Читать книгу Das Herz der Kurtisane - Junia Swan - Страница 9

6. Kapitel

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Zwei Tage lang fand er ihre Darbietung der gedächtnislosen Unschuld fast amüsant und er stellte mit einem winzigen Funken Anerkennung fest, dass sie eine würdige Gegnerin war. Trotzdem würde er bei dem Theater nicht mehr lange mitspielen, denn auch seine Geduld hatte ihre Grenzen. Als sich am dritten Tag „augenscheinlich“ nur ihr körperlicher Zustand verbessert hatte, wurde er ungeduldig und beschloss, diese Farce zu beenden, um wieder zum normalen Tagesablauf zurückzukehren.

Abgesehen davon hatte er lange genug auf sein Bett verzichtet und er sah nicht ein, es ihr weiterhin zu überlassen, obwohl es ihr besser ging.

„Bella“, sagte er deswegen entschlossen, nachdem er das Zimmer betreten hatte. Die junge Frau setzte sich auf und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Sekundenlang stockte ihm der Atem. Diese Reaktion zeigte ihm deutlich, dass die Zeit gekommen war, sie wieder so zu behandeln, wie sie es verdiente. Lange genug hatte sie sich wie eine Made im Speck in seinem Bett gewälzt.

„Sie meinen doch nicht etwa mich?“, kicherte sie.

„Natürlich und das weißt du ganz genau.“

Neben dem Bett blieb er stehen und musterte sie streng. Das Lächeln erlosch.

„Was soll ich wissen?“, fragte sie verwirrt.

Oh, sie war wirklich gut! Was sie allerdings nicht ahnte, war, dass sie auf diese Weise seinen Zorn weiter anheizte. Wenn sie nicht bald mit ihrer Vorstellung aufhörte, würde sie sich daran verbrennen.

„Hör auf, mir vorzuspielen, du seist ein unschuldiges Mädchen, Hure.“

Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht und er entdeckte die ersten Anzeichen von Angst in ihren hellen Augen.

„Wie haben Sie mich genannt?“, wollte sie tonlos wissen.

„Hure. Du weißt genau, dass du eine bist. Ich verbiete dir, dich weiterhin so ahnungslos zu geben! Denn ich glaube dir nicht. Nichts von diesem Schwachsinn nehme ich dir ab, Dirne.“

„Ich bin nicht das, was Sie von mir behaupten“, stieß sie entsetzt aus.

„Ach nicht?“ Drohend beugte er sich näher zu ihr. „Soll ich es dir beweisen?“

Summer starrte ihren Retter mit weit aufgerissenen Augen an. Weshalb war er so zornig und behauptete derart schreckliche Dinge von ihr? Nie in ihrem Leben hatte sie einen Mann ohne Kleidung gesehen, geschweige denn, ihn berührt!

„Sie irren sich“, flüsterte sie verstört.

„Es reicht!“

Voller Entsetzen stellte sie fest, dass sich der Zorn in seinen Augen verstärkt hatte und aus jeder seiner Poren Hass sprühte. Wäre sie nicht so kraftlos, würde sie versuchen, ihm zu entkommen. Doch geschwächt wie sie war, umklammerte sie die Bettdecke noch fester und starrte ihn hilflos an. Er ballte die Hände und Schweiß glänzte auf seiner Stirn, als wollte er sich für einen schweren Kampf wappnen.

„Ich werde deine Erinnerungen schneller zurückholen, als dir lieb ist“, drohte er mit gefletschten Zähnen. „Deswegen sei so umsichtig und erspare uns diesen Wahnsinn, indem du gestehst, mir etwas vorzuspielen.“

Nichts von dem, was er sagte, ergab einen Sinn. Sie öffnete den Mund, um ihm ihr Unverständnis zu erklären, doch brachte sie keinen Ton heraus. Die Luft um sie war getränkt von drohendem Unheil und sie spürte, dass sie in ernster Gefahr war. Entsetzt beobachtete sie, wie er an seiner Hose zerrte und presste panisch die Augen zusammen. Was hatte er nur vor? Ein schreckliches Zittern befiel sie und sie drehte sich von ihm weg.

„Stell dich nicht so an, als wäre es dein erstes Mal, du verdammte Lügnerin! Gib es endlich zu!“

„Aber es ist ... ich habe noch nie einen Mann ...“

„Halt den Mund! Ich ertrage deine Lügenmärchen keine Sekunde länger.“

Die Matratze senkte sich, als er sich auf den Bettrand neben ihr niederließ. Die Hitze seines Leibes strahlte bis zu ihr aus. Summer kauerte sich zusammen.

MacDougall blickte an sich hinunter. Wie es aussah, verweigerte ihm sein Körper die Zusammenarbeit. Dieser Umstand ärgerte ihn noch mehr und der Wille zu siegen überwältigte ihn. Nein, so leicht gab er sich nicht geschlagen. Diese Dirne würde mit ihren dreisten Geschichten nicht länger sein Leben bestimmen! Deswegen umschloss er sich mit einer Hand und bearbeitete sich verbissen. Es wäre doch gelacht, wenn er nicht Manns genug wäre, diesem verdorbenen Weib die „verlorenen“ Erinnerungen zurückzuholen. Kaum zu glauben, dass er sich von ihr zwingen ließ, sie zu besteigen! Vermutlich lag es daran, dass sie mittlerweile alles dafür tun würde, um einen Mann zwischen ihren Schenkeln zu spüren. Immerhin hatte sie sich ihrem sündigen Lebenswandel seit Wochen nicht mehr hingeben können. Oh, war sie schlau! Sie hatte ihn in diese Zwickmühle gebracht, aus der er nicht mehr herauskam, ohne sein Gesicht zu verlieren. Deswegen musste er sein bestes Stück unbedingt zum Stehen bringen, verdammt!

Endlich reagierte sein Unterleib halbherzig. Nichts an dieser Situation erregte MacDougall. Im Gegenteil. Aber er würde sich von der vermeintlichen Unschuld hier nicht zum Narren halten lassen. Offensichtlich unterschätzte sie ihn.

„Also?“, knurrte er und entriss ihr die Decke.

Es war ihre letzte Chance.

Panisch schlang Summer die Arme um ihren Leib.

„Sag es!“

„Ich bin keine Hure“, schluchzte sie verzweifelt.

Da umfasste er sie grob an der Schulter und drehte sie auf den Rücken. Dann warf er sich auf sie, als wäre das letzte Band, welches ihn zurückgehalten hatte, durchtrennt worden. Sein schwerer Körper presste ihr die Luft aus der Lunge und sie keuchte auf. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen ihn, doch das beeindruckte ihn nicht. Verbissen zerrte er ihr Nachthemd über ihren Unterleib.

„Nein“, schrie sie verzweifelt. „Nicht!“

Mit der nächsten Bewegung holte er ihre Erinnerungen zurück: Harry, der sie unschicklich berührt und dann verlassen hatte. Mr Delane, der rücksichtslos mit einem lüsternen Grinsen seinen Pfahl in sie gerammt und ihr Herz zerbrochen hatte. Sie presste die Augen noch fester zusammen. Brown, King, Winterthorne und schließlich Fitzroy. All die Empfindungen, die Summer bisher verdrängt hatte, prasselten auf sie ein und sie hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Sie hörte auf zu kämpfen. Der Schmerz der Erinnerungen war unerträglich und sie weinte wie nie zuvor in ihrem Leben. Als MacDougall von ihr abließ, war ihr Inneres eine einzige blutende Wunde. Zitternd zog sie die Knie an und machte sich so klein wie möglich.

„Erinnerst du dich jetzt?“, wollte er eisig wissen.

Da sie nicht reagierte, stieß er sie an und wiederholte seine Frage. Summer nickte schwach.

„Gut. Dann können wir ja endlich zur Tagesordnung übergehen.“

Doch sie konnte nicht aufhören zu weinen. Einige Augenblicke lang hatte es sich angefühlt, als wäre MacDougall der erste Mann gewesen, der ihr Gewalt angetan hatte. Als wäre er derjenige gewesen, der ursprünglich ihr Herz zerbrochen hatte.

Der Schotte schloss seine Hose und atmete tief durch, während er ratlos auf das Häufchen Elend in seinem Bett hinabsah. Bella verdiente sein Mitleid nicht, vor allen Dingen nicht für etwas, das sie ohnehin tagtäglich machte. Diese Frau war eine erfahrene Hure und der Abschaum einer jeden Gesellschaft.

Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen, so gefühlskalt mit ihr gewesen zu sein. Er konnte sich nur über sich wundern. Seine Empathie war fehl am Platz, denn sie hatte alles nur gespielt und es darauf angelegt, dass er über sie herfiel. Nur die Einfalt in Person hätte ihr die Amnesie abgenommen. Vor Frauen wie Bella galt es sich in Acht zu nehmen. Sie waren mit allen Wassern gewaschen und darin geschult, einen Mann um den Finger zu wickeln und nach Lust und Laune zu beherrschen.

„Heute gestatte ich dir, liegenzubleiben. Ab morgen erwarte ich, dass du wieder deiner Arbeit nachkommst.“

Da sie nicht reagierte, machte er auf dem Absatz kehrt und entfloh ihrer Nähe.

Bella kniete im Gemüsebeet und rupfte Unkraut. MacDougall beobachtete sie zwischen den Baumstämmen hindurch und runzelte die Stirn. Seit jenem Ereignis, durch das angeblich ihre Erinnerungen zurückgekehrt waren, hatte sie ihn kein einziges Mal mehr direkt angesehen und hielt ihren Kopf gesenkt, sobald er in ihre Nähe kam. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er annehmen, er hätte sie zerbrochen. Aber eine Hure konnte man nicht zerbrechen. Das war vollkommen unmöglich. Noch dazu nicht mit dem, was er getan hatte. Da bräuchte es schon ganz andere Maßnahmen.

An jenem Tag vor ein paar Wochen hatte er ihren Strohsack zurückgebracht und ihr gestattet, wieder im Haus zu schlafen. Anstatt ihre Dankbarkeit zu zeigen, hatte sie auf den Boden vor sich gestarrt, als tangierte es sie nicht.

Die Falte zwischen seinen Augenbrauen verstärkte sich, als er beobachtete, wie sie kurz innehielt und sich mit einer Hand den Nacken massierte. Nicht lange und sie arbeitete weiter.

Da es ihm zunehmend schwerer gefallen war, ihre Anwesenheit zu ertragen, hatte er bald nach jenem Tag beschlossen, seine komplette Zeit im Dorf zu verbringen. Im Wirtshaus schlug er sich seitdem die Stunden um die Ohren, was verstärkt an seinen Nerven zerrte. Wenn er spätnachts zurückkehrte, lag sie auf ihrem Strohsack und presste die Augen zusammen. Das hatte er festgestellt, als er sich ihr einmal mit der Öllampe genähert hatte.

MacDougall atmete tief durch. Wenn er ehrlich zu sich war, musste er zugeben, dass er immer, wenn sein Blick auf sie fiel, an diesen schrecklichen Vorfall erinnert wurde. Damit hatte sie erreicht, dass er nur mehr daran dachte, sie endlich loszuwerden. Vielleicht war sie doch schlauer, als er angenommen hatte? Möglicherweise hatte sie vorausgesehen, dass er ihre Gegenwart nicht länger würde ertragen können und dieses dumme Unterfangen beendete? Mittlerweile war ihm egal, was sie ausheckte. Genug war genug.

Er straffte die Schultern und trat aus dem Wald, wobei er sein Pferd an den Zügeln hinter sich führte, und ging direkt auf sie zu. Einen Meter vor ihr blieb er stehen. Anstatt sich ihm zuzuwenden, starrte Bella auf seine Stiefelspitzen. Sollte sie doch! Was sie von jetzt an tat oder nicht tat, war ihm vollkommen egal. Seine Rache war beendet.

„Wir werden morgen aufbrechen“, erklärte er geradeheraus. „Deswegen halte dich bereit.“

Ohne ihre Reaktion abzuwarten, machte er kehrt.

Summer setzte sich auf die Fersen zurück und wartete, bis er verschwunden war. Dann atmete sie tief durch und die Erleichterung trieb ihr Tränen in die Augen. Gott sei Dank! Sie hätte diese schreckliche Zeit bald überstanden und dann würde sie MacDougall vergessen und müsste ihn nie wiedersehen. Aber wohin sollte sie gehen? Nach allem was passiert war, konnte sie nicht in ihr altes Leben zurückkehren. Ihr Peiniger hatte Bella vernichtet und ohne Bella wäre ihre Existenz als Kurtisane unerträglich. Oh, wäre sie doch niemals mit ihm mitgegangen!

Müde kämpfte sie sich auf die Beine und schleppte sich zum Brunnen, um sich die Hände zu waschen. Während sie das Wasser dabei beobachtete, wie es über ihren Puls rann, wünschte sie inbrünstig, sich einfach auflösen zu können.

Sie ritten durch das Tal und die mit Dornen übersäte Wiese, bis sie endlich auf den Weg stießen, an den sich Summer nur zu gut erinnerte. Wie arglos sie damals gewesen war! Doch heute lenkte er sein Pferd nach rechts und nicht zum Dorf zurück. Die junge Frau hoffte inständig, dass dies nichts Schlimmes zu bedeuten hatte.

Sie waren in etwa eine Stunde geritten, als sie an eine Weggabelung kamen. MacDougall zügelte seinen Hengst und sprang aus dem Sattel. Dann trat er neben sie und hob sie von ihrem Tier herunter, stellte sie auf den Boden und wischte sich verächtlich die Hände an der Hose ab. Schweigend band er ihr Pferd an seinem Sattel fest. Als er fertig war, deutete er auf den links abgehenden Weg.

„Wenn du hier entlang gehst, stößt du in ungefähr zwei Meilen auf ein Dorf“, erklärte er, ohne sie anzusehen und löste einen Geldbeutel von seinem Gürtel. Voller Verachtung warf er ihr diesen vor die Füße. „Das sollte reichen, um dich zurück nach London und in dein sündiges Leben zu bringen, Hure.“

Summer starrte auf den Lederbeutel, der direkt vor ihr lag.

Sie hörte ihn aufsitzen und das Schlagen von Hufen, das sich schnell entfernte. Verzweifelt hob sie den Kopf und sah ihm nach, bis er auf dem rechts abgehenden Weg um eine Felsnase bog und ihrem Blickfeld entschwand. Hasserfüllt spuckte sie aus und bückte sich nach dem Beutel.

Nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte, ließ sie ihre Augen abwägend zwischen dem linken und dem mittleren Pfad hin und her schweifen. Sie traute MacDougall nicht. Womöglich hatte er ihr einen falschen Weg beschrieben, der irgendwo am Gipfel eines Berges endete. Deswegen entschied sie sich für den Mittelweg und setzte sich mit kämpferisch erhobenem Kinn in Bewegung.

Das Herz der Kurtisane

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