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Instabile bzw. Pseudo-Identität

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Das Problem von Menschen mit instabiler, defizitärer Identität ist ihr im menschlichen System bedingtes Ausgeliefertsein und ihre damit verbundene Determinierung.

Diese Personen sind auf ständige, vielgestaltigste Zuwendungen anderer Menschen – direkt oder indirekt – oder/und auf andere Ersatzhandlungen respektive Kompensationen (Produkte, Dinge, Leistungen, Ideologien, etc.) zur Aufrechterhaltung ihres identitätsgemäßen Status quo angewiesen und müssen deshalb zwangsläufig und in der Regel unbewusst ihre Lebensführung dementsprechend ausrichten.

Sie sind genötigt, sich erheblich anzupassen und müssen oftmals ihre persönlichen Wünsche verleugnen (Rationalisierung) und verdrängen, was wiederum zu noch größerer Unzufriedenheit, Erniedrigung und in der Folge zu offener oder unterdrückter, mitunter sich partiell explosiv entladender Aggression führt.

Diese Menschen können nicht ihr eigenes, wirklich selbstbestimmtes Leben bewerkstelligen, sondern sind wie eine Marionette fremdgesteuert. Die Fremdsteuerung besteht im Benötigen von ununterbrochenen und immer neuen Pseudo-Bestätigungen, die das vorhandene Defizit ausgleichen sollen (die Fremdsteuerung erfolgt ursächlich durch den entstandenen psychischen Impetus und symptomgemäß durch die Identitätsstifter bzw. identitätsstiftenden Faktoren).

Die als Identitätsgeber und Bedürfniserfüller zu bezeichnenden Personen besitzen deshalb eine Macht über den identitätsdefizitären Menschen, die häufig zum eigenen Nutzen missbräuchlich und manipulierend eingesetzt wird. Hierzu gibt es – gerade im (macht) politischen Bereich - genügend Beispiele in der Geschichte der Menschheit ...

Ergänzend muss angefügt werden, dass die Fremdsteuerung nicht nur durch Menschen, hingegen ebenfalls durch Sachen (u. a. Macht des Konsums / ein aktuelles Beispiel für die Macht eines Gegenstandes über seinen Nutzer ist das Handy, das als identitätsstützendes Medium wegen seines daraus zu ziehenden Befriedigungspotenzials Suchtcharakter entfaltet), Ideologien und Anschauungen erfolgen kann.

Hierzu eine kurze Anmerkung: Wenn dem kapitalistisch orientierten Menschen die Plattform und Bühne der bevorzugten Ersatzhandlung „Konsum“ (Stichwort: Droge Konsum) mit all ihren Facetten entzogen werden würde, wäre dies gleichbedeutend mit einem Bedürfnisverzicht und folglich einem kalten Entzug mit vielerlei belastenden Nebenwirkungen.

Da das eigentliche Urbedürfnis aber nicht mehr zu stillen ist, handelt es sich bei den über Ersatzhandlungen und Kompensationen erzielten Bestätigungen lediglich um einen nie endenden Nachhol- und versuchten Wiedergutmachungsprozess, der die existente Unsicherheit nicht beseitigen, sondern nur – im schlechten Fall - für kurze und - im besten Fall – für längere Perioden aus- und überblenden kann.

Menschen mit einer Identitätsproblematik haben das latente Gefühl fehlender Annahme und Akzeptanz der Um- und Mitwelt, also ein Mangel-, Hunger- bzw. Minderwertigkeitsgefühl. Darüber hinaus ist ihnen aufgrund eines Entwicklungsdefizits der Zugang zu sich selbst und der eigenen Emotionalität bloß sehr eingeschränkt möglich oder sogar gänzlich verwehrt.

In dieser Notwendigkeit der Bekämpfung des Mangelgefühles (im übertragenen Sinne als unstillbaren Appetit und Unfähigkeit des Sattwerdens zu bezeichnen) mit fortwährenden Ersatzbefriedigungen sind auch die Wurzel und der Hintergrund des auf ständigen Wachstum ausgerichteten menschlichen Alltages zu sehen und der weitverbreiteten, latenten Unzufriedenheit.

Grundsätzlich ist der Befriedigungswert einer Ersatz- und Kompensationshandlung geringer als von einer natürlich initiierten.

Weil zudem der Sättigungswert bzw. -Effekt der Substitut – Handlung (Befriedigungsqualität) wegen des Gewöhnungs-, Abnutzungs- und Abstumpfungsaspektes und des vergleichenden Moments (sich und seine Situation in Vergleich zu anderen Menschen setzen, dies entsprechend bewerten und dadurch folgende Steigerung der Ansprüche, um neue Befriedigung erreichen zu können) ständig nachlässt, muss analog eines Drogenabhängigen die Dosis und Frequenz permanent erhöht werden, um zumindest eine Minimum-Wirkung zu erreichen.

Dieses Prozedere ähnelt einem Fass mit einem ursprünglich kleinen und überschaubaren Loch im Boden, das mit der Zeit immer größer wird und deshalb immer mehr Inhalt benötigt, um den gleichen Pegel zu halten.

Dieser Beschleunigungs-, Wachstumswahn und ebenso –wahnsinn, ergo das alles immer schneller, immer größer, immer mehr sein muss, bestimmt unser modernes Leben und hält die Menschheit buchstäblich in Gefangenheit mit den bekannten, nicht selten selbst zerstörerischen und die Umwelt zugrunde richtenden Auswüchsen.

In der Gesellschaft erfahren diese besonders aktiven, tatkräftigen, rast- und ruhelosen, oft materiell überdurchschnittlich erfolgreichen Personen hohe Anerkennung, nehmen eine Vorbildfunktion ein und werden vordergründig als stark, selbstsicher und stabil angesehen. Sie sind begehrenswert.

Sie werden auch deshalb bewundert, weil sie dem heutigen Gesellschaftsideal des immerwährenden Fortschritts und Erfolges entsprechen und unterschwellig der Irrglauben der Außenstehenden besteht, dass gerade diese - oberflächlich betrachtet - erfolgreichen Personen die alle Menschen betreffende Identitätsproblematik am besten gelöst haben (Motto: Je mehr Geld und je mehr Besitz, desto befriedigender, zufriedenstellender, sorgen- und angstfreier ist das Leben).

Tatsächlich sind diese Menschen außergewöhnlich getrieben in der Sucht nach Anerkennung und Bestätigung (wegen des nach wie vor existierenden Stimulus der primären Frustrationen) und hinter ihrer künstlich aufgebauten und infolgedessen schwer zu durchschauenden Fassade mit einer sehr labilen, brüchigen und widersprüchlichen Identität ausgestattet.

Diese identitätsgemäße Verfassung wird nicht von der eigenen Person getragen, somit nicht aus der persönlichen Kraftquelle gespeist und mit Substanz (Energie) versorgt, indes wird über die hohe Aktivitäts- und Erfolgsdynamik versucht, das Identitätsdefizit auszugleichen und den identitätsgemäßen Zustand zu stärken und zu stabilisieren. Die hohe Aktivitätsdynamik schließt auch eine große Verdrängungsdynamik und einen hohen Rationalisierungsaufwand mit ein.

Der starke Antrieb lässt ebenfalls auf einen außerordentlich hohen Grad an Instrumentalisierung der Ratio durch die Psyche schließen, die den Betroffenen so gut wie nicht zur Ruhe kommen lässt. Ängste, wie zum Beispiel Versagens- und Verlustängste, werden hochgespült und dringen in das Bewusstsein, um über spezielle Handlungen laufend Nachschub an Ersatzbefriedigung zu erhalten und die Ängste dadurch zu reduzieren.

Eine Nebenbemerkung: Die erwähnte Instrumentalisierung in Form von Unruhe zeigt sich u.a. auch bei Schlafproblemen, die ursächlich nicht durch einen zu aktiven, selbstständigen Geist hervorgerufen werden, der sich permanent Gedanken macht, hingegen geht der Impuls von der psychischen Problematik aus, die den Geist beschäftigt, auf Trab hält und nicht in Frieden lässt (Stichwort: Getriebenheit).

Vielmals bauen diese Menschen ihre Identität auf Kosten anderer Personen auf, indem sie weder Rücksicht noch Verständnis auf die Befindlichkeiten der jeweiligen Mitmenschen (fehlende Empathie, Gefühlskälte, etc.) nehmen oder aufgrund ihrer problematischen Situation überhaupt nehmen können, um ihre benötigte Befriedigung (nach dem Motto „sich nehmen, was man braucht“) nicht zu gefährden.

Automatische Folge sind latente, dauerhafte – oft auch unterschwellige und dann sporadisch explosionsartig aufbrechende - Konflikte zwischen dem Dominierenden und dem Dominierten, im Extremfall entstehen daraus exzessive, unkontrolliert verlaufende Vorfälle (u.a. eine Wurzel für ethnische Konflikte).

Die aufgebaute Fassade kann vielleicht die Außenwelt über die reale Situation hinwegtäuschen, aber eine wirkliche Selbsttäuschung ist nahezu unmöglich (auch wenn es in diesem Bereich Zustände gibt, die einen hohen Grad an Vorspiegelung und Einbildung erlauben, also eine gewisse Verselbstständigung des Selbstbildes), da das nach außen transportierte Verhalten mit dem eigenen, tiefgründigen psychischen Empfinden nicht deckungsgleich (kongruent) ist.

Die offensichtliche Identität bzw. Identitätswahrnehmung entspricht hier nicht der reellen Identität.

Vergleichbar einem falschen Identitätsausweis (Pass), den man zwar sehr gut fälschen und damit die Umwelt hintergehen und die Wahrheit verbergen kann (= Fremdtäuschung), weiß der Betroffene selbst, dass es sich bei dem Dokument um kein Original, sprich um eine unechte Nachahmung (die Fassade stellt eine Imitation dar) handelt.

Wenn der Mensch lange unter falschen Namen respektive mit gefälschter Identität lebt, dann mutiert die Fassade immer mehr zum Selbstbild. Die vermeintliche Realität und Fiktion verschwimmen und die eigenen Lügen werden zur scheinbaren Wahrheit.

In diesem Kontext muss der häufig thematisierte Begriff der Resilienz kurz beleuchtet werden. In der öffentlichen Debatte werden, gerade wenn es um das Feld der Kriminalität geht, gerne Menschen aufgeführt, die trotz einer von psychischer und physischer Gewalt geprägten Kindheit ein nach gesellschaftlichen Maßstäben erfolgreiches Leben führen und nicht auf die – salopp ausgedrückt – schiefe Bahn geraten sind.

Es wird dann auf deren vorhandene psychische Widerstandsfähigkeit im Gegensatz zu offensichtlich mit großen Persönlichkeitsstörungen kämpfenden Zeitgenossen, die von ähnlichen Kindheitserfahrungen geprägt wurden, verwiesen und daraus gefolgert, dass die bedrückenden Erfahrungen keine nachhaltigen und schwerwiegenden Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen hatten.

Als ein stellvertretendes Beispiel für große Resilienz wurde in einem Artikel eines deutschen Nachrichtenmagazins in seiner Titelgeschichte ein sehr bekannter, ehemaliger Bodybuilder genannt, der nach dieser Karriere noch weitere Karrieren erfolgreich gemeistert hat.

Dies die oberflächliche gesellschaftliche Beurteilung, die sich an den Ergebnissen der vermeintlich gelungenen Sozialisation orientiert. Dieser Menschenschlag hat sich von den mitunter traumatischen Erlebnissen der Kindheit nicht unterkriegen lassen, strahlt nach außen Selbstvertrauen aus, ist belastbar, hat sein Schicksal selbst in die Hand genommen und es so bestimmt.

Bei der Analyse aus identitätsgemäßer Sicht ist die Bewertung eine andere.

Grundsätzlich gilt, dass erhebliche Verletzungen und Missachtungen der psychischen Grundbedürfnisse in der kindlichen Entwicklung ausnahmslos eine psychische Schädigung und eine latente negative Beeinträchtigung hinterlassen.

Aus diesem Faktum ist zu folgern, dass der eigentliche Antrieb für resilientes Verhalten (in der gesellschaftlich akzeptierten und anerkannten Ausprägung) im Kern eine Kompensation mit determinativem Charakter ist.

Diese Resistenz ist ein Reaktionsmuster bzw. -form auf die Belastungen und Defizite der Kindheit und der Betroffene unterliegt dadurch einer, wenn auch unbewussten, Verhaltenssteuerung, in den meisten Fällen in Gestalt einer besonderen Getriebenheit und Unruhe.

Über zum Beispiel große Strebsamkeit, hohe Leistungsfähigkeit und durchsetzungsstarkes oder sogar rücksichtsloses Handeln sollen die Erniedrigungen und Demütigungen der Kindheit bewältigt werden, um über dem Weg des materiellen Erfolges die nicht erhaltene Annahme, Wertigkeit/Wertschätzung und Bestätigung zu generieren und zu erhalten.

Dass sich im Vergleich zu Menschen, die ihr Leben wegen ihrer Kindheitserlebnisse überhaupt nicht in den Griff bekommen, das resiliente Verhalten entwickeln und durchsetzen konnte, liegt, wie bereits dargelegt, einerseits an den unterschiedlichen genetischen Voraussetzungen, die jeder Mensch hat und andererseits an der jeweiligen speziellen Konstellation, die sich für den Betroffenen gemäß den Identitätsproblematiken 2 bis 4 ergibt.

Dies heißt im Klartext: Problembehaftete Lebensverhältnisse entfalten je nach genauer Situation ihre besondere Wirkung und dadurch bringt die psychische Gesamtkonstitution eines Menschen stets ein individuelles Bild hervor. Grundsätzliche Verallgemeinerungen sind nicht zielführend.

Noch eine Bemerkung: Die nach außen sich dokumentierende Resilienz darf nicht darüber hinwegtäuschen, welche zum Teil schwerwiegenden Persönlichkeitsprobleme und -defizite sich beim Blick hinter die erfolgreiche Kulisse verbergen, vor allem, weil es in diesen Fällen oftmals zu Verlagerungen auf andere Felder (u. a. Umgang mit den Mitmenschen, Beziehungs- und Bindungsschwierigkeiten, sexuelle Ausschweifungen) kommt.

Da psychisch erheblich Geschädigte in der Regel Meister im – unbewussten - Vertuschen und Schauspielen sind und zudem sein müssen, um ihr fragiles Pseudogleichgewicht zu schützen (Stichwort: Erhalt der Funktionsfähigkeit; Bereich des Überlebenstriebes), ist es von außen sehr schwer erkennbar, in welcher Situation und Verfassung sich der Leidtragende tatsächlich befindet.

Dies bedeutet ebenfalls, dass es sehr schwierig festzustellen ist, ob ein Verhalten natürlich initiiert wurde oder auf dem Antrieb eines psychischen Mangels und einer Persönlichkeitsstörung beruht und damit eine klassische Ersatzhandlung darstellt.

Eine diesbezüglich klare Abgrenzung oder prozentuale Zuordnung (Grad der Echtheit einer Handlung) ist aufgrund von Überlagerungen seriös nicht möglich.

Sichtbar und buchstäblich selbstentlarvend wird fassadäres Verhalten an den sogenannten Bruchstellen der Persönlichkeit, die umgangssprachlich gerne als die zwei Gesichter eines Menschen beschrieben werden (Dr. Jekyll and Mr. Hyde-Syndrom).

Eine Bruchstelle ist eine Schwachstelle, die wegen der Inhomogenität der psychischen Substanz und der hieraus resultierenden identitätsgemäßen Unausgeglichenheit erwachsen konnte.

Der Druck auf die Psyche (respektive auf die veranlagungsgemäße Vorgabe) vom nach wie vor existierenden und aktiven Urstimulus der primären psychischen Schädigung und dessen Ausstrahlung auf die Verhaltens- und Handlungsweisen ist auf Dauer zu stark, um eine von Stimmigkeit, Geradlinigkeit und Harmonie geprägte und bestimmte Wesensart und Lebensführung anhaltend zu realisieren.

Eine gesunde, stabile, ausgewogene und deswegen ungefährdete (von außen nicht angreifbare) Persönlichkeitsstruktur zeichnet sich hingegen durch weitgehende Angstfreiheit, hohe Belastbarkeit (Kraft/Stärke), große Frustrationstoleranzen, innere Ruhe und besondere Berechenbarkeit aus und nicht durch erhebliche Schwankungen der Gemüts-, Stimmungs- und Seelenlage, ob innerhalb des familiären, privaten, sozialen, gesellschaftlichen und beruflichen Bereiches.

Zur Beurteilung der gesamten Persönlichkeit und deren identitätsgemäßer Verfassung dürfen daher nicht nur einzelne Verhaltens- und Charakteraspekte herangezogen werden, sondern das Gesamtbild ist maßgeblich (Stichwort: ganzheitlicher Ansatz).

Was allgemein wohlwollend und verharmlosend als unterschiedliche Naturelle oder Typen- und Verhaltensfacetten beschrieben und meist auch akzeptiert wird, ist tatsächlich ein Indiz für eine „gebrochene“ und somit instabile Persönlichkeitsstruktur (siehe dazu auch Abschnitte „Doppelleben“ und „Doppelmoral“).

Hier sind nicht nur extreme Verhaltensweisen gemeint, wie beispielsweise der treu sorgende und liebevolle Familienvater, der am Samstag im Fußballstadion den brutal schlägernden Hooligan abgibt, oder der empathische Seelsorger, der seine jugendlichen Schäfchen missbraucht, oder der mordende, seine Opfer verhöhnende Soldat, der Zuhause Frau und Kind hat und liebvoll umsorgt, oder der Angestellte, der in der Arbeit und seiner Umwelt gegenüber zurückhaltend, freundlich und hilfsbereit auftritt, aber in der Familie streng, aggressiv und gewalttätig ist (und so ein gegenteiliges Bild abgibt, also sinnbildlich seine „andere“ Seite bzw. ein „anderes“ Gesicht zeigt), indes die alltäglichen und daher als mehr oder minder normal angesehenen Verhaltensauffälligkeiten, die entweder latent vorhanden sind oder sporadisch hervor- und durchbrechen.

Ob griesgrämiges, missgelauntes, missmutiges (permanente, starke Stimmungsschwankungen/Launenhaftigkeit), aufbrausendes, cholerisches, rabiates, unbeherrschtes, schnell die Nerven verlierendes, hysterisches, gehässiges, scheinheiliges, boshaftes, intrigantes, hinterhältiges, arglistiges, heuchlerisches, heimtückisches, verschlagenes, niederträchtiges, schadenfrohes, jähzorniges, aggressives, reizbares, streitbares, brutales, hasserfülltes, feindliches, rachsüchtiges, überempfindliches, verlogenes, unaufrichtiges, verleumderisches, Macht demonstrierendes, emotional kaltes, herrisches, gewissenloses, herabsetzendes, diskreditierendes, kränkendes, verletzendes, diffamierendes, infames, angeberisches, besonders eitles, überspanntes, unterwürfiges, ängstliches, devotes, feiges, missgünstiges, neidisches, eifersüchtiges, habsüchtiges, übermäßig Alkohol konsumierendes, zynisches, ausfallendes, beleidigendes oder infantiles Verhalten, all diese Verhaltensausprägungen werden rational bagatellisierend und verniedlichend als Eigenartigkeit, Eigenheit, Marotte, Spleen, Tick, (An) Gewohnheit, Verrücktheit, Exzentrik, Charakterzug oder sogar als Individualität und vorgegebenes Temperament angesehen.

Diese Verhaltensformen sind Indikatoren für eine sich nicht im Gleichgewicht befindliche, weil psychisch mehr oder minder stark gestörte Persönlichkeit.

Selbstverständlich ist das jeweilige, nicht genau abzugrenzende Verhalten Ausdruck von Individualität, aber es muss betont werden, dass es sich nicht um eine natürliche, originäre Individualität handelt, vielmehr bezieht sich diese auf die individuelle psychische Defizitsituation.

Anders formuliert: Jeder Mensch ist einzigartig, nicht nur genetisch/biologisch, sondern vor allem in seiner Verdrängungs- und Ersatzhandlungsstruktur und seinem identitätsgemäßen Status.

Die Psyche respektive der menschliche Apparat mit seinen wahrhaftigen Bedürfnissen und Erwartungshaltungen lassen sich – wie schon dargelegt - hinsichtlich des eigentlich vorhandenen Defizits weder irreführen und überlisten noch auf Dauer von Ersatzhandlungen zufriedenstellen, ohne dass dies eine weitere psychische Reaktion hervorrufen würde.

Die Psyche kann zwischen – natürlichem – Original (= anfangs Grundbedürfniserfüllung, später echte, genuine Handlung) und – künstlicher - Kopie (= Ersatz-/Kompensationshandlung) intuitiv immer unterscheiden und dadurch erkennen, ob eine Minderbefriedigung und infolgedessen Handlungsbedarf vorliegt.

Die Prüfung der eingehenden Befriedigung (analog einer Kompatibilitätsprüfung) basiert auf den Prinzipien und Notwendigkeiten des menschlichen Bauplans, die einem unverrückbaren Naturgesetz gleichen.

Der elementare Unterschied zwischen Original und Kopie dokumentiert sich über den psychischen Bereich hinaus auf weiteren Feldern des Lebens, wie beispielsweise auf wirtschaftlichem Gebiet, wenn es um Patent- und Urheberrechtsschutz geht oder in der Kunst, wo ein Original Millionen erzielen kann, hingegen eine Fälschung bzw. Kopie, auch bei hervorragender Machart, nahezu wertlos ist.

Der ursächliche schöpferische Akt, ob geistiger oder künstlerischer Art, der für das Echte, das Originäre, das Authentische, das Natürliche, das Kraftvolle, das Substanzielle und das Wesentliche steht, signalisiert im Vergleich zur Nachahmung Wertigkeit und wird deshalb von der Gesellschaft – durchaus paradoxerweise zum sonstigen Verhalten – geschätzt und geschützt.

Übertragen auf Grundbedürfniserfüllung und Ersatzbefriedigung bedeutet dies, dass zwischen Grundbedürfnis- und Ersatzhandlungsrealisierung generell ein sehr unterschiedlicher Befriedigungseffekt und damit Qualität besteht.

Innerhalb des weiten Feldes der Ersatzhandlungen und Kompensationen gilt gleiches, darum können diese in zwei Oberkategorien eingeteilt werden (primäre und sekundäre Arten).

Erstrangige Ersatzhandlungen geben eine direkte Reaktion auf die Defizite der ursächlichen Lebenswirklichkeit wieder, ähneln im Bedürfniserfüllungsmuster dem ursprünglich nicht realisierten respektive versagten Grundbedürfnis und haben wegen des engen Bezuges einen höheren Befriedigungswert.

Konkret: Wenn beispielsweise ein Kind körperliche Nähe und Zärtlichkeit nicht erfahren hat und dieses Defizit als Jugendlicher und Erwachsener durch besondere Anhänglich- und Anschmiegsamkeit bei seinem Partner auszugleichen versucht, dann existiert ein kausaler Zusammenhang zur in der Kindheit erlebten Frustration. Der aus dieser projektionsbezogenen Kompensation erzielte Ersatzbefriedigungswert ist erheblich größer bzw. intensiver als mittels einer nachrangigen Ersatzhandlung.

Sekundäre Ersatzhandlungen haben einen geringeren Ersatzbefriedigungscharakter, weil sie nur noch vom gesellschaftlichen Zeitgeist beeinflusste symbolisierte Formen darstellen, die vordergründig nichts mit der eigentlich manifestierten psychischen Problematik zu tun haben und erst im wahrsten Sinne des Wortes dechiffriert werden müssen. Hier zeigen sich die nicht zu unterschätzende Bedeutung des Zeitgeists und dessen wertbeimessende und wertende Aufladung.

Um beim Beispiel zu bleiben hieße dies, dass probiert wird, das kindlich enttäuschte Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit, das ursächlich u. a. Anerkennung und Akzeptanz impliziert (im Sinne von zur Folge haben) und Sicherheit vermittelt, per übertriebener Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz über Machtausübung (Profilierung durch Erreichung entsprechender Machtpositionen), über Konsum (das Stillen des psychischen Hungers anhand von „Shopping“) oder über die Anhäufung von Gütern und Geld (Ansehen und Sicherheit über Wohlstand und Reichtum) wettzumachen.

Ersatzhandlungen und Kompensationen mit niedriger Befriedigungswirkung bergen unumgänglich ein größeres Abhängigkeitspotenzial und somit eine höhere Suchtgefahr in sich, da dank des geringen Befriedigungsniveaus ein ständiger Bedarf vorhanden ist (Stichwort: Wachstums- und Steigerungsspirale).

Schon sehr früh bildet sich eine individuelle Ersatzhandlungs- und psychische Verarbeitungsstruktur aus, die ein ganzes Leben Bestand hat.

Dass die Ersatzbefriedigung oft nur noch im entferntesten Sinne mit dem faktisch zu befriedigenden Verlangen zu tun hat bzw. ein Zusammenhang herzustellen ist, liegt unter anderem an dem diversifizierten Leben heutzutage mit seinem breiten Feld an Möglichkeiten, aber ebenfalls an der persönlichen Entwicklungsgeschichte des jeweilig Betroffenen.

Die vielen verschiedenen Arten von Ersatzhandlungen wie psychischen und psychosomatischen Reaktionsweisen – also die speziellen Kanalisierungsformen, auf welche Weise ein Mensch der Frustration der Grundbedürfniserfüllung in verhaltensgemäßer, psychischer und körperlicher Sicht entgegnet – entstehen durch einen Strauß an differenten Faktoren.

Abhängig ist dieser von der genauen Form der psychischen Schädigung (konkreter Bezug zur Ursache), von der Identitätsproblematik Nr. 3 und 4 (u. a. familiäre Dispositionen und Vorbilder {z. B. ein Mensch, der als Kind Gewalt erfährt und diese als Jugendlicher/Erwachsener selbst anwendet}, Zeitgeist, kulturelle Determinationen, Religion) und der genetischen Veranlagung.

Es ist oft auf den ersten Augenblick schwer zu verstehen, was beispielshalber fehlende Annahme, Präsenz, Geborgenheit und Liebe mit übermäßigem Konsumverhalten (Kaufsucht bzw. -rausch) zu tun haben mag.

Der Mensch versucht hier, über den Konsum von Waren, die mit besonderen erstrebenswerten Attributen besetzt sind (wie zum Beispiel Schönheit, Kostbarkeit, Seltenheit oder Aktualität {trendy, modisch, angesagt, begehrt}), Befriedigung mithilfe der Anerkennung der Umwelt zu generieren oder/und auch nur durch den reinen Besitz (im Sinne von etwas haben, reich zu sein, dazu zugehören und auf diese Weise akzeptiert zu sein).

Das Konsumgut hat Symbolcharakter und ist Ersatz für Nähe, Zärtlichkeit und die Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung, Respekt, etc.

Abschließend noch ein Fallbeispiel, dass sehr gut veranschaulicht, wie intensiv das Leben durch die ursächliche Lebenswirklichkeit (gleichbedeutend mit der wesensgemäßen, psychischen Veranlagung des Menschen; siehe Buch 5, „Entlarvung der Lebenswirklichkeit“) bestimmt wird, ohne dass dies die betroffene Person selbst und das nähere Umfeld (Familie, Freundes- und Bekanntenkreis) offensichtlich wahrnehmen. Es wird dokumentiert, wie unfrei der Mensch tatsächlich angesichts der direktiven Kraft und Macht der unbefriedigten Psyche ist und wie diese – unbewusst – in die Lebensgestaltung eingreift und sie maßgeblich prägt, und welche Folgen es hat, wenn ein Mensch letztlich im Widerspruch zu seinen wirklichen psychischen Bedürfnissen lebt (wider seiner Natur), weil er diese unterdrückt oder beiseite schiebt.

Zu dem Beispiel, das nur stellvertretend für die breite Palette an möglichen, psychisch determinierten Reaktionsformen auf unbefriedigte Bedürfniserfüllungen in der Kindheit steht:

Die Geschichte: Ein Mann im mittleren Alter, einmal geschieden, nahezu ununterbrochen in Beziehungen lebend und seit kurzer Zeit nach einer eher gefühlskalten, oberflächlichen und von vielen Auseinandersetzungen geprägten On- und Offbeziehung alleinstehend, lernt eine Frau kennen und es entwickelt sich eine – zunächst – entspannte, harmonische, gefühlvolle, offene und tiefgründige Verbindung. Der Mann, kommunikativ und überaus aktiv, beruflich eingebunden und stets einsatzbereit, in mehreren, sozialen Bereichen neben seiner Arbeit ehrenamtlich tätig und zudem mit einem äußerst großen Bekanntenkreis, offenbart der Frau nach relativ kurzer Zeit, dass solch eine Form des Umgangs immer seine Wunschvorstellung von einer Partnerschaft gewesen sei.

Zusätzlich betont er, dass er sich bei ihr sehr geborgen und sicher fühlt. Der Frau fällt nach einiger Zeit auf, dass der Mann, außer diesen erwähnten Äußerungen, ungern von Gefühlen spricht, diese lediglich schwer artikulieren und zeigen kann, und dass er viel zu viele Aktivitäten in seiner Freizeit macht, deshalb nicht zur Ruhe kommt, und öfters abgespannter und müder, weil auch von schlechtem Schlaf geplagt, ist. Zudem hat er seit längerer Zeit immer wieder ein schwaches, angegriffenes Immunsystem und darum ständig mit unterschiedlichen Infekten zu kämpfen. Weiters beobachtet sie bei ihm zunehmende Stimmungsschwankungen und ein teils dominantes, sturköpfiges, ungeduldigeres und häufiger auf Konfrontation (nach dem Motto „Provokation der Provokation willen“) ausgerichtetes Verhalten.

Sie spricht ihn auf diese Punkte an, er erwidert, dass er sich gerne mehr emotional öffnen würde, dies aber nicht kann, erwähnt eher beiläufig als Grund die nicht ausreichend vorhandene elterliche Annahme im Kindesalter (Stichwort: unerwünschtes Kind), meint außerdem, dass er bezüglich seinen zahlreichen Engagements und seines Gesundheitszustandes genau weiß, was er macht, und dass er darüber hinaus nicht bereit ist, sich für sein Verhalten und seine zeitintensiven Tätigkeiten rechtfertigen zu müssen.

Es vollzieht sich Schritt für Schritt eine Veränderung in der Beziehung, der Mann wird zurücknehmender, verschlossener, distanzierter, geht Gesprächen so weit wie möglich aus dem Weg, kritisiert die Frau ohne konkreten Anlass immer öfters (und bringt sie dadurch in eine defensive, sich zu verteidigende oder sogar entschuldigende Position) und bekommt schließlich, neben den schon genannten körperlichen Problemen, noch zusätzliche, in Intervallen auftretende Krankheitssymptome, wie u. a. Herzrasen, Hitzewallungen, Beklemmungen (zugeschnürte Kehle, Atemnot) und Übelkeit. Während sie sich gemeinsame Pläne wünscht und mehr gemeinsame Zeit einfordert, wächst bei ihm die Entfremdung, die in seiner Äußerung gipfelt, dass trotz des Versuches aus einer anfänglichen Verliebtheit nicht mehr geworden ist, und dass er seinen (und nicht einen gemeinsamen) Weg geht.

Die Beziehung verliert auf jeder Ebene an Intensität, und nach gewisser Zeit will der Mann die Trennung und lässt eine ziemlich ratlose Frau zurück, begründet in den Widersprüchlichkeiten im Verhalten des Mannes während der Beziehung (einerseits der vielversprechende Beginn der Partnerschaft, gezeichnet von intensiven Gefühlen und dem Wunsch des Mannes, sich stärker emotional zu öffnen, und andererseits sein daraufhin stetig forcierter Rückzug, begleitet mit den entsprechenden Verhaltensweisen). Der Mann wirkt durch die Trennung wie von einer Last befreit bzw. erlöst. Relativ kurz danach nimmt der Mann seine vorherige, emotional kühlere und vom On- und Off-Charakter bestimmte Verbindung abermals auf, und die in Schüben auftauchenden Beschwerden (Herzrasen, Hitzewallungen, Beklemmungen und Übelkeit) verklingen, die Infektanfälligkeit jedoch nicht.

So viel zur eigentlich unspektakulären Geschichte, die auf den ersten Blick durchaus als normal bezeichnet werden kann, zumal sie sich in ähnlicher Form ungezählt tagtäglich auf der Welt nach dem Motto „man lernt sich kennen, versteht sich nicht mehr gut bzw. passt nicht richtig zusammen und trennt sich wieder“ derart abspielt.

Aber wenn die oberflächliche Betrachtung beiseite gelassen und die scheinbare Normalität tiefgründig hinterfragt wird, dann stellt sich in der Analyse die Beurteilung wesentlich facettenreicher und vor allem unterschiedlicher dar.

Was steckt demnach ursächlich hinter den jeweiligen Verhaltensweisen, welche Motive sind festzumachen, handelt es sich um freie, unabhängige Entscheidungen oder liegt eine – unbewusste – Steuerung zugrunde, die ob ihrer Kraft das Leben maßgeblich beeinflusst? Muss daher der freie Wille des Menschen als hinfällig angesehen werden?

Um welche Verhaltensweisen geht es bei dem Beispiel dezidiert?

Aufgrund der mangelnden Annahme in der Frühkindheit, gleichbedeutend mit einer Nichterfüllung der psychischen Grundbedürfnisse (u. a. fehlendes Urvertrauen, keine Geborgenheit, Akzeptanz und Sicherheit und damit psychische Instabilität) hat sich bei dem Mann – so paradox es zunächst klingen mag, da er bereits verheiratet war und, einzig unterbrochen von kurzen Pausen, ständig in Beziehungen lebt(e) – eine Bindungsangst und eine Angst vor (zu viel) Nähe entwickelt. Eine unzureichende Annahme ist überdies ein Symbol für eine nicht vorhandene Wertigkeit der Person, bei der sich folglich ein lebenslang währendes, latentes Minderwertigkeits- und Unsicherheitsgefühl manifestiert („ich bin es nicht wert, angenommen und geliebt zu werden“, Stichwort: Erniedrigung, Demütigung).

Diese ausgebildete psychische Struktur ist die Basis für alle wesentlichen Verhaltensweisen, die im Kern zwei Ziele haben, erstens die Vermeidung der mit der ungenügenden Annahme verbundenen Ängste, und zweitens die Kompensation der unterschwellig verankerten Minderwertigkeit. Beide Ziele dienen der Erhaltung der Funktionsfähigkeit bzw. (Über) Lebenstauglichkeit.

Der Betroffene leidet (der Ausdruck versinnbildlicht den Zustand sehr gut, weil es effektiv eine Dauerbelastung ist) an einer kuriosen wie seltsamen Situation. Er sucht die Nähe (als Kompensation zur nicht widerfahrenen Nähe – sprich Annahme – der Eltern), und sofern er sie gefunden hat, meidet er sie und stößt sie wieder ab (Abwehrreaktion).

Die Nähe ist verknüpft mit einer tief liegenden Angst, neuerlich das Gefühl zu erleben, nicht gewollt, nicht angenommen, nicht anerkannt zu werden und demgemäß eine erneute Negativ-Bestätigung zu erhalten, die im Endergebnis nichts anderes ist, als eine Existenzverneinung und dem Überlebenstrieb zuwiderläuft. Das sich herausgeformte identitätsgemäße Pseudogleichgewicht steht auf dem Spiel und ist durch zu viel Nähe gefährdet.

Das Dilemma liegt auf der einen Seite in dem unstillbaren Verlangen, Nähe zu bekommen, zum Beispiel dank einer intensiven, liebevollen Beziehung, die eine angemessene Geborgenheit, Vertrauen, Verlässlichkeit und Sicherheit vermittelt, und andererseits in der beständigen Angst, so eine Beziehung zuzulassen und einzugehen, um nicht abermalig eine Verletzung zu bekommen. Zwangsläufig wird bei der Verhinderung dieser Verletzung ein möglicher Partner verletzt, da der Betroffene höchst egoistisch agiert, besser agieren muss, um derart seine Bedürfnisse zu befriedigen, und nicht in der Lage ist, Rücksicht zu nehmen.

Ein allein oberflächliches, eher distanziertes, nicht gefühlsstarkes Verhältnis wiederum stillt das tief verwurzelte Bedürfnis nach dem benötigten Ausmaß an Geborgenheit auch nicht. Der Betroffene ist hin- und hergerissen, natürlich nicht bewusst, zwischen der Sehnsucht und der Suche nach ausreichender Nähe und der Angst vor einer neuerlichen Verletzung bzw. dem Aushalten von zu viel Nähe. Nähe bedeutet zudem Offenheit, und Offenheit macht im Gegensatz zur Verschlossenheit verletzbar, weil, sobald sich ein Mensch auf einen anderen Menschen einlässt, dies die Gefahr der Enttäuschung in sich birgt.

Alleinsein ist ebenfalls keine wirkliche Lösung, zumal dadurch zwar keine Bedrohung hinsichtlich einer erneuten Verletzung ausgeht, allerdings der Hunger nach Nähe damit gleichfalls nicht gestillt wird.

Die beschriebene Ambivalenz bleibt selbstredend nicht ohne direkte und indirekte Folgen auf das Leben und die Verhaltensweisen des Betroffenen, weil die Psyche jedes Menschen grundsätzlich nicht nur die gleiche Funktion, sondern entsprechende Mechanismen wie Instrumentarien hat, auf jeweilige Störungen und Defizite (Mangelerscheinungen) zu begegnen.

Jedoch, und dies ist den einzelnen Identitätsproblematiken geschuldet (siehe dazu das Kapitel „Das Gebilde Mensch und seine (4) Identitätsproblematiken – ihre Funktionsweisen, Wechselwirkungen und Problemfelder“), reagieren Menschen auf ihre Situation, auch wenn eine ähnlich gelagerte Schädigung vorliegt, häufig mit ziemlich unterschiedlichen Verhaltensweisen, wobei es trotzdem gewisse gleiche, übergeordnete Muster gibt, die aber genauso in ihrer Darstellung differieren können, wie u. a. Verdrängung, Rationalisierung, egoistisches Verhalten und Schauspiel (fassadäre Persönlichkeit).

Jetzt konkret zur Charakterausprägung und den Verhaltensweisen des Mannes, salopp könnte man sagen, zur individuell zusammengezimmerten, von Kompensationen und Ersatzhandlungen bestimmten, Lebensform.

Der große Bekanntenkreis, das kommunikative Wesen, die permanenten Beziehungen ohne eine Aus- wie Ruhezeit nach Beendigung einer Verbindung (von einer Beziehung zur nächsten) und die Aktivitäten ehrenamtlicher Natur signalisieren den enormen Drang nach Kontakt und Nähe (und gleichfalls der hiermit verbundenen Anerkennung und Bestätigung), und auf diese Weise nicht reflektieren zu müssen, sich also buchstäblich von seiner Problematik abzulenken (Stichwort: proaktive Verdrängung) und sich gar nicht in die Gefahr zu bringen, sich mit ihr auseinandersetzen zu müssen. Ein in diesem Zusammenhang treffender Ausdruck für das Verhalten ist Beschäftigungstherapie.

Es bestehen viele Kontakte, jedoch keine zu nahen (nach dem Motto ein bisschen Nähe ist gut, aber nur keine übermäßige), und diese sind letztlich oberflächlich, es wird im Unverbindlichen verharrt, zumal der Betroffene, trotz scheinbarer Lockerheit und Zugänglichkeit, im Kern verschlossen, hart und auch im gewissen Grad emotional kalt ist. Es kann durchaus von einer Pseudo-Nähe gesprochen werden.

Das vermittelte Außenbild entspricht nicht dem tatsächlichen Innenleben, der Mann versucht durch die zahlreichen Aktivitäten der gefühlten Einsamkeit und der inneren Leere zu entgehen (die Einsamkeit ist überdies ein Symbol der Verlassenheit, die aus der fehlenden Annahme in der Kindheit entstanden ist). Die fassadäre Persönlichkeit unterbindet mittels intuitiven Schauspielen (= Verdrängungsreaktion), dass man selbst und die Umwelt die wahre psychische Verfassung erfährt bzw. realisiert.

Ein weiterer Punkt, in der Kategorie Selbstschutz anzusiedeln, ist das Funktionieren, im Sinne, den Erwartungen der Umwelt und ebenso des selbst aufgebauten Außenbildes zu genügen, das sich über eine das normale Maß hinausgehende Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft, sowohl den beruflichen wie ehrenamtlichen Bereich betreffend, zeigt. Der Mann kann – außer bei der Partnerin – nicht „Nein“ sagen, da mit einem „Nein“ ein möglicher Entzug an Anerkennung und Bestätigung verbunden wäre, das Außen- wie Selbstbild ins Wanken bringen und folglich gefährden würde. Das identitätsgemäße Pseudogleichgewicht und die damit verknüpfte, selbstredend nur relativ zerbrechliche, Sicherheit und Stabilität wären bedroht.

Das vornehmlich in der Beziehung gegenwärtige dominante, eigensinnige und starre Verhalten, gepaart mit Ungeduld, hat ein kompensatorisches Wesen, indem anhand dieser Verhaltensweisen versucht wird, die tief verwurzelte psychische Schwäche in (vermeintliche) Stärke umzumünzen. Die erfahrene Ohnmacht (Demütigung, Entwertung) und das daraus erwachsene Minderwertigkeitsgefühl sollen durch ein Machtgehabe ausgeglichen werden, um darüber Bestätigung und letztlich Selbstwert generieren zu können.

Das soziale Engagement ist hier gleichfalls einzuordnen, einerseits die Einbettung in eine Gemeinschaft (Akzeptanz und eine gewisse, aber im Endeffekt „distanzierte“ Nähe) und der helfende Charakter (Bestätigung, Anerkennung), und auf der anderen Seite die dominante Facette des Einsatzes, weil der Mann bei den ehrenamtlichen Tätigkeiten die bestimmende und vorgebende Rolle einnimmt (er ist der Hilfeleistende, der aus der Position der Stärke anderen Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, hilft).

Die häufigen Stimmungsschwankungen dokumentieren eine Unausgeglichenheit, zumal das psychische Defizit ständig innerlich arbeitet, ergo buchstäblich ruhelos ist, und erschüttert auf diese Weise das identitätsgemäße Pseudogleichgewicht (hohe Labilität).

Sich prinzipiell nicht rechtfertigen zu wollen, mutmaßlich Unangenehmen von vornherein aus dem Weg zu gehen oder sofortiges Abblocken von kritischen Fragen bzw. Gesprächen, um derart sich nicht mit den eigenen Problemen (und der psychischen Problematik) auseinandersetzen zu müssen, also in der Konsequenz eine Aufrechterhaltung der scheinbar Sicherheit erzeugenden Verdrängung, und sich die Dinge schönzureden (Rationalisierung) nach dem Motto „ich weiß, was ich mache und was mir gut tut und werde daran nichts ändern“ (die psychosomatischen Beschwerden, die berufliche und freizeitgemäße Überbeanspruchung ohne notwendige Pausen, die dauernde Müdigkeit und Abgespanntheit), all diese Gebaren sind Zeichen eines präventiven Abwehrverhaltens (Stichwort: Vermeidungsstrategie). Der Mann muss sich permanent um seine fragile psychische Lage sorgen und zieht deshalb intuitiv (die Betonung liegt auf unbewusst) eine Verteidigungsmauer, die potenzielle Angriffe von außen (dazu dient auch das fassadäre, auf Schein errichtete Außenbild) und von innen (um das Aufbrechen der Verdrängung zu verhindern) abwenden soll.

In diesem Kontext passen auch die Nörgelei/Mäkelei und das Kritisieren des Mannes um des Kritisieren willens, also den Partner ohne ersichtlichen Grund in eine defensive, sich zu rechtfertigende Position zu bringen, mit dem Hintergrund, von der eigenen Situation abzulenken, ihn zu schwächen bzw. abzuwerten, und damit automatisch sich selbst zu stärken bzw. aufzuwerten (Gegenpol zum Minderwertigkeitsgefühl). Folgendermaßen, wieder in Form einer proaktiven Verteidigung, soll ein mögliches Risiko für die instabile psychische Verfassung ausgeschaltet werden (buchstäblich: den Spieß umdrehen und der Gegenseite den Wind aus den Segeln nehmen).

Diese Punkte beinhalten zudem eine dominante (Herr der Lage zu sein) und eine narzisstische Komponente.

Noch zwei typische Symptome respektive Charakteristika für Menschen mit erheblicher Bindungsangst und Angst vor Nähe sind bei dem Mann zu erkennen.

Erstens die Neigung, Streit zu entfachen und dadurch Disharmonie zu verursachen (ebenso keine gemeinsamen Pläne zu verfolgen und den eigenen Weg, der gegangen wird, herauszustellen), um dergestalt eine Distanz zu schaffen, die, sobald die Nähe zu intensiv wurde, wieder ausreichend Schutzraum bietet. Wenn sich erneut zu viel Nähe aufgebaut hat, beginnt das „Spiel“ aus Anziehung und Abstoßung von neuem.

Die psychosomatischen Beschwerden (Herzrasen, Beklemmungen, etc.), die besonders bei Beziehungen mit großer Emotionalität und demnach Nähe auftreten, sind – gerade die Atemnot und die zugeschnürte Kehle – ein Ausdruck starker Angst und gleichzeitig Gegenwehr (um die mit der Nähe verbundene Gefahr für den Betroffenen zu signalisieren; der Körper wehrt sich förmlich gegen die Nähe) wie ein klassisches Sinnbild für die empfundene Enge und Unfreiheit (kein Raum/Platz zum Atmen), obwohl die – und dies das Paradox – psychische Problematik letztendlich den Menschen unfrei macht, da sein Handeln infolgedessen merklich gesteuert und determiniert ist.

Sobald die Nähe aufgelöst ist, weil die Beziehung beendet ist, geht diese Art von Schmerzen wieder weg, allerdings nicht die latenten körperlichen Leiden (u. a. anfälliges Immunsystem).

Interessant ist das Phänomen, dass am Anfang der Beziehung (Phase der Anfangsverliebtheit) die Bindungsangst und die Angst vor (zu viel) Nähe keine Rolle gespielt haben, sogar das Gegenteil der Fall war, da, ganz einfach, die Ängste nicht präsent waren. Dieser Umstand ist der temporären Außerkraftsetzung der bedrückenden und belastenden Identitätsproblematik geschuldet (auch weil die Urangst kurzzeitig neutralisiert ist), währenddessen der Betroffene mit Energie geladen ist, und dies sich in einer Leichtigkeit, dem Gefühl schweben zu können, dokumentiert (siehe dazu die Ausführungen in Buch 5 unter dem Kapitel „Was ist Liebe, was Eifersucht?“).

Noch einige Anmerkungen unabhängig vom geschilderten Beispiel und daher von allgemeingültiger Bedeutung.

Menschen mit einer Bindungsangst und Angst vor Nähe sind in einem Dilemma mit Teufelskreis-/Wiederholungscharakter gefangen, zumal das – psychische - Bedürfnis nach intensiver Nähe im Widerspruch zur - psychischen – Fähigkeit, intensive Nähe auszuhalten und zu ertragen, diametral steht. Das psychische Bedürfnis beruht auf den generellen, wesensbedingten Vorgaben eines jeden Menschen, die psychische Fähigkeit auf der individuell erwachsenen psychischen Struktur (Versehrtheit oder Unversehrtheit der Psyche, Niveau der psychischen Ausbildung).

Dieser unauflösbare Widerspruch, in einem mehr oder minder großen psychischen Defizit begründet, geht immer mit einer Palette an Problemen einher, ob psychosomatische Krankheiten, ob unbefriedigende, emotional und kommunikativ oberflächliche Partnerschaften mit vielen Konflikten, ob häufiger Partnerwechsel, ob nur sehr eingeschränkte Genussfähigkeit aufgrund mangelnder Offenheit und Wahrnehmbarkeit, ob ein unausgeglichenes, stimmungsschwankendes Naturell, und, und, und, jedenfalls stets eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Weswegen ist aber eigentlich die Angst vor abermaliger Verletzung vorhanden, und warum befreit sich der Mensch nicht von der stark limitierenden psychischen Last, hier ausgelöst mittels der Bindungsangst und Angst vor Nähe?

Vorab, es handelt sich nicht um bewusste Prozesse mit unabhängigen rationalen Entscheidungen, sondern um eine Instrumentalisierung der Ratio durch die Psyche).

Die unterschwellige Angst vor neuerlicher Verletzung ist gleichbedeutend mit der Angst, dass das aus der psychischen Schädigung entstandene, von entsprechenden Kompensationen gestützte, dennoch äußerst fragile identitätsgemäße Pseudogleichgewicht so ins Wanken gerät (also verunsichert wird), dass die Funktionsfähigkeit bedroht wäre.

Die Zurückversetzung würde die geschaffene psychische Struktur, vor allem die schützende Verdrängungs- und Rationalisierungsstruktur, aufbrechen und den unterdrückten Schmerz wieder ins Bewusstsein bringen. Der Betroffene wäre so erneut schutz- und hilflos wie in der Kindheit.

Sich vom psychischen Leid zu befreien (besser: das psychische Leid zu mindern), demzufolge den langen, beschwerlichen Weg der therapeutischen Aufarbeitung zu beschreiten, ist in den meisten Fällen nicht möglich (besonders bei umfangreichen psychischen Schädigungen). Die bestehende psychische Struktur und das daraus entstammende Lebensmodell, gerade auch die unterschwellige Angst vor Ent- bzw. Aufdeckung der existenten Problematik (Aufrechterhaltung der Fassade bzw. des Scheins), kosten viel psychische Kraft, deren Potenzial jedoch schon wegen des Defizits wesentlich limitiert ist.

Einfach weiter wie bisher zu machen, erfordert am wenigsten Energie (der Weg des geringsten Widerstandes), allerdings ist dies auf Dauer ein Trugschluss, weil solch ein Dasein mit lebenslangen, vielfältigen Beeinträchtigungen verbunden ist.

Verschließen (und der Rückzug auf Altbekanntes, das vordergründig Sicherheit vermittelt) ist einfacher und bedarf wenig Energie im Vergleich zum Öffnen, zum Zulassen von Neuem, da dies erstmals mit Ungewissheit, Unsicherheit und somit ebenfalls Angst verknüpft ist (was wird es mir bringen, wie entwickelt es sich, werde ich wieder enttäuscht und verletzt?).

Mit anderen Worten: Die energetische Hürde ist zu hoch, um Veränderungen herbeizuführen.

Fazit: Der Mensch lebt ein falsches, unbefriedigendes Leben und bewegt sich de facto in einer Scheinwelt, weil der offensichtlich erzeugte Eindruck überhaupt nicht mit der sich dahinter befindenden Verfassung übereinstimmt. Von der Ursache (mangelnde Annahme) haben sich aus kompensatorischen Motiven (Stichwort: metaphysisches Prinzip) in der Folge viele Symptome entwickelt, die letztlich das Leben des Menschen weitgehend beeinflussen und begrenzen. Der Mensch wird tatsächlich von den psychischen Umständen gelebt, obwohl er sich dies nie eingestehen würde, auch, weil ihm die sich im Hintergrund des Verhaltens abspielenden Mechanismen der Psyche unbekannt sind. Er bleibt ein Leben lang ein Suchender, der jedoch nie finden wird.

Die Lebensgestaltung und Verhaltensformen resultieren nicht aus freien Stücken, sondern unterliegen zweckorientierten und -geleiteten Motiven, stets der Zielsetzung folgend, eine wie auch immer geartete Kompensation (mit Zuhilfenahme entsprechender Verdrängungstätigkeit) für die in der (Früh) Kindheit erlittenen Traumata respektive ungenügend stattgefundenen psychischen Grundbedürfniserfüllungen zu erreichen.

Eine Beziehung nimmt in solchen Fällen eine überaus große identitätsgemäße Funktionalität ein und ist von Beginn an mit einer beträchtlichen Hypothek belastet.

Die Mensch-Erklärungsformel (Teil 3)

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