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Kapitel 7 Notoperation in letzter Minute
ОглавлениеSofort nachdem der von Polizeihauptkommissar Hans Bruckner gesteuerte Rettungshubschrauber Christoph 14 am Klinikum Traunstein gelandet war, wurde Jessica Winter von bereitstehenden Helfern in die Röntgenabteilung gebracht. Zum ziemlich erschöpft wirkenden Chef der Notaufnahme, Dr. Franz Geiger, meinte Jonas Korte kurz danach:
„Ich weiß bereits, was bei euch gerade los ist, Franz. Deshalb werde ich die junge Frau auch selber operieren, sobald ich mich steril gemacht habe und du mir einen Anästhesisten, einen Orthopäden und ein OP-Team zur Seite stellen kannst – einverstanden?“
„Okay – und ich danke dir für deine angebotene Unterstützung, Jonas – um die ich dich sowieso ersucht hätte. Dr. Judy Bauer müsste als Anästhesistin inzwischen wieder frei sein und ein OP-Team kannst du ebenfalls haben.
Denen hab‘ ich bereits gesagt, dass sie den OP-Raum 3 vorbereiten sollen. Nur nach ‘nem Kollegen von der Orthopädie muss ich noch Ausschau halten. Bis deine Patientin vom Röntgten zurückkommt, sollte aber auch das in Sack und Tüten sein – und bis dahin assistiere ich dir gerne.“
„Gut, dann zieh ich mich rasch um und dann kann es meinetwegen auch schon losgehen. Zuerst mal muss ich die blöde Astspitze aus dem Oberschenkel der Patientin herausbekommen und ihre davon verletzte Arterie flicken“, erwiderte Jonas Korte prompt.
„Wie ist das eigentlich passiert?“, fragte der diensthabende Unfallarzt Dr. Geiger noch, als er sich mit Jonas zum Gehen in Richtung der Operationssäle aufmachte.
„Absturz mit ‘nem Gleitschirm. Die Patientin ist dabei in einem hohen Baum meiner Nachbarn aufgeschlagen. Hat ihr möglicherweise schlimmere Frakturen erspart. Jedoch scheint, abgesehen von dem Astspieß im Oberschenkel, auch ihre linke Schulter und ihr rechter Fuß etwas abbekommen zu haben“, rief Jonas Korte über seine Schulter zurück, als er mit dem Oberarzt über den Flur zu den Operationssälen eilte.
„Ich sag‘s ja immer – Sport ist Mord“, schüttelte Dr. Franz Geiger daraufhin seinen Kopf, was der hochgewachsene Jonas Korte nur mit seinem erhobenen rechten Daumen quittierte.
Im Vorraum des OPs angekommen zogen sich beide Ärzte um und während Dr. Geiger noch mit der Orthopädieabteilung des Klinikums telefonierte, erschien zeitgleich mit der Patientin die Anästhesistin Dr. Judy Bauer auf der Bildfläche.
„Hey Jo – hast du sonntags nichts Besseres zu tun, als uns zusätzliche Arbeit zu verschaffen? Eigentlich hatten wir davon heute nämlich schon mehr als genug.“
„Die liebe Judy – wie immer zu Scherzen aufgelegt. Und nein, eigentlich wollte ich mich gerade über einen leckeren Zwetschgenkuchen meiner Nachbarsleute hermachen, als die junge Frau in den Kirschbaum über unserem Kaffeetisch gekracht ist. Statt lecker zu essen, bin ich deswegen jetzt in eurem schicken Klinikum und versuche ihr das Leben zu retten.
Hier hast du übrigens ihren Impfpass. Ich hab‘ den auf dem Herflug schon mal überflogen. Soweit ich sehen konnte, hat sie keine medikamentösen Unverträglichkeiten oder Allergien. Du kannst also mit deiner Anästhesienummer sofort loslegen, damit Franz und ich mit der eigentlichen Arbeit anfangen können.“
„Schön, dass du’s endlich einsiehst, Schätzelchen. Ohne mich wärt ihr zwei Superchirurgen und der gerade hinzugekommene Dr. Wagner von der Orthopädie ja ziemlich hilflos – oder?
In Ordnung, ich schicke die Gute dann mal ins Land der Träume. In rund drei Minuten könnt ihr beiden dann mit euren Schnitz- und Einrenkarbeiten anfangen.“
„Jaja, Judy – wenn wir dich nicht hätten. Aber gib‘ ein bisschen Gas, damit wir drei Götter in grün endlich zum Zuge kommen. Die junge Frau hat nämlich viel Blut verloren und daher pressiert es uns ein bisschen.“
***
Gut vier Stunden später war die Notoperation endlich vorüber. „Die Lady hat verdammtes Glück gehabt, dass du in der Nähe warst. Ansonsten wäre sie bei dem massiven Blutverlust wahrscheinlich ex gegangen“, meinte Judy Bauer zu ihrem Kollegen, als der sich gerade samt seiner Kollegen die Hände wusch. „Was passiert jetzt weiter mit ihr?“, fügte sie dann noch eine Frage hinzu.
„Wir lassen sie vorläufig noch im künstlichen Koma und bringen sie zur weiteren Überwachung auf die Intensivstation. Könntest du sie dort anmelden und noch eine kleine Weile betreuen – ich muss nämlich mal kurz mit zuhause telefonieren und lös‘ dich dann ab,“ bat Jonas Korte die Anästhesistin, da seine beiden Kollegen schon wieder zu ihren anderen Patienten enteilt waren.
„Geht klar, Jonas. Für meinen schönsten Operateur tue ich doch fast alles – auch wenn das heute bereits meine fünfte OP gewesen ist und ich langsam mal ‘ne Pause bräuchte“, grinste die vierzigjährige Anästhesistin ihren ärztlichen Mitstreiter sofort an.
„Ich beeil‘ mich Judy. Bin gleich wieder zurück – versprochen“, erwiderte Dr. Jonas Korte als er auch bereits ins Freie lief, um seine Nachbarn und seine Tochter anzurufen.
„Hallo mein Schatz“, sagte er, sobald er seine Katie über das von Gretel Huber auf Laut geschaltete Telefon an der Strippe hatte.
„Ich hab‘ nicht viel Zeit, Leute. Deshalb in aller Kürze: Dank unseres schnellen Hubschraubers haben wir es gerade noch rechtzeitig in die Klinik geschafft. Jessys Operation ist anschließend komplikationslos verlaufen und ich denke, dass sie keine bleibenden Schäden zurückbehalten wird.
Ihre von der Astspitze aufgespießte Oberschenkelarterie konnte ich wieder zusammenflicken, aber sie hat sich beim Aufprall auf euren Kirschbaum auch noch die linke Schulter ausgekugelt und das rechte Fußgelenk verstaucht. Um diese Verletzungen hat sich vorhin jedoch bereits Dr. Wagner von unserer Orthopädieabteilung gekümmert.
Gleichwohl hat Gretels dichtgewachsener Baum sie vor noch weit Schlimmerem bewahrt, weil er den Sturz in die Tiefe ein stückweit abgebremst hat. Wäre Jessy auf eurer abgemähten Wiese aufgeschlagen, hätte sie sicher noch viel kritischere Frakturen davongetragen. Also, Katie – deiner neuen Freundin geht‘s den Umständen entsprechend schon wieder einigermaßen gut.“
„Das hört sich doch schon mal sehr erfreulich an, Paps. Aber wann kommst du denn wieder heim?“, fragte die kleine Katharina Korte sogleich dazwischen.
„Heute sicher nicht mehr, Katie. Wir mussten Jessy in ein künstliches Koma versetzen, damit sie nicht so viele Schmerzen hat. Augenblicklich liegt sie auf der Intensivstation und ich geh‘ gleich wieder zu ihr rüber. Dort werde ich solange auf sie aufpassen, bis sie wieder aufwacht.
Rechnet also vorläufig mal mit morgen Nachmittag – vorher schaffe ich es wahrscheinlich nicht nachhause. Waren übrigens Roland Lechners Ermittlungsbeamte schon bei euch auf dem Hof?“, fügte Jonas Korte am Ende des Telefonats noch eine Frage hinzu.
„Waren sie. Übrigens ist dein Ex-Kollege vorhin persönlich mit ihnen bei uns aufgetaucht und sie haben den von der Feuerwehr geborgenen Gleitschirm nebst Gurtzeug mit nach Traunstein genommen. Du sollst ihn übrigens anrufen, sobald deine Patientin wieder vernehmungsfähig ist“, antwortete Alois Huber umgehend.
„Werde ich machen, Alois. Denn auch ich will wissen, was im Vorfeld dieses Absturzes wirklich passiert ist. So, und jetzt muss ich wieder zu Jessica und eine übermüdete Kollegin ablösen, die momentan freundlicherweise auf sie achtgibt.
Also, Leute – ihr wisst jetzt Bescheid. Und Katie, wenn du weiter brav bist und morgen deine Hausaufgaben ordentlich machst, besuchen wir Jessy in den nächsten Tagen und schauen nach ihr. Das geht aber erst, wenn sie wieder aufgewacht und von der Intensivstation runter ist. Sie wird ja sowieso noch etliche Tage im Krankenhaus bleiben müssen.“
„Kein Problem, lieber Paps. Du weißt doch, dass du dich auf mich verlassen kannst – ich bin ja schon groß. Und danke, dass du Jessy das Leben gerettet hast. Ich freue mich schon sehr darauf, wenn wir sie demnächst besuchen fahren.“
„Ist gut, mein Liebling und da es schon ziemlich spät geworden ist, wünsche ich dir jetzt eine gute Nacht.“
„Ich dir auch, Papi. Und wenn meine neue Freundin Jessy wieder wach ist, sagst du ihr, dass ich sie sehr gern habe“, flüsterte Jonas Kortes kleine Tochter, bevor sie das Telefon im Haus der Familie Huber auflegte.
„Ich finde deine neue Freundin auch ausgesprochen nett und attraktiv“, dachte Jonas insgeheim, als er sich gleich darauf zurück zur Intensivstation begab.
„Mit ihrer sportlichen Figur und ihrer blondgelockten Mähne könnte sie mir durchaus gefährlich werden. Aber sie hat sicher einen festen Freund – und außerdem fängt ein verantwortungsbewusster Arzt niemals etwas mit einer Patientin an. Außerdem bin ich inzwischen für sowas ohnehin viel zu alt“, ließ er seinen Gedanken jetzt kurz noch einmal freien Lauf, ehe er vor der Tür der Intensivstation erneut in einen sterilen grünen Kittel schlüpfte.
„Bin wieder da“, sagte Jonas Korte, als er kurz danach die Schleuse zur Intensivstation aufschob. „Irgendwelche Veränderungen?“, hängte er gleich noch eine Frage an.
„Nöh, Jonas – sie schläft ganz ruhig und ihre Vitalwerte sind okay“, erwiderte Judy Bauer sofort, während sie zugleich auf die leise vor sich hin piepsenden Monitore der Überwachungsinstrumente zeigte.
„Sehr gut, Judy – und danke, dass du bis hierher auf Jessy aufgepasst hast. Ich übernehme jetzt. Wie lang geht deine Schicht heute eigentlich noch?“
„Ist vor ungefähr zwei Stunden zu Ende gewesen. Aber was tut man nicht alles für einen so netten Kollegen, wie dich. Mach dir keinen Kopf – mein Mann ist schon daran gewöhnt, dass ich nie pünktlich nachhause komme, aber jetzt hau‘ ich endlich von hier ab. Doch zuvor will ich noch was von dir wissen, Jonas.“
„Und das wäre?“, fragte Jonas Korte verblüfft zurück.
„Du hast die Patientin eben bei ihrem Vornamen genannt. Kennt ihr euch schon länger von irgendwoher?“
„Eigentlich nicht. Meine Tochter und ich haben sie erst heute früh oben auf der Kampenwand kennengelernt. Katie bewundert nämlich schon seit einiger Zeit die über unserem Heim herumkurvenden Gleitschirmflieger. Und deshalb waren wir heute Morgen zum Zuschauen oben an deren Startplatz, wo wir auch Jessica Winter getroffen haben.
Woraufhin Katie diese junge Frau natürlich sofort interviewt hat. Meine Tochter und Jessy scheinen dabei gegenseitig einen Narren aneinander gefressen zu haben, denn als Jessy ihr sagte, dass sie hin und wieder auch als Fluglehrerin Gleitschirmflieger ausbildet und Katie in zwei Jahren vielleicht mal bei einem Tandemflug mitnehmen würde, ist meine Kleine völlig ausgeflippt.
Und jetzt hat sie sich in den Kopf gesetzt, dass sie sich in einigen Jahren von Jessy das Gleitschirmfliegen durch die Luft beibringen lassen möchte. Ich überlege im Moment nur, ob ich das angesichts des heute Geschehenen wirklich für eine gute Idee halten soll.“
„Tja mein Lieber – Risiken gibt’s überall, selbst wenn unsereins nur über die Straße geht. Aber ich versteh‘ deine Besorgnis. Die Zeit wird das schon richten, wirst sehen. Doch wenn ich dich so betrachte und sehe, wie liebevoll du deine Patientin gerade anschaust, weiß ich sie bei dir in guten Händen.“
„Quatsch! Jessica Winter ist meine Patientin und sonst nichts. Alles andere wäre doch wohl auch ziemlich unprofessionell“, raunzte Jonas seiner bereits im Gehen begriffenen Kollegin hinterher.
„Wir werden sehen. Wenn du in vier Wochen noch immer so denkst, werde ich mein Urteil vielleicht revidieren. Aber nur vielleicht. Wie du weißt bin ich eine erfahrene Ehefrau – und als solche bemerke ich, wenn aus den Augen eines ziemlich verliebten Katers die Funken nur so sprühen.
Tu mir bitte den Gefallen und pass heute Nacht gut auf deine anziehende Patientin auf. Und damit meine ich nicht nur die Überwachung ihrer Vitalwerte. Falls das wirklich kein Unfall war, wird diese Sache möglicherweise noch Folgen haben. Deine Jessy ist zwar über dem sprichwörtlichen Berg, aber auf Überraschungen, vor allem auf einen neuen Anschlag, können wir wohl alle gut und gerne verzichten.
Wenn irgendetwas Unvorhergesehenes eintreten sollte, ruf mich bitte sofort an. Meine Nummer hast du ja. Wie du weißt, wohne ich gleich um die Ecke und kann binnen weniger Minuten wieder hier sein.“
Mit diesen Worten verließ die erfahrene Anästhesistin ihren Platz vor Jessys Bett und machte sich breit vor sich hin lächelnd nachhause zu ihrer Familie auf.
***
Am darauffolgenden Montagmittag saß der jetzt seinerseits ziemlich übermüdete Jonas Korte noch immer neben dem Krankenbett der verunglückten Gleitschirmfliegerin, als diese endlich flimmernd ihre cognacbraunen Augen aufschlug.
Die Nacht zuvor hatte der Arzt, nach stündlichen Kontrollen, mehr schlecht als recht auf einem vom Pflegepersonal hereingeschobenen Notbett verbracht. Deshalb bekam der an Schlafmangel mittlerweile nicht mehr so gut gewöhnte Mediziner das langsame Aufwachen seiner Patientin erst mit, als diese ihn leise fragte:
„Wo bin ich und was mache ich hier? Und was piepst da die ganze Zeit so nervig? Das ist ja kaum zum Aushalten.“
Gleich danach setzte bei Jessica Winter die Erinnerung wieder ein und sie knurrte: „Verdammt noch eins – ich bin abgestürzt, stimmt’s? Und jetzt liege ich in einem Krankenhausbett. Aber wer zum Teufel sind Sie? Ich kenne Sie doch irgendwoher.“
„Wenn Sie sich an mich erinnern, ist das schon mal sehr gut, Frau Winter. Und ja, Sie hatten gestern Nachmittag einen schlimmen Unfall. Ich bin ihr behandelnder Notarzt, der Sie erstversorgt und danach mit meinen Kollegen hier im Klinikum Traunstein operiert hat. Sie haben nämlich ganz schön was abbekommen, als Sie mit Ihrem defekten Gleitschirm in die Baumkrone über unserem Kaffeetisch gekracht sind.
Ich heiße übrigens Jonas Korte und bin dafür verantwortlich, dass Sie in meiner Begleitung per Hubschrauber hierhergebracht wurden. Momentan befinden Sie sich noch auf der Intensivstation, aber ich denke, dass wir Sie schon bald in ein normales Krankenbett verlegen können.“
„Du bist der Vater von Katie, der mit seiner kleinen Tochter gestern früh auf unserem Startplatz an der Kampenwand war – stimmt‘s?
Und ihr habt meinen Nachmittagsstart so, wie bei eurem Besuch vereinbart, von eurem Zuhause aus beobachtet. Dass du ein leibhaftiger Notarzt bist, wusste ich ja zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Scheint so, als ob ich ein Riesenschwein gehabt habe, dass ich gerade dir in die Arme gefallen bin.“
„Naja – zum Teil ist das schon mal richtig. Ich freue mich jedenfalls, dass dein Gedächtnis so langsam wieder zu funktionieren beginnt. Damit kann ich zumindest mal grob neurologische Schäden in deinem hübschen Kopf ausschließen. Und wenn es dir recht ist, bleiben wir ab sofort beim von dir gerade eingeführten Du.
Sag mir aber vor allem anderen bitte, ob – und falls ja, wo und wie wir jemanden von deinen Angehörigen verständigen können. Deine Eltern, deinen Mann oder Freund zum Beispiel. In deinen Papieren haben wir nämlich keine Notfallkontakte gefunden.“
„Ooohkay – Dr. Jonas Korte – richtig? Also zuerst mal zu deiner Frage: Mit einem Mann oder Freund kann ich leider nicht dienen – und meine Eltern sind als Archäologen derzeit auf Ausgrabung in Südamerika. Ihr braucht also niemanden Bescheid zu sagen – außer meiner Arbeit vielleicht. Aber das eilt auch nicht – ich hätte in dieser und der kommenden Woche nämlich ohnehin Urlaub gehabt.“
Dann schien der jungen Frau noch etwas einzufallen, was sie unbedingt wissen wollte. Deshalb fragte sie jetzt ihrerseits umgehend:
„Ist es eigentlich üblich, dass Notärzte die Unfallopfer nach der Einlieferung ins Krankenhaus gleich selber operieren und danach auch noch die ganze Nacht am Bett ihrer Patienten wachen? Oder machst du das nur bei weiblichen Patienten, die du anziehend findest?“
„Ganz schön frech, Frau Winter. Aber auch das zeigt mir, dass du langsam wieder in die Spur kommst. Meine Freunde nennen mich übrigens Jo. Soviel dazu. Und zu deinen zwei Fragen – nein, Notärzte operieren in der Regel nicht selber und bleiben normalerweise auch nicht über Nacht bei ihren Patienten, selbst wenn sie so attraktiv aussehen, wie du.
Des Rätsels Lösung ist, dass es gestern hier in der Klinik wegen zahlreicher Verkehrsunfälle einen medizinischen Personalengpass gab. Und in solch einem Fall muss halt jeder verfügbare Chirurg ran. Das ist in den Wochen, in denen ich als Aushilfsnotarzt mit dem an dieser Klinik stationierten Christoph 14 regelmäßig in den Einsatz gehe, schon des Öfteren passiert.
Hab‘ aber keine Angst – in meinem früheren Leben war ich tatsächlich mal ein ordentlicher Unfallchirurg in der Notaufnahme einer Münchener Klinik. Ich kenne mich also einigermaßen mit unfallbedingten Verletzungen aus.
Gestern hatte ich übrigens frei und wollte mit meiner Tochter gerade deinen Flug beobachten und bei Freunden Kaffeetrinken und Zwetschgenkuchen essen, als du mir – wie du schon sagtest – auf dem Bauernhof unserer Nachbarn geradezu in die Arme gesprungen bist.“
„Was für ein Wunder. Mein Gott, da hatte ich anscheinend wohl wirklich saumäßiges Glück. Ich danke dir, Doktor Jo. Und zwar für alles, was du als Schutzengel für mich getan hast. Ich hoffe nur, dass deine Katie wegen meines Unfalls die Begeisterung fürs Paragliding nicht verloren hat. Aber darüber sprechen wir vielleicht ein anderes Mal.
Jetzt solltest du dich jedoch langsam mal wieder zu ihr und ihrer Mutter aufmachen – ich denke, dass ich den Rest meiner Krankenhaustage auch ohne deine nette Betreuung klarkomme. Zumal du ja eigentlich gar nicht im Dienst bist.“
Als Jessica Winter bei ihren letzten Worten das krampfhafte Schlucken und das augenblicklich wie versteinert wirkende Gesicht ihres Gegenübers wahrnahm, fragte sie verdutzt:
„Meine Güte, hab‘ ich grad was Falsches gesagt? Du wirst nach alledem deiner Katie nie erlauben, mit mir mitzufliegen – hab‘ ich recht?“
„Nein, Jessy – das ist es nicht. Meiner Tochter erfülle ich möglichst jeden ihrer Wünsche, sofern ich mir die denn leisten kann. Wir beide sind nämlich ein eingeschworenes Team, vor allem, seit ihre Mutter vor drei Jahren bei einem perfiden Anschlag auf uns drei ums Leben gekommen ist.
Damals war ich nämlich noch bei der Polizei – genauer gesagt in leitender Funktion beim BLKA. Dort habe ich nämlich nach meiner Zeit als Unfallchirurg hauptberuflich als Profiler und Psychologe gearbeitet.
Tja – und nach der Ermordung meiner Frau habe ich diesen Beruf ziemlich rasch an den Nagel gehängt und meine gesamten Lebensumstände zugunsten der Erziehung meiner damals erst siebenjährigen Tochter geändert.
Das hört sich zwar ziemlich pompös und großspurig an – ist aber dank unseres geerbten Bauernhofs in der Gemeinde Schleching kein großes Ding gewesen.
Aus dem alten Bauernhof dort ist inzwischen eine gut laufende Gästepension geworden und ich selber arbeite im Rückblick auf meine frühere Tätigkeit beim Landeskrimimalamt mittlerweile meist nur noch als Autor fachspezifischer Literatur und Gastdozent bei Weiterbildungsveranstaltungen meiner früheren Kollegen. Und gelegentlich stelle ich darüber hinaus noch mein medizinisches Talent der hiesigen Klinik als Hubschraubernotarzt zur Verfügung.
So, jetzt weißt du beinahe alles über mich, aber über dich weiß ich fast gar nichts. Außer, dass du selbst in diesem hässlichen Krankenhaushemdchen unglaublich hübsch aussiehst. Aber deine Geschichte kannst du Katie und mir ja noch bei unserem geplanten Besuch erzählen. Sie hat mich nämlich schon gestern Abend direkt nach der OP am Telefon gefragt, wann sie dich besuchen darf.“
„Gott, oh Gott – ich bin gerade völlig verwirrt. Das mit deiner Frau tut mir sehr leid – sorry, wenn ich dir das eben mit meinem Geschwätz wieder in Erinnerung gerufen habe. Ich hatte davon ja keine Ahnung.
Ich kann mir das, was du durchgemacht haben musst, nicht mal annähernd vorstellen. Zumal ich selber noch keine Kinder vorzuweisen habe. Einen begabten Erzeuger dafür habe ich in meinen bisherigen 25 Lebensjahren nämlich leider noch nicht getroffen.
Wenn ich einen fände, müsste er ungefähr so aussehen und handeln, wie du, Doktor Jo. Du haust jetzt besser von hier ab, damit ich noch ein wenig schlafen kann. Ich bin nämlich noch immer ziemlich müde. Grüß bitte deine liebe Katie von mir und sag ihr, dass ich mich über einen Besuch von euch beiden in den nächsten Tagen sehr freuen würde.“
„Das mach ich gerne, Jessy – aber ehe ich gehe, solltest du noch wissen, dass dich heute oder morgen Beamte der Kripo Traunstein aufsuchen und über deinen Unfall ausfragen werden.
Dies vor allem deshalb, weil ich und alle, die deinen Absturz mit unseren Feldstechern mitverfolgt haben, der Meinung sind, dass das kein Unfall, sondern ein Anschlag auf dein Leben gewesen ist.
Wundere dich deshalb auch nicht, dass nach deiner Verlegung auf die orthopädische Station ein Polizeibeamter vor deiner Tür sitzen wird und auf dich aufpasst. Das habe ich nämlich bereits vorsichtshalber veranlasst.“
„Aha – das heißt dann wohl „Einmal Bulle, immer Bulle“, oder wie soll ich das jetzt verstehen? Ich bin doch nur eine unscheinbare Rechtsanwaltsgehilfin aus München. Wer also sollte mich denn auf dem Kieker haben, verdammt noch mal?“
„Das weiß ich nicht – aber Vorsicht ist besser als Nachsicht. Und wenn an deinem Absturz etwas faul war, werden meine Ex-Kollegen das sicher schon bald herausfinden.
Ich werde jedenfalls keine Ruhe geben, bis ich die Untersuchungsergebnisse zu deinem von der Kripo sichergestellten Gleitschirm in Händen habe. Außerdem wüsste ich gerne, warum dein Flugschüler so mir nichts dir nichts nach einem Kreisen über der Unfallstelle in Richtung Aschau abdrehte, obwohl er deinen Absturz einwandfrei mitbekommen haben muss. Wer war dieser Kerl eigentlich?“
„Das war Charly, ein Kollege aus meiner Kanzlei. Er arbeitet bei uns als Rechtsanwalt und ist die rechte Hand meines Kanzleichefs. Er heißt eigentlich Carlo Rossi, ist Italiener und zudem der Schwager meines Chefs. Er kam erst vor rund vier Jahren zu uns, nachdem er sein Studium in Neapel und Mailand als Dottore der Rechtswissenschaften abgeschlossen hatte.“
„Dann hat sich dieser Dottore allerdings ziemlich merkwürdig verhalten. Oder wie erklärst du dir‘s, dass er sich so rasch aus dem Staub gemacht und noch nicht mal die 112 angerufen hat?“
„Nun, ich denke, dass er das der Polizei gegenüber sicher beantworten wird. Vielleicht hat er sich ja nur nicht getraut auf unbekanntem Grund zu landen. Er ist ja – wie schon gesagt – noch Flugschüler und hat erst einige wenige Gleitschirmflüge absolviert.“
„Naja – wir werden sehen. Aber jetzt, liebe Jessy, ruhst du dich weiter aus. Spätestens übermorgen bin ich mit Katie wieder hier und schaue mir deinen Heilungsfortschritt an.
Ach so, ehe ich’s vergesse: Heute kommt auch der hiesige Orthopäde nochmal bei dir vorbei. Deine Schulter und dein rechter Fuß haben nämlich auch etwas abbekommen.
Der Kollege aus der Orthopädie heißt übrigens Dr. Kurt Wagner. Er hat deine ausgekugelte linke Schulter zwar gestern während der OP wieder eingerenkt und deinen verstauchten rechten Fuß geschient, aber es ist besser, wenn er da heute noch mal draufschaut. Dann mal bis morgen oder übermorgen. Ich wünsche dir jetzt erstmal gute Besserung und bin dann mal weg.“
Damit drückte Jonas Korte noch einmal die nicht von Infusionsschläuchen verunzierte schmalgliedrige linke Hand, die er nach der OP stundenlang gehalten hatte und gab seiner Patientin zum Abschied einen freundschaftlichen Kuss auf dieselbe.
„Mach‘s gut hübsche Jessy – das wird schon wieder. In den kommenden Stunden wirst du eine Zunahme an Schmerzen verspüren, weil wir dich nicht auf Dauer so stark sedieren dürfen.
Aber wenn’s dir zu viel wird, rufst du nach dem Stationspersonal, okay? Du bist hier gut bewacht und in den besten Händen“, verabschiedete sich Jonas Korte gleich anschließend von seiner Patientin, ehe er sich zum Taxistand vor dem Klinikum auf den Weg machte.