Читать книгу Und ICH bin die Rache - Kai Kistenbrügger - Страница 8

8:45 Uhr

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„Guten Tag, Hauptkommissar Bader”, verkündete der Mann auf dem flimmernden Fernsehbild mit fester, unbeirrter Stimme.

„Scheiße, was soll das!?“, stieß Petersen aufgebracht aus, sobald das erste Wort gefallen war. Dieses Mal musste Bader ihn nicht wegen seiner Wortwahl zurechtweisen. Mit einer entschuldigenden Geste in Richtung Mahnmann relativierte er seine harschen Worte sofort wieder. „Ich meine, was hat das zu bedeuten?“, korrigierte er leise nuschelnd.

Sie saßen zusammen in dem kleinen Eckbüro, in dem Bader weitestgehend abgeschirmt vom Trubel des Großraumbüros seine Arbeit erledigen konnte. Inzwischen hatten sich die meisten Kollegen zum Dienst eingefunden und der Raum war erfüllt von Gelächter, dem andauernden Klappern von Computertastaturen und lauten wie leisen Gesprächen. Hinter der dünnen Glastür vermischten sich die Geräusche zu einem monotonen, aber ertragbaren Hintergrundrauschen.

Von dem alten Fernsehbildschirm blickte Alexander Beil auf die drei Zuschauer hinab. Zumindest sah die Person im Fernsehen ihm ähnlich, wirkte allerdings eher wie eine um einiges vitalere Version desselben Mannes. Von der dauerpräsenten Lethargie, die Beil im Verhörzimmer an den Tag gelegt hatte, war nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. Beil blickte mit wachen, lebendigen Augen in die Kamera, während ein merkwürdiges Lächeln seine dünnen Lippen umspielte. Im Gegensatz zu seinem jetzigen Zustand wirkte er geradezu jugendlich, auch wenn die Krankheit bereits ihre tiefen Spuren in seiner Haut hinterlassen hatte und die Schatten unter seinen Augen auf die unaufhaltsame Zerstörung seines Körpers durch den Krebs hindeuteten.

„Zumindest hoffe ich, dass Sie anwesend sind”, fuhr der Mann im Fernsehen fort. „Aber wenn alles gelaufen ist wie geplant, sitzen Sie jetzt vor dem Bildschirm.“ Er grinste auf eine merkwürdige Art und Weise, die Bader eiskalte Schauer den Rücken hinunterlaufen ließ. Verdammt! Woher kannte der Kerl ihn nur? „Ich würde vorschlagen, Sie hören gut zu, denn ich werde mich nicht wiederholen.“ Beil überlegte einen Moment, bevor er ergänzte: „Das ist natürlich nur eine Redensart. Immerhin können Sie das Video beliebig oft abspielen.“ Er lachte kurz und humorlos auf. „Nichtsdestotrotz sollten Sie meine Worte ernst nehmen, denn ich beliebe nicht zu scherzen.“

Er machte eine dramatische Pause. Bader ahnte Schlimmes. Er versuchte durch seine Glasscheibe einen Blick auf das Verhörzimmer zu werfen, aber er konnte Beil von seiner Position aus nicht erkennen.

„Ich will gleich zum Punkt kommen”, verkündete Beil unaufgeregt im Fernsehen. Seine Stimme wirkte frei von Emotionen, kalt und schneidend. „Ich habe in der Stadt ein paar Bomben platziert. Sie werden explodieren, wenn Sie sich nicht penibel an meine Anweisungen halten. Heute werden Menschen sterben, wenn Sie nicht in der Lage sind, die notwendige Disziplin und Geduld aufzubringen, meinen simplen Regeln zu folgen. Es liegt bei Ihnen.“

Wieder dieses Grinsen, das Bader Übelkeit verursachte. Was soll dieses kranke Spiel?

„Scheiße! Was soll das!?“, schnaufte auch Petersen und starrte perplex auf den virtuellen Beil-Verschnitt. „Ist das ein Spiel? Macht der Witze!?“

Die nächsten Worte ließen allerdings keinen Zweifel daran, wie ernst die Situation gerade geworden war.

„Ab jetzt läuft die Zeit”, zerschnitt Beils scharfe Stimme wieder den Raum. „Sie haben die Wahl: Hören Sie auf mich, dann passiert niemandem etwas. Hören Sie nicht auf mich, müssen Sie mit den Konsequenzen leben.“

Das Bild flackerte kurz und die dürre Gestalt Beils wurde durch weißes Rauschen ersetzt, als das Video abrupt endete.

Entsetzt drehte sich Petersen zu Bader um. „Woher kennt dieser Kerl dich? Was soll das?“, fragte er, als ob er tatsächlich erwarten würde, dass Bader eine Antwort auf diese Fragen kannte.

„Ich habe keine Ahnung”, krächzte Bader stoßweise mit Atemzügen, die merkwürdig in seiner Kehle brannten. Er stand auf und trat an die Glastür. Hinter den Glaswänden des Verhörzimmers zeichnete sich die Silhouette Beils ab. Er saß nach wie vor unbewegt am Tisch „Was bezweckt er damit?“, fragte Bader gedankenverloren, mehr sich selbst, als die beiden Männer in seinem Büro. „Was will er von mir?“

Mahnmann räusperte sich hinter ihm, um auf eine ziemlich plumpe Art und Weise Aufmerksamkeit zu erregen. Irritiert drehte Bader sich um.

„Ich sollte Ihnen vielleicht noch etwas erklären, bevor Sie voreilige Schlüsse ziehen”, sagte Mahnmann mit mahnend erhobenem Zeigefinger.

„Blödsinn!“, fuhr ihm Petersen ins Wort, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, seinen Einwand zu erläutern. „Da gibt es nichts zu erklären!“ Er grunzte übellaunig und sprang auf. „Dieser Kerl ist irre. Der versteht nur eine Sprache.“ Er stürmte zur Tür und drängelte sich ruppig an Bader vorbei. „Ich weiß nicht, wie es mit dir steht, aber ich lasse mich nicht länger verarschen!“

Mit großen Schritten stapfte er in Richtung Verhörzimmer davon.

„Was hat er vor?“, erklang Mahnmanns besorgte Stimme hinter Bader.

„Ich vermute, er wird Beil ein paar Fragen stellen.“

„Er wird ihn doch nicht verletzen, oder?“

„Puh”, seufzte Bader. „Keine Ahnung. Heinrich ist manchmal ein bisschen impulsiv.“

Jetzt sprang auch Mahnmann auf. „Das müssen wir verhindern!“

Er drängte Bader aus dem Büro. Bader gefiel es nicht, herumgeschubst zu werden, aber im Moment war jedweder Widerstand in ihm erlahmt. Er fühlte sich völlig überfordert. Er hatte Hunger, war unsagbar müde und hatte soeben eine persönliche Drohung von jemandem erhalten, den er nicht einmal zu kennen glaubte. Was war hier nur los?

Petersen erreichte Beil, bevor sie ihn einholen konnten. Mit einem wütenden Griff packte er Beil am dreckigen Kragen und zog ihn auf Augenhöhe nach oben. Beil wehrte sich nicht, sondern hing wie ein nasser Sack am ausgestreckten Arm. Er hätte gegen den vor Wut zitternden Petersen, mit seiner breiten, ausladenden Gestalt, sowieso nicht die geringste Chance gehabt. Sein ausgemergelter Körper wirkte neben Petersen unsagbar zerbrechlich.

„Hör mal, du Stück Dreck!“, brüllte Petersen, so dass seine Stimme überall im Großraumbüro zu hören war. Ein paar Kollegen unterbrachen ihre Arbeit und reckten neugierig ihre Köpfe in Richtung des mutmaßlichen Streitgesprächs. „Was soll das werden, wenn du fertig bist?“

Er spuckte die Worte Beil zusammen mit ein paar Speicheltröpfchen ins Gesicht und schüttelte ihn drohend. Beil schlackerte dabei hilflos mit allen Gliedmaßen wie eine Marionette, deren Lebensfäden durchgeschnitten worden waren.

„Wovon…“, stammelte Beil leise. „Wovon reden Sie?“

„Willst du mich verarschen!?“, schrie Petersen aufgebracht. Seine Stimme überschlug sich mehrmals. „Du elendes Arschloch! Ich spreche von dem Video! Hältst du mich etwa für bescheuert?“

Zornig hob er seine linke Hand, doch Mahnmann, der endlich mit Bader im Schlepptau im Verhörzimmer angekommen war, stürzte nach vorne. Er umklammerte Petersens Arm und drückte ihn nach unten. Petersen war kein Fliegengewicht. Obwohl Mahnmann auch eine sehr sportliche Figur aufzuweisen hatte, fiel es ihm sichtlich schwer, den vor Wut bebenden Koloss von seinem Opfer loszureißen.

„Nein, bitte!“, keuchte er. „Warten Sie! Ich muss Ihnen etwas erklären.“

„So? Was denn?“, wütete Petersen, ließ Beil allerdings los. Mit einem dumpfen Geräusch plumpste Beil zurück auf den Stuhl. „Was könnten Sie mir erklären, das die Sache in irgendeiner Form besser macht?“

Er starrte wütend auf Beil, der merklich zusammenzuckte. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden!“, jammerte Beil leise. Sein dürrer Körper zitterte. „Ich weiß es wirklich nicht!“

„Bitte“, flehte Mahnmann, ohne Petersens Arm loszulassen. „Er sagt die Wahrheit.“

„Was soll das heißen?“, mischte sich jetzt auch Bader ein. Seine Geduld war am Ende. Dieses ständige Geschrei zerrte gewaltig an seinen Nerven. „Wir haben das Video doch gerade alle zusammen gesehen. War das Beil, oder nicht?“

„Ja”, bestätigte Mahnmann hektisch. „Ich meine, nein!“ Er atmete tief durch. „Das ist schwierig zu erklären.“

„Versuchen Sie’s!“, forderte Bader ungeduldig.

Mahnmann seufzte laut auf und ließ mit einem letzten warnenden Blick von Petersens Arm ab. Nachdem sich Heinrich Petersen einigermaßen beruhigt zu haben schien, trat der Psychiater einen Schritt zurück.

„Eigentlich dürfte ich Ihnen das nicht erzählen, aber in Anbetracht der Situation…“, er machte eine kurze Pause und musterte Beil nachdenklich. „Körperlich betrachtet haben wir soeben tatsächlich Alexander Beil gesehen…“, erläuterte er mit leiser Stimme, als wäre es in Ordnung, vertrauliche Patienteninformationen herauszugeben, solange er dabei flüsterte, „…aber trotzdem war er es nicht. Der Mann, den sie auf dem Video gesehen haben, nennt sich selbst Wladimir.“

Und ICH bin die Rache

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