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Kapitel 3 Ende und ein neuer Anfang

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Nachdem Jonas Korte einen Tag nach dem schrecklichen Vorfall in der Notaufnahme des Universitätsklinikums Großhadern aus dem künstlichen Koma aufwachte, war seine bislang heile Welt reinste Makulatur. Zumindest war es nicht mehr die Welt, in der er noch in den letzten Monaten glücklich gelebt hatte.

Sein einziger Trost blieb dabei, dass seine siebenjährige Tochter Katharina den Crash auf ihrem Kindersitz im Fond seines Autos nahezu unbeschadet überstanden hatte. Gottseidank hatte Katie zum Zeitpunkt des Aufpralls geschlafen und deshalb von dem eigentlichen Unfallgeschehen nicht allzu viel mitbekommen, ehe sie von herbeigelaufenen Bewohnern der Ortschaft Holzkirchen aus den Trümmern des BMW befreit und in Sicherheit gebracht wurde.

„Wo ist meine Tochter? Geht’s ihr gut?“, hatte Jonas nach dem Aufwachen sofort den diensthabenden Stationsarzt gefragt. „Keine Sorge, Herr Dr. Korte – ihrer Tochter geht’s gut. Sie hat nur ein paar kleinere Beulen und Schnittverletzungen vom zerbrochenen Fensterglas ihres BMWs davongetragen. Wir haben sie versorgt und im Nachbarzimmer untergebracht und sie hat schon ein paar Mal nach Ihnen gefragt.

Wenn Sie mögen, bringe ich Sie nachher zu ihr rüber, sobald ich Ihre Lunge abgehört habe. Ich heiße übrigens Martin Brandner und mein Chefarzt, Professor List, will Sie später ebenfalls noch sehen.“

„Danke, Dr. Brandner. Weiß Katie schon, dass ihre Mama nicht mehr lebt?“, fragte Jonas Korte nervös, während der Stationsarzt seinen Brustkorb untersuchte und anschließend wieder mit einem festen Verband umwickelte.

„Nein, aber ich glaube, sie ahnt es. Das mit Ihrer Frau tut mir übrigens sehr leid. Aber selbst wenn der Rettungshubschrauber sofort zur Stelle gewesen wäre, hätte ihr niemand mehr helfen können.

Sie selber haben eine doppelte Brustwirbelfraktur erlitten – aber ihre Lunge ist offenbar unversehrt geblieben. Dennoch würde ich Sie gerne noch mindestens für einen Tag hierbehalten. Den Stützverband werden Sie allerdings noch eine ganze Weile tragen müssen. Als Mediziner wissen Sie ja selbst gut genug, dass man mit solch einer Brustprellung nicht spaßen darf. Und Ihre Tochter schieben wir heute Abend zu Ihnen in Ihr Zimmer rein.“

Wenige Minuten später schloss Jonas Korte seine weinende Tochter im Nachbarzimmer tröstend in beide Arme. „Ist Mami wirklich in den Himmel gegangen, Papi? Ich fühle nämlich, dass sie nicht mehr bei uns ist“, schluchzte sie.

„Ja, mein Schatz. Mami ist im Himmel und ich bin sicher, dass sie uns gerade von da oben zuschaut und sich sicher freut, dass wir den Autounfall gut überstanden haben“, erwiderte Jonas Korte mit leiser Stimme, ehe er sich ächzend neben ihr Bett kniete und ihr ins Ohr flüsterte:

„Wir sind nicht alleine, mein Liebling. Und ich werde ab sofort immer für dich da sein. Das verspreche ich dir. Meinen derzeitigen Beruf in München werde ich erstmal aufgeben, damit ich mich besser um dich kümmern kann. Wirst sehen, wir zwei kriegen das schon hin. Tut dir übrigens noch etwas weh?“

„Nein, Paps. Na ja, mein linkes Knie vielleicht noch ein bisschen. Ich mag aber eigentlich nicht noch länger in diesem Krankenhausbett liegen. Also von mir aus könnten wir gleich nachhause fahren. Aber sag mir mal, warum du kein Polizist mehr sein willst? Wenn du das machst, kann ich ja schließlich nicht mehr in der Schule mit meinem mutigen Papa angeben.“

Bei diesen schlichten Worten seiner Tochter stahl sich an dieser Stelle erstmals wieder ein kurzes Lächeln in die Augen von Jonas Korte, bevor er seiner Tochter antwortete.

„Wir werden sehen, mein Schatz. Wichtig ist jetzt erstmal, dass wir alle beide rasch wieder ganz gesund werden und dann sehen wir von Tag zu Tag weiter. Bis morgen werden wir jedoch noch hier im Krankenhaus bleiben müssen, mein Engel.

Aber wenn der nette Doktor Brandner und sein Chef uns beide morgen früh nochmal untersucht haben, fahren wir anschließend heim und dann gleich weiter zu Tante Magdas Bauernhof. Bis dahin schieben wir dein Bett zu mir herüber, damit es dir nicht zu langweilig wird.

Und wenn wir morgen Nachmittag in unserem zweiten Zuhause angekommen sind, sorgen wir dafür, dass Mamis Körper auf dem Friedhof neben Tante Magda beerdigt wird, damit wir sie dort jederzeit besuchen können.“

„Freut mich, dass Sie mich meine Untersuchungen zu Ende führen lassen, Herr Kollege. Ich denke, dass Ihre Tochter und Sie morgen hier rausdürfen. Soll ich Ihnen aber zuvor vielleicht noch einen Notfallseelsorger besorgen? Möglicherweise wäre in Ihrer augenblicklichen Situation zudem auch ein wenig psychologische Unterstützung für Sie und Ihre kleine Tochter nicht verkehrt.“

Doch Jonas Korte lehnte dieses Angebot mit den Worten: „Ist nicht nötig, ich bin selber Psychologe und hab‘ früher auch eine ganze Weile als Unfallchirurg im Schwabinger Klinikum gearbeitet“ ab. Doch sofort danach ergänzte er:

„Tut mir leid, Dr. Brandner, so harsch wollte ich das gerade gar nicht ausdrücken. Bis morgen früh muss ich ohnehin noch über so manches nachdenken. Denn das Leben von meiner Tochter und mir wird sich ab sofort einschneidend ändern müssen – nur weiß ich noch nicht, wie genau ich das anstellen soll. Und über dieses Thema muss ich mit meiner Katie möglichst schonend reden. Den Anfang davon haben Sie ja eben selber mithören können.“

„Verstehe, Herr Kollege. Falls Sie aber bis morgen früh noch irgendwas anderes brauchen, lassen Sie es mich oder die Stationsschwester wissen. Ich denke da zum Beispiel an Schmerzmittel, damit Sie heute Nacht besser schlafen können.“

„Danke, Dr. Brandner – sehr freundlich. Nur gibt es gegen meinen seelischen Schmerz noch keine Tabletten“, erwiderte Jonas Korte freundlich, denn seine schmerzhaften Prellungen und Rippenbrüche schienen ihm nicht der Rede wert zu sein, hatte er doch den größten Schatz seines bisherigen Lebens unwiederbringlich verloren.

***

Obwohl man den blauen LKW einige Tage später völlig ausgebrannt in einer stillgelegten Kiesgrube auffand, konnte die Polizei den Fahrer selbst in den darauffolgenden Monaten nicht ermitteln. Zwar stellte sich rasch heraus, dass der Laster kurz zuvor von einem Bauhof bei Ottobrunn entwendet worden war, jedoch blieben die genaueren Umstände des offensichtlich vorsätzlich herbeigeführten Zusammenpralls weiter im Dunkeln.

Dies war letztlich auch der Grund, weshalb Jonas Korte die anfängliche Unfalltheorie nach seiner Genesung immer mehr anzweifelte, wobei er in Gedanken immer wieder seine zuletzt bearbeiteten Fälle durchging.

„Leute, da stimmt doch was nicht. Das war kein Unfall, sondern sehr wahrscheinlich ein Racheakt dieser Mafia-Clan-Mistkerle, die wir erst vor kurzem hinter Gitter gebracht haben“, hatte er am Tag nach dem Unfall zu den Kripobeamten gesagt, die ihn ausgiebig zu seinen Wahrnehmungen vor und während des vermeintlichen Racheakts befragten.

„Außerdem habe ich den LKW-Fahrer kurz sehen können, ehe er Fahrerflucht beging. Und so, wie der gegrinst hat, ist es eindeutig, dass er uns mit voller Absicht von hinten gerammt hat.“

Und im gleichen Tenor ging er seiner unmittelbaren Vorgesetzten, Polizeivizepräsidentin Viktoria Mayer bei deren Besuch in der Klinikschon am nächsten Vormittag auf die Nerven.

„Scheiße – und wofür das alles? In spätestens zehn bis maximal fünfzehn Jahren sind diese Arschlöcher doch ohnehin wieder frei! Außerdem wurden ja nur drei dieser Figuren verurteilt. Die beiden anderen Angeklagten hat das Gericht ja dank ihrer spitzfindigen Rechtsverdreher aufgrund gekaufter Alibis freilassen müssen. Somit hat es also nur das Führungstrio des zur Spitze des Münchener organisierten Verbrechens zählenden Eisbergs erwischt.

Ich bin mir daher auch sehr sicher, dass es da draußen, außer den zwei freigesprochenen Verbrechern, noch eine ganze Reihe weiterer Krimineller gibt, die jetzt an die Stelle des verurteilten Trios treten werden und denen wir bislang nur noch nichts Handfestes nachweisen können. Wobei es mir schon klar ist, dass ich möglicherweise genau deshalb das Ziel dieses Anschlags geworden bin.“

„Komm erst mal zur Ruhe, Jonas. Das was geschehen ist, ist schrecklich – und ich trauere mit dir um deine Frau. Immerhin habe ich deine Maria ja ebenfalls gut gekannt. Und auch ich glaube nicht, dass das gestern nur ein tragischer Unfall war.“

Als sich die LKA-Vizepräsidentin wieder von ihm und seiner Tochter verabschiedete, sagte sie leise:

„So, mein lieber Doktor, jetzt hör mir mal gut zu. Du bist nicht nur ein hervorragend geschulter Kriminologe, sondern auch mein bester Profiler. Wir werden in dieser Sache weiter ermitteln – darauf hast du mein Wort.

Auch wenn der Brand an diesem gestohlenen LKW alle Fingerabdrücke und DNA-Spuren vernichtet hat, werden wir den Tod deiner Gattin nicht als gewöhnlichen Unfall, sondern als vorsätzlichen Mord behandeln. Doch du gehst jetzt erstmal in bezahlten Sonderurlaub und kümmerst dich um deine kleine Tochter. Das hat Vorrang vor allem anderen.“

Aus dem mehrwöchigen Sonderurlaub war etliche Monate danach eine Teilkündigung seiner bisherigen Dienstanstellung geworden. Künftig wollte Dr. Jonas Korte somit nur noch als zeitweiser Berater und Dozent für das LKA tätig sein. Denn bei all seinen Überlegungen würde zukünftig das Wohl und die Erziehung seiner Tochter im Fokus seines Handelns stehen.

Darüber hinaus wusste Jonas Korte als Psychologe und Arzt natürlich sehr genau, dass er an einer PTBS2 litt, die sich nicht einfach von heute auf morgen überwinden lassen würde. Und deshalb änderte er seine bisherige Lebensplanung komplett – vor allem, weil er versuchen wollte, seiner Tochter Katharina ein immer ansprechbarer und guter, wenn auch alleinerziehender Vater zu sein.

Bruchlandung im Glück

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