Читать книгу Reich mir den Apfel, Eva! - Julianne Becker - Страница 16
Die Schlange hatte gute Absichten
ОглавлениеIch überlegte. "Dann wollte die Schlange eigentlich etwas Gutes für die Menschen: Sie stieß unsere Verstandesentwicklung an! Was war denn daran so böse?"
"Nun, GOTT der HERR wollte nicht, dass die Menschen sich entwickeln, aber er wusste auch, dass die Menschen das Potential dazu hatten," erklärte mein Drache.
"Aber wieso denn, was hatte GOTT denn davon, die Menschen klein zu halten?" bohrte ich weiter.
"Ist das nicht offensichtlich?" Mein Drache schaute mich auffordernd an. "Der brauchte folgsame Gärtner und Diener. Die mussten natürlich wesentlich intelligenter sein als Tiere, sonst hätten sie nicht für ihn arbeiten können. Sie waren eigens zu diesem Zweck genetisch erzeugt und gezüchtet worden. Ein Adam war gerade so intelligent, dass er einfache Arbeiten verrichten konnte, aber nicht bewusst genug, um über sich selbst und das Leben nachzudenken und sich gegen Befehle aufzulehnen. Das war eine Vorstufe des heutigen Menschen, erschaffen, um GOTT dem HERRN in absolutem Gehorsam zu dienen."
Da war sie also, meine erste Kröte, die ich schlucken musste: Waren die Menschen also nicht als Krone der Schöpfung erschaffen worden, sondern bewusst als Sklaven für eine andere intelligente Rasse?
"Und das haben wir deiner Familie zu verdanken?"
"Ja."
"Du behauptest, GOTT und seine HEERSCHAREN waren eigentlich Aliens?" Nun wurde ich doch misstrauisch. "Warum erzählst du mir das? Das kränkt doch jedes religiöse Gefühl meiner Mitmenschen. Auch in mir. Ich habe so lange nach Gott gesucht. Und diese innige Verbindung zu ihm ist mir super wichtig. Ich habe sogar das Gefühl, dass es gefährlich ist, mit dir zu reden. Und dass man wegen Blasphemie über mich herfallen wird, sollte ich das jemandem erzählen."
"Ja, das könnte gut sein," gab mein Drache zur Antwort. "In früheren Zeiten wärst du verbrannt worden, wenn du solche Ungeheuerlichkeiten verbreitet hättest. Auf Gottesbeleidigung stand der Tod. Und auf Allah-Beleidigung steht vielerorts immer noch der Tod, zumindest bei Fundamentalisten. Aber es wird einfach Zeit für die Wahrheit. Meine Wahrheit. Das verdrehte Lügengebäude meiner Familie muss entlarvt werden, das hat die Menschen schon zu lange in die Irre geführt."
"Noch einmal," sagte ich, denn nun wollte ich's wissen: Was hast du damit zu tun?"
"Ich war dabei und ich möchte endlich richtigstellen, was damals wirklich passierte und warum."
"Und welche Rolle hast du dabei gespielt?"
Warum rückte er nicht raus damit? Er druckste bisher rum, als ob er sich fürchtete, dass ich nicht mehr mit ihm rede, sobald er ehrlich ist. Ich kam mir vor wie eine Mutter, die das Gefühl nicht los wird, dass ihr Söhnchen etwas angestellt hat. Und die nun herauszufinden versucht, um was es geht. "Wahrheit!" sagte ich streng.
"Ich war das im Garten Eden."
Nun war es raus. Ich spürte seine Erleichterung. Fragend sah er mich innerlich an, gespannt auf meine Reaktion. Ich war erst einmal sprachlos. Nein, das konnte nicht sein!
"Du lügst!" sagte ich ärgerlich. "Das war doch eine Schlange im Garten Eden. Und ich spreche gerade mit einem Drachen."
Ich spürte seine Erleichterung, offenbar hatte er eine viel heftigere Reaktion erwartet.
"Drachen und Schlangen sind als Begriffe austauschbar. Ich war das jedenfalls im Garten Eden."
"Und ich soll nun deine moderne Eva spielen? Hast du dich deshalb bei mir gemeldet und dich mit mir seit Jahren angefreundet? Da hast du deine Pläne aber ohne mich gemacht! Ich werde niemandem davon erzählen. Das würde mir sowieso keiner glauben!"
Aber meine Neugier war geweckt. Als mein Drache das spürte, lächelte er erleichtert.