Читать книгу Und ICH bin die Rache - Kai Kistenbrügger - Страница 11

9:09 Uhr

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Ein leises Pfeifen in seinem Ohr verriet Bader, dass er zumindest noch am Leben war. Feiner Staub hing in der Luft, der nur leicht durch das bisschen Licht erhellt wurde, das durch die weit entfernten Fenster in das Verhörzimmer drang. Eine der Scheiben war gesprungen, hatte sich aber glücklicherweise in ihrem Holzrahmen halten können.

Irgendwo schrien mehrere Stimmen durcheinander, aber Bader nahm alles lediglich wie durch einen dicken Wattebausch war. Was ist passiert? Er hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Wo bin ich?

Neben ihm hustete jemand. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an die schummrigen Lichtverhältnisse; er konnte drei Schemen sehen, die sich mühsam aufrappelten. Er selbst saß auf dem Boden, mit dem Rücken zur dünnen Holzwand. Es dauerte, bis seine durcheinander gewürfelten Gedankenfetzen endlich wieder einen sinnvollen Zusammenhang ergaben. Eine Explosion. Das Polizeirevier war von einer Explosion erschüttert worden. Ein Angriff auf das Herz der Polizeikräfte. Bader brauchte eine Weile, um diese Erkenntnis zu verarbeiten. Er hatte in seinem Leben als Polizist schon viel erlebt, aber er hätte es sich niemals träumen lassen, dass jemand tatsächlich diesen Schritt wagte, diese letzte Grenze überschreiten würde.

„Was war das?“, krächzte eine Stimme neben ihm. Mahnmann.

„Heinrich?“, fragte Bader sorgenvoll. „Alles in Ordnung?“

„Ja, verdammt!“, schnaufte die große, massige Silhouette vor dem gesprungenen Glas. „War es das, was ich vermute?“

„Ja“, antworte Bader schlicht. „Sind alle unverletzt?“

Ein mehrstimmiges ‚Ja’ beruhigte ihn zumindest in dieser Hinsicht. Selbst Beil ließ sich zu einer gemurmelten Antwort herab.

Bader stemmte sich am Tisch hoch. Seine Knochen schmerzten, aber er schien ebenfalls nicht verletzt zu sein. Er war lediglich wie alle anderen ein bisschen durchgeschüttelt worden.

„Sie bleiben bei Beil!“, befahl er Mahnmann, der gehorsam nickte. Es schien ihn nicht zu stören, Befehle von einem Polizisten entgegen zu nehmen. Wahrscheinlich war er sogar froh, dass in dieser Situation jemand anderes die Verantwortung übernahm.

„Heinrich, du kommst mit mir!“

Sie stürmten aus dem Verhörzimmer. Sie konnten nicht viel sehen; die Fensterreihe war zu weit entfernt, um das Großraumbüro vollständig zu erleuchten, aber was sie sahen, reichte ihnen bereits aus. Überall herrschte Chaos. Polizisten torkelten überrumpelt durch den Raum. Aktenschränke waren umgekippt, Computermonitore von Schreibtischen gestürzt.

„Ist jemand verletzt?“, brüllte Bader laut über das Chaos hinweg. Seine Stimme war fest und unbeirrt, sein Hunger und seine Müdigkeit vergessen. Unter Stress hatte Bader immer am besten funktioniert, wenn seine Sorgen der beruhigend starken Hand seiner Erfahrungen wichen.

Bader packte einen jungen Polizisten am Arm, der mit leichtem Silberblick hilflos neben seinem Schreibtisch stand. Er wirkte unverletzt. „Rufen Sie die Feuerwehr und Krankenwagen“, forderte er. „Danach suchen Sie sich alle Polizisten zusammen, die laufen können und bilden Sie Teams. Suchen Sie die Räume nach Verletzten ab. Evakuieren Sie das Gebäude, für den Fall, dass noch weitere Sprengsätze vorhanden sind. Ich will in zehn Minuten niemanden mehr im Revier sehen. Verstanden?“

Der junge Polizist nickte. „Jawohl“, stammelte er. Noch sichtlich mitgenommen stolperte er zum Telefon, aber seine Ausbildung übernahm schnell die Kontrolle über seine Handlungen. Sein verwirrter Blick wich routinierter Entschlossenheit, als er mehrere Krankenwagen und die Feuerwehr anforderte. Bader nickte zufrieden. Der junge Kollege hatte die Sache im Griff. Er schnappte sich Petersen und lief mit ihm durch das Großraumbüro, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

Glücklicherweise schien niemand ernsthaft verwundet zu sein. Die meisten Verletzungen entpuppten sich als leichte Blessuren, die sich die Polizisten bei ihren Stürzen zugezogen hatten. Auch das Gebäude wies augenscheinlich keine schwerwiegenden strukturellen Schäden auf. Die hintere Seitenwand zeigte ein paar Risse, aber Bader konnte nicht genau sagen, ob die nicht bereits vor der Explosion vorhanden gewesen waren. Bei dem generellen Renovierungsstau des alten Gebäudes hätte es ihn zumindest nicht gewundert.

Erst nachdem sie sich versichert hatten, dass hier oben niemand ihre Hilfe brauchte und die Evakuierungsbemühungen langsam Fahrt aufnahmen, rannten er und Petersen die breite Treppe hinunter. Bereits von der Mitte des Absatzes aus konnte er sehen, dass es das Erdgeschoss weitaus schlimmer getroffen hatte als das obere Stockwerk. Am Treppenabsatz lagen Trümmerteile quer über den gesamten Boden verstreut. Dicke Rauchschwaden waberten drückend durch die Luft. Bader hielt sich ein Taschentuch vor den Mund, um überhaupt atmen zu können, als er die ersten vorsichtigen Schritte in das Katastrophengebiet machte.

Die Treppe lag im hinteren Teil des Polizeireviers. Sie war das Prunkstück des ehemals aufwändig konstruierten Gebäudes und nur zu erreichen, wenn Besucher vorher den Empfang am Eingang passiert hatten. Doch diese Tage waren vorbei. Dort, wo ansonsten eine massive Backsteinmauer den unautorisierten Zutritt zur Polizeistation verwehrt hatte, klaffte ein Loch. Es war nicht sonderlich groß, vielleicht zwei Meter im Durchmesser, bot aber freie Sicht auf den Hinterhof hinter dem Revier. Offensichtlich das Zentrum der Explosion. Irgendeine Autoalarmanlage schrillte ohrenbetäubend nach Hilfe, aber keines der Fahrzeuge, die hinter dem Haus geparkt worden waren, würde jemals wieder auch nur einen einzigen Meter fahren. Vereinzelt leckten ein paar Flammen aus den rußgeschwärzten Karosserien hervor.

„Was zum…?“, stammelte Petersen betroffen und musterte mit bleichem Gesicht die unwirkliche Szenerie, die eher an einen Kriegsfilm, als an ein Großstadtrevier erinnerte.

„Du sagst es!“, stimmte Bader ihm zu. Er zeigte in Richtung Eingang. „Ich würde vorschlagen, du suchst die Räume im vorderen Teil ab, ich kümmere mich um die hinteren Büros.“

„Wird gemacht“, antwortete Petersen und setzte sich anstandslos in Bewegung.

Wie betäubt ließ Bader seinen Blick schweifen. Die Wucht der Explosion hatte zwar die Wand durchschlagen, aber das Gebäude selbst schien noch stabil genug zu sein, um nicht jeden Moment in sich zusammenzufallen wie ein Kartenhaus. In diesem Teil des alten Polizeireviers waren hauptsächlich die Asservatenkammer und Lagerräume untergebracht. Mit etwas Glück hatte sich zum Zeitpunkt der Explosion kein Polizist in diesen Räumen aufgehalten.

Trotzdem hatte sie dieser Anschlag schwer getroffen. Bader füllte sich merkwürdig verletzt, geradezu schutzlos. Das Revier war immer so eine Art Refugium für ihn gewesen, eine Bastion zum Schutz vor dem Wahnsinn, der draußen vor den Türen tagtäglich wütete. Jetzt war der Wahnsinn zu ihnen gekommen. Es gab keinen Ort mehr, an den sie sich hätten zurückziehen konnten.

Bader stürzte die schmalen Gänge entlang. Das Chaos war vergleichbar wie oben, aber die Schäden hielten sich, abgesehen von der völlig zerstörten Wand, in Grenzen. Vereinzelt hatten sich die Beamten bereits zusammengetan und durchkämmten die Räume nach Opfern der Explosion. Auch hier wurden ihm keine schlimmen Verletzungen berichtet.

Bader schöpfte langsam so etwas wie eine vorsichtige Hoffnung, nur Sachschäden zu beklagen zu haben, als plötzlich Petersens Stimme durch das Erdgeschoss donnerte. Obwohl mindestens eine Wand die hinteren Büros von dem Eingangsbereich abtrennte, war sie klar und deutlich zu hören. „Halt!“, brüllte er. „Was machen Sie da?“

Baders Herz machten einen verzweifelten Satz. Offensichtlich waren sie noch nicht außer Gefahr. Angsterfüllt stürmte er den Gang zurück, den er gekommen war.

„Legen Sie das hin!“, forderte Petersen lautstark. „Vorsichtig! Und keine falschen Bewegungen!“

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Bader den Eingangsbereich erreichte. Zuerst sah er nur Petersens mächtigen Rücken. Er hielt seine Waffe auf jemanden gerichtet, den Bader zuerst nicht genau erkennen konnte. Erst als er einen weiteren Schritt in den Raum hinein machte, konnte er einen Blick auf den Fremden werfen. Ein Mann stand vor Petersen, mitten im Raum, auffällig gekleidet in eine knallroten Jacke. Vor ihm lag ein kleines Paket, das Petersen sorgenvoll musterte. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht entwichen. „Thomas!“, krächzte er, ohne sich zu Bader umzudrehen, oder den Fremden aus den Augen zu lassen. „Ruf das Bombenkommando!“

Und ICH bin die Rache

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