Читать книгу Das Herz der Kurtisane - Junia Swan - Страница 7

4. Kapitel

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Am Abend und hunderte zurückgelegte Meilen später führte MacDougall Bella in eines der Gästezimmer eines Hotels und sie starrte irritiert auf die Tür, durch die er sofort wieder verschwunden war. Hatte er nicht gesagt, er wollte sich ihr am Ziel widmen? Hatte er diesen Rasthof gar nicht damit gemeint? Meinte er sein Anwesen? Oder Paris? Wie dem auch sei, Bella war in ihrer Ehre gekränkt. Ein derartiges Desinteresse war sie nicht gewohnt. Normalerweise stand sie im Mittelpunkt einer jeden Gesellschaft. Doch MacDougall strafte sie mit Missachtung, als hätte er sie im Rinnstein aufgelesen. War das denn zu fassen? Nicht mehr lange und sie würde diesem eingebildeten Highlander ihre Meinung über sein inakzeptables Verhalten darlegen und ihm begreiflich machen, dass sie eine derartige Haltung ihr gegenüber nicht akzeptierte. Wollte man sich ihre Gunst erhalten, musste man sie hegen und pflegen, sonst war sie schneller weg, als er sich seines Kilts (wenn er denn einen besaß) entledigen konnte.

Abgesehen davon hatte sie ein Problem. Es wunderte sie nicht, dass ein Mann von dem Kaliber dieses Schotten nicht darüber nachdachte, wie sie aus ihrem Kleid kommen könnte. Den Umstand würde Bella für sich zu nutzen wissen. Sie läutete nach einem Mädchen und bat es, ihr die Zimmernummer ihres Reisebegleiters zu nennen. Nachdem sie die Information erhalten hatte, begab sie sich mit einem zufriedenen Lächeln dorthin. Sie klopfte an die Tür und lauschte. Schritte näherten sich der Tür und diese wurde im nächsten Moment aufgerissen. MacDougalls stechende Augen verengten sich, als er sie erkannte. Er machte keine Anstalten, sie hereinzubitten. Bellas Blick wanderte über seinen kräftigen Hals tiefer. Über sein Schlüsselbein. Die obersten Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet und gewährten Einblick auf seine gebräunte, behaarte Brust. Nichts, was sie nicht schon gesehen hätte. Trotzdem schluckte sie und sah wieder auf.

„Also?“, wollte er unfreundlich wissen, da sie noch immer schwieg.

„Darf ich eintreten?“

„Nein.“

Überrascht runzelte Bella die Stirn, blinzelte. Aus diesem Mann wurde sie nicht schlau. Er verhielt sich so anders als die Männer, denen sie bisher begegnet war. Selbstbeherrscht, gleichgültig und bis zum Himmel arrogant.

„Wäret Ihr dann so freundlich, mich in mein Zimmer zu begleiten?“

„Nein.“

„Aber ...“ Bella blieb der Mund offen stehen. „Aber ... es ist wichtig. Ich brauche Eure Hilfe!“

„Wobei?“

Bella warf einen schnellen Blick über die Schulter und überzeugte sich, dass der Gang leer war.

„Das würde ich Euch gerne in einem persönlicheren Rahmen erklären.“

Er seufzte, dann deutete er mit dem Kinn in Richtung ihres Zimmers.

„Gut. Gehen Sie voran!“

Verunsichert wandte sich Bella um und kehrte zu ihrem Gemach zurück. Dabei fühlte sie ihn deutlich dicht hinter sich. Obwohl er sie nicht berührte, strahlte sein Körper eine bezwingende Hitze aus. Die Situation wurde für die junge Frau zunehmend schwieriger, da sie nicht wusste, wie sie mit dem Mann umgehen sollte. Ihr innerer Schutzwall war überaus effektiv gegen lüsterne Verehrer. Doch gegen dieses kalte Desinteresse kam er nicht so recht an. Als hätte MacDougall den einzigen Riss in der Mauer entdeckt, durch den man direkten Zugang zu ihrem Herzen hatte. Diese Schwachstelle hieß Summer. Bella schluckte und wartete, bis er die Tür hinter sich zugezogen hatte. Abwartend musterte er sie mit eisigem Blick.

„Also?“, wiederholte er ungeduldig die Frage von zuvor, da sie ihn reglos, wie eine Maus vor der Schlange, mit großen Augen anstarrte.

Sie machte eine fahrige Handbewegung.

„Ich benötige Eure Hilfe bei dem Kleid.“

Als hätte sie ihn darum gebeten, jemanden zu ermorden, zog er die Augenbrauen zusammen, sodass sich eine steile Falte auf seiner Nasenwurzel bildetet. Jetzt wirkte er noch einschüchternder. Um dieser finsteren Musterung zu entgehen, wandte sie ihm auffordernd den Rücken zu. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus. Endlich setzte er sich in Bewegung. Doch anstatt seine Hände an ihren Schultern zu fühlen, knallte die Tür laut zu. Bella wirbelte herum und erkannte, dass er gegangen war. Minutenlang starrte sie auf die Stelle, an der er gestanden hatte. Verwirrt versuchte sie zum wiederholten Mal, sich sein verstörendes Verhalten zu erklären. Es war ihr unmöglich. Aus MacDougall wurde sie immer weniger schlau. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, klingelte sie nach einer Dienerin und ließ sich von dieser aus dem Kleid helfen.

Die folgenden Tage vergingen ähnlich. Nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ, richtete MacDougall ein Wort an Bella, manchmal sogar einen Satz, allerdings konnte man diese an zwei Händen abzählen. Dadurch wuchs Bellas Unsicherheit stetig.

Sie passierten die schottische Grenze an einem lauen Frühlingstag. Obwohl die junge Frau die Gesellschaft ihres Begleiters als unbehaglich empfand, genoss sie die Reise in vollen Zügen. Die Landschaft faszinierte sie: Die mit sattgrünem Gras überzogenen Hügel ließen Rückschlüsse auf das Klima zu. Die sanften Kurven gingen in schroffe Felsen über, die sich schließlich als steile Berge vor ihnen auftürmten. Die Wildheit dieser Region raubte Bella den Atem. Je länger sie fuhren, desto öfter vergaß sie, wer sie war. Erschrocken stellte sie fest, dass Summer jeden unbedachten Moment nutzte, um gespannt aus dem Fenster zu schauen. Begeisterung, zu der sie als Kind fähig gewesen war, brachte ihr Herz zum Jubeln. Zum Glück bemerkte der Schotte nicht, dass sie vermehrt aus ihrer Rolle fiel.

In einem winzigen Dorf hielt die Kutsche vor einem Bauernhaus. Verwundert blickte Bella MacDougall an, als der ihr deutete, auszusteigen. Er kam ihr dabei nicht zu Hilfe, sondern wandte sich ab, ging auf einen Stallburschen zu, der zwei Pferde an den Zügeln führte. Bella schluckte den Ärger über seine Unhöflichkeit hinunter und musterte die Tiere skeptisch. Es wunderte sie, dass beide bis weit über die Knie Bandagen trugen. So etwas hatte sie nie zuvor gesehen.

Mit den Pferden am Riemen kehrte der undurchschaubare Mann zu ihr zurück.

„Das restliche Stück unserer Reise werden wir auf ihnen zurücklegen.“

„Aber ...“ Bella schnappte mehrmals nach Luft, „... ich kann doch gar nicht reiten!“

„Wir reiten nicht allzu schnell.“

Dies half nicht sonderlich dabei, sie zu beruhigen. Nervös deutete Bella zur Kutsche.

„Und mein Gepäck?“

„Wird nachgebracht.“

Wie es aussah, hatte er auf alles eine Antwort. Er drehte sich noch mal zu dem Stalljungen, übergab ihm die Zügel, umfasste Bella an der Taille, um sie mühelos emporzuheben und setzte sie auf den Damensattel. Ängstlich umklammerte die junge Frau sofort den Hals des Tieres. MacDougall betrachtete sie mit einem Gesichtsausdruck, der den Rückschluss zuließ, dass er offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, dass sie nicht reiten konnte. Im nächsten Moment reichte er ihr die Zügel, wandte sich ab und schwang sich auf den Rücken seines eigenen Rosses. Ohne sie weiter zu beachten, trieb er das Tier an und Bellas Pferd folgte sogleich. Meine Güte, war das unangenehm! Nicht lange und sie wagte es, sich vorsichtig aufzurichten, wobei sich ihre Finger um den Sattelknauf verkrampften. Bald hatten sie das Dorf hinter sich zurückgelassen und folgten einem Waldweg. Zu beiden Seiten ragten steile Berge in den Himmel und Bella bemerkte, dass sie auf ein Tal zuhielten.

„Wohin reiten wir?“, rief sie neugierig, doch er ignorierte sie wie vermutet.

Sie erreichten eine Engstelle, deren Öhr von einer kniehohen Wiese überwuchert wurde. Der Weg schlängelte sich in eine andere Richtung weiter, trotzdem zügelte MacDougall sein Pferd und lenkte es vom Pfad ab und direkt auf den Wiesengrund zu. Bella verkrampfte sich und ein ungutes Gefühl schnürte ihr die Kehle zu. Bei näherer Betrachtung erkannte sie, dass die Wiese mit Dornen und Brennnesseln versetzt war. In der Sekunde verstand sie, weshalb die Beine der Rösser mit Stoffen umwickelt waren: um Verletzungen vorzubeugen. Was suchte MacDougall an einem Ort wie diesem und warum nahm er sie dorthin mit? Bella biss die Zähne aufeinander und klammerte sich wieder an den Hals des Tieres. Sie meinte, eine Ewigkeit wäre vergangen, bis sie den schrecklichen Wiesenabschnitt endlich hinter sich zurückließen. Die Schmalstelle lag nun hinter ihnen und sie befanden sich innerhalb eines steinernen Kessels.

„Das ist ein etwas unwirtlicher Ort für ein Anwesen“, stellte sie fest, doch MacDougall tat, als hörte er sie nicht.

Wieder ritten sie in einen Wald, diesmal kämpften sie sich durchs Dickicht. Ab und zu verfing sich ihr Kleid im Gehölz und sie zuckte zusammen, wenn das Reißen des feinen Stoffes an ihre Ohren drang.

„Himmel, Ihr hattet nichts von einem Abenteuer erwähnt“, rief sie nach vorne, um sich selbst aufzumuntern.

Diesmal erwartete sie keine Antwort und behielt damit recht. Wieder meinte sie, dass Stunden vergangen wären, bis sie endlich auf eine Lichtung ritten, an deren Ende eine rustikale Holzhütte stand. Bella erblasste, als ihr bewusst wurde, was das zu bedeuten hatte.

„Das ist nicht Euer Ernst“, flüsterte sie, wunderte sich aber insgeheim nicht über diese erbärmliche Behausung, die eines Dukes unwürdig war. Stattdessen fühlte sie sich in der Vermutung bestätigt, dass in Schottland die Uhren anders tickten. Sie war erleichtert, hier nicht lange bleiben zu müssen, denn sie würden schon bald nach Paris aufbrechen. Gott sei Dank!

Vor der Hütte sprang der rätselhafte Schotte aus dem Sattel und begann damit, sein Pferd zu versorgen. Nicht einmal dafür hatte er Personal! Wenn sie das gewusst hätte, hätte sie ihre eigenen Diener mitgenommen!

Minutenlang wartete Bella darauf, dass er ihr aus dem Sattel half. Als er keine Anstalten machte, sich um sie zu kümmern, überwand sie ihre Angst und ließ sich vorsichtig zu Boden gleiten. Ihre Beine gaben unter ihr nach und sie sank in die Knie.

„Du meine Güte“, stöhnte sie und stützte sich mit den Händen ab.

Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Tuch in ihrem Blickfeld auf und als sie den Kopf hob, bemerkte sie, dass MacDougall streng auf sie herabsah.

„Na los, mach dich nützlich! Nimm den Lappen und reibe dein Pferd ab!“

„Wie bitte?“

Fassungslos starrte sie ihn an. Sicherlich hatte sie sich verhört! Hiermit wäre bewiesen, dass sie erschöpfter war als angenommen.

„Du sollst dich um dein Pferd kümmern! Sieh zu, wie ich es mache!“

Er warf ihr das Tuch hin und traf sie damit direkt im Gesicht, da sie zu überrascht war, um es aufzufangen.

„Dabei kann es sich nur um einen Scherz handeln“, empörte sie sich und rappelte sich auf.

Ihr war bewusst, dass sie nicht sonderlich damenhaft aussah, wie sie sich mühsam auf die Beine zurückkämpfte. Aber so war das nun mal, wenn im Hinterland die guten Manieren versagten. MacDougall sollte es wagen, über ihre mangelnde Anmut zu lästern! All dies warf im Endeffekt ein schlechtes Licht auf den Charakter ihres Begleiters. Sie würde sich ihm in der kommenden Nacht entziehen und ihm damit demonstrieren, was sie von seinen rüden Umgangsformen hielt. Wenn man das, was er tat, überhaupt so nennen konnte. Himmel, tat das weh! Alles, jeder Knochen!

„Ich scherze niemals“, erklärte er lapidar und kehrte erneut zu seiner Arbeit zurück.

Nachdem er seinem Hengst Sattel und Geschirr abgenommen hatte, führte er ihn zu einer kleinen Koppel, auf der er ihn von den Zügeln befreite. Dann lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder auf Bella, die sich keinen Millimeter bewegt hatte und ihn entgeistert beobachtete.

„Worauf wartest du?“

Unbehaglich stellte sie fest, dass er zur vertraulichen Anrede gewechselt hatte. Vermutlich war es nur mehr eine Frage der Zeit, bis er ihre Dienste einfordern würde. Abwartend beobachtete sie ihn dabei, wie er langsam näher kam.

„Ich werde das nicht machen“, erklärte sie aufmüpfig und reckte ihr Kinn in die Höhe. Gleichzeitig schleuderte sie das Tuch als Zeichen ihrer Entschlossenheit wie einen Fehdehandschuh zu Boden.

„Oh, ich denke doch“, entgegnete er und blieb einen Meter vor ihr stehen.

Schweigend maßen sie einander und ihr entging die Abscheu nicht, die seine Mundwinkel umspielte. Die Verachtung in seinen Augen ließ sie den Kopf senken. Es war nicht neu, mit derlei Gefühlen konfrontiert zu werden, und sie hatte Strategien entwickelt, damit umzugehen. Aber in MacDougalls Blick erkannte sie nicht jene Geringschätzung, welche von dem eigenen Versagen der Freier, die sich selbst für ihre Lust hassten, gespeist wurde. Da er offensichtlich nicht von ihr in Versuchung geführt wurde, galt sein Ekel allein ihr. Das war neu.

„Nein. Ich bin nicht Eure Dienerin! Wenn Ihr mich nicht behandelt, wie es mir zusteht, verlange ich, nach London zurückgebracht zu werden.“

Er sagte nichts und als sie ihr Antlitz anhob, um herauszufinden, was ihm durch den Kopf ging, bemerkte sie, dass er die Augenbrauen hinaufgezogen hatte und sie schweigend musterte. Natürlich entging ihr die Unsinnigkeit ihrer Forderung nicht. Wenn er sich weigerte, sie zurückzubringen, wäre sie für den Rest ihres Lebens seine Gefangene. Ein unangenehmer und zugleich beunruhigender Gedanke.

Da zuckte er mit den Achseln.

„Ich würde an deiner Stelle nicht zu lange warten, da du außerdem unser Abendessen zubereiten musst. Es könnte sonst recht spät werden.“

„Wie bitte?“, keuchte sie erblassend. „Ich soll kochen?“

„Korrekt. Es sei denn, du ziehst es vor, mit leerem Magen ins Bett zu gehen.“

„Das ist ... das ist ... eine Frechheit! Was fällt Euch ein?“

Statt einer Antwort trat er in die Hütte und zog die Tür hinter sich zu. Noch immer wie gelähmt von der Offenbarung, dass er körperliche Arbeit von ihr verlangte, stand sie eine Weile still. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, drehte sie sich zum Pferd. Sie wäre ein Unmensch, wenn es ihr nicht leidtäte. Gesattelt wartete es ab und stierte sehnsüchtig zu seinem Kameraden auf die Koppel hinüber. Aber sie würde nicht nachgeben. Wenn sie sich jetzt MacDougalls Willen beugte, hätte sie verloren. Ein Pferd versorgen! Essen zubereiten! Pah! Wer dachte er, dass sie sei?

Aufgrund der hohen Berge lag das Tal schon bald im Schatten und die Dämmerung setzte früher ein als in England um diese Jahreszeit. Bella hatte sich auf den Boden gesetzt und streichelte das Pferd zwischen den Augen. Es hatte offensichtlich die Hoffnung auf eine Portion Hafer aufgegeben und den Kopf gesenkt, um die Streicheleinheiten als Entschuldigung anzunehmen. Die Dunkelheit verdichtete sich unter den Bäumen und kroch über die Lichtung. Bella fuhr zusammen, als sich die Tür öffnete, doch sie drehte sich nicht um. MacDougalls ausholende Schritte näherten sich ihr und passierten sie, als sähe er sie nicht. Er kam in ihr Blickfeld, als er auf die Koppel zustrebte und sie beobachtete, wie er seinem Hengst das Führungsseil anlegte und ihn hinter die Hütte führte. Verwirrt folgte sie ihm mit den Augen.

„Warum tut Ihr das?“, wollte sie wissen, als er ohne das Tier zurückkehrte und Anstalten machte, sich wieder zurückzuziehen.

„Es widerstrebt mir, mein Pferd in der Nacht von Wölfen reißen zu lassen.“

Die Tür fiel hinter ihm zu. Von Wölfen? Entsetzt sprang Bella auf. Panisch kämpfte sie damit den Sattelgurt zu lösen. Doch sie stellte sich ungeschickt an und riss sich einen Fingernagel ein.

„Ich weiß ja nicht, wie man das macht“, schluchzte sie aufgelöst und zerrte an dem Gurt.

Aber es half nichts. Aus Angst, ein Rudel Wölfe würde in der Nacht über das hilflose Tier herfallen und es zerfleischen, stieß sie die Tür auf und stürmte ins Innere. MacDougall saß in einem Stuhl und blätterte seelenruhig in einem Buch. Er hob nicht einmal den Kopf.

„Bitte wärt Ihr so freundlich, mir zu helfen? Ich weiß nicht, wie man ein Pferd absattelt“, rang sie sich zu einem demütigen Tonfall durch, obwohl sie ihn am liebsten attackiert hätte.

Er zeigte keinerlei Reaktion.

„Mylord, ich sehe ein, dass ich mich töricht verhalten habe und es tut mir aufrichtig leid. Könntet Ihr mich bitte anleiten?“

Nichts. Um keine weitere Zeit zu verlieren, machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte verzweifelt zu dem Tier zurück. Aufgrund der zunehmenden Dunkelheit erschwerte sich das Unterfangen minütlich. Endlich hatte sie es geschafft und es gelang ihr, den Sattel vom Rücken zu heben. Mit letzter Kraft schleppte sie ihn zur Hütte und legte ihn neben die Tür auf den Boden. Müde nahm sie das Pferd am Zügel.

„Möchtest du etwas trinken? Schau, dort ist ein Brunnen.“

Sie führte das Tier zu einem Wassertrog, der von einer Quelle gespeist wurde. Gierig tauchte es seine Nüstern in das plätschernde Nass. Als es fertig getrunken hatte, brachte Bella es in den Stall und stellte es neben MacDougalls deutlich entspannteren Hengst.

„Tut mir außerordentlich leid“, flüsterte sie ihrem Ross zu und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann verriegelte sie den Holzverschlag und näherte sich der Hütte.

Als sie die Tür hinter sich schloss, schlug der Schotte das Buch zu und erhob sich. Angesichts der Enge dieses Raumes wirkte er gleich doppelt so groß. Seine Überlegenheit schüchterte sie ein, doch sie ließ sich ihr Unbehagen nicht anmerken.

„Wie mir scheint, ist es angebracht, zu Beginn etwas klarzustellen“, hob er an und Bella fröstelte aufgrund seines düsteren Gesichtsausdrucks.

Direkt vor sie stellte er sich mit gespreizten Beinen hin und verschränkte die Arme vor der Brust. Dadurch wirkten seine Schultern noch breiter. Der jungen Frau war klar, dass der Umgang mit ihm nicht leicht sein würde. Es wurde wirklich Zeit, dass er seine sexuelle Energie abließ. Danach wäre die Welt eine andere. Nicht nur für ihn. Mutig bohrte sie ihre Augen in die seinen.

„Ich erwarte von dir, dass mein Essen pünktlich auf dem Tisch steht und du die Arbeiten des Haushalts gewissenhaft und umsichtig erledigst“, erklärte er mit dunkler Stimme.

Bella schnappte nach Luft, während unbändiger Zorn in ihr aufstieg. Dieser Mann trieb sie in den Wahnsinn! Jetzt war Schluss damit. Nicht eine Sekunde länger würde sie sich seine Frechheiten bieten lassen!

„Wie es aussieht, verwechselt Ihr mich mit gemeinem Hauspersonal, mein Herr“, empörte sie sich. „Ich bin eine Kurtisane und stehe zu Eurer Verfügung, um Euch jegliche Freuden im Bett zu bereiten. Hausarbeit zählt nicht zu meinen Stärken und außerdem nicht zu den Diensten, die ich anbiete.“

Er musterte sie gelassen – ihre zornige Rede schien ihn nicht zu beeindrucken.

„Wir drehen uns im Kreis“, meinte er kühl. „Auf deine Dienste im Bett verzichte ich herzlich gerne. Alles andere fordere ich von dir!“

Als hätte er Bella geschlagen, wich sie einen Schritt zurück.

„Ihr könnt nicht von mir verlangen, diesen niedrigen Aufgaben nachzugehen. Ich selbst habe Personal, welches Derartiges für mich erledigt. Habt Ihr nicht begriffen, dass ich die begehrteste Kurtisane Londons bin? Ein Fingerschnippen und ich bekomme alles, was ich mir wünsche!“

Abwartend löste er die Arme und drehte die Handflächen nach oben.

„Nur zu, ich bin gespannt. Schnippe mit den Fingern!“

Bella starrte ihn an, als ihr zum wiederholten Mal die Ausweglosigkeit ihrer Situation bewusst wurde. Er konnte alles von ihr verlangen. Alles! Das, was sie hier machte, war lächerlich. Trotzdem schnippte sie mit den Fingern und senkte den Kopf. Wie erwartet stürmte niemand herein, um nach ihren Wünschen zu fragen. Dreimal schnippte sie, dann ließ sie ihre Hand müde sinken. Wie hatte sie nur so dumm sein können, mit einem Mann zu gehen, den sie nicht kannte? Als wäre das nicht genug, auch noch nach Paris! Dieser demütigende Zwischenstopp in den Highlands war eine gerechte Strafe für ihre Naivität. Zweifellos hatte sie auf einem zu hohen Ross gesessen und gemeint, unverwundbar zu sein.

„Zieh dich aus“, befahl er aus heiterem Himmel und ihr Kopf schnellte wieder in die Höhe.

Diese Worte aus seinem Mund brachten sie vollkommen durcheinander. Hatte er nicht vor wenigen Minuten gesagt, dass er sie nicht in seinem Bett dulden würde? Offensichtlich war er ein Mann, dessen Stimmung von einer Sekunde auf die nächste wechselte. Heimtückisch wie das Wetter in den Bergen. Wie dem auch sei: Mit diesem Befehl konnte sie besser umgehen. Sie suchte seinen Blick und lächelte verführerisch. Mit wiegenden Hüften flanierte sie auf ihn zu, blieb direkt vor ihm stehen. Dann hob sie eine Hand und legte sie vorsichtig an seine Wange. Unwillig wehrte er sie ab.

„Was fällt dir ein? Ich habe dir weder gestattet, mich zu belästigen noch zu berühren, du dreckige, kleine Dirne!“

Der tödliche Hass in seinen Augen ließ sie zurückzucken. Dreckige Dirne. Doch bevor sie über seine Worte nachsinnen konnte, packte er sie an den Schultern und schüttelte sie grob. Sein Zorn, seine Übermacht, weckten eine Angst in ihr, von der sie gemeint hatte, sie für immer abgelegt zu haben.

„Lass es dir ein für alle Mal gesagt sein, Hure, ich bin für dich unerreichbar! Wage es nie wieder, mich mit deinem sündigen Körper zu berühren! Hast du das verstanden?“

Er stieß sie von sich und sie taumelte. In Bella zersplitterte etwas. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was es war, doch tat es unbeschreiblich weh.

„Ich verabscheue dich und du bist es nicht wert, meine Füße zu küssen! Du bist aus einem einzigen Grund hier und zwar, um zu büßen. Nicht, um deinen verdorbenen Lebenswandel fortzuführen. Hast du angenommen, gemeinsam mit mir der Lust zu frönen?“

Er lachte hart auf und dieser Klang drang ihr unter die Haut.

„Du hast dich geirrt, du ekelerregende Person! Ich werde dir dein sündiges Verlangen austreiben, indem du arbeitest, bis du Schwielen an den Händen hast. Lange genug hast du das Leben anderer Menschen zerstört. Damit ist jetzt Schluss!“

Wie gesagt, es war nicht das erste Mal, dass jemand sie auf diese Weise beschimpfte. Aber seine Worte, die Art, wie er sie vorgetragen hatte, trafen sie tiefer als jede Beleidigung, die man ihr bisher ins Gesicht geschrien hatte. Normalerweise reagierten ihre Kontrahenten den Ekel und das schlechte Gewissen, welche sie für sich selbst empfanden, an ihr ab. Doch MacDougall meinte nur sie. Bella.

„Aber was habe ich Euch denn getan?“, keuchte sie, darum bemüht, unter seinem Hass nicht zusammenzubrechen.

„Wage es nie wieder, mich anzusprechen! Du wirst ausführen, was ich dir befehle. Schweigend. Und jetzt zieh dich aus!“

Ihr Inneres erbebte, denn er hatte einen Keil in den Riss in ihrem Herzen gezwungen und die Mauer aufgestemmt. Als diese mit einem Poltern in sich zusammenfiel, entblößte sie Summer, die weinend zwischen den Trümmern stand. Schutzlos. Schmerz und Angst stülpten sich stärker als jemals zuvor über sie.

Darum bemüht, sich unter Kontrolle zu halten, drehte sie sich hastig um. Sie blinzelte mehrmals, um die Tränenschleier zurückzudrängen, die ihre Augen trübten. Ihr Blick fiel auf einen der Küchenschränke, auf dem ein Messerblock stand. Sie stürzte darauf zu und griff nach einem Messer. Doch bevor sie sich damit umdrehen konnte, hatte MacDougall sie am Handgelenk umschlossen und drückte erbarmungslos zu. Ein Wimmern entrang sich ihrer Kehle und sie lockerte die Finger, woraufhin das Messer klirrend auf den Tisch zurückfiel. Der verhasste Schotte tat ihr weh und es wurde nicht besser, als er ihren Arm auf den Rücken bog und sie zu sich umdrehte. Sein gnadenloser Blick spießte sie auf.

„Wie dumm du bist“, stellte er schaudernd fest. „Wie schrecklich dumm du bist!“

Summer schloss die Augen, unfähig, dieses Starren eine Sekunde länger zu ertragen.

„Ich wollte doch nur mein Kleid aufschneiden“, flüsterte sie hilflos, „da Ihr mir nicht geholfen habt.“

Sein vernichtender Blick brannte auf ihrer Haut und wäre er aus Feuer gewesen, hätte er sie mit Haut und Haaren verbrannt. Er lockerte den Griff.

„Wenn du mich tötest, wirst du hier sterben“, drohte er. „Solltest du fliehen, wirst du auf der Flucht umkommen. Es gibt nur eine Möglichkeit für dich zu überleben und die besteht darin, dich meinen Befehlen unterzuordnen und deine Buße anzunehmen.“

Seit der ersten Woche bei Madame Aury hatte Summer nicht mehr geweint, doch jetzt sammelten sich erneut Tränen unter ihren geschlossenen Augenlidern. MacDougall hatte Bella getötet und Summer somit jeglichen Schutzes beraubt. Verzweifelt nickte sie und er gab sie frei. Ihr Inneres brannte, als hätte er es mit Dornen aufgerissen. Grob umfasste er ihre Schultern und drehte sie mit einem Ruck herum, sodass sie ihm den Rücken zukehrte. Seine Hände rissen an den Schnüren und Ösen ihres Kleides, als er sie lockerte. Summer klammerte sich an einen Küchenschrank, um den Halt nicht zu verlieren. Nachdem er ihr Korsett geöffnet hatte, zog er sich auf den einzigen Stuhl zurück und die junge Frau verschränkte verschämt die Arme vor der Brust. Sie zitterte am ganzen Körper und es widerstrebte ihr, sich vor ihm zu entkleiden. Als wäre er der erste Mann, vor dem sie sich entblößen musste. All dies war unverständlich und Summer meinte, in einen Strudel aus Empfindungen geraten zu sein, der sie schier überwältigte und keinen Sinn ergab. Mit letzter Kraft zwang sie sich dazu, die schützenden Hüllen fallen zu lassen. Ihre Wangen brannten vor Scham und sie hätte sich vor diesem hartherzigen Rächer am liebsten versteckt. Bebend kreuzte sie die Arme vor ihrem nackten Leib und hoffte, sich somit vor ihm schützen zu können. Sie hielt den Kopf gesenkt und presste die Augen zusammen, um seinem Blick zu entgehen.

Am Knarren des Stuhles konnte sie schließen, dass er sich erhoben hatte. Er durchquerte den Raum und sie hörte eine Tür, die aufgestoßen wurde. Verwirrt öffnete sie die Augen und bemerkte, dass er in ein weiteres Zimmer gegangen sein musste.

Mit einem schlichten Kleid aus grobem Stoff kehrte er zurück und warf es vor ihre Füße.

„Zieh das an!“

Hastig bückte sie sich danach und schlüpfte hinein. Als sie einen schnellen Blick zu ihm riskierte, bemerkte sie, dass er sich wieder in das Buch vertieft hatte. Gelassen, als hätte er nicht soeben ihre komplette Welt zerstört. Da stieg tödlicher Hass in ihr auf. Er tobte wie eine vernichtende Feuersbrunst in ihren Gedärmen. Oh, wie sehr sie ihn hasste! Sie hasste ihn, hasste ihn, hasste ihn! Hasste ihn mehr als all ihre Freier zusammen! Mehr als Mr Delane.

„Worauf wartest du?“, fragte er, ohne aufzusehen. „Richte uns ein Abendessen!“

Summer kämpfte darum, zwischen ihren Gefühlen nicht aufgerieben zu werden und den unbändigen Zorn in sich zu bezwingen. Wenn sie MacDougall an die Gurgel spränge, würde sie ihre Situation zweifellos weiter verschlechtern. Deswegen wandte sie sich um, dankbar, sich mit dieser neuen Aufgabe ablenken zu können. Nacheinander öffnete sie die Schränke, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sie fand kein frisches, sondern nur eingelegtes Gemüse, geräuchertes Fleisch, einen Brotlaib, Mehl. Ratlos griff sie nach Fleisch und Brot und legte es auf einen Teller. Damit trat sie zum Tisch und stellte ihn darauf. Dann holte sie einen weiteren Teller und ein Messer und deckte ihm einen Platz. Keine zehn Pferde würden sie dazu bewegen, gemeinsam mit ihm zu speisen.

„Euer Essen ist fertig“, murmelte sie.

Sein Kopf schnellte in die Höhe.

„Ich habe dir befohlen, mich nicht anzusprechen“, herrschte er sie verächtlich an, was sie ratlos die Schultern heben ließ.

Dann deutete sie zum Tisch. Sein Blick folgte ihrer Geste und kehrte zu ihr zurück.

„Das soll wohl ein Witz sein?“

„Nein, das ist alles, was ich finden konnte.“

„Halte endlich deinen verdammten Mund!“

„Aber ich muss doch erklären, weshalb ...“

Blitzschnell sprang er auf die Beine und stürzte zu ihr. Drohend hob er eine Hand.

„Noch ein Wort und ich werde dich züchtigen! Glaube nicht, dass ich ein Problem damit habe, dich zu schlagen. Meiner Ansicht nach hast du jegliches Recht auf Schutz, wie er Frauen normalerweise gebührt, verloren. Für mich bist du kein Weib mehr, Hure. Du bist weniger wert als eine Fliege, die ich, ohne zu zögern, an die Wand klatsche.“

Summer wich seinem Blick nicht aus, duckte sich nicht vor dieser bedrohlichen Hand, die sie mit einem Hieb zerschmettern könnte. Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht geschleudert, was sie von ihm hielt, doch unterdrückte sie erneut ihre Wut. Es trieb sie an den Rand ihrer Kräfte, sich dazu zu zwingen, zustimmend mit dem Kopf zu nicken. Aber es gelang ihr. Da senkte er den Arm und setzte sich.

„Morgen wirst du ein Feld anlegen und darauf Gemüse anbauen.“

Ein Feld anlegen? Sie hatte doch überhaupt keine Ahnung ...

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte sie sich um und verließ die Hütte. Es war pechschwarz. Dadurch funkelten die Sterne über ihr umso stärker. Summer setzte sich neben die Tür auf den Boden und lehnte sich an die Holzwand. Sie war todmüde und ihr Herz musste mittlerweile ein blutiger Klumpen sein, auf dem man herumgetrampelt hatte, um es danach mit Brennnesseln einzureiben. Aber sie würde nicht weinen. Summer hatte in ihrem Leben schon zu viele Tränen vergossen.

Das Heulen eines Wolfes weckte sie. Erschrocken stellte sie fest, dass sie eingeschlafen sein musste, denn sie kauerte noch immer vor der Hütte. So schnell es ihr möglich war, sprang sie auf die Beine und stürzte ins Innere. Es war stockdunkel. Sie hatte keine Ahnung, wo sie schlafen sollte, deswegen tastete sie sich vorsichtig zu dem Stuhl, auf dem MacDougall vor wenigen Stunden gesessen hatte. Sie setzte sich darauf und zog die Beine an, schlang die Arme um ihre Unterschenkel und lehnte die Stirn an die Knie. Trotz dieser unbequemen Haltung fiel sie bald wieder in einen unruhigen Schlaf.

Das Herz der Kurtisane

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