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Kapitel 4 Geänderte Lebensplanung

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Drei Jahre waren seit dem entsetzlichen Schicksalsschlag vergangen, der den Arzt und Psychologen Jonas Korte zum Witwer gemacht und ihn als alleinerziehenden Vater einer inzwischen 10-jährigen und ziemlich quirligen Tochter zurückgelassen hatte.

In diesen drei Jahren hatte er seine vormalige Lebensweise radikal umgekrempelt. Seine frühere Eigentumswohnung in Traunstein hatte er inzwischen verkauft, weil ihn dort viel zu viel an seine verstorbene Frau erinnerte. Aus diesem Grund war er unmittelbar nach dem Unfall nur noch ein einziges Mal in der alten Wohnung gewesen, um seine und Katies persönliche Sachen von dort abzuholen.

Von dem erzielten Verkaufserlös hatte er den geerbten Bauernhof seiner Tante in der Gemeinde Schleching anschließend von örtlichen Handwerkern schon bald darauf zu einer in den letzten Monaten gut gebuchten Frühstückspension umgestalten lassen.

Zusätzlich hatte Jonas Korte vor rund einem Jahr damit begonnen, die ehemaligen Stallungen des früheren Bauernhofs in einen an die Pension angeschlossenen Heil- und Wellnessbereich umzubauen, wobei er selber mit seiner Katie in ein kleines Nachbargebäude auf dem Areal eingezogen war.

Dass Jonas und seine Tochter bereits seit dem Umzug von Traunstein von Anfang an direkt neben der Frühstückspension wohnen konnten, hatte sich dabei als unschätzbarer Vorteil erwiesen, weil er auf diese Weise seine Ideen realisieren und beim Umbau selber mit Hand anlegen konnte.

Damit hatte er erreicht, dass die Pensionseinnahmen mittlerweile den Grundstock für seinen Lebensunterhalt lieferten, zu denen in einigen Monaten hoffentlich auch noch die Einkünfte aus dem Wellnessgeschäft hinzukommen würden. Denn das Erbe seiner 2001 ums Leben gekommenen Eltern wollte er vorerst nicht anfassen, sondern für die Ausbildung seiner Tochter Katharina reservieren.

Zur Aufstockung seiner Bezüge und um stets nahe bei seiner Tochter zu sein, hatte er zudem mit dem häuslichen Schreiben von fallanalytischer Fachliteratur begonnen, die sich im Kreis der in Ausbildung befindlichen Profiler mittlerweile ziemlich erfolgreich verkaufte.

Außerdem hatte Jonas Korte im letzten Jahr dem Wunsch seiner früheren Chefin Viktoria Mayer nachgegeben und ein paar Mal als zeitweiliger Berater bei besonders kniffligen Kriminalfällen ausgeholfen.

Dies geschah jedoch stets unter größter Geheimhaltung, weil Jonas nach wie vor als Ziel möglicher Racheakte galt, der noch dazu den Überfall von vor drei Jahren mit Blick auf die laufenden Täterermittlungen weiterhin analysierte. Deshalb trat er im LKA in München offiziell stets auch nur als Dozent bei angeblichen Weiterbildungsveranstaltungen auf.

Bei Jonas dritter Einkommensquelle hatten seine Wurzeln als früherer Unfallmediziner eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. So erinnerte er sich inzwischen wieder gerne an seine frühere Tätigkeit im Notfallzentrum Schwabing, was letztendlich auch der Grund dafür gewesen war, dass er sich dem Klinikum Traunstein auf Anfrage für jeweils eine oder zwei Wochen im Vierteljahr als fliegender Notarzt des dort stationierten Rettungshubschraubers Christoph 14 zur Verfügung stellte.

Das funktionierte aber nur, weil sich seine früheren Hofverwalter Mitzi und Peter Huber, die den inzwischen zur Gästepension umgebauten Bauernhof seit dessen Eröffnung als Wirtsleute führten, dazu bereit erklärt hatten, während seiner Notarztdienstzeiten auf Jonas Kortes Tochter Katharina aufzupassen.

Katharina, die nach einer überraschend kurzen Pause mittlerweile die 4. Klasse der Grundschule Schleching besuchte, liebte dieses von ihrem Vater getroffene Arrangement ganz außerordentlich. Vor allem, weil sie dadurch, nach Erledigung ihrer täglichen Hausaufgaben, des Öfteren auf dem benachbarten Bauernhof von Peter Hubers Bruder Alois und dessen Frau Gretel aushelfen und spielen durfte.

***

Als Jonas Korte an dem besagten Julimorgen seiner mit ihrem Hund spielenden Tochter hinterherschaute, besann er sich nach seinem unvermeidlichen Flashback irgendwann wieder auf seine gedanklichen Anti-PBTS-Übungen. Dazu gehörten in erster Linie die bewusst herbeigerufenen Erinnerungen an glücklichere Zeiten seiner Vergangenheit.

Dr. Jo, wie ihn seine Freunde und Kollegen in der Notaufnahme des Schwabinger Krankenhauses in der Frühzeit seiner beruflichen Tätigkeit stets scherzhaft genannt hatten, hatte sich von Anfang seiner Assistenzarztzeit an als brillanter Mediziner erwiesen, der sich gleich nach dem Studium seine ersten Meriten im nervenaufreibenden Notfallzentrum des Schwabinger Klinikums in München verdiente.

Nur seiner über alles geliebten Maria, die er während seines ergänzenden Studiengangs der Psychologie an der Münchener LMU3 kennen und lieben gelernt hatte, war es zu verdanken, dass er diese anfangs manchmal ziemlich anstrengende und daher zuweilen frustrierende Assistenzzeit durchgestanden hatte.

„Danke, dass du mich immer wieder aufrichtest, mein Schatz – ohne dich würde ich nach so einem Scheißtag in meiner Arbeit überhaupt nicht mehr runterkommen“, hatte Jonas Korte an einem Freitag erklärt, als er seine Freundin spätabends endlich in die Arme schließen konnte.

„Na, na, Herr Doktor – du wirst mir doch jetzt nicht schlappmachen. Für das versprochene Abendessen außer Haus im Kreis unserer früheren Kommilitonen ist es jetzt zwar schon ein bisschen zu spät, aber wir können doch auch zuhause speisen, ehe wir nachher miteinander ins Bett gehen“, hatte ihm seine Maria mit einem Augenzwinkern geantwortet.

„Ich hatte mir den heutigen Abend zur Feier unserer Doktorwürde als frischgebackene Psychoklempner zwar vollkommen anders vorgestellt, aber sei’s drum.

Da wir nach diesem Abschluss so etwas sicher noch öfter durchmachen müssen, werde ich jetzt halt bei unserem Lieblingsitaliener eine Familienpizza für uns beide bestellen.“

Doch die eigentliche Überraschung kam erst, als die rothaarige Maria den von dem Pizzaboten gelieferten Pappkarton öffnete.

„Pfui Deibel, da hat dein Pizzabäcker Mario aber mal so richtig danebengelangt. Oder was soll ich von dieser blauen Schachtel halten, die er da in die Mitte meiner Pizza platziert hat?“

„Ich muss dir jetzt was beichten, mein Liebling. Ich hab‘ heute eigentlich gar keine Überstunden gemacht, sondern bin stattdessen vorhin noch kurz bei Mario gewesen. Und die kleine Schachtel auf deiner Pizza stammt von mir.

Hat mich ‘ne ganze Menge an Überredungskunst gekostet, bis er bereit war, deine Pizza so zu verunstalten“, meinte Jonas Korte, als er die blaue Schachtel vom Teller seiner Freundin entfernte und vor Maria auf die Knie ging.

„Oh mein Gott – oh mein Gott, was wird das denn jetzt?“, rief Maria atemlos, als ihr Freund das Schächtelchen in die Hand nahm und ihre linke Hand ergriff.

„Maria, mein Schatz – ich habe mich vom ersten Augenblick an in dich verliebt. Und ohne dich will ich künftig nicht mehr durchs Leben gehen. Deshalb frage ich dich hier und heute im Angesicht dieser auf meine Anordnung verunstalteten Pizza – willst du mich heiraten?

Ich hab‘ hier außerdem noch ein Kärtchen und einen Stift vorbereitet. Darauf stehen schon die Antwortmöglichkeiten: „Ja“, „Vielleicht“ und „ich muss mir das noch überlegen“. Musst also nur noch das Passende ankreuzen.“

„Schmeiß die blöde Karte weg und steck mir endlich diesen wunderschönen Ring an meinen Finger – denn meine Antwort lautet: Ja, mein geliebter Jo – ja, und nochmals ja – das will ich, und wie ich das will. Komm mit mir nach nebenan in unser Schlafzimmer. Ich will dir nämlich gleich mal zeigen, wie sehr ich mit deinem wundervollen Antrag einverstanden bin.“

Damit packte Maria ihren Frischverlobten kurzerhand um die Hüfte, küsste ihn heftig und zog ihn gleich danach hinter sich her. „Aber unser Abendessen – was wird damit?“, stotterte Jonas verblüfft.

„Unsere Pizzen sind eh schon kalt – die können wir auch später nochmal aufwärmen. Denn jetzt hab‘ ich auf ganz was anderes Hunger, wenn du verstehst, was ich meine“, gurrte Maria ihren Verlobten jetzt an, während sie ihren Smaragdring auffordernd vor das Gesicht ihres Geliebten hielt.

***

Zwei Monate später waren die beiden ehemaligen Studienkollegen verheiratet und ein knappes Jahr danach wurde ihr privates Glück durch die Geburt ihrer Tochter Katharina gekrönt. Schon während Marias Schwangerschaft hatte sich Jonas Korte einen neuen und zugleich weniger zeitaufreibenden Job gesucht.

Dachte er jedenfalls, als er gleich nach der Geburt seiner Tochter ein Stellenangebot als Profiler und psychologischer Berater beim Bayerischen LKA annahm und seine Anstellung als Notfallchirurg aufgab. Denn ein weniger zeitaufwendiges Berufsleben war alles, was sich Jonas jemals zuvor für die Zukunft seiner kleinen Familie erträumt hatte.

***

Als Jonas Korte allmählich sein Nachdenken über die freudigeren Erlebnisse aus vergangenen Jahre beendete und sich das begonnene Kapitel seines in Arbeit befindlichen neuen Sachbuchs noch einmal durchlas, fing er gleich danach an zu lächeln, ehe er wieder wie wild auf die Tasten seines Macbooks einhämmerte.

„Es ist wichtig, dass die künftigen Kollegen endlich von Erfahrung geprägte Ausbildungsgrundlagen erhalten. Dass ich damit inzwischen ganz gut verdiene, ist dabei sekundär. Aber es ist einer der Wege, um Katie eine von Liebe und Wohlstand geprägte Jugend zu ermöglichen.“

Bei diesen Überlegungen fiel sein Blick auf seinen Nachbarn Alois, den Bruder von Peter Huber, der mit seinem roten Traktor auf der Wiese nebenan seit einer guten Stunde das hochstehende Gras mähte. Als Alois Huber kurz darauf seinen Traktor abstellte und für eine Pause zu ihm auf seine Terrasse herüberkam, begrüßte er ihn und bot ihm zugleich eine Limonade zur Erfrischung an.

„Limonade trinke ich nur, wenn unsere Brauereien kein Bier mehr im Fass haben. Und das ist meines Wissens momentan noch nicht der Fall – hast du also vielleicht ein Frischgezapftes für mich übrig? Zur Not nehme ich aber auch eine Flasche Weißbier“, meinte Alois Huber lachend, als er sich neben Jonas an den Gartentisch setzte.

„Klar – schließlich ist das hier ja sowas ähnliches, wie ‘ne Gastwirtschaft“, grinste Jonas seinen Freund und Nachbarn umgehend an. „Kannst du mal zu Mitzi ins Haus gehen und Alois ein Flasche Bier aus unserem Kühlschrank bringen?“, fragte er seine herbeigeeilte Tochter Katie, als sie ihrem zeitweisen Pflegeonkel artig die Hand gab und sogleich auf ihren Hund deutete.

„Mach ich, Paps. Aber danach will ich Onkel Alois Henrys neueste Kunststücke vorführen, okay?“

„Einverstanden – und jetzt ab mit dir“, erwiderte Jonas Korte, als er sich wieder seinem Gast zuwandte und fortfuhr: „Es ist schön, Katie wieder so glücklich zu sehen. Ich denke, dass meine Entscheidung, so oft wie möglich bei ihr zu sein, der beste Weg für uns beide war, unseren tragischen Verlust zu verarbeiten.

Und deshalb bin ich dir und deiner Gretel auch sehr dankbar, dass ihr meine Katie während meiner zeitweisen Abwesenheiten so manches Mal zu euch auf den Bauernhof nehmt. Vor allem, wenn Mitzi und Peter keine Zeit haben, weil sie mit den vielen Pensionsgästen beschäftigt sind.

Ich hätte nie gedacht, dass meine Frühstückspension so gut einschlagen würde. Mittlerweile bildet sie nämlich – neben meiner Autorentätigkeit – meine Haupteinnahmequelle, denn zum Landwirt tauge ich nun mal wirklich nicht. Deshalb bin ich dir ja noch immer dankbar, dass du Tante Magdas Tiere übernommen und ihre Nutzflächen gepachtet hast.“

„Das war doch selbstverständlich – und was deine bäuerlichen Fähigkeiten angeht, da hast du wohl recht, Alter. Aber Milchwirtschaft und Heumähen ist auch wichtig“, meinte Alois, während er auf seinen auf der benachbarten Wiese abgestellten Traktor deutete.

„Sonst hätten meine Kühe ja im Winter nichts zu fressen und die gute Hofmilch für deine Katie und deine Gäste könnte ich dir dann auch nicht an jedem Tag verkaufen.

Apropos Katie – ich finde du machst deine Sache als alleinstehender Vater ganz ausgezeichnet. Schau sie dir nur an – deine kleine Tochter ist glücklich hier, auch wenn ihr dieser scheußliche Unfall noch so manches Mal nachgeht.“

„Ein Unfall war das nicht, sondern ein Anschlag auf mich. Und den hätte ich verhindern müssen. Warum zum Teufel habe ich bloß an diesem Scheißtag nicht – wie schon so oft zuvor – in München übernachtet?“, fragte Jonas Korte sofort, während er sich verzweifelt die Haare raufte.

„Du wolltest endlich zurück zu deiner Familie – immerhin warst du ja zuvor fast zwanzig Tage am Stück weg von daheim – hast du mir jedenfalls neulich im Bräustüberl nach der dritten Maß Bier erzählt“, entgegnete Alois im selben Augenblick, während er das inzwischen von Katie gebrachte eisgekühlte Bier an seine Lippen setzte.

Als er im Anschluss die neuen Kunststücke von Katies Golden Retriever pflichtschuldigst bewundert und gelobt hatte, meinte Alois Huber nach einer Weile:

„So – ich muss dann mal wieder weitermähen. Wer weiß, wie lange uns das gute Wetter noch erhalten bleibt, ehe es heute Abend das nächste Sommergewitter gibt. Habe die Ehre – und danke für das gute Bier. War genau das, was ich in meiner Pause gebraucht habe.“

„Keine Ursache, Alois. Und sag‘ mir, wenn ich dir später beim Heueinfahren auf deinen Bergwiesen helfen soll. Soweit ich weiß, machst du das ja in diesem schrägen Gelände immer noch von Hand. Ein bisschen körperliche Arbeit hilft mir schließlich auch dabei, meine Pfunde in Grenzen zu halten. Außerdem ist Schwitzen ja ausgesprochen gesund.“

„Tja, Maschinen sind für die Arbeit am Berg leider noch nicht erfunden. Und danke, ich werde kommende Woche auf dein freundliches Angebot zurückkommen. Bin schließlich der einzige Bauer in der Gemeinde, der seinen Kühen erzählen kann, dass ihnen ein richtiger Arzt das Heu gewendet und in ihre Scheune gebracht hat“, meinte Alois Huber lachend, als er sich wieder in Richtung seines Schleppers entfernte.

Doch dann drehte er sich noch einmal um und rief Vater und Tochter zu: „Wie wäre es, wenn ihr beide am Sonntagnachmittag zum Kaffeetrinken zu uns rüberkommen würdet? Meine Gretel bäckt nämlich Sonntagfrüh ihren berühmten Zwetschgendatschi – und Kakao für Katie gibt es auch.“

„Au ja – das wäre fein. Ich liebe Tante Gretels Kuchen. Papa bitte, sag Onkel Alois, dass wir kommen“, rief die kleine Katie sofort.

„Okay, okay, mein Schatz. Aber denk dran, dass wir vormittags noch rauf zur Kampenwand zu den Gleitschirmfliegern wollen. Aber bis zum Nachmittagskaffee sollte sich ein Besuch bei Gretel und Alois einrichten lassen. Vorausgesetzt du bedankst dich bei unserem Nachbarn sogleich für die nette Einladung.“

„Jaja – natürlich. Danke für die Einladung, Onkel Alois! Wir kommen ganz sicher!“, brüllte sie dem davonschreitenden Landwirt hinterher, als der daraufhin grinsend und mit einem Daumen nach oben wieder auf seinen Traktor kletterte.

Bruchlandung im Glück

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