Lokale, Vereine und Treffpunkte bis zur Zurückdrängung und Zerstörung der Lebenswelten zu untersuchen. Dabei ist die These leitend, dass die Ereignisse um den 30. Juni 1934 und die schlagartig einsetzende Verfolgung homosexueller Männer als Staatsfeinde sowie die Verschärfung des § 175 RStGB im Jahr 1935 für homosexuelle Männer in Baden und Württemberg ähnliche Auswirkungen gehabt haben dürften wie im übrigen Reichsgebiet. Schwerpunktsetzungen erfolgen hier im Hinblick auf die Lebenswelten im Kontext der Verfolgungsinstitutionen wie Strafvollzug und Heil- und Pflegeanstalten, im Hinblick auf das Verfolgungsschicksal Kastration und die Verbringung in NS-Konzentrationslager als Sondermaßnahme. Dieses Kapitel endet mit einem Unterkapitel zu Lebenswelten trotz Verfolgung im Schweizer Exil.

Abschließend gilt es nach der Situation homosexueller Männer im demokratischen Baden und Württemberg als Teil der Bundesrepublik Deutschland zu fragen (Kapitel 4:Lebenswelten und Verfolgungsschicksale im bundesrepublikanischen Baden-Württemberg). Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich hier vorwiegend auf die Jahre 1949–1969. Sie fragt somit dezidiert nach Fluchtlinien und Kontinuitäten der Verfolgung, einer spezifisch neuen Verfolgungsqualität unter demokratischem Vorzeichen und hat dabei sowohl institutionelle wie personelle Kontinuitäten im Blick. Gerade die Präsentation von Verfolgungsschicksalen der vor 1960 homosexuell lebenden Männer ist durch das zunehmende Versterben von Zeitzeugen besonders dringlich. Zugleich fragt die Studie dezidiert nach den Lebenswelten homosexueller Männer und den emanzipatorischen Bemühungen der Akteure der Homophilenbewegung sowie nach den Liberalisierungsbestrebungen im bundesrepublikanischen Baden-Württemberg. Den Schlusspunkt der Studie bildet das Jahr 1969, in dem der sogenannte Homosexuellenparagraf zwar nicht abgeschafft, aber entscheidend liberalisiert wurde.119

Mit dieser Schwerpunktsetzung soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Verfolgung homosexueller Männer im bundesrepublikanischen Baden-Württemberg mit dem Jahr 1969 aufhörte. Dem ist nicht so. Der ehemalige Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD), der Bundesanwalt a. D. Manfred Bruns (1934–2019) hat während der Tagung »Späte Aufarbeitung. Lebenswelten von LSBTTIQ-Menschen im deutschen Südwesten.« (27.–28.06. 2016, Bad Urach) betont, dass gerade das Enden vieler wissenschaftlicher Arbeiten mit der historischen Zäsur der großen Strafrechtsreform vom 1. September 1969 problematisch sei, da dies suggeriere, nach dieser habe keine Strafverfolgung mehr stattgefunden.120

Diese zeitliche Fokussierung der Studie birgt eine weitere Problematik. Sie könnte den Eindruck erwecken, die Geschichte der Emanzipation homosexueller Männer sei eine fortwährende, linear sich entwickelnde Erfolgsgeschichte. Gerade aktuelle Zahlen zu Hassverbrechen auch in Baden-Württemberg zeigen, dass homosexuelle Männer wieder zunehmender gesellschaftlicher Repression ausgesetzt sind.121

Anregen möchte diese Studie zu einer weiteren Erforschung der Geschichte homosexueller Lebenswelten und Verfolgungsschicksale im deutschen Südwesten auch nach der Strafrechtsreform vom 1. September 1969 bis zur endgültigen Streichung des so genannten Homosexuellenparagrafen im Jahr 1994.122

1 Friedrich Enchelmayer (1908–1940, KZ Neuengamme) StAL E 356 d V Bü 1890. Brief aus dem Zuchthaus Ludwigsburg v. 26.06.1938 an seine Mutter Marie Enchelmayer.

2 Fritz Bauer in: Bauer, Fritz (1967): »Sexualtabus und Sexualethik im Spiegel des Strafgesetzes«. In: Bauer, Fritz; Nass, Gustav: Humanistische Union, Bd. 16. Schuld und Sühne in der Bundesrepublik. München 1967, S. 19.

3 Otto Hug in »Deutsche Kameraden antworten …« In: Der Kreis. Eine Monatsschrift. Le Cercle. Revue Mensuelle. 17. Jg., H. 3, 1949, S. 6–7, 23, hier S. 23.

4 Otto R. Brief an den Medizinalrat Dr. Overhamm. Offenburg, 13.02.1938, S. 1 (Abschrift). StAF A 43/1 Nr. 872, Bl. 246.

5 Paul Honold, zit. n. Med. Gutachten des Gesundheitsamtes Konstanz, 08.01.1938, S. 20. StAF D 81/1 Nr. 534, Nr. 4.

6 Richard Moosdorf (0029/BMH/0029). Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, 19. September 2016 (Stuttgart). Durchführung: Karl-Heinz Steinle, Andreas Pretzel und Benjamin Bayer.

7 Die Gedenkkarte des Projektes »Der Liebe wegen« zeichnet viele Schicksalswege Betroffener nach und dokumentiert ihre Verfolgung. Auf diese sei hier ausdrücklich verweisen: www.der-liebe-wegen.org.

8 Vgl. zu dieser Einschätzung Bogen 2013, S. 317.

9 Vgl. Pretzel 2014. Lebenswelten homosexueller Männer waren vielfach durchdrungen von und verwoben mit denen lesbischer Frauen, sowie mit denen transsexueller, transgender und anderer queerer Personen. Siehe zur Analyse von »homosexuellen Lebenswelten« sowie der Skizzierung von Schnittmengen zwischen den Lebenswelten homosexueller Männer und Frauen auch die Publikation von Herzer 2014. Zum Begriff Queer vgl. Jagose 2001 (1996). Die Verwendung dieser zeitgenössischen Begriffe und Zuschreibungen in Bezug auf historische Subjekte ist nicht unproblematisch. Siehe zur Verwendung des Begriffs »queer« im historischen Kontext auch Munier, Julia Noah (2016): »Schräg sein, seltsam und verqueren – Queer und Queering«. URL: http://www.lsbttiq-bw.de/2017/02/09/schraeg-sein-seltsam-und-verqueren-queer-und-queering/, 17.07. 2017.

10 Vgl. Foucault 1983 (1976), S. 47. Homosexualität ist nach Foucault ein spezifisch modernes Phänomen. Im Kontext medizinischer, sexologischer Forschungen wird »Der Homosexuelle« um 1870 als ein spezifischer Personentypus begriffen. Davor bestand die Identitätskategorie des Homosexuellen nicht, wenngleich gab es gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen in der so genannten okzidentalen Kultur auch vor dem Beginn der Moderne. Obwohl der Begriff des Schwulen auch in Württemberg bereits in den 1920er Jahren als Selbstbezeichnung verwendet wurde (Vgl. StA Ludwigsburg F 302 I Bü 794, Auftragserledigung des Württ. Landjägerkorps, v. 06.04.1925 an das Amtsgericht Leonberg, S. 5. Hier spricht der damals noch nicht so genannte Sexarbeiter Wilhelm S. davon mit Männern »Schwule verkehrt« [sic!]« zu haben), ist der Begriff des Schwulen auch als Aneignung eines negativ konnotierten Schimpfwortes tendenziell als eine Identitätsbezeichnung zu verstehen, die im Kontext der bundesdeutschen Schwulen und Schwul-Lesbischen Emanzipationsbewegung in den 1970er und 1980er Jahren Bedeutung erlangte. Dabei zielte das Selbstkonzept des Schwulen historisch nicht nur auf juristische Anerkennung, sondern verschränkte sich im Rahmen neuer sozialer Bewegungen immer wieder auch mit radikaler Gesellschaftskritik. Nicht zuletzt wenden sich schwule Männer seit den 1970er Jahren damit auch gegen das im Kontext pathologisierender medizinisch-sexologischer Schriften virulent gewordene Konzept der Homosexualität und dessen Konnotationen. Zur Verwendung des Begriffs bereits in den 1920er Jahren in Württemberg vgl. auch StAL F 302 II Bü 207: »Er tritt mit einer gewissen Selbstgefälligkeit in der Rolle des homosexuell veranlagten jungen Mannes auf, benützt die in diesen Kreisen üblichen Fachausdrücke: ›Strichjunge‹, ›Schwule‹, ›Typ‹ usw. […].« Gutachten des Amtsarztes beim Polizeipräsidium Stuttgart v. 18.05.1925 betreffend Theodor F., S. 3.

11 Mit Fritz Bauer ließe sich konstatierten, dass »[a]lle Formen der Homosexualität […] Ausdrucksweise[n] der hohen Variabilität sexuellen Verhaltens [sind]. Homosexualität und Heterosexualität sind kein Entweder-Oder. Die Welt läßt sich, um mit dem Kinsey-Report zu sprechen, nicht in schwarze und weiße Schafe aufteilen. Die lebende Welt ist in allen Teilen ein Kontinuum.« Bauer 1967, S. 9. Karl Jaspers räumte sogar die Unmöglichkeit einer Definition der Homosexuellen ein, als er in seiner Allgemeinen Psychopathologie, die erstmals 1913 erschien, schrieb: »Die Homosexuellen sind offenbar gar nicht auf einen Nenner zu bringen.« Jaspers 1946, S. 529. Lebenswelten homosexueller Männer sind zumindest in den städtischen Zentren Badens und Württembergs bzw. des späteren Baden-Württembergs oft nicht zu trennen von denen lesbischer Frauen und den damals noch nicht so genannten Queers, Transsexuellen, Transgendern u. a. Es steht zu vermuten, dass auch lesbische Frauen immer wieder im Kontext von, von homosexuellen Männern frequentierten Treffpunkten Orte fanden, an denen sie selbstbestimmt ihr Begehren und ihre Sexualität leben konnten und vielleicht diese Orte gerade selbst auch schufen und aufrechterhielten. Weiter ist die These aufzustellen, dass Tanz- und Bühnenshows, in denen traditionell auch Cross-Dressing-Auftritte ihren Platz hatten, zu den Höhepunkten kultureller Festivitäten gehörten und sie damit untrennbarer Teil der Lebenswelten homosexueller Männer waren. Zum Begriff der »Tante«, wie sich Male-to-female-cross-dresser, Dragqueens oder Transvestiten, aber auch effeminierte homosexuelle Männer in den 1920er Jahren zu nennen pflegten, vgl. Keilson-Lauritz 2005. Dennoch gab es Orte und Treffpunkte, an denen vornehmlich bis ausschließlich homosexuelle Männer zusammenkamen, man denke an die trotz Strafandrohung und -verfolgung gewissermaßen zu »sexuellen Freiräumen« umfunktionalisierten öffentlichen Bedürfnisanstalten.

12 Pretzel 2014, S. 53.

13 In der Perspektive einer praxeologischen Geschichtswissenschaft gilt es »körperlich tätige Akteure in dem Vollzug ihrer Handlungen zu untersuchen.« Reichardt 2007, S. 44. Im Unterschied zu strukturalistischen kulturtheoretischen Ansätzen »wird das Subjekt nicht nur als Exekutor kultureller Strukturen, sondern auch als deren Schöpfer verstanden.« Reichardt 2007, S. 50. Zur praxeologischen Perspektive in der Geschichtswissenschaft siehe den wegweisenden Artikel von Reichardt, Sven (2007): »Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung«. In: Sozial. Geschichte 22, S. 43–65. Siehe zur Erforschung von Lebenswelten in einer praxeologischen Perspektive auch Reichardt, Sven (2014): Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren. 2. Aufl. Berlin.

14 Butler versteht Subjektivierung (Subjektivation) mit Bezug auf den französischen Philosophen Louis Althusser als den Prozess des Unterworfenwerdens durch Macht, der gleichzeitig einer der Subjektwerdung ist. Vgl. Butler 2001 (1997), S. 8.

15 Pretzel 2014, S. 48.

16 Vgl. Grau 2011, S. 211 ff. u. Pretzel 2005, S. 223 ff.

17 Vgl. hierzu Bogen; Schicklang; Weinschenk 2016, S. 1.

18 Z. B. von Ralf Bogen und William Schaefer. Siehe Literaturverzeichnis.

19 Die aus dem Umfeld neuer sozialer Bewegungen in den 1980er Jahren erwachsene in sich heterogene Position der »Alltagsgeschichte« beanspruchte eine Perspektivierung auf Alltags- und Mikrogeschichte von Individuen jenseits sozialhistorischer überindividueller Leitkategorien wie »Staat« und »gesellschaftlichen Strukturen« oder hegemonialen Narrativen wie »Industrialisierung« oder »Modernisierung«. Vgl. Metzler 2018, S. 200. Aus der Perspektive der in den 1970er Jahren prominenten westdeutschen Sozialgeschichte galten alltagshistorische Fragestellungen oftmals als irrelevant, da diese »nicht die Geschichte als Ganzes in den Blick nahmen.« Ebd., S. 201. Der Vertreter der Bielefelder Schule und Begründer der historischen Sozialwissenschaft Hans-Ulrich Wehler sah sich auch deshalb seinerzeit veranlasst von den sogenannten »Alltagshistorikern« polemisch als den »alternativkulturellen Barfußhistorikern« zu sprechen. Gegen diese meinte Wehler das »Projekt der westlichen Moderne und die Rationalität des sozialen Rechtsstaates« verteidigen zu müssen. Vgl. ebd., S. 202 und Wehler, Hans-Ulrich (1985): »Geschichte von unten gesehen. Wie bei der Suche nach dem Authentischen Engagement mit Methodik verwechselt wird«. In: Die Zeit, 03.05.1985. Eine Geringschätzung der Forschungen zur Verfolgung homosexueller Männer zeigte sich in einer weitgehenden Nichtbeachtung dieser durch eine etablierte institutionalisierte historische Forschung in der Geschlechter- und Sexualgeschichte wenn nicht diskreditiert oder als erforschungsunwürdig abgetan, so doch traditionell marginalisiert wurde.

20 Vgl. für Berlin in der NS-Zeit etwa Pretzel; Roßbach 2000. Vgl. für Hamburg Micheler; Terfloth 2002. Für Hamburg von 1919 bis 1969 vgl. Rosenkranz; Bollmann; Lorenz 2009. Vgl. für die NS-Zeit und die Stadt Köln: Centrum Schwule Geschichte 1998 u. Müller 2003. »Die Homosexuellenpolitik des NS-Regimes ist gekennzeichnet durch eine vormals unvorstellbare, programmatisch aber durchaus gewollte Radikalisierung der Verfolgung (Grau 1993). Untersuchungen zur Verfolgungspraxis haben die dominierende Rolle des Polizeiapparates, die Impulse der Radikalisierung und auch die lange vernachlässigte Rolle der NS-Justiz aufgezeigt […].« Pretzel 2005, S. 217.

21 Vgl. Pretzel 2005, S. 217.

22 Buddrus 2014, S. 115.

23 Vgl. Schwules Museum, Bestand Tübingen u. Rosa Hilfe Tübingen; Initiativgruppe Homosexualität Tübingen 1987, S. 10 ff.

24 Vgl. Wuttke 1987. Die Ausstellung lief beispielsweise auch in der Neuen Aula der Eberhard-Karls-Universität Tübingen v. 01.12.–16.12.1987 (vgl. Schwules Museum, Bestand Tübingen, Tuete, Tübingen, 12/1987), sowie zuvor (23.04.–20.05.1987) im Haspelturm (Schloss Tübingen). Allerdings wurde für die Ausstellung im Haspelturm eine schwache Publikumsresonanz vermerkt.

25 Vgl. Buddrus 2014. Siehe zu einer Diversifizierung auch Eschebach 2012a.

26 Schwartz, Michael (2019): Homosexuelle, Seilschaften, Verrat. Ein transnationales Stereotyp im 20. Jahrhundert (Schriftenreihe er Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte). Berlin/Boston. Schwartz entfaltet in seiner Forschung das Stereotyp von »Homosexualität, Seilschaften und Verrat« im 20. Jahrhundert. Ausgehend vom »Eulenburg-Skandal« im Wilhelminischen Deutschen Kaiserreich, über die Röhm-Skandale und das Stereotyp von »Verrat und Homosexualität« im Kalten Krieg bis zum »Wörner-Kießling-Skandal« im Jahr 1984, weist der Historiker diese Figurierung für unterschiedliche politisch-historische Kontexte nach. Ihm gelingt es, sie in ihrer jeweiligen Spezifik wie ihren Gemeinsamkeiten kritisch zu beleuchten und dabei auf die Transformation dieser Denkfigur und ihrer Bedeutung abzuheben.

27 Vgl. Grau; Plötz 2017.

28 Vgl. Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg 2015, S. 29–33.

29 Das Akronym LSBTTIQ bezieht sich auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle, Intersexuelle und Queers.

30 Vgl. für die Stuttgarter Region Bogen 2013, Bogen 2015a u. b sowie Bogen; Stein 2009 u. für den Kontext Südbaden vgl. Schaefer 2009 u. 2010.

31 Vgl. www.der-liebe-wegen.org. Auf der zum 27.01.2017 symbolhaft gelaunchten Website machen u. a. Werner Biggel, Ralf Bogen, Rainer Hoffschildt und William Schaefer anhand einer digitalen Landkarte »das § 175-Unrecht« sichtbar. Das Projekt wurde 2018 mit dem Landespreis für Heimatforschung Baden-Württemberg ausgezeichnet.

32 Vgl. Steinle 1998.

33 Verantwortlich für den Aufbau der Website im Rahmen des Public-History-Projekts war die Historikerin Nina Reusch. Weitergeführt wurde sie von Karl-Heinz Steinle und Kirsten Plötz.

34 U. a. wurden von der Autor_in dieser Studie folgende Vorträge gehalten: »Die Homophilenbewegung im deutschen Südwesten als Akteur der Anerkennung« (Vortrag im Rahmen der Fachtagung der Fachgesellschaft Homosexualität und Geschichte sowie der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber am 5. Oktober 2019 im Lern- und Gedenkort Hotel Silber, Stuttgart). »Verbergen oder Zu-sehen-Geben? Selbstbildung in den Gefängnisarbeiten Marcus Behmers« (Vortrag im Rahmen der Tagung »Anfangen und Beenden«, 27.–29.06.2019, C.v.O. Universität Oldenburg); »Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg 1933–1945« (Vortrag im Kontext der Fachkonferenz »Weißer Fleck. Unerforschte Verfolgung von Schwulen und Lesben im Saarland 1933–1994« des »Arbeitskreis Erforschung Geschichte der Homosexualitäten in Saarbrücken und im Saarland«, Rathausfestsaal Saarbrücken, 17.10.2018; »Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg 1933–1969«, Vortrag im Rahmen des wissenschaftlichen Kolloquiums »Forum Landesgeschichte« im Generallandesarchiv Karlsruhe (04.05.2018); Lebenswelten homosexueller Männer in Baden und Württemberg im NS und nach 1945« (Vortrag und Podiumsdiskussion; »§ 175: Wenn ein Mann mit einem Mann …« Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Konzeption: Nicola Wenge, Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Stadthaus Ulm, 27.01.2018); »Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer im Südwesten der jungen Bundesrepublik« (Vortrag im Rahmen der Tagung »Verfolgung – Diskriminierung – Emanzipation. Homosexualität in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg«, Akademie für Politische Bildung Tutzing, Leitung: Michael Mayer/Michael Schwartz, 26.–28.05.2017); »Die Erforschung von Lebenswelten und Verfolgungsschicksalen homosexueller Männer im NS und in der BRD in der Perspektive einer historisch-praxeologischen Forschung« (Oldenburg School for the Social Sciences and the Humanities/Alumni Summer School. 05.–18.09.2016, C.v.O. Universität Oldenburg); »Historische Praxeologie als methodischer Ansatz zur Erforschung historischer Lebenswelten von LBTTIQ-Menschen« (Input im Rahmen des Workshops »Lesbische-Geschichte, Trans*-Geschichte, Inter*Geschichte. Forschungsdesiderate und methodische Zugänge«, Forschungsstelle Ludwigsburg/Universität Stuttgart, 23.09.2016, Konzeption: Nina Reusch).

35 URL: http://mh-stiftung.de/en/zeitzeug_innen-interview-projekt-der-bundestiftung-magn us-hirschfeld/, 30.08.2016. Die Interviews werden durch das »Archiv der Anderen Erinnerungen« nach in der NS-Zeitgeschichtsforschung erprobten Interview-Methoden geführt. Die bekannte Unterstrichform dient ebenso wie das Gender-Sternchen dem Aufbrechen konventioneller heteronormativer Gendervorstellungen und schafft Raum für geschlechtliche Identitäten jenseits von Zweigeschlechtlichkeit. Vgl. hierzu Hornscheidt; Nduka-Agwu 2010, S. 36 ff.

36 Bei den Namen ,,Alfred« und ,,Heinz Schmitz« handelt es sich um selbstgewahlte Pseudonyme der lnterviewten.

37 Zur Überlagerung des individuellen Gedächtnisses mit anderen Inhalten des »kollektiven Gedächtnisses« vgl. z. B. die Studie von Welzer; Moeller; Tschuggnall 2005, in der die Mechanismen der Überlagerung im Familiengedächtnis beschrieben werden. Grundlegend zu den Überschreibungen im Gedächtnis und ihrer Theoretisierung siehe Sigmund Freuds Überlegungen zum Wunderblock.

38 Günter Grau konstatiert, dass die Bezeichnung »widernatürliche Unzucht« als Bezeichnung für Homosexualität ihrem Ursprung nach auf die Naturrechtslehre Ende des 18. / Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgeht. »Als ›widernatürlich‹ galten Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die einer angenommenen ›Natur des Menschen‹ zuwiderlaufen bzw. gegen behauptete ›Gebote der Natur‹ verstoßen sollten. Unterschieden im sexuellen Verhalten wurde zwischen ›Sünden innerhalb der Natur‹ (vorehelicher Geschlechtsverkehr, Ehebruch, Vergewaltigung, Inzest) und ›Sünden außerhalb der Natur‹ (Onanie, gleichgeschlechtliche Sexualpraktiken, sexueller Missbrauch von Tieren).« Grau 2011, S. 326 f. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Terminus eingeschränkt für gleichgeschlechtliche Sexualpraktiken sowie für den Missbrauch von Tieren verwendet. Im Wilhelminischen Deutschen Kaiserreich »[…] bestrafte der § 175 RStGB von 1871 als ›widernatürliche Unzucht‹ sexuelle Praktiken (nur) unter Personen männlichen Geschlechts sowie mit Tieren […]. Der Tatbestand galt erfüllt nach Vornahme beischlafähnlicher Handlungen.« Ebd., S. 327. Grau konstatiert, dass als beischlafähnliche Handlungen nur »After-, Mund- und Schenkelverkehr« galten. Onanie vor, an oder mit einem Mann zählte nicht dazu. Vgl. Grau 2004, S. 93. Zur Sanktionierung von gleichgeschlechtlichen Handlungen im Kontext der jüdisch-christlichen Tradition u. Morallehre o. Ä. vgl. Bleibtreu-Ehrenberg 1978.

39 Vgl. Burgi; Wolff 2016, S. 11. Burgi und Wolff bezeichnen als sogenannte einfache Homosexualität »sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern ohne Vorliegen weiterer Umstände.« Ebd.

40 Burgi; Wolff 2016, S. 20 f. Vgl. auch Grau 2004, S. 93 ff.

41 Vgl. zur problematischen Überlieferungssituation z. B. von Gestapo-Akten in Württemberg und Hohenzollern auch Bauz; Brüggemann; Maier 2013b, S. 15. Vgl. zur Situation der Gestapo-Akten für Baden auch Stolle 2001. Vgl. zur eingeschränkten Überlieferung zentraler § 175-Aktenbestände für Südbaden auch Schaefer 2015, S. 4 ff.

42 So liegt der Fokus in der Weimarer Republik auf Württemberg mit Stuttgart, weil hier die Quellenlage weitaus reichhaltiger ist als im Raum Baden.

43 Holy 2017, S. 217, Hervorh. i. Orig.

44 Dieser Teil erschien in einer veränderten Fassung bereits in der von der Landeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Publikation von Martin Cüppers u. Norman Domeier (2018). Vgl. Munier 2018.

45 Z. B. Amtsgerichtsprozessakten, Landesgerichtsprozessakten, Prozessakten von Oberlandesgerichten.

46 Der Begriff des Verfolgungsschicksals setzt sich aus den Wörtern »Verfolgung« und »Schicksal« zusammen. Dem Begriff des Schicksals wohnen etymologisch durch die Begriffe des »Schickens« bzw. der »Schickung« Konnotationen zu einer göttlichen Anordnung oder Bestimmung inne. In Abgrenzung zu der Vorstellung einer göttlichen Schickung, betont der Begriff des Schicksals in der Verbindung mit dem Begriff der Verfolgung aus einer gegenwärtigen säkularen Perspektive die Geworfenheit und tendenzielle Reduktion der eigenen Handlungsmacht in einer staatlichen Verfolgungssituation. Vgl. zur Etymologie auch Duden, das Herkunftswörterbuch 2014, S. 734, sowie Etymologisches Wörterbuch des Deutschen 1993, S. 1196.

47 Buddrus bezieht sich in seiner Studie für den Kontext Mecklenburg vorwiegend auf Häftlingsakten der zentralen mecklenburgischen Landesstrafanstalt Dreibergen-Bützow, da Großteile der mecklenburgischen Justizakten der Amts-, Landes- und Oberlandesgerichte vernichtet wurden. Vgl. Buddrus 2014, S. 116.

48 Vgl. Buddrus 2014, S. 117.

49 Ebd.

50 Vgl. ebd., S. 117 f. Der Mehrwert einer solchen Information besteht etwa darin, dass bei der Ingewahrsamnahme von Personen ohne Prozess – im Sinne staatlicher Willkür – gegen jegliches Recht entschieden wurde. Lag der Zuständigkeitsbereich der Verfolgung homosexueller Männer in dem der Kriminalpolizei oder dem der Gestapo, so können Rückschlüsse darüber getroffen werden, ob die Männer als Kriminelle oder als Staatsfeinde verfolgt wurden. Zur Verfolgung als Staatsfeinde vgl. Pretzel 2005.

51 Vgl. Buddrus 2014, S. 118.

52 Eine Spezialzuständigkeit bei der Polizei konnte Ralf Bogen bei der Untersuchung der Verfolgung homosexueller Männer in Stuttgart der 1950er Jahre ausmachen. Bogen hebt in seinem Aufsatz von 2015 auf die Dienststelle »Sitte« der Stuttgarter Polizei ab. Vgl. Bogen 2013, S. 317. Vgl. auch Bogen 2015a, S. 36–43, hier S. 36 f. Sowie StAS 15/1 Nr. 100, Bl. 23, Bekämpfung des Strichjungen-Unwesens, hier: Situation in Stuttgart am 25.05.1956.

53 Buddrus 2014, S. 118.

54 Ebd., S. 119.

55 Ebd.

56 Ebd.

57 Vgl. Peters 2004, S. 11.

58 Ebd.

59 So problematisierte beispielsweise die Bundestiftung Magnus Hirschfeld, dass das StrRehaHomG Urteile nicht berücksichtigte, denen »sexuelle Handlungen mit Personen unter 16 Jahren« zugrunde liegen. In der Presserklärung »EIN HISTORISCHER TAG – Bundestag beschließt Rehabilitierungsgesetz« heißt es: »Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bedauert diese nachträgliche, von der CDU/CSU geforderte Einschränkung, die die Verurteilungen wegen einvernehmlicher sexueller Handlungen mit Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren trifft.«. URL: https://mh-stiftung.de/2017/06/22/ein-hist orischer-tag-bundestag-beschliesst-rehabilitierungsgesetz/, 10.04.2019.

60 Vgl. hierzu auch den Ansatz von Walter; Klecha; Hensel (2014, Kapitel »Irrungen oder Zeitgeist?«), die in einem anderen komplexen Feld eine Orientierung an gegenwärtigen Normvorstellungen als Orientierung vorschlagen.

61 Vgl. zu dieser Einschätzung auch Wachsmann 2006 (2004), S. 10. Vgl. auch Grau 2011, S. 87. Als Unrecht qualifiziert wurden 2002 »[…] zwischen 1933 und 1945 ergangene Urteile nach § 175 (einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern) sowie nach § 175 a, Abs. 4 (männliche Prostitution). Auf die Ausklammerung der nach § 175 a, Abs. 1–3 […] verurteilten Männer ging der Gesetzgeber nicht weiter ein.« Ebd.

62 Die Begriffe Pädosexualität und Pädophilie beziehen sich auf sexuelles oder sexualisiertes Verhalten von erwachsenen Personen gegenüber Kindern. Der Begriff Päderastie ist hier weniger trennscharf und bezeichnet sexuelles oder sexualisiertes Verhalten von erwachsenen Personen gegenüber pubertierenden Jungen.

63 1994 wurde mit der ersatzlosen Streichung des § 175 StGB das Schutzalter auf 14 Jahre festgesetzt.

64 Zur Appropriation päderastischer Konzepte im Kontext der ersten deutschen homosexuellen Emanzipationsbewegung vgl. z. B. die Hefte des von Adolf Brand herausgegebenen Zeitschrift »Der Eigene«. Vgl. z. B. wiederholt Figurierungen in Hohmann 1981. Exemplarisch auch die Figurierung eines »Herme Bekränzenden Jünglings« aus dem Heft 6, 1905. Siehe auch die Akt-Fotografie von Wilhelm von Gloeden (1856–1931) und ihre Rezeption im Kontext homosexueller Kreise. Meines Wissens steht eine systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Teil der Verschränkung homosexueller Emanzipationsbestrebungen und päderastischer Organisierung weiterhin aus. Ansätze finden sich in Mildenberger 2006, Dobler; Rimmele 2008 u. Walter; Klecha; Hensel 2015. Der Begriff der Homophobie impliziert, dass anti-homosexuelle Vorurteile eine individuelle und zudem klinische Angelegenheit sind. Vgl. Schmidt; Sielert 2008, S. 265. Mit dem Begriff der »Homonegativität« (Hudson u. Ricketts 1980) kann der psychologisch-klinische Impetus von »Homophobie« umgangen werden. In neueren sozialwissenschaftlichen Studien wird wiederholt der Begriff der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit verwendet.

65 Während in den Gender Studies der Practice- oder Performative-Turn längst vollzogen ist, steht dieser in der Historiografie der Homosexualitäten noch aus. Das Projekt »LSBTTIQ in Baden und Württemberg. Lebenswelten, Repression und Verfolgung im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland« nimmt in dieser Hinsicht eine Vorreiterposition ein, in dem historische Lebenswelten homosexueller Männer praxeologisch untersucht werden.

66 Haasis; Rieske 2015, S. 13.

67 Reichardt 2014, S. 74.

68 Haasis; Rieske 2015, S. 12 f. Binnenzitat: Füssel 2003, S. 152.

69 Vgl. Alkemeyer; Budde; Freist 2013.

70 Alkemeyer 2000, S. 104. Edmund Husserl fasst die Lebenswelt phänomenologisch als »Welt der natürlichen Einstellung«. Er geht von einer apriorischen Lebenswelt aus. Als Lebenswelt bezeichnete er die Welt, in der wir immer schon leben. Der durch Husserls Denken maßgeblich geprägte Soziologe Alfred Schütz (1899–1959) versteht unter »Lebenswelt« jenen Wirklichkeitsbereich, den der »[…] Erwachsene in der Einstellung des gesunden Menschenverstandes als schlicht gegeben vorfindet.« Schütz; Luckmann 1975, S. 23. Ein Plural der Lebenswelten wäre diesem Verständnis nach sinnlos. Der Begriff der Lebenswelt im Plural, d. h. der der Lebenswelten, hat sich in gegenwärtigen soziologischen Forschungen durchgesetzt und verweist u. a. auf unterschiedliche subkulturelle Strukturen. Teilweise verwende ich in dieser Arbeit auch den Begriff der lebensweltlichen Gefüge. Der von Deleuze/Guattari geprägte Begriff des Gefüges ergänzt hier den der Lebenswelt. Konnotiert der Begriff der Lebenswelt tendenziell einen abgeschlossenen Bereich der sozialen Welt, so betont der des lebensweltlichen Gefüges die dynamische Formierung des Sozialen in Interaktionen und die tendenzielle Unabgeschlossenheit dieses Prozesses wie der Lebenswelt. Er betont die Verschränkung, Überlagerung mit anderen Kontexten und Gefügen. Der Begriff des lebensweltlichen Gefüges (Assemblagen, Agencements) betont nicht das Umfassende und Stabile, sondern hebt ab auf kontingente, situative Strukturen die unterschiedliche Elemente des Sozialen einschließen, wie Diskurse, Affekte, Artefakte und Praktiken. Siehe hierzu Deleuze; Guattari 1992 (1980).

71 Zum Begriff der Praktik vgl. Reckwitz 2003, S. 290. Ich begreife Praktiken unter Rekurs auf Theodore Schatzki als »temporally unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings.« Schatzki 1996, S. 89. Schatzki bezieht damit explizit auch Sprachhandlungen in seine Überlegungen mit ein. Vgl. Haasis; Rieske 2015, S. 16.

72 Es geht hier eben nicht lediglich um eine Bestandsaufnahme der Lokale, Gaststätten, Treffpunkte, Vereine, Bars, Tanzlokale und Clubs in denen zumindest zeitweilig viele oder vorwiegend homosexuelle Gäste verkehren. Dazu gehören ebenso Parks, Friedhöfe, bestimmte städtische Zonen wie Straßen und Plätze sowie als Klappen bezeichnete öffentliche Bedürfnisanstalten, aber auch öffentliche Schwimm-, Dampf- oder Saunabäder. Vgl. zu dieser Auflistung Köllner 2001, S. 314.

73 Pretzel 2014, S. 52.

74 Vgl. ebd.

75 Ebd., Hervorh. i. Orig.

76 Vgl. Hall 1997.

77 Reckwitz zit. n. Freist 2015, S. 12 f. Vgl. auch Jonas, M.: The Social Site Approach, S. 14 und die dortigen Verweise auf Reckwitz. Vgl. Freist 2015, S. 13.

78 Vgl. Schade; Wenk 1995; 2005 u. 2011. Zur semiologischen Analyse von Text-Bild-Verschränkungen in Bezug auf Ferdinand de Saussures Überlegungen zum Zeichen als Relais siehe auch Schade 2001, S. 376 f. Vgl. auch Wenk 2013.

79 Vgl. Hall 1997, S. 24 u. S. 35.

80 Foucault 1973 (1969), S. 74.

81 Vgl. Butler 2006 (1997).

82 Vgl. Freist 2015, S. 12. Vgl. zur Subjektivierung im Feld visueller Kultur auch Munier 2017.

83 Ich denke z. B. an eine fokussierte Analyse »Der Freundschaft«, »Der Eigene« u. a. Im Hinblick auf die Verfolgung homosexueller Männer in Baden und Württemberg der Weimarer Republik werden somit auch Skandale, wie der sich 1924 in Hannover ereignete, republikweit wahrgenommene Haarmann-Skandal, wirkungsvoll.

84 Vgl. Pretzel 2014, S. 51.

85 Auf dt. auch: »Die Liebe ohne Namen«. Engl.: »The love that dares not speak its name«. Die Phrase entstammt dem Gedicht »Two Loves« von Alfred Douglas. Sie wurde bei dem Prozess gegen Oscar Wilde 1895 erwähnt und ist als Chiffre für Homosexualität zu verstehen. Vgl. Butler 1997 (1993), S. 212.

86 Anfang des 20. Jahrhunderts fungierte beispielsweise der Begriff der »Freundschaft« oder des »Freundes« in Anlehnung an das bürgerliche Freundschaftsideal der deutschen Romantik auch als Code bürgerlicher homosexueller Männer. Vgl. Micheler 2005, S. 160 ff.

87 Vgl. Schwulst e. V.; Weissenburg e. V. 2010, S. 12.

88 Denkbar ist, dass das Leben in Metropolen wie Berlin, Paris und Zürich als Sehnsuchtsraum imaginiert wurde. Einen ersten Hinweis hierauf gibt der aus dem Elsass stammende, im besetzten Elsass als homosexueller Mann von den Nazis verfolgte Pierre Seel in seiner Autobiografie. Pierre Seel beschreibt, wie er als siebzehnjähriger junger Mann, kurz vor der NS-Annexion des Elsass, seine sexuelle Orientierung vermittels eines exzentrischen, an einem metropolitanen Zentrum wie Paris orientierten »Look« zu erkennen gab. Vgl. Seel 1996, S. 7. Weitere Sehnsuchtsräume homosexueller Männer lassen sich aus den Publikationen der homosexuellen Emanzipationsbewegung erschließen, sowie aus der Literatur der Zeit. Klassischerweise ist dies um die Jahrhundertwende der Mittelmeerraum und insb. Italien. Vgl. hierzu beispielsweise Thomas Mann: »Der Tod in Venedig« (1912). Inwiefern dies auch für homosexuelle Männer aus dem deutschen Südwesten eine Rolle spielte, wird zu zeigen sein. Vgl. hierzu etwa auch das Gedicht »Blaue Adria« des Anonymus F.B. aus Stuttgart. Hier schreibt der Autor über den Kontext Venedig: »Blaue Adria, dir gilt mein Sehnen, Blaue Adria, dir gilt mein Traum/ Möchte noch einmal mich wieder wiegen/ Auf und ab in deiner Wogen Schaum. […] Möcht in lauen, sammetweichen Nächten/ Bei des Mondes blassem Silberstrahl/ Wieder in den schwarzen Gondeln gleiten/ Lautlos durch die Brücken am Kanal. Möchte wieder rote Rosen pflücken/ Von des schönen Schifferjungen Mund/ Und an seinem liebevollen Herzen/ Ruhen bis zu früher Morgenstund.« Das Freundschaftsblatt 10. Jg., Nr. 45, 10.11.1932, S. 4. Siehe zum Mittelmeerraum als homosexuellem Sehnsuchtsraum auch Aldrich 1993.

89 Vgl. Pretzel 2014, S. 52.

90 Ebd., S. 54.

91 Schwulst. Magazin für Schwule und Lesben in Baden-Württemberg. Das Magazin entstand anlässlich der Ausstellung »Die NS-Verfolgung Homosexueller in Stuttgart sichtbar machen« im Rathaus Stuttgart vom 21.04.–14.05.2010.

92 Vgl. Ebbrecht 2011, S. 222.

93 Klüger 1996, S. 30. Vgl. zum Kitsch der Erinnerung bzw. der Verschränkung von »Kitsch und Tod« in der Erinnerungskultur auch Friedländer 2007 (1982) u. Munier 2017a, u. a. S. 232 ff. u. 279 ff.

94 Jureit; Schneider 2010, S. 10, sowie S. 33 ff.

95 Ebd., S. 33. Zu dieser Diskussion auch Eschebach 2012a und darin insbesondere die Beiträge von Thomas Rahe und Corinna Tomberger. Eschebach formuliert konzis: »Corinna Tomberger argumentiert, dass nachgeborene Schwule heute eine quasi familiäre Verbindung zu verfolgten Homosexuellen in der NS-Zeit behaupten, auf diese Weise würde eine ›Genealogie der Opfer‹ konstruiert. […] Die nachfolgenden Generationen der NS-Verfolgten seien, so Rahes Argument, auch die ›Erben ihrer Ängste‹: ›Die Identität heutiger Homosexueller‹ in Deutschland sei ›durch das Trauma der nationalsozialistischen Verfolgung mitbestimmt‹. Eschebach 2012b, S. 17 f., Hervorh. i. Orig.

96 Pretzel 2014, S. 52.

97 Vgl. ebd.

98 Ebd.

99 Ebd.

100 Vgl. Pretzel 2014, S. 53 f. Die homosexuellen Männer wissenschaftlich als historische Akteure wahrzunehmen bedeutet überdies auch einer möglichen Verstrickung dieser Männer in NS-Institutionen gegenüber offen zu sein. Bei entsprechender Quellenlage sind auch homosexuelle NS-Akteure zu berücksichtigen. Vgl. Dobler 2014. Vgl. hierzu auch bereits Haug 1981. Sowie die Kritik seitens der homosexuellen Forschungscommunity. Vgl. Bohn; Schimmel; Seidel 1982. Aus einer heutigen Perspektive scheint Haugs Analyse in der einseitigen Fokussierung und gerade auch als freistehender Text problematisch, der Tendenz nach aber durchaus nicht verfehlt. Vgl. hierzu Haug 1981. Z. B. gilt es die mögliche Faszination des Nationalsozialismus gerade auch für homosexuelle Männer in den frühen 1930er Jahren weiter zu erforschen. Siehe hierzu auch Schwartz 2018. Ich komme darauf im Kapitel 3.1 zurück.

101 Vgl. Pretzel 2014, S. 53.

102 Ebd.

103 (Süd-)Baden war Teil der französischen Besatzungszone. Hauptstadt war Freiburg im Breisgau. Das Land umfasste die südlichen Landesteile der früheren Republik Baden. Im Mai 1947 trat die Verfassung in Kraft. Vgl. hierzu auch Schaab; Schwarzmaier 2003, S. 477–517.

104 Das Land Württemberg-Baden wurde im Jahr 1945 von der US-amerikanischen Militärregierung gegründet und war Teil der US-amerikanischen Besatzungszone. Württemberg-Baden umfasste die Region des nördlichen Teils des ehemaligen Landes der Weimarer Republik Baden und den nördlichen Teil des ehemaligen Landes der Weimarer Republik Württemberg. Landeshauptstadt war die Stadt Stuttgart. Die Annahme einer demokratischen Verfassung erfolgte im Nov. 1946. Am 23.05.1949 wurde Württemberg-Baden Teil der Bundesrepublik Deutschland. Von 1945 bis 1952 war Reinhold Maier (DVP) Ministerpräsident des Landes Württemberg-Baden. Vgl. hierzu auch Schaab; Schwarzmaier 2003, S. 343–439.

105 Wie Baden war Württemberg-Hohenzollern mit der Hauptstadt Tübingen (erst Freudenstadt) Teil der französischen Besatzungszone. Die südlichen Teile Württembergs und die ehemaligen preußischen Hohenzollerschen Lande wurden zu Württemberg-Hohenzollern vereint. Die Volksabstimmung über die Verfassung und die erste Landtagswahl fanden am 18.05.1947 statt. Vgl. zu der Entwicklung in Württemberg-Hohenzollern auch Schaab; Schwarzmaier 2003, S. 441–476.

106 Die beiden preußischen Landkreise Sigmaringen und Hechingen bildeten den Regierungsbezirk Sigmaringen oder die Hohenzollernschen Lande.

107 Nach der Absetzung des Kaiser Wilhelm II. in Berlin am 09.11.1918 wurden in Baden und Württemberg Revolutionsregierungen eingesetzt. Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart 2002, S. 134. Am 22.11.1918 bildete sich die Demokratische Republik Baden (Verfassung v. 21.03.1919). Die neue württembergische Verfassung v. 25.09.1919 bezeichnete Württemberg als Glied des Deutschen Reiches. Vgl. Schaab; Schwarzmaier 2007, S. 82.

108 Siehe hierzu die bahnbrechende zweibändige Studie von Engehausen; Paletscheck; Pyta 2019 zur Geschichte der badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Prozess der »Verreichlichung« geriet alsbald ins Stocken und die meisten Landesbehörden wurden nicht aufgelöst. Vgl. ebd., S. 4, sowie die wegweisenden Beiträge in den Bänden zu den Innen- und Justizministerien in Baden und Württemberg.

109 Reusch 2016a.

110 Ich denke hierbei u. a. an die wichtige Funktion der Schweiz. Im Schweizer Strafrecht von 1942 wurde der Strafrechtsparagraf, der konsensuelle homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern unter Strafe stellte, abgeschafft. Somit eröffnete sich in der Schweiz und vor allem in den städtischen Zentren Möglichkeitsräume homosexueller Lebenswelten. Erinnert sei an die ursprünglich von lesbischen Frauen gegründete Homosexuellenorganisation »Der Kreis«. Diese in Zürich bestehende Organisation und ihre Mitglieder standen auch nach 1945 mit homosexuellen Männern aus der Region des heutigen Baden-Württembergs im Kontakt. Ihre gleichnamige Zeitschrift wurde auch hier verbreitet. Nach § 175 bzw. § 175 a (R)StGB verfolgte Männer aus Deutschland hatten über diese Schweizer Kontakte die Möglichkeit illegalisiert in die Schweiz einzureisen. Siehe auch meine Ausführungen in Kapitel 3.3.

111 Vgl. hierzu allg. die Forschungen von Albert Knoll.

112 Vgl. hierzu Röll 1992.

113 Vgl. Müller; Sternweiler 2000.

114 Vgl. z. B. Weber; Wehling 2007, S. 100.

115 Vgl. Schlagdenhauffen 2014, S. 78 f. Vgl. auch den Vortrag »Homosexualität in Baden und im annektierten Elsaß 1940–1944, ein Vergleich« von Frédéric Stroh im Generallandesarchiv in Karlsruhe v. 04.05.2018. Siehe auch Schwab 2018 u. Stroh 2019a u. b.

116 Erschienen in Englischer Sprache unter dem Titel »Outlawed desires: punishing ›homosexuals‹ in annexed Alsace (1940–1945)«. In: Clio. Women, Gender, History, Nr. 39 (2014), S. 78–99.

117 Stroh, Frédéric (2017): »Être homosexuel en Alsace et Moselle annexées de fait«. In: Schlagdenhauffen, Régis (Hg.): Homosexuel.le.s en Europe pendant la Seconde Guerre mondiale. Paris: Nouveau Monde éditions, S. 85–104 sowie die bisher unveröffentlichte Doktorarbeit des Historikers Frédéric Stroh (2019): Justice et homosexualité sous le national-socialisme. Ètude compare du pays de Bade et de l’Alsace. Université de Strasbourg.

118 Erinnert sei an Tätigkeiten in Steinbrüchen denen die Häftlinge ausgesetzt waren. Extrem schwere körperliche Arbeit diente der »Vernichtung durch Arbeit« beispielsweise in Konzentrationslagern wie Buchenwald, Mauthausen oder Natzweiler-Struthof. Zinn konstatiert mit Bezugnahme auf den homosexuellen Buchenwaldüberlebenden Rudolf Brazda (1913–2011): »Fast alle Homosexuellen müssen im Steinbruch arbeiten, der der Vernichtung durch Arbeit dient.« Zinn 2011, S. 231. Vgl. auch Knoll (2000a, S. 20) der für das KZ Dachau beschreibt, dass die Rosa-Winkel-Häftlinge »erschwerten Arbeitsbedingungen« an der Walze oder in der Kiesgrube ausgesetzt waren. Siehe zur Isolierung homosexueller Männer im KZ Sachsenhausen und zur Vernichtung durch Arbeit im dortigen Klinkerwerk auch Müller; Sternweiler 2000.

119 Mit dem ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts v. 25.06.1969 (in Kraft getreten am 01.09.1969) wurden einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen entkriminalisiert. Sexuell einvernehmliche Handlungen zwischen erwachsenen Männern waren damit in der BRD straffrei. Zu den weiter bestehenden Strafrechtsregelungen und Einschränkungen vgl. Schäfer 2006. 1994 wurde der § 175 StGB ersatzlos gestrichen.

120 Mit der Reform des Sexualstrafrechts im Jahr 1969 wurden homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern straffrei sofern die Beteiligten über 21 Jahre alt waren. Das Schutzalter für einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen männlichen Personen wurde 1973 auf 18 Jahre festgesetzt. Für heterosexuelle Handlungen galt eine Schutzaltersgrenze von 16 Jahren. »In formaler Hinsicht ersetzte das Vierte Strafrechtsreformgesetz die moralisch-ethisch belastete Beschreibung der Tathandlung als »Unzucht treiben« durch den wertneutralen Begriff der »sexuellen Handlung«, womit auch semantisch eine Abkehr vom Sittlichkeitsdelikt zum Jugendschutztatbestand vollzogen wurde.« Burgi; Wolff 2016, S. 35.

121 Siehe hierzu auch den Beitrag auf queer.de »Zahlen des Innenministeriums. Hassverbrechen im Südwesten nehmen deutlich zu«, URL: https://www.queer.de/detail.php?ar ticle_id=33396, 22.04.2019. Auch schändeten Unbekannte im Nov. 2018 die Gedenk-Stele für den Sexologen und Vordenker für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten. Karl Heinrich Ullrichs in Stuttgart. Vgl. StZ v. 20.11.2018, Maier, Sascha (2018): »Homophobie am Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz in Stuttgart: Gedenktafel an Vordenker für Gleichberechtigung besudelt«. URL: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inha lt.homophobie-am-karl-heinrich-ulrichs-platz-in-stuttgart-gedenktafel-an-vordenker-fuer-gleichberechtigung-besudelt.1e420c60-cb2e-4a3c-b7ba-2e7b43c162e6.html, 22.12.2018.

122 Anfänge diesbezüglich wurden bereits gemacht. In der Doku-Reihe des queeren Social-Media-Kanals SISSY THAT TALK berichten die Gastwirtin, Politikerin und Schwulenaktivistin Laura Halding-Hoppenheit, der Künstler Hannes Steinert und der Aktivist Ralf Bogen aus dieser jüngeren LSBTTIQ-Geschichte im deutschen Südwesten. Queer life in the city: Stuttgart, 2017. Regie: Sissy that talk. Siehe hierzu auch die Bachelorarbeit von Timo Zilinski (2017): Die schwul-lesbische Bewegung in Stuttgart. Vom Ende der Verfolgung bis zum Christopher Street Day (1969–2000). Historisches Institut der Universität Stuttgart. Sowie die Dokumentation zur Wirtin Laura Halding-Hoppeheit »Laura – das Juwel von Stuttgart« (R: Rosa von Praunheim, 2014). Zudem sei auf die den deutschen Südwesten betreffenden Zeitzeug_innen-Interviws des Archivs der anderen Erinnerungen der Bundestiftung Magnus Hirschfeld verwiesen, sowie das Forschungsvorhaben des Stadtarchivs Tübingen »Queer durch Tübingen. LSBTTIQ in Tübingen und Region vom Mittelalter bis heute«.

Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert

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