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Kapitel 10 Tage im Koma

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Nachdem Dr. Jonas Korte zwei weitere Nächte am Bett der im künstlichen Koma liegenden Jessica verbracht und dabei alle zwei bis drei Stunden ihre Vitalwerte kontrolliert hatte, brauchte er am Donnerstagvormittag sichtlich eine Pause.

„Du solltest langsam mal wieder mehr auf dich selber achtgeben, mein Lieber. Ich seh‘ dir doch an, wie erschöpft du von diesen ungewohnten Nachtwachen bist“, meinte sein Kollege von der Orthopädie, Dr. Wagner, als er am Donnerstagfrüh in die Intensivstation eintrat.

„Hast ja recht, Kurt. Aber die heutige Nacht hänge ich noch dran und fahre dann morgen früh nachhause, sobald ihr Jessy aus dem künstlichen Koma geholt habt. Ich bin nur froh, dass ihr ihren Tiefschlaf nutzen und gestern bereits die MRT-Bilder machen konntet. Zumindest hatte ich in der Zeit Gelegenheit, mich mal einen Moment lang aufs Ohr zu hauen.“

„Ja, die Aufnahmen sind ziemlich eindeutig – und so wie’s aussieht, haben wir beide bei der OP gute Arbeit geleistet. Sehnen und Nerven an Schulter und Oberschenkel sind ganz offensichtlich unversehrt geblieben und die Durchblutung der von dir verschweißten Arterie scheint ebenfalls wieder einwandfrei zu funktionieren. Wie waren ihre Vitalwerte heute Nacht?“

„Alles okay, Kurt. Auch ihre CRP11-Werte kommen allmählich wieder auf ein normales Level. Ich denke daher, dass wir keine Nekrose12 mehr befürchten müssen und sie ihr linkes Bein aus diesem Grund auch nicht verlieren wird.“

„Das sehe ich genauso, Herr Kollege. Ich hab‘ übrigens jetzt zwei Stunden Zeit, in denen ich eigentlich Papierkram erledigen wollte. Aber der kann noch warten. Und danach kommt die liebe Kollegin Judy zu euch her und passt ‘ne weitere Stunde auf Frau Winter auf. Dir sag ich deshalb jetzt Eines – du legst dich für drei Stunden hin und erholst dich ein bisschen und danach darfst du von mir aus wieder den allgegenwärtigen Krankenpfleger spielen.“

„Jaja – ist ja gut. Aber vorher ruf‘ ich noch kurz daheim an und sag‘ meinen Leuten, dass ich morgen Mittag wieder nachhause komme. Danke erstmal fürs Einspringen – ich bin tatsächlich saumüde und erschöpfte Ärzte sind für ihre Patienten bekanntlich keine guten Betreuer.“

„Nöh, die sind eher ‘ne Gefahr für sie und sich selbst. Schön, dass du langsam vernünftig wirst und ich dir nicht noch ‘ne Valiumspritze verpassen muss, damit du endlich Ruhe gibst. So, und nun verschwindest du endlich und haust dich drüben in unserem Ruheraum in eine freie Koje.“

***

Als Jonas Korte drei Stunden später wieder zur Intensivstation zurückkehrte, wurde er vor der Schleuse zum Innenraum bereits von Dr. Judy Bauer erwartet, die sich gerade mit Kriminaloberkommissarin Tamara Fuchs in einem, von leisem Lachen unterbrochenen Gespräch befand.

„Was gibt’s bei euch beiden Hübschen zu kichern? Und was machst du überhaupt hier, Tamara“, fragte Jonas verblüfft. „Du weißt doch seit meinem Anruf von gestern Abend, dass wir Jessy frühestens morgen aus ihrem künstlichen Tiefschlaf holen werden. Übrigens nochmal vielen Dank, dass du meine Tochter am Dienstagabend zuverlässig nachhause gebracht hast.“

„Typisch Mann! Dabei haben wir doch nur über Frauenkram gequatscht – und schon fährt er uns in die Parade“, wurde Jonas sofort von der Anästhesistin angeraunzt, bevor sie noch anfügte:

„Ich habe daheim auch so einen, daher weiß ich von was ich rede. Tschüss Tamara – ich bin dann mal wieder weg – meine Arbeit macht sich schließlich nicht von alleine. Hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen.“

Damit überließ Judy Bauer der Kriminalbeamtin das Feld und rauschte umgehend durch die Schleuse der Intensivstation davon.

„Meine Güte, was hab‘ ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?“, knurrte Jonas in seinen Bart, als er sich Tamara zuwandte und erneut fragte: „Also, mit was kann ich dir helfen? Im Schlaf hat Jessy bisher jedenfalls noch nicht geredet – soviel kann ich dir schon mal sagen.“

„Das ist auch nicht der Grund, weshalb ich hergekommen bin, mein Lieber – und der Transport deiner süßen Katie war auch kein großes Ding. Vielmehr habe ich eine wichtige Nachricht für dich, bei der du entscheiden musst, wann du sie an Jessy weitergibst. Und dann hat mich mein Boss auch noch gebeten, dir das hier auszuhändigen.“

Damit deutet Tamara Fuchs auf ein in braunes Packpapier gehülltes Päckchen, das sie auf einem Tisch vor der Schleuse in ihrer Sichtweite abgelegt hatte.

„Okay, dann erzähl‘ mal. Was gibt es denn so Wichtiges zu berichten, dass es nicht mehr bis morgen Nachmittag warten kann, wenn ihr alle ohnehin wieder zur Befragung bei Jessy antanzt?“

„Tja, Herr Kriminaldirektor, da wäre zunächst mal dieses kleine Paket, das ich dir mit den besten Grüßen deines alten Freunds Roland Lechner aushändigen soll.“

„Falsche Anrede, Tamara. Wenn schon, dann wäre „Kriminaldirektor a.D.“ die richtigere Bezeichnung gewesen. Bin ja schon seit fast drei Jahren nicht mehr im aktiven Dienst“, erwiderte Jonas, wobei sich ein verhaltenes Grinsen in seine stahlblauen Augen stahl.

„Damit hast du aber leider nicht recht, Herr Kollege in spe – meine Anrede gerade war schon korrekt. Denn in diesem Kästchen befinden sich deine alte Dienstpistole und dein Dienstausweis.

Jetzt guck mich nicht so verständnislos an, Jonas. Roland hat nämlich bereits vorgestern mit deiner früheren Chefin Viktoria Mayer telefoniert. Und die Frau Vizepräsidentin besteht darauf, dass du für diesen einen Fall, der ja mit der Ermordung deiner Ehefrau in Verbindung zu stehen scheint, pro forma in den Polizeidienst zurückkehrst, sofern du mit uns zusammen ermitteln willst.

Anders ist das leider nicht zu machen und deine gewohnte Walther PPK bekommst du zur Selbstverteidigung ebenfalls erst in die Finger, wenn du diese Einverständniserklärung unterschrieben hast. Du kennst das ja sicher noch von früher – ohne Papiere geht bei unserer Behörde leider gar nichts.“

„Roland und auch die gute Vicky wissen, dass ich Waffen hasse. Aber sei’s drum – ihr gebt ja doch keine Ruhe, bis ich unterschrieben habe. Also her mit dem Wisch. Ich versteh‘ schon, dass ich sonst keine Waffe führen dürfte – von der Teilnahme an kriminalpolizeilichen Ermittlungen mal ganz abgesehen.“

„Dir ist aber auch klar, dass du dann in der kommenden Woche mit mir auf unseren Schießstand musst. Ein bisschen Schießtraining wird dir sicher nicht schaden. Ich hab‘ übrigens am kommenden Mittwoch bereits ‘nen Termin für uns beide eintragen lassen – ich bin schließlich, zusätzlich zu all meinen anderen Vorzügen, ja auch noch immer eine geübte Schießtrainerin.“

„Na gut, dann mach ich halt bei deinem Schießzirkus mit – aber erwarte keine Bestleistungen von mir. Viel wichtiger wäre es nach meiner Meinung, wenn ihr mir Einsicht in eure bisher gefertigten Akten gewähren würdet. Ich bin ja eher der Kopfarbeiter und verfüge deswegen über keinerlei Rambo-Qualitäten.

Jessy wird ohnehin erst frühestens übernächste Woche aus dem Krankenhaus entlassen – deshalb sollten wir die Zeit bis dahin mit etwas Sinnvollem nutzen, da hast du schon recht. Gibt’s sonst noch was, was ich tun muss, um wieder Polizist spielen zu dürfen? Muss ich vielleicht noch ‘nen Auffrischungskurs in Sachen Dienstrecht und dienstlich angemessenen Verhalten absolvieren?“

„Nein, nein, Jonas. Die Vizepräsidentin und wir alle bei der Kripo Traunstein denken nämlich, dass du das Nötige dafür noch immer draufhast. Und Akteneinsicht kriegst du ebenfalls schon bald“, lachte Tamara ihr Gegenüber jetzt belustigt an, während sie die von Jonas Korte unterschriebenen Papiere wieder in Empfang nahm.

„Okay – aber du wolltest mir noch was Wichtiges erzählen, hast du vorhin jedenfalls gesagt. Also spuck‘s aus. Was genau hat es damit auf sich?“

„Das ist schnell berichtet. Also pass auf: Unsere Münchner Kollegen wurden bereits am Montagvormittag zu einem Einbruch in der Schellingstraße in Schwabing gerufen. Eine ältere Frau hatte dort nämlich am frühen Morgen einen Einbruch in die Wohnung ihrer Nachbarin bemerkt, der in der Nacht von Sonntag auf Montag passiert sein musste.

Die eintreffenden Streifenbeamten fanden dann vor Ort eine völlig auf den Kopf gestellte Wohnung vor – und nun rate mal, wem diese Wohnung gehört.“

„Ich kann‘s mir schon denken. Es handelt sich wahrscheinlich um Jessys Wohnung. Sie hat, glaube ich, am Rande schon mal erwähnt, dass sie in Schwabing wohnt. Und – was haben die wahrscheinlich inzwischen eingeschalteten Münchner Kripokollegen bis jetzt schon herausgefunden?“

„So gut wie nichts. Keine Fingerabdrücke oder DNA-Spuren. Da scheinen Profis am Werk gewesen zu sein. Das Wichtigste ist wohl, dass man Jessys privates Macbook, aber auch ihren Schmuck und den Flachbildfernseher entwendet hat.

Letzteres wahrscheinlich nur, um den Diebstahl ihres Rechners zu vertuschen. Meinen jedenfalls die Leute vom KTI, die das Ganze ab dem Moment untersucht haben, als Viktoria Mayers Leute im LKA Wind davon bekamen, um wen es sich bei der Mieterin der von Dieben verwüsteten Wohnung handelt.

Alle in diesem Fall inzwischen zusammenarbeitenden Ermittler sind mittlerweile gemeinsam der Meinung, dass Jessy irgendwo Belegkopien aus ihrer Kanzleibuchhaltung versteckt haben muss. Und weil man nach der fehlgeschlagenen Attacke auf ihr Leben keinerlei Unterlagen in ihrem Appartement finden konnte, müssen wir davon ausgehen, dass Jessica Winter nach wie vor ein potenzielles Anschlagsziel dieser Verbrecher ist.

Ich glaube zudem, dass Jessy nicht so dumm war, irgendwelche Beweisfotos auf ihrem häuslichen Notebook zu speichern. Daher bin ich schon sehr gespannt, ob wir morgen Nachmittag mehr von ihr darüber erfahren.“

„Das heißt dann wohl im Klartext auch, dass die gute Jessy vorerst nicht in ihre derzeitige Wohnung zurückkann. Falls sie nach all dem Zirkus überhaupt noch dorthin zurückwill“, gab Jonas Korte leise zu bedenken.

„Da stimme ich dir zu, Jonas. Vielleicht überlegst du dir mit Jessy zusammen in nächster Zeit mal eine Lösung für ihr demnächst real existierendes Unterkunftsproblem. Jedoch denke ich, dass du davor mit ihr zunächst mal über den Einbruch und den derzeitigen Zustand ihrer Wohnung reden musst.“

„Das werde ich machen – natürlich nicht als Erstes, wenn sie morgen früh wieder aufwacht. Wir wollen ja nicht, dass Jessica gleich noch einmal in Ohnmacht fällt, wenn sie zu früh davon erfährt.

Bloß gut, dass wir uns für die Zeit ihrer Rehabilitationsmaßnahmen bereits eine machbare Übergangslösung ausgedacht haben, zu der sie nur noch Jasagen muss. Eine fähige Physiotherapeutin für sie hab‘ ich übrigens ebenfalls bereits gefunden.“

„Das hört sich doch super an, Herr Kriminaldirektor in Lauerstellung. Halt die Ohren steif und beschütz deine schöne Patientin. Eine Waffe hast du ja jetzt – aber schieß dir mit dem Ding nicht in den Fuß. Ab morgen steht ja nach ihrer Verlegung auf eure stationäre Orthopädie wieder einer unserer Personenschützer vor ihrer Tür.

Wir sehen uns dann spätestens morgen Nachmittag. Bis dahin also“, grinste Tamara Fuchs ihren reaktivierten Kollegen abschließend an, ehe sie sich von ihm verabschiedete und gleich danach auf den Weg zu ihrer Dienststelle aufmachte.

***

Für die folgende Nacht hatte sich Dr. Korte einen bequemen Ledersessel aus einem der Krankenhauskonferenzräume geklaut. „Noch eine Nacht auf diesem brettharten Feldbett ertrage ich nicht“, hatte er im Stillen bei sich gedacht, als er jetzt den entwendeten Sessel näher an Jessys Bett heranschob.

Während seine Patientin nach wie vor tief und fest schlief, nahm er sich ihre Patientenakte vor, die sich das Krankenhaus inzwischen von Jessica Winters Hausarzt in München besorgt hatte.

„Aha, 25 Jahre ist sie also alt, mit Geburtstag im Dezember. Liebe Zeit, damit ist die hübsche Jessy ja zehn Jahre jünger als ich. Darüber hinaus scheint sie topfit zu sein. Bei ihren routinemäßigen Vorsorgeuntersuchungen war sie bisher offenbar stets kerngesund. Kein Wunder bei dem anstrengenden Sport, den sie schon seit Jahren betreibt“, murmelte Jonas Korte leise vor sich hin.

„Nur begreife ich nicht, warum diese wunderschöne Frau noch immer als Single durch die Welt läuft. Die Kerle aus der Münchener Schickeria müssten ihr bei ihrem tollen Aussehen doch in Scharen hinterherlaufen.

Sofern ich das am Sonntag mit meiner Katie auf der Kampenwand oben richtig beobachtet habe, mag sie anscheinend auch Kinder und weiß, wie man mit ihnen umgehen muss“, beendete er seine gedanklichen Überlegungen, als er jetzt endlich wieder ihre unverletzte rechte Hand ergriff und nach ihrem noch immer langsam schlagenden Ruhepuls tastete.

„Eigentlich tue ich das ja nur, um mitzubekommen, wann sie wieder aufwacht“, redete er sich dabei ein. Obwohl er dabei erneut die Wärme ihrer Hand und das mit der Berührung einhergehende elektrisierende Prickeln spürte, gab er dennoch gegen 22:00 Uhr seinem schon viel zu lange zurückgehaltenen Schlafbedürfnis nach und schlummerte mit dem Kopf auf ihrer Bettkante selig – dafür aber in sehr unbequemer Haltung ein.

Als der kommende Morgen bereits graute, war das Nächste, was der Arzt Jonas Korte mitbekam, eine kleine Hand, die sachte durch seine kurzgeschnittenen blonden Haare fuhr. Zugleich bemerkte er, dass die Hand, die er in den letzten Nächten stundenlang gehalten hatte, nicht mehr an der gewohnten Stelle lag, sondern stattdessen das anregende Kribbeln auf seiner Kopfhaut verursachte.

„Oh du meine Güte, ich bin wohl ungewollt eingepennt – und du bist noch vor mir aufgewacht“, sagte er leise, als er den Kopf hob und in die braunen Augen seiner ihn sanft anlächelnden Patientin blickte.

„Das hat die Nachtschwester gegen 05:00 Uhr auch gesagt, als sie unsere ineinander verschränkten Hände sah. Sie meinte allerdings, dass ich dich weiterschlafen lassen soll“, flüsterte Jessica Winter in der gleichen Sekunde zurück, während sie ihre schmalgliedrigen Finger jetzt abwechselnd über Jonas Wangen gleiten ließ.

Obwohl Jessy in Jonas Augen lesen konnte, dass ihm ihr Tun sichtlich gefiel, schob der im Gesicht rot angelaufene Mediziner seinen Rollsessel abrupt zurück, stand auf und sagte danach in ungewollt barschem Ton:

„Ich muss jetzt deine Vitalwerte checken, Jessy. Ich hätte das schon längst tun sollen. Immerhin hast du bis vor kurzem noch im künstlichen Koma gelegen und sollst dich nicht aufregen. Außerdem darf ich als dein derzeitiger Arzt derartige Vertraulichkeiten nicht zulassen und dadurch meine Pflichten vernachlässigen. Meine medizinischen Fähigkeiten lagen bislang eindeutig auf anderen Gebieten – Nachtwachen bei hübschen Patientinnen gehören anscheinend nicht dazu.“

„Du bist ja so süß – aber eigentlich auch ein ziemlicher Depp, Doktor Jo – hat dir das schon mal jemand gesagt? Die Nachtschwester hat mir schon alles erzählt. Auch, dass du mir am Dienstagnachmittag zum zweiten Mal das Leben gerettet hast, hat sie mir in allen Einzelheiten berichtet. Und dass ich dir deswegen gerade ein bisschen den Kopf gekrault habe, sollte dir nur zeigen, dass ich tatsächlich noch am Leben und zu Gefühlen fähig bin.

Für die erneute Rettung meines Lebens bin ich dir und deinen Kollegen wirklich mehr als nur dankbar – schließlich haben wir Menschen ja nur eines davon. Zudem muss ich dir noch sagen, dass ich solch einen netten und zuvorkommenden Menschen, wie dich, noch nie in meinem bisherigen Leben getroffen habe.

Aber, dass du jetzt schon seit Tagen an meinem Bett hockst und dich nur noch um mich kümmerst, geht ja wohl gar nicht. Was sagt eigentlich deine Katie dazu, dass ihr Vater die ganze Zeit über nicht bei ihr zuhause ist?“

„Die ist damit sehr einverstanden. Zudem ist mein Sonnenschein bei meinem Wirteehepaar Mitzi und Peter in unserer Frühstückspension in absolut guten Händen. Und sie hat mir bei unseren vielen Telefongesprächen in den letzten Tagen bereits mehrfach aufgetragen, dass ich dich gefälligst schnellstens gesundmachen soll. Weil sie nämlich Angst hat, ihre gerade neu gewonnene Freundin wieder zu verlieren. Und voila – nichts anderes habe ich bisher getan.“

„Nun gut – das muss ich dann wohl gelten lassen. Aber sag mir doch bitte mal, warum ich heute Morgen so gute Laune habe. Eigentlich bin ich dank eurer Hilfe doch gerade erst dem Tod von der Schippe gesprungen und eben erst aus dem Tiefschlaf erwacht. Ist das nach deiner fachmännischen Erfahrung eigentlich immer so?“

„Ja, meine Liebe – das Gleiche haben auch schon andere Patienten berichtet. Aber freu dich nicht zu früh. Letztlich liegt die anfängliche Euphorie an den schmerzstillenden Medikamenten, die wir dir injizieren mussten. Der Katzenjammer danach und die damit verbundene Schmerzzunahme kommt erst noch – aber auch das wirst du mit deiner absolut bewundernswerten Konstitution gut überstehen.“

„Wow, scheint ja guter Stoff gewesen zu sein, denn ihr mir da in den letzten Tagen in meine Adern gejagt habt. Welchen Tag haben wir übrigens heute?“

„Heute ist der letzte Freitag im Juli und am Nachmittag würden die Ermittler von der Kripo gerne nochmal vorbeikommen, um mit dir zu sprechen. Das lasse ich aber nur zu, wenn du bis dahin in der Lage bist, eine weitere Befragung ohne erneuten Kollaps durchzustehen.“

„Kommt die nette Oberkommissarin Tamara auch mit, die beim letzten Mal mit dabei war? Die scheint mir nämlich ein Auge auf dich geworfen zu haben. Zu dir attraktivem Kerl passen würde sie jedenfalls.“

„So ein Blödsinn. Tamara ist zwar eine ziemlich attraktive Kollegin, aber sie ist bereits vergeben. Sie wohnt mit ihrem langjährigen Freund in Übersee am Chiemsee und sie hat sich außerdem bereit erklärt, deinen Personenschutz während deiner obligatorischen Rehabilitationsmaßnahmen zu übernehmen.“

„Stopp – ich kriege da anscheinend grade was nicht auf die Reihe. Wieso sprichst du von Tamara als „Kollegin“ und was hat es mit dieser Reha auf sich? Ich dachte eigentlich, dass ich schon bald wieder nachhause und in meinem Job weiterarbeiten könnte.“

Doch gleich danach schien sich Jessica Winter wieder zu erinnern. „Oh mein Gott, ich hab‘ ja gar keine Arbeit mehr, weil mir dieses Miststück aus der Personalabteilung einfach so gekündigt hat. An die blöde Mail erinnere ich mich gerade wieder.“

„Mach dir darüber keine unnötigen Sorgen, Jessy. Das hat alles noch Zeit – und wenn du möchtest helfe ich dir bei der Bewältigung dieses Problems. Erstmal musst du dich damit abfinden, dass du nach deinem Klinikaufenthalt gezielte Rehabilitationsmaßnahmen nötig hast. Es ist jetzt nämlich vor allem wichtig, dass du mit deinem verletzten Bein wieder einwandfrei laufen lernst. Und dafür gibt’s bereits eine Lösung, die ich auch schon angeleiert habe. Du musst dazu nur noch Ja und Amen sagen.“

„Und wie sieht diese Lösung aus? In eine Reha-Klinik gehe ich ganz bestimmt nicht, davor graust es mir nämlich jetzt schon.“

„Das musst du auch nicht. Die Reha, die ich mir für dich überlegt habe, darf angesichts deiner noch immer andauernden Gefährdung nicht in einer üblichen Klinik stattfinden, in die man tagsüber unkontrolliert hineinspazieren kann.

Deshalb plane ich, dich nach deiner stationären Behandlung in meine Pension mitzunehmen – und Tamara hat bereits zugesagt, dort deinen persönlichen Schutz zu übernehmen.

Die notwendigen Gerätschaften für deine Rehabilitation habe ich bereits bestellt und als Therapeuten werden dir dann außerdem ein erfahrener Physiotherapeut, ein Masseur sowie ich selber, sozusagen als behandelnder Reha-Arzt, zur Verfügung stehen. Natürlich nur, wenn das für dich okay ist.“

„Aber ... aber das kostet mich doch Unsummen an Geld. Wie zum Teufel soll ich denn meine Schulden bei dir danach abbezahlen? Eine derartige Privatbehandlung zahlt meine Krankenversicherung doch nie im Leben.“

„Immer der schnöde Mammon – meine Güte, kannst du alte Buchhalterseele an nichts anderes denken? Um die entstehenden Reha-Kosten und deren Begleichung brauchst du dich ganz bestimmt nicht zu kümmern. Ich bin nämlich nicht hinter deinem Geld her. Vielmehr habe ich schon vor einiger Zeit damit begonnen, meine kleine Gästepension um einen medizinischen Heil- und Fitnessanteil für ca. 12 bis 15 Gäste zu erweitern.

Die nötigen Räumlichkeiten dafür existieren bereits, auch wenn wir etliche Gebäudeteile meines ehemaligen Bauernhofs derzeit noch gar nicht nutzen, weil wir sie schon seit einem halben Jahr in eben dieser Richtung umbauen. Demnächst ist das alles endlich fertig und ich hätte dann ohnehin in eine adäquate Innenausstattung der Räume und in die zusätzliche Möblierung der Unterkünfte sowie in das nötige medizinische Fachpersonal investieren müssen.“

„Au Backe – dann scheinst du wohl doch ein reicher Krösus zu sein. Auch wenn du das bisher abgestritten hast.“

„Red‘ keinen solchen Quatsch, Jessy. Ich komme zwar finanziell gesehen gut zurecht, aber ein superreicher Pinkel bin ich ganz bestimmt nicht. Außerdem will ich nur für Leute da sein, die eine medizinische Nachbehandlung außerhalb einer normalen Reha-Einrichtung brauchen und diese auch möchten.

Und falls du zustimmst, wirst du meine erste Testpatientin werden und brauchst mir deshalb auch nichts für deine Anschlussheilbehandlung zu bezahlen. Einzige Bedingung meinerseits dabei ist, dass du dir konstruktive Kritik notierst und mir mitteilst, wo und was ich vielleicht noch alles verbessern könnte. Geht das für dich in Ordnung?“

„Von mir aus gerne, Jo. Das ist sehr großzügig von dir. Ich kann es noch gar nicht fassen, dass du mir auf diese Weise im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine helfen willst. Und außerdem ist da ja auch noch dein kleiner Wirbelwind. Weiß Katie schon, dass ich demnächst bei euch einziehe?“

„Sicher – vor meiner Katie habe ich keine Geheimnisse. Sie ist nicht nur einverstanden, sondern freut sich schon unbändig auf dich. Ich muss nur aufpassen, dass sie dir in der ersten Zeit nicht andauernd auf den Wecker geht. Ich bring sie übrigens mit, wenn ich dich nach deiner heute noch anstehenden Rückverlegung auf die Orthopädie am Wochenende wieder besuche.“

„Da freue ich mich schon drauf. Grüß Katie von mir, wenn du heute wieder zu ihr nachhause kommst. Und jetzt bin ich von all dem Quatschen ziemlich müde geworden. Ist wohl am besten, wenn ich jetzt noch ein bisschen schlafe.“

„Gute Idee, Jessy. Ich bleibe aber heute auf jeden Fall noch hier, bis meine Kollegen deine Befragung beendet haben.

Apropos Kollegen – eine Antwort zu diesem Thema bin ich dir noch schuldig. Dieser von mir vorhin verwendete Begriff ist richtig, weil ich seit heute wieder interimsweise im Polizeidienst tätig bin. Allerdings nur solange, wie die Aufklärung deines Falles dauert.

Das tue ich nicht nur für dich, weil ich dich außer Gefahr sehen möchte, sondern auch, weil aus meiner Sicht eine Verbindung zum Fall der Ermordung meiner Frau vor drei Jahren besteht. Und um in diesen beiden, offensichtlich zusammenhängenden Fällen ermitteln zu können, hat meine frühere Chefin beim LKA drauf bestanden, dass ich befristet in den Polizeidienst zurückkehre.

So, jetzt haben wir beide genug geplauscht – ich gehe jetzt und kümmere mich mit den Kollegen der Orthopädie um deinen Heilungsplan für die Reha, damit wir dein hübsches Bein und deine Schulter wieder auf die Reihe kriegen.

Schlaf schön und ruh‘ dich aus – ich komme später wieder zu dir. Falls irgendetwas Unvorhergesehenes passiert, soll mich die Schwester, die dich von der Kabine dort draußen überwacht, einfach anpiepsen. Also bis später, schöne Jessy.“

„Halt Doktor Jo – komm bitte noch mal zurück an mein Bett. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich meinen Samariter ohne Abschiedskuss ziehen lasse“, rief Jessy, dem bereits im Gehen befindlichen Arzt hinterher.

Als Jonas daraufhin noch einmal zögerlich zu Jessica Winters Bett zurückkam und sich über sie beugte, griff ihm die junge Frau erneut ins Haar und zog seinen Kopf zu sich herunter. Dann gab sie ihm einen freundschaftlichen Kuss und flüsterte:

„Danke Jo, für alles, was du für bereits mich getan hast und in Zukunft noch zu tun beabsichtigst. Und wenn dieser Kuss irgendwem nicht passt, ist mir das trotzdem piepegal. Ich habe das jedenfalls gebraucht und kann jetzt bestimmt viel besser schlafen.“

„Auch ich hab‘ das gerade sehr genossen – aber, wie du weißt ...“

„Papperlapapp, Jonas. Halt endlich deine Klappe und hau‘ ab. Ich habe schon immer gemacht, was ich will und jetzt muss ich mich endlich ausruhen.“

„Dann träum was Schönes, du vorlaute Göre“, grinste der noch immer ziemlich erstaunt aussehende Doktor seine Patientin an, drehte sich gleich anschließend um und ging, wenn auch mit etwas unsicheren Schritten ziemlich nachdenklich seiner Wege.

***

Als die Kommissare Wenzel und Fuchs am Freitagnachmittag im Krankenzimmer von Jessica Winter eintrafen, wartete dort schon die inzwischen auf die Orthopädie-Station verlegte Patientin zusammen mit Dr. Jonas Korte auf ihr Erscheinen.

„Schön, dass ihr da seid“, begrüßte Jessy die beiden Kriminalbeamten gut gelaunt. Dann fragte sie sofort weiter: „Und wo habt ihr euren netten Chef gelassen? Ich dachte, dass er mich heute ebenfalls besuchen würde.“

„Den Kriminaldirektor Lechner wirst du sicher später noch oft genug wiedersehen. Für heute hat er gemeint, dass er mit dem Doc ja einen würdigen Vertreter vor Ort hätte. Außerdem hat er heute einen Termin bei Jonas früherer Chefin im LKA München.

Die beiden wollen nämlich das BKA13 und Europol einschalten, weil wir den von dir sehr gut beschriebenen mutmaßlichen Killer in unserer eigenen Datenbank bislang nicht finden konnten. Aber ehe ich’s vergesse – hast du deinen Zusammenbruch vom Dienstag gut überstanden? So aussehen tust du jedenfalls, wenn ich dein Lächeln richtig beurteile.“

„Das stimmt, Tamara – dank des hervorragenden Doktors hier neben mir ist bei mir gottseidank so ziemlich alles wieder im Lot. Er und seine Kollegen haben mich tatsächlich ungewöhnlich rasch wieder auf die Beine gekriegt. Wobei ich das mit den Beinen natürlich nur sprichwörtlich meine, denn bis ich wieder richtig laufen kann, wird wohl noch ein ganzes Weilchen vergehen.“

„Hauptsache es geht wieder aufwärts, Jessy“, erwiderte Tamara Fuchs mit einem freundschaftlichen Lächeln. „Wirst sehen, deine Reha-Zeit bei Jonas wird klasse. Ich freu‘ mich schon darauf, wenn wir uns dann täglich sehen. Weißt du schon, wann sie dich aus dieser Klinik entlassen?“

„Jessica wird wohl noch ein paar Tage im Klinikum bleiben müssen, ehe sie die Anschlussheilbehandlung antreten kann“, mischte sich an dieser Stelle Jonas Korte in das Gespräch ein. „Ich denke, dass es Ende der übernächsten Woche so weit sein wird, sofern die Genesung bis dahin weiter so problemlos verläuft, wie bislang. Aber ihr beide seid ja eigentlich aus einem ganz anderen Grund heute nochmal hergekommen.“

Damit drehte sich Jonas zu seiner Patientin und fragte: „Fühlst du dich wirklich in der Lage, mit deinem am Dienstag begonnenen Bericht fortzufahren, ohne erneut zusammenzuklappen?“

„Nachdem ich jetzt ja keinen Job mehr habe und du mir heute Vormittag auch noch vom Einbruch in meine Münchner Wohnung erzählt hast, glaube ich nicht, dass mich noch irgendwas schocken kann. Vor allem, wenn du in nächster Zeit immer hübsch an meiner Seite bleibst, mein lieber Herr Doktor.“

Nach einer kleinen Pause, in der Jessica Winter ihren ein wenig irritiert um sich blickenden Arzt verschmitzt grinsend anschaute, fuhr sie fort:

„Also gut, ich fang dann mal an. Stehengeblieben war ich glaube ich bei den merkwürdigen Zahlungsbelegen in der Kanzleibuchhaltung, auf die ich mir keinen rechten Reim machen konnte.

Ich bin zwar keine hauptberufliche Buchhalterin, aber Zahlen waren schon immer mein Ding und einen Grundkurs in betrieblichem Rechnungswesen habe ich während meiner Zeit an der Uni parallel zu meiner leider aus Geldgründen nicht beendeten juristischen Ausbildung aus reinem Interesse an der Sache gemacht.“

„Nun bin ich aber mal sehr gespannt, um was für Buchungen es sich dabei gehandelt hat und warum sie dir – und nicht eurer hauptamtlichen Buchhalterin Claudia Berg aufgefallen sind“, stellte Hauptkommissar Wenzel sofort die erste Frage.

„Tja, zunächst mal waren da etliche monatliche Auszahlungen im unteren fünfstelligen Bereich und als Verwendungszweck waren stets nur die schwammigen Begriffe „Beratungsleistungen“ bzw. „Vergütung für Sonderermittlungen“ oder „Cleaning-Honorar“ sowie ein Deckname mit Fallnummer eingetragen.

Jedoch tauchte in diesen Belegen kein Aktenzeichen, keine Rechnungsnummer oder irgendein anderer Bezug auf den tatsächlichen Empfänger oder gar der im Einzelnen erbrachten Leistungen auf.

Wenn das nicht schon komisch genug gewesen wäre, so haben mich die Kontodaten der Empfängerbanken noch misstrauischer werden lassen. Ich habe mir damals nämlich die Mühe gemacht, herauszufinden, wohin diese hohen Geldbeträge gingen.

Hoch deswegen, weil da pro Monat mehr als eine Million Euro durch die Bücher unserer Kanzlei liefen, obwohl die Einzelbeträge immer knapp unter der Meldepflicht für den Außenwirtschaftsverkehr von 12.500 € lagen. Denn die sechs Empfängerbanken lagen ausnahmslos im Ausland – und zwar in Ländern, die man als Steuerparadiese bezeichnet. Staaten in der Karibik, in Südamerika oder die berühmt-berüchtigten Cayman-Inseln – alles Länder, die keine Bankauskünfte geben – waren dabei.

Das Alleraberwitzigste dabei war jedoch, dass anscheinend rund 90 Prozent dieses Geldes nach einigen Wochen wieder zu uns zurückfloss. Wobei diese Gelder von den Wirtschaftsfachanwälten meinen Chefs sofort im Auftrag undurchsichtiger Klienten für den Ankauf von legalen Firmenanteilen und Immobilien verwendet wurden.

Und auch hierbei fehlten exakte Referenzdaten für eine transparente Verbuchung. Fest steht jedoch, dass es im Zeitraum der Zahlungseingänge keine in der Kanzlei bearbeiteten Mandantenfälle gab, die zu derart exorbitanten Honoraren oder Investitionen mit den verzeichneten Fallnummern gepasst hätten.“

„Hört sich für mich nach einem Geldwäschesystem an. Wenn man illegale Einkünfte nur oft genug um den Globus jagt, ehe man sie wieder über Strohmänner und Briefkastenfirmen in legale Geschäfte investiert, verwirrt man natürlich jeden Wirtschaftsprüfer. Beispiele dafür gibt’s ja schließlich genug“, meinte Kommissar Wenzel jetzt nachdenklich.

„Da sollten wir unsere LKA-Kollegen von der OK14 und der Wirtschaftskriminalität mal tiefer nachgraben lassen. Aber jetzt nochmal zurück zu dir, Jessy“, ergriff an dieser Stelle Oberkommissarin Fuchs wieder das Wort.

„Du hast am Dienstag gesagt, dass du dir den Zeitraum der letzten fünf Jahre genauer angesehen hast. Gibt es für das, was du dabei festgestellt hast, irgendwelche Beweise, die sich noch in deinem Besitz befinden?

„Was Tamara damit meint: Wir von der Polizei denken, dass dies der wahre Grund für den Einbruch und die Verwüstung deiner Wohnung gewesen ist, nachdem man mit dem Anschlag auf dich keinen Erfolg hatte“, meldete sich nun wieder Kommissar Wenzel zu Wort.

Der gespannt zuhörende Jonas Korte, der unterdessen Jessicas nervös zuckende Hand ergriffen hatte und beruhigend drückte, sagte daraufhin:

„Hab keine Angst, Jessy – diese Schweine kommen nicht mehr an dich ran – dafür hat die Kripo Traunstein bereits gesorgt und Rolands Leute und ganz speziell Tamara werden das auch weiterhin tun“, machte Jonas seiner Patientin gleich darauf ebenfalls Mut, während er ihr zugleich sanft über ihre Haare strich.

„Also, verehrte Jessy – wie sieht‘s aus? Hast du dir möglicherweise Kopien dieser ominösen Belege gemacht – und falls ja, wo hast du die versteckt?“, schob Kommissar Wenzel jetzt die entscheidende Frage nach.

„Natürlich habe ich all diese auffälligen Belege kopiert – wozu hat der Mensch schließlich ein iPhone. Die damit geschossenen Fotos habe ich danach zuhause über meinen Rechner auf einen USB-Stick übertragen und die Dateien dann wieder von meinem Smartphone und von meinem Notebook gelöscht.“

„Und wo befindet sich dieser USB-Stick jetzt? Den hast du doch hoffentlich nicht in deinem Schwabinger Appartement versteckt gehabt?“, setzte Tamara die Befragung jetzt leise fort.

„Nöh – ich bin ja nicht blöd, sondern eigentlich ein ziemlich schlaues Mädchen. Den Datenträger hatte ich die ganze Zeit über immer in Griffweite“, grinste Jessy das Ermittlerduo und Jonas Korte jetzt an, die die geschasste Rechtsanwaltsgehilfin einen Moment lang ausgesprochen verblüfft anschauten.

„Definiere „Griffweite“, du selbsternanntes schlaues Mädchen. Was meinst du damit?“, fragte Jonas Korte an diesem Punkt, wobei er Mühe hatte, seine Ungeduld zu verbergen.

„Das meine ich damit, mein ärztlicher Schatz. Schau her – das hier ist eine Replik des Siegelrings meines leider schon vor langer Zeit verstorbenen Großvaters und der steckte selbst während meiner Operation immer an meinem rechten Ringfinger.“

„Stimmt, wir haben versucht, ihn vor der OP von deiner Hand abzunehmen, was uns aber nicht gelungen ist“, bestätigte Jonas Korte die Worte seiner Vorrednerin.

„Tja – das ist ein Ring, der viele Geheimnisse birgt und den man nur mit einem Trick von meinem Finger herunterziehen kann. Wenn man es auf die gewöhnliche Art und Weise versucht, zieht er sich nur noch fester an seinen Träger. Seht zu – ich zeig euch, wie das funktioniert.“

Damit drückte Jessica Winter auf eine winzige Verzierung an der Ringschiene und zog den Siegelring gleich danach problemlos von ihrem Ringfinger ab. Danach klappte sie mit einem weiteren Fingerdruck dessen Siegelplatte zur Seite und legte damit den Anschluss eines Miniatur-USB-Sticks frei.

„Sehr clever – ich bin beeindruckt, Jessy. Du bist dir sicher, dass du nicht für irgendeinen Geheimdienst arbeitest?“, lachte Lothar Wenzel die junge Frau jetzt umgehend an.

„Bin ich. Mensch Leute, jetzt guckt doch nicht so entgeistert. Ich habe mir diesen, zugegebenermaßen skurrilen Ring schon vor Jahren von einem künstlerisch begabten Studienfreund anfertigen lassen, weil ich ein Faible für solch geheimnisvolle Sachen habe. Und da mir der von meinem Großvater vermachte Ring viel zu groß war, habe ich halt eine für meinen Ringfinger passende Kopie davon herstellen und dazu noch dieses kleine Extra einbauen lassen.“

„Na hoffentlich hast du nicht auch noch einen Giftring in deinem Besitz, mit dem du lästige Verehrer aus dem Weg schaffen kannst. Im Mittelalter soll sowas ja bei höhergestellten Frauen gang und gäbe gewesen sein“, meinte Jonas Korte sarkastisch, während er den Ring seiner Freundin verhalten lächelnd in die Hand nahm und eingehend betrachtete.

„Nein, du Idiot. Grins gefälligst nicht so blöd. Aufdringliche Verehrer konnte ich mir bisher auch mit anderen Mitteln ganz gut vom Leib halten. Was denkst du eigentlich von mir?“

„Sorry – das war doch nur als Spaß zur Auflockerung gedacht. Aber darüber, dass du mich eben mit „Schatz“ angeredet hast, müssen wir später noch sprechen. Und zwar sobald sich diese zwei Kriminalisten wieder auf den Weg zu ihrer Dienststelle gemacht haben.

Ich geh‘ mal davon aus, dass du ihnen deinen Ring – besser gesagt dessen verborgenes Innenleben – zur kriminaltechnischen Auswertung mitgeben wirst.“

„Jaja, meinetwegen“, ließ sich Jessica Winter sogleich leise schniefend und noch immer leicht ungehaltener Stimme vernehmen.

„Ich will ja ebenfalls, dass die Polizei diese Mistkerle fängt, die für den Anschlag auf mich und die Verwüstung meiner hübschen Wohnung verantwortlich sind. Aber den Ring möchte ich später wiederhaben, das ist euch doch wohl klar?“

„Natürlich Jessy – und vielen Dank für dein Entgegenkommen. Wir zwei verschwinden jetzt besser von hier, Tamara, und überlassen das junge Glück seinem Schicksal“, entgegnete Lothar Wenzel mit einem süffisanten Grinsen, ehe er sich mit seiner Partnerin von Jessica und dem einigermaßen sprachlosen Jonas verabschiedete.

„Gute Besserung weiterhin und bis bald“, flüsterte Tamara ihrer Schutzbefohlenen ins Ohr. Und in Richtung von Jonas Korte fügte sie dann noch ebenso leise hinzu: „Und du vergisst bitte nicht das Schießtraining nächsten Dienstag. Sei bitte pünktlich und komm vorher in meinem Büro vorbei.“ Danach machte auch sie kehrt und eilte ihrem Kollegen und Teamleiter hinterher.

Sobald sich die Tür des Krankenzimmers geschlossen hatte, meinte Jessy mit zornig hochgezogenen Brauen: „Was ist nun? Du wolltest mit mir den Begriff „Schatz“ diskutieren. Also, ich bin ganz Ohr ... aber wie ich sehe, ziehst du es mal wieder vor, den Schweigsamen zu spielen. Gut, dann fang ich halt mal an:

Schatz, Schatzi oder Schätzchen – was ist an diesen Begriffen deiner Meinung nach so schlimm, dass du glaubst, dich darüber aufregen zu müssen?“, fragte Jessy leise schluckend, ehe ihr gleich danach Tränen in die Augen traten.

„Jessy – zum Teufel nochmal, das hab‘ ich doch gar nicht gesagt und noch viel weniger gemeint. Und aufregen tut es mich auch nicht, ganz im Gegenteil. Eigentlich bin ich stolz drauf, dass du mich so genannt hast. Und nur deswegen wollte ich mit dir darüber sprechen“, rief Jonas als er auch schon aufsprang und Jessicas Kopf in beide Hände nahm, um ihr die über ihre Backen kullernden Tränen mit seinem Taschentuch abzutupfen.

„Dann merkst du auch, dass da etwas zwischen uns im Entstehen ist, das über das normale Arzt-Patientenverhältnis weit hinausgeht. Ich jedenfalls fühle diese besondere Wärme jedes Mal, wenn du mich mit deinen zarten Händen berührst oder auch nur anblickst. Und das war schon von Anfang an so.“

„Danke, dass du mir das sagst, mein Schatz. Ich gebe nämlich zu, dass es mir ebenso geht, wie dir. Siehst du – ich verwende deinen Begriff jetzt auch – selbst wenn wir bisher noch kein einziges Date miteinander hatten.“

„Oh doch, wir hatten sogar schon viele Dates – denn du hast ja tage- – oder besser gesagt – nächtelang an meinem Bett gesessen. Und zusammen gegessen haben wir in diesem Krankenzimmer schließlich auch schon mehrmals. Ich glaube deshalb, dass wir diese Freundschaftskiste jetzt allmählich beenden sollten.“

„Wie? ... Was hast du grad zu mir gesagt? Du liebe Zeit, wie soll ich denn diesen plötzlichen Sinneswandel jetzt verstehen?“, fragte Jonas Korte mit entgeistertem Blick, ehe er auch schon völlig perplex weiterstammelte:

„Ich komm da grad nicht mehr mit. Willst du mich nun künftig doch nicht mehr zum Freund haben? Warum in aller Welt willst du unsere schöne freundschaftliche Beziehung einfach so mir nichts dir nichts beenden?“

„Du hast mich gerade gründlich missverstanden, mein Lieber. Ja, es ist richtig, dass ich unsere Freundschaft beiseitelegen will – aber doch nur, weil ich stattdessen eine richtige Beziehung mit dir eingehen möchte. Nicht aus falsch verstandener Dankbarkeit, sondern weil ich gerade dabei bin, mich in dich zu verlieben. Verstehst du mich jetzt endlich, du begriffsstutziger Kerl?“

„Oh mein Gott – da fällt mir ja ein Stein vom Herzen. Musst du mich eigentlich immer so erschrecken?“, flüsterte Jonas seiner Patientin jetzt schluckend ins Ohr.

Danach näherte er sich noch einmal seiner Patientin und gab ihr einen festen, absolut nicht mehr freundschaftlich zu nennenden Kuss auf ihre Lippen, bei dem sich Jessica Winter, so gut es mit ihrem verletzten Arm ging, an ihm festklammerte. Gleich danach fragte er:

„Du weißt aber schon, dass es mich nur im Doppelpack mit meiner Tochter Katie gibt. Bist du dir wirklich sicher, dass du uns alle beide als künftige Lebenspartner haben möchtest?“

„Ganz sicher sogar, du verrückter, liebenswerter Doktor. Lass es uns doch einfach zusammen ausprobieren und sehen, wohin uns diese Beziehung führt – okay?“

„Einverstanden Jessy – ich fühle übrigens ebenfalls mehr als nur Freundschaft für dich. Versprich mir aber, dass du schnell gesund wirst und alles befolgst, was dir die Ärzte hier in der Klinik sagen.

Ich muss jetzt nämlich nachhause, komme dich aber am Sonntag mit Katie wieder besuchen – und dann kannst du meine Tochter ebenfalls fragen, was sie von uns beiden als frischgebackenes Paar hält.“

„Wird mich zwar einigen Mut kosten, aber ich werde es tun. Ich habe auch ein gutes Argument für deine süße Tochter. Denk nur mal daran, wie rasch sie älter wird. Da braucht sie irgendwann ein weibliches Wesen, mit dem sie über Mädchenkram quatschen kann. Und wenn sie diese Unterstützung irgendwann mal benötigt, wäre ich gerne für sie da.

Doch ehe du verschwindest will ich von dir noch wissen, was Tamara eben mit dem „Schießtraining“ gemeint hat, das ihr nächste Woche absolvieren wollt.“

„Das ist kein großes Geheimnis. Ich bin ja jetzt für kurze Zeit wieder Polizist und trage demzufolge auch eine Dienstpistole, die mir Tamara heute morgen mitgebracht hat.

Als Profiler stehe ich zwar nicht besonders auf Waffen, muss aber dennoch in der Lage sein, sie notfalls zur Verteidigung einsetzen zu können. Und deshalb müssen Tamara und ich am Dienstag ein wenig auf dem Schießstand üben.“

„Na gut, ich lass das mal so stehen. Und da ich weiß, dass Tamara in festen Händen ist, muss ich ja auch nicht eifersüchtig auf sie sein, wenn du kommende Woche Zeit mit ihr verbringst.“

„Nein mein Schatz, das musst du ganz bestimmt nicht. Fremdgehen war und ist für mich noch nie ein Thema gewesen, denn sowas Bescheuertes ist mir noch niemals in den Sinn gekommen. Entspricht nämlich nicht meinem Charakter.“

Damit drückte Jonas seiner verträumt blickenden Patientin erneut einen zärtlichen Kuss auf den Mund, mit dem er sich bis zum Sonntagmittag von ihr verabschiedete.

„Grüß Katie von mir und sag ihr, dass ich schon sehr auf das Porträt gespannt bin, das sie gerade von mir malt.“

„Mach ich gerne – und morgen telefonieren wir miteinander.“

„Genau, das machen wir. Ich kann es jetzt schon kaum erwarten, dass ihr zwei am Sonntag wieder bei mir aufkreuzt“, rief Jessica Winter sichtbar glücklich ihrem ganz offensichtlich frisch verliebten Freund hinterher, als der sich auf den Weg zu seinem Auto machte.

Bruchlandung im Glück

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