Читать книгу Bruchlandung im Glück - K. B. Stock - Страница 11
Kapitel 6 Ungewöhnlicher Rettungseinsatz
ОглавлениеWährend die komplizierte Bergeaktion im Anschluss gewohnt routiniert ablief, telefonierte Jonas Korte bereits seit etlichen Minuten mit der Rettungsleitstelle des Unfallklinikums Traunstein.
„Hallo Leute, hier spricht Dr. Korte. Ich habe hier bei mir zuhause in der Gemeinde Schleching am Tiroler Achen eine schwerverletzte Gleitschirmfliegerin, die gerade von der hiesigen Feuerwehr aus einem hohen Baum geborgen wird.
Anscheinend offene Arterienverletzung am Oberschenkel in Kombination mit einem möglichen HWS-Syndrom. Könnt ihr mich mal zum diensthabenden Notarzt unseres Rettungshelis durchstellen? Wir brauchen hier nämlich so schnell wie möglich die Unterstützung unseres Christoph 14, sonst hat meine Patientin keine Chance.“
„Jonas bist du das? Ich bin’s, Hans. Muss dich leider enttäuschen. Hier ist momentan die Hölle los. Ich bin erst vor wenigen Minuten mit den letzten Unfallopfern von der A8 am Klinikum gelandet und mein Notarzt operiert gerade selber, weil die hier im Augenblick jeden verfügbaren Chirurgen brauchen. Deshalb ist mein hübscher roter Vogel seit gut einer Viertelstunde gegroundet – und das ist auch der Grund, warum ich als Pilot im Augenblick in der Funkzentrale mithelfe.“
„Hab‘ bereits von dem Massenunfall auf der A8 gehört, Hans. Wie mir die hiesige Feuerwehr gesagt hat, ist es mit ‘nem Rettungswageneinsatz aus dem gleichen Grund ebenfalls Essig. Aber ich habe da eine andere Idee.
Du holst dir jetzt die nötige Flugfreigabe, packst dir den diensthabenden Rettungssanitäter und bewegst deinen Hintern mit deinem Heli hierher zu mir nachhause. Und bring mir bitte meine Notarztkombi aus meinem Spind mit. Währenddessen mache ich hier die Erstversorgung und warte auf dich. Lande auf der Wiese, an deren Rand du die Blaulichter der Feuerwehrautos stehen siehst. Brauchst du noch die genauen GPS5-Daten?“
„Nöh, Jonas. Ich weiß, wo du wohnst. Wir sind in wenigen Minuten unterwegs – bis gleich also“, erwiderte der Hubschrauberpilot der Bundespolizei, Hauptkommissar Hans Bruckner umgehend, ehe er noch abschließend hinzufügte: „Rettungsleitstelle Traunstein over and out.“
Als die von den Feuerwehrleuten geborgene und inzwischen bewusstlose Gleitschirmfliegerin endlich auf der mit Luft gefüllten Transportliege lag, fing Jonas Korte sofort mit einem Bodycheck an, wozu er ihr vorsichtig den Helm abnahm und ihre Flugkombination ebenso achtsam öffnete. Kurz zuvor hatte ihm seine eilends zurückgekehrte Tochter und ihr Begleiter Max Huber seine Arzttasche und auch noch reichlich Verbandzeug gebracht.
„Wie geht‘s Jessy?“, fragte die kleine Katie ganz aufgeregt, als ihr Vater gerade Puls und Blutdruck seiner Patientin maß.
„Nicht gut, mein Schatz“, erwiderte Jonas Korte wenig später. „Jessy hat viel Blut verloren, weshalb sie auch bewusstlos geworden ist. Daher muss sie so rasch, wie möglich ins Krankenhaus. Bleibt alle von der Wiese runter, denn da landet gleich der Rettungshubschrauber aus Traunstein.“
Dann drehte er sich zu den Männern der Feuerwehr um und rief: „Kann mal jemand nachsehen, ob ihre persönlichen Papiere noch im Gurtzeug stecken? In ihrer Kombi konnte ich die eben nicht ertasten. Ich brauche nämlich schnellstens Angaben zu ihrer Blutgruppe, damit wir ihr nachher im Heli gleich eine Konserve zur Kompensation ihres Blutverlusts anhängen können.“
Während der erfahrene Unfallchirurg Korte gleich darauf eine Ringerlösung aus seiner Arzttasche anhängte, die einer der Ersthelfer danach in die Höhe hielt, nahm er sich gleich darauf die multiplen äußerlichen Wunden seiner Patientin vor.
Als er noch einmal den Druckverband löste und gleich wieder durch einen neuen ersetzte, murmelte er dem neben ihm stehenden jungen Feuerwehrsanitäter zu:
„Das hast du sehr gut gemacht, Ralf. Bitte hilf mir jetzt, die vom Ast perforierte Stelle zu verbinden. Die Astspitze lassen wir momentan noch drin, und legen einen Polsterring drum herum. Das Aststück muss operativ entfernt werden und sowas geht nur im Krankenhaus. Beinahe alles andere sind Schnittverletzungen und Schürfwunden, die wir momentan außer Acht lassen können und nur notdürftig zupflastern müssen.“
„Was machen wir mit ihrer linken Hand? Sieht fast so aus, als ob sie dort trotz ihres Handschuhs eine Brandverletzung davongetragen hätte“, fragte der Feuerwehrmann sofort zurück.
„Die Wunde ist wahrscheinlich durch Reibung entstanden, weil sie mit dieser Hand die auf der linken Seite abgerissenen Fallschirmschnüre festhalten musste, um nicht wie ein Stein vom Himmel zu stürzen. Wir machen dort einen Brandsalbenverband – der sollte fürs erste ausreichen.“
Die beiden Männer kümmerten sich noch um die Schwerletzte, als in der Ferne bereits das typische Geräusch eines tieffliegenden Hubschraubers zu hören war, der kurz darauf auf der Wiese neben dem Hof von Alois Huber aufsetzte.
Während der Pilot Hans Bruckner den Rotor des rot lackierten Airbus Helicopters H135 abbremste und die Turbinen herunterfuhr, kam bereits der Rettungssanitäter des Hubschraubers mit seinem Notarzt-Equipment auf die beiden am Boden knienden Männer zu gerannt.
„Hab‘ gehört, dass du heute ‘ne freiwillige Sonderschicht einlegst. Du kannst dir nicht vorstellen, was im Klinikum gerade los ist. Erst die ‘zig Auffahrunfälle auf der A8 und jetzt sind Hans und ich schon wieder zu ‘nem neuen Einsatz unterwegs“, meinte der inzwischen aus seinem Hubschrauber herbeigeeilte Sanitäter.
„Hallo Martin, tut mir leid, aber bei unserer Patientin ist Eile angesagt. Sie hat viel Blut verloren, aber dank deiner Sanitäterkollegen von der hiesigen Feuerwehr sind wir hier schon fast fertig. Ich spring rasch in meine Kombi und du schnappst dir einen der Feuerwehrmänner und holst die Rettungstrage aus dem Heli.“
Damit drehte er sich verzugslos zu Sepp Leitner, dem Chef der Feuerwehr um und fragte: „Wisst ihr inzwischen, welche Blutgruppe meine Patientin hat?“
„Ja, Jonas – du hattest recht. Ihre Personalpapiere steckten in ihrem Gurtzeug. Darin haben wir auch ihren Impfausweis gefunden. Demnach hat Frau Jessica Winter Blutgruppe A, Rhesus positiv.“
„Okay, gut zu wissen – passendes Blutplasma ist in unserem Heli vorhanden. Martin bring bitte einen Beutel Plasma mit, wenn du mit unserer Trage zurückkommst. Ich lege bis dahin schon mal den nötigen Zugang – und dann sehen wir zu, dass wir mit ihr ins Klinikum kommen“, rief er jetzt noch dem Crewmitglied des Hubschraubers, Martin Glöckner hinterher.
Während sich Dr. Korte gleich danach die Notarztkombi überstreifte, wandte er sich noch einmal an Sepp Leitner sowie an seine Nachbarn Alois und Gretel Huber.
„Sepp, kannst du bitte dafür sorgen, dass sich die Spurensicherung der Kripo Traunstein mal das Flugequipment von Frau Winter anschaut. Ich habe nämlich den Verdacht, dass dies kein Unfall, sondern ein gezielter Mordanschlag war.
So mir nichts dir nichts können die Fangschnüre ihres Gleitschirms schließlich nicht gerissen sein. Zumal Katie und ich diese junge Frau heute früh als äußerst gewissenhafte Fluglehrerin kenngelernt haben, die ihren Schirm vorm Abflug garantiert eingehend kontrolliert hat.
Wende dich bitte direkt an Kriminaldirektor Roland Lechner, den Leiter der Traunsteiner Kriminalpolizeiinspektion und sag ihm einen schönen Gruß von mir. So, wie ich meinen Freund Roland als ehemaligen Kollegen kenne, wird er seine Ermittler noch heute hierher in Marsch setzen. Tut mir leid, wenn ich euch damit den ganzen Sonntag versaue, aber ich will unbedingt wissen, was die Ursache für diesen Absturz war.“
Und in Richtung seiner Nachbarn sagte er gleich danach noch: „Euch beide bitte ich derweil auf meine Katie aufzupassen, bis ich wieder zurückkomme. Ich fliege jetzt erstmal mit Jessica in die Klinik und muss dann ggf. noch dortbleiben und bei der OP helfen. Kann also ein bisschen dauern, bis ich wieder zurückkomme.“
„Natürlich Jonas, das machen wir doch gerne. Die Feuerwehr wird den ganzen Krempel gleich vom Baum runterholen und ich sage dem Sepp, dass er das Zeug nur mit Handschuhen anfassen soll.“
An dieser Stelle fragte Jonas Tochter mit gedämpfter Stimme: „Weißt du schon ungefähr, wann du wieder heimkommst, Paps?“
„Nein, mein Schatz. Wie ich gerade gesagt habe, muss ich vielleicht sogar bei Jessys Operation helfen, weil es in der Klinik gerade so viele Verletzte und zu wenig Ärzte gibt. Ich rufe euch an, wenn ich genauer Bescheid weiß. Und wenn ich fertig bin, nehme ich mir ein Taxi und komm zu dir zurück.
Bis dahin bist du brav und bleibst bei Gretel und Alois. Wahrscheinlich bin ich bis morgen Abend wieder da und morgen früh gehst du zusammen mit Max zur Schule. Falls es in der Klinik länger dauern sollte, ruf ich dich auf jeden Fall an.“
„Okay, Papi. Bitte versprich mir aber, dass du Jessy wieder ganz gesund machst. Wie du ja weißt, will ich doch irgendwann mal mit ihr durch die Luft segeln“, flüsterte Katharina Korte jetzt ihrem Vater leise ins Ohr.
„Ich werde mich gut um deine neue Freundin Jessica kümmern, mein Liebling – soviel kann ich dir schon mal versprechen. Mach dir keine Sorgen – mit dem schnellen Hubschraubertransport hat sie jetzt eine gute Chance, bald wieder auf die Beine zu kommen. Und alles andere sehen wir später.“
Wenig später hob der von Hauptkommissar Bruckner geflogene Hubschrauber Christoph 14 mit der immer noch ohnmächtigen Jessica Winter an Bord von der Wiese neben dem Bauernhof ab und war bereits kurz darauf nur noch als kleiner Punkt am blauen Horizont auszumachen.