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7. Kapitel

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Nachdem sie drei Stunden gegangen war, wurde sie müde. Sie bezweifelte, sich richtig entschieden zu haben. Vielleicht hätte sie doch auf MacDougall hören und den anderen Weg nehmen sollen? Was, wenn dieser Pfad ins Nichts führte? Fein gemacht, Summer!

Leise schimpfte sie mit sich, den Blick auf den Weg vor sich gerichtet. Hin und wieder sah sie sich um. Die Gegend war ebenso malerisch wie unwirtlich und zweifellos ungeeignet für den Spaziergang einer vornehmen Dame ohne Begleitung. Mist! Mist! Mist!

Schon wieder ein Wald. Die junge Frau seufzte entmutigt. Was sollte sie tun? Wenn sie weiterginge, könnte sie hinter dem Wald auf ein Dorf stoßen, wenn sie umkehrte, wäre alles umsonst gewesen. Weitergehen. Es war ein schlechtes Zeichen, dass kein einziger Mensch in den letzten Stunden hier vorbeigekommen war. Ach, hätte sie doch auf diesen widerlichen MacDougall gehört! Aber wer traute schon einem Mann? Sie waren alle gleich und hintergingen einen, wann immer sich dafür eine Gelegenheit bot. Beweise, die ihre These untermauerten, gab es zahlreiche.

Deswegen hatte sie zweifelsohne die richtige Entscheidung getroffen.

Im Wald war es einige Grad kühler und das war zumindest eine angenehme Abwechslung. Nach zwanzig Minuten lag das Gehölz schon wieder hinter ihr und sie passierte einen breiten Fluss. Summer blieb stehen, lehnte sich an die Mauer der Brücke und starrte in die gurgelnden Fluten. Das Wasser war klar. Ab und zu konnte sie einen Fisch erkennen, der elegant gegen den Strom schwamm. Sie seufzte und genoss den Augenblick der Ruhe. Doch er währte nicht lange, denn Hufeschlagen ließ sie den Kopf heben. Angespannt wandte sie sich um. Ein Reiter kam zeitgleich aus dem Wald geschossen und galoppierte direkt auf sie zu. Im ersten Moment stockte ihr der Atem, denn sie befürchtete, es wäre MacDougall, doch als der Mann näher kam, beruhigte sie sich. Er war es nicht.

Neben ihr zügelte der Reiter sein Pferd und sah auf sie herab.

„Na, Miss, wollen Sie nach Glenloan?“

Misstrauisch runzelte sie die Stirn, dann nickte sie notgedrungen. Genau genommen hatte sie keine Ahnung, wohin ihre Reise sie führte.

„Ist es noch weit?“

Er zuckte die Achseln.

„Zu Fuß ein ganz schönes Stück. Wenn Sie möchten, nehme ich Sie auf dem Pferd mit.“

Unwillkürlich trat Summer einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf.

„Nein, vielen Dank. Ich ziehe es vor, zu gehen.“

Nachdenklich musterte er sie eine kurze Weile und sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er einen inneren Dialog führte. Ohne Vorankündigung sprang er plötzlich aus dem Sattel und streckte ihr die Hand entgegen.

„Ryan“, stellte er sich vor, „MacDougall.“

Sie war dabei, ihm die Hand zu reichen, zuckte aber bei der Nennung seines Nachnamens erschrocken zurück. Dies ließ ihn überrascht die Augenbrauen anheben.

„Gibt es ein Problem mit meinem Namen? Haben Sie mit einem von uns schlechte Erfahrungen gemacht?“

Schnell schüttelte Summer den Kopf und überwand sich dazu, ihm doch die Hand zu geben.

„Wenn doch, entschuldige ich mich dafür. Obwohl wir nicht alle miteinander verwandt sind. Sie müssen wissen, im Umkreis von hundert Meilen heißt die Mehrheit so.“

Erleichtert atmete Summer aus. Es war unwahrscheinlich, dass dieser redselige Mann etwas mit ihrem Entführer zu schaffen hatte.

„Das ist so eine Clan-Angelegenheit. Nicht weiter wichtig.“

Er nahm das Pferd am Riemen und sah sie auffordernd an.

„Wollen wir weitergehen?“

„Wir?“

Ein freundliches Lächeln teilte seine Lippen.

„Gewiss. Es widerstrebt mir, eine Lady allein auf einem einsamen Weg zurückzulassen.“

Nein, er war ganz sicher nicht mit diesem anderen MacDougall verwandt. Sie entspannte sich etwas und passte sich seinem Schritt an.

„Sie müssen keine Angst haben“, fuhr er fort, sie zu beruhigen, als wäre ihm ihr inneres Zögern nicht entgangen. „Ich bin vollkommen harmlos. Genau genommen bin ich ein Mann Gottes ohne Konfession, aber mit einem Kloster.“

Summer blinzelte und suchte verwirrt seinen Blick.

„Wie bitte?“

„Ich bin so etwas wie ein Priester. Allerdings gehöre ich keiner Kirche an. Trotzdem besitze ich ein Kloster“, wiederholte er geduldig.

„Das klingt blasphemisch“, stellte die junge Frau beunruhigt fest.

Er warf ihr einen Seitenblick zu, dann lachte er auf.

„Ja, gut möglich. Aber hier juckt das keinen.“

Summer atmete tief durch. Sie würde doch nicht etwa vom Regen in die Traufe fallen?

„Ich glaube, unter diesen Voraussetzungen muss ich Sie warnen“, zwang sie sich zu sagen und er hob überrascht die Augenbrauen.

„Wovor?“

„Vor mir.“

Wieder begann er zu lachen. Offensichtlich amüsierte er sich königlich.

„Ich bin keine Lady!“, stieß sie schnell hervor und er verstummte.

„Nicht?“

„Nein.“

„Was dann?“

Summer schluckte und starrte vor sich auf den Boden.

„Ich bin eine Hure.“

Kurz war es still, nur das Klacken der Hufe störte die Ruhe.

„Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte er nach einer Weile.

Verwirrt runzelte sie die Stirn, blieb stehen und musterte ihren Begleiter, der sich ihr sogleich zuwandte.

„Ich verkaufe meinen Körper für Geld.“

„Nun, das war mir schon klar. Ich weiß, was eine Hure ist. Aber was hat Sie dazu gemacht?“

Vollkommen erschüttert von dieser einfühlsamen Nachfrage schlang sie die Arme um ihren Körper.

„Ich mich selbst.“

„Ach ja? Sie trafen die Entscheidung ohne äußere Einwirkung?“

Nur kurz wagte sie es, den Kopf zu heben und dem Fremden in die Augen zu sehen. Überrascht entdeckte sie Wärme in ihnen. Diese Güte war kaum zu ertragen. Schnell sah sie wieder weg.

„Ich habe jemandem vertraut“, flüsterte sie und brach ab, unfähig, weiterzusprechen.

Sie kannte diesen Fremden nicht. Wenn sie auf ihren Erfahrungen, die sie mit dem anderen Geschlecht gemacht hatte, aufbaute, würde Ryan MacDougall ebenfalls die nächste Gelegenheit nutzen, um sie zu hintergehen.

„Und er hat Ihr Herz gebrochen?“, riet er, da sie nicht fortfuhr.

Sie nickte.

„Ich bedaure das außerordentlich! Es wirft ein schlechtes Licht auf die männliche Gattung.“

Er setzte sich wieder in Bewegung und sie schloss auf. Wenn sie in diesem Tempo weitergingen, würden sie auf halbem Weg verhungern.

Das Schweigen zog sich in die Länge.

„Wer hat Ihnen von Glenloan erzählt?“, wollte er etwas später wissen.

„Niemand“, erwiderte sie leise. „Es gab drei Wege und ich habe mich für diesen entschieden.“

„Das ist ja äußerst interessant“, stellte er fest.

„Weshalb?“

Statt einer Antwort zuckte er nichtssagend mit den Achseln.

„Wo werden Sie wohnen?“

„Darüber habe ich mir bis jetzt keine Gedanken gemacht. Ich habe etwas Geld, um eine Unterkunft zu bezahlen.“

„Ich fürchte, das wird Ihnen in Glenloan nicht helfen.“

Eine kalte Hand umschloss Summers Herz, löste Panik in ihr aus.

„Weshalb?“, fragte sie, am Ende ihrer Kräfte.

„Weil es dort nur ein einziges Gebäude gibt.“

„Was?“ Entgeistert blieb sie stehen und starrte ihn an. „Nur ein einziges Gebäude?“

„Ja.“ Ryan nickte. „Bei dem es sich um mein Kloster handelt.“

Summer erblasste und befürchtete, dass die Knie unter ihr nachgeben würden. Das durfte einfach nicht wahr sein! Alles war umsonst! Die langen Stunden des Gehens: für nichts! Kein Kloster dieser Welt würde sie, eine Hure, aufnehmen! Wieso musste es ein Kloster sein, das am Ende dieses Weges lag, warum war es kein Bauernhof oder eine Käserei oder was auch immer? Sie kämpfte verbissen gegen Tränen und Hoffnungslosigkeit an. Damit ihr Begleiter nicht bemerkte, was in ihr vorging, wandte sie sich um.

„Was ist los?“, wollte er wissen, als sie Anstalten machte, umzukehren.

„Das ist doch offensichtlich. Es macht für mich keinen Sinn, weiter in diese Richtung zu gehen.“

„Weshalb? Sie können gerne eines der unzähligen, freistehenden Zimmer beziehen.“

„Das kann und das werde ich nicht! Diese Zimmer sind HEILIG!“

Als wäre dies kein Umstand, der ihn bekümmerte, zuckte Ryan mit den Achseln.

„Und das bedeutet was genau?“

Summer starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

„Das bedeutet“, erklärte sie langsam und nachdrücklich, „dass eine Hure, wie ich es bin, dieses Gebäude nicht betreten darf.“

„Sagt wer?“

Seine Unverständigkeit brachte sie zur Verzweiflung.

„Das müssten Sie doch genau wissen! Die Kirche, Gott. Aber wie es aussieht, sind Sie wahrhaftig vom rechten Weg abgekommen.“

„Womit wir schon zwei wären“, meinte er leichthin. „Bisher hat Gott meine Anwesenheit innerhalb der geheiligten Hallen ertragen.“

Summer blinzelte mehrmals, unfähig zu erfassen, was er ihr anbot. Er schien es wider besseren Wissens ernst zu meinen.

„Angenommen, Gott würde mich nicht rauswerfen“, begann sie, nachdem sie ihre Unterlippe wundgekaut hatte, „frage ich mich dennoch, warum Sie keine Angst vor meinem schlechten Einfluss haben.“

Wieder musterte er sie und lächelte sie offen an.

„Weshalb sollte ich? Ich hoffe, dass meine Heiligkeit auf Sie abfärbt, nicht umgekehrt.“

„Was?“ Summer riss verstört die Augen auf.

So etwas hatte sie ja noch nie gehört! Dieser Priester hier war definitiv verrückt und kein Mann Gottes. Die wahrhaft Heiligen, diejenigen, die es mit dem Glauben ernst meinten, verschanzten sich doch hinter dicken Mauern, aus Angst vor den schlechten Einflüssen der Welt. Die für Summer mittlerweile bewiesene Tatsache, dass der Mann neben ihr nicht bei klarem Verstand war, beruhigte sie etwas. Wenn Gott nichts gegen einen Verrückten in einem Kloster einzuwenden hatte, dann womöglich auch nichts gegen sie.

„Also gut“, gab sie nach. „Ich werde Ihr Angebot gerne annehmen.“ Sie zögerte sekundenlang. „Wenigstens so lange, bis ich weiß, was ich in Zukunft machen werde.“

Sein Lächeln vertiefte sich und Summer hoffte, dass sie sich nicht irrte. Er wirkte nicht, als wäre er von Sinnen, sondern als wüsste er genau, was er machte.

„Fein“, stellte er fest und rieb sich die Hände, wobei ihm die Zügel fast entglitten. „Da wir also bald unter demselben Dach wohnen werden, schlage ich vor, gemeinsam zu reiten. Kann ich Sie jetzt dazu überreden?“

Summer zog nachdenklich eine Schnute.

„Wie heißen Sie überhaupt?“

„Summer“, stellte sie sich vor, bevor sie sich hätte zurückhalten können.

Sie hatte sich ihm als Hure offenbart, deswegen wäre Bella die bessere Wahl gewesen. Aber Bella lag zerschmettert am Boden der Hütte und bildete keinen Schutz mehr.

„Wie sieht es aus, Summer? Werden Sie den Gaul mit mir teilen? Bitte tun Sie mir den Gefallen. Die Sandalen füllen sich so leicht mit Steinen.“

Er deutete auf seine Füße. Als die junge Frau auf seine ärmliche Fußbekleidung sah und danach seinen Blick suchte, blitzte der Schalk in seinen Augen.

„Ich nehme an, ich kann Sie nicht dazu überreden, vorauszureiten?“

„Das ist korrekt.“

„Gut“, gab sie nach und seufzte.

„Darf ich?“, fragte er und streckte seine Hände nach ihr aus.

Sie nickte und er umfasste sie an der Taille und hob sie auf den Pferderücken. Dann saß er hinter ihr auf.

„Vielen Dank“, schmunzelte er und trieb sein Tier an. „Auf diese Weise werden wir rechtzeitig zum Abendessen da sein.“

„Es wohnt noch jemand dort?“, fragte Summer verwundert.

„Ja. Ein paar Leute, die ebenfalls vom rechten Weg abgekommen sind oder von denen es behauptet wird. Sie werden sehen, dass Sie sich in guter Gesellschaft befinden.“

Summer konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, als sie sich so geborgen gefühlt hatte wie während der knappen Stunde, die sie vor Ryan auf dem Pferd saß. Es musste unglaublich lange her sein. Vielleicht war es sogar in einem anderen Leben gewesen.

Jenen mittleren Weg gewählt zu haben, war das Beste, was Summer hatte passieren können. Das unkonventionelle Kloster bot ihr Zuflucht in einer Welt, in der es keinen Platz für sie gab. Wie Ryan es ihr prophezeit hatte, fühlte sie sich unter den anderen Bewohnern ausgesprochen wohl. Es gab einen Mann, Angus, der einen mit den unflätigsten Worten beschimpfte. Kaum zu glauben, da er sonst sehr nett und umgänglich war. Er erzählte ihr, dass er nichts dagegen machen konnte und er keine andere Wahl hatte, als zu fluchen. Nachdem sich Summer an die Eigenart gewöhnt hatte, störte sie diese nicht weiter. Im Gegenteil, manchmal amüsierte sie sich köstlich darüber.

Die Köchin hatte nur einen Arm. Den anderen hatte sie bei einem Unfall verloren. Dadurch war sie nicht mehr in der Lage gewesen, die vornehme Herrschaftsküche zu leiten. Deswegen hatte man sie auf die Straße gesetzt, von der Ryan sie aufgelesen hatte.

Außerdem wohnte Jamie, ein circa vierzehnjähriger Junge, an diesem einsamen Ort. Es geschah öfters, dass er von einem Moment zum nächsten in eine andere Welt abdriftete und man konnte auf ihn einreden, ohne dass er darauf reagierte. Manchmal kam es vor, dass er sich zusammenkrampfte und zuckend auf dem Boden wand. Ein furchterregender Anblick. Aber Summer tat er herzlich leid, denn dort, wo er herkam, hieß es, er wäre vom Bösen besessen. Allerdings fragte sie sich, wie das möglich sein konnte, da er doch sonst überaus ruhig und friedvoll war.

Summer ging all diesen Menschen zur Hand und kümmerte sich gemeinsam mit Angus um den Garten. So verging die Zeit und die junge Frau kam langsam zur Ruhe, erholte sich zunehmend und nahm sogar zu. Sie war zufrieden mit ihrem Leben, als eines Tages ein unangenehmes Ziehen in ihren Brüsten und ihrem Unterleib ihren Tagesablauf zu stören begann, unerklärliche Müdigkeit lähmte sie geradezu. Als wäre das noch nicht genug, gesellte sich zu ihren Unpässlichkeiten Übelkeit. Wochenlang befürchtete sie, ernsthaft erkrankt zu sein.

Erst im November fiel es ihr wie Schuppen von den Augen und sie musste sich der Tatsache stellen, in anderen Umständen zu sein. Belinda hatte einst während eines Gesprächs über die gleichen Symptome geklagt. Angst und Panik überfielen sie. Nicht nur die Tatsache, dass sie durch ein Kind ständig an den verhassten MacDougall erinnert wurde, gefährdete es ihre Zukunft. Sicher würde Ryan sie auch vor die Tür setzen, wenn er von ihrer Schwangerschaft erführe. Eine unverheiratete Frau in anderen Umständen würde auch er nicht länger vor Gott rechtfertigen können. Aus Angst vor den drohenden Konsequenzen behielt sie ihr Geheimnis für sich, teilte mit niemandem ihre Sorgen.

Mitte Februar konnte sie ihren gewölbten Bauch kaum noch verbergen und Summer fürchtete sich vor dem Moment, wenn Ryan ihn entdeckte. Doch kein Wort, keine Geste, nichts deutete darauf hin, dass er etwas von ihrem Dilemma bemerkte. Angus hatte ohnehin keine Ahnung von Tuten und Blasen und der Knabe lebte in seiner eigenen Welt, weshalb nur die Köchin blieb. Ihr konnte sie nichts vormachen. Schon Ende Jänner hatte diese ihr zugeflüstert, dass sie unbedingt mit Mr MacDougall sprechen musste. Doch Summer schob es immer wieder auf, während sich Angst wie ein schwerer Klumpen in ihrem Magen einnistete und täglich an Gewicht zunahm.

Der März brachte die ersten warmen Winde mit sich und der Schnee im Garten schmolz. Nun verbrachte Summer jede Minute im Freien, wobei sie Ryan bestmöglich mied.

Das Herz der Kurtisane

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