Читать книгу Und ICH bin die Rache - Kai Kistenbrügger - Страница 3

Prolog

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„Ich habe gesagt, ihr sollt ruhig liegen bleiben! Liegen bleiben!“

Seine Stimme hallte unangenehm schrill von den Wänden des kleinen Vorraums wieder, während er wild und ziellos mit seiner Waffe vor den verschreckten Bankkunden hin und her fuchtelte. Doch auch ohne seine Anweisungen hätte es keine der Geiseln gewagt, auch nur einen Ton von sich zu geben, oder sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Der Mann wirkte wie eine tickende Zeitbombe, unberechenbar und unkontrolliert, die bei der kleinsten Bewegung hochzugehen drohte. Er brauchte seine Gefährlichkeit nicht zu betonen; jeder im Raum fürchtete bereits um sein Leben.

Lea schluchzte leise auf. Christina legte ihr in einer verzweifelten Geste die Hand über den Mund. Sie weinte ebenfalls, als sie das heftige Schluchzen ihrer Tochter zu unterdrücken versuchte. Dabei war Lea nicht das einzige Kind, das leise weinte. Mindestens drei weitere Kinder hatte Christina gesehen, bevor der Mann in die Bank gestürmt gekommen war und den beschaulichen Tag in einen entsetzlichen Alptraum verwandelt hatte. Die anderen Kinder versteckten sich irgendwo außerhalb ihres Sichtfeldes zwischen den Erwachsenen. Christina konnte sie leise jammern hören. In der letzten Reihe erklang das dumpfe, unterdrückte Wimmern eines kleinen Jungen. „Zu laut“, dachte sie panisch, „viel zu laut!“ Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Verrückte auf das laute Weinen der Kinder aufmerksam werden würde. Doch was sollten sie tun? Christina war noch nicht einmal in der Lage, ihre eigene Angst zu verbergen. Wie konnte sie von Lea verlangen, sich nicht vor diesem Mann zu fürchten? Sie verstanden vielleicht noch nicht, warum der Mann die Dinge tat, die er tat, aber trotzdem erkannten auch sie die Gefahr, die von diesem Fremden ausging.

Dabei wirkte er keinesfalls wie ein erfahrener Bankräuber, der die Situation und seine eigenen Gefühle unter Kontrolle hatte. Ganz im Gegenteil. Der Mann war, deutlich sichtbar für die verängstigten Geiseln, ein körperliches wie seelisches Wrack. Seine Haare standen ihm wild zu Berge, sein Gesicht wurde von einem ungepflegten Dreitagebart gesäumt und sein irritierend buntes Hawaiihemd hing an einer Ecke lose aus der Hose. Niemand hätte dieses nervöse Häufchen Elend ernst genommen, wenn er in diesem Moment keine Pistole in der Hand gehalten und permanent damit gedroht hätte, die Waffe auch zu benutzen. Niemand in der Bank zweifelte daran; dieser Überfall war kein sorgsam geplanter Bankraub, sondern eher eine Kurzschlussreaktion, oder eine Verzweiflungstat, die völlig außer Kontrolle geraten war. Und jederzeit in einem Blutvergießen enden konnte.

„Ein Mucks und ihr seid alle tot!“, kreischte der Bankräuber zum wiederholten Male völlig überdreht, obwohl der Widerstand seiner Geiseln längst erloschen war.

Als der offensichtlich verzweifelte Mann am späten Nachmittag in den Vorraum gestürzt war, die Waffe drohend erhoben, war das Kreditinstitut gut besucht gewesen. Die junge Angestellte war sofort hinter der kugelsicheren Scheibe in Deckung gegangen, während die fassungslosen Kunden dem Mann schutzlos ausgeliefert blieben. Überrascht von so viel Dreistigkeit hatte der Mann noch versucht, durch den engen Schlitz zwischen Schalter und Scheibe ein paar Euro zu ergattern, hatte aber bereits kurz darauf sein sinnloses Unterfangen aufgeben müssen. Als er frustriert das Weite suchen wollte, fuhren längst die ersten Streifenwagen vor der Filiale vor. Seitdem hatte sich seine Verfassung zusehends verschlechtert. Er würde dem emotionalen Druck nicht mehr lange standhalten können, so viel konnte selbst das ungeschulte Auge feststellen.

„Geben Sie auf! Die Bank ist umstellt. Kommen Sie mit erhobenen Händen raus!“, forderte eine durch ein Megaphon stark verzerrte Stimme vor dem Gebäude, als hätte jemals ein Verbrecher auf diese Aufforderung mit etwas anderem als einer Gegendrohung reagiert. Auf die emotionale Stabilität des Mannes wirkte diese Forderung, als würde die Polizei absichtlich Öl ins Feuer gießen. „Lasst mich in Ruhe!“, schrie er durch ein halb geöffnetes Fenster mit sich überschlagender Stimme. „Ich habe Geiseln! Ich werde sie alle umbringen!“

Durch die zugezogenen Jalousien war kaum zu erkennen, was sich vor dem Bankgebäude abspielte. Lediglich das Licht von ein paar Scheinwerfern drang durch die Ritzen der Vorhänge und tauchte den Vorraum in ein gespenstisches Licht.

„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“, nuschelte der Geiselnehmer panisch und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Die Waffe in seiner Hand zitterte unkontrolliert. Wenn nicht absichtlich, dann würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit unabsichtlich jemanden erschießen. Alex sah keinen anderen Ausweg mehr, als persönlich einzugreifen.

„Was tust du?“, flüsterte Christina entsetzt, als Alex sich leicht aufrichtete. Sie hielt Lea die Ohren zu. Christinas Augen waren gerötet und ihre Wangen feucht von ihren Tränen.

„Der Kerl bricht gleich zusammen“, presste Alex als Antwort leise zwischen den Zähnen hervor. „Wenn wir nichts unternehmen, wird er noch jemanden von uns erschießen.“

„Nein, bleib hier!“ Christina nahm die Hand von Leas linkem Ohr und klammerte sich an Alex Arm fest. Ihre Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in seine Haut. „Lass die Polizei das machen. Bitte!“, flehte sie verzweifelt. Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. „Bitte!“

„Christina“, beschwichtigte Alex und versuchte, trotz der Situation möglichst ruhig und gefasst zu klingen. „Ich weiß, was ich tue. Wir haben keine andere Wahl.“ Er nickte unauffällig in Richtung ihres Peinigers. „Schau ihn dir doch an!“

Christinas Blick wanderte kurz zum Bankräuber. Er lief ruhelos vor der geschlossenen Jalousie auf und ab, leise mit sich selbst streitend. Wenn er seinen Verstand nicht schon längst verloren hatte, dann stand er kurz davor.

„Ich bin vorsichtig, versprochen.“

Christina nickte, auch wenn sie nicht gerade überzeugt wirkte. Sie hatte sichtlich damit zu kämpfen, nicht wieder in Tränen auszubrechen. Alex blinzelte ihr ein letztes Mal aufmunternd zu und stand langsam auf, die Hände in einer defensiven Geste erhoben.

„Was ist hier los?“, keifte der Geiselnehmer nervös und rannte auf Alex zu, als er seine Bewegung bemerkte. Seine Waffe hielt er weit von sich gestreckt, als hätte er selbst Angst davor. „Ich habe gesagt, ihr sollt ruhig sitzen bleiben.“

„Es tut mir leid“, erwiderte Alex ruhig. „Meine kleine Tochter müsste mal auf die Toilette.“ Er versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Er war nicht sicher, ob es ihm gelang.

„Nicht jetzt! Sie wird es sich verkneifen müssen.“

Die Pistole schwenkte kurz zu Christina und Lea, dann wieder zurück auf Alex.

Alex hob die Handflächen in einer defensiven Geste. „Sie ist zwei Jahre alt. Sie versteht nicht, was hier los ist. Ich bitte Sie, Herr…“ Alex hielt für eine kurze Zeit inne, als würde er überlegen. „Ich weiß noch nicht einmal, wie Sie heißen. Ich bin Alex.“ Er streckte vorsichtig seine Hand nach vorne aus.

Für einen kurzen Moment starrte der Mann ihn irritiert an. „Heinz“, murmelte er nach einer Weile, allerdings ohne die Hand zu schütteln.

„Heinz“, wiederholte Alex zufrieden. „Haben Sie auch Kinder?“

Der Bankräuber namens Heinz war sichtlich aus dem Konzept geraten. Das erste Mal, seitdem er in das Geldinstitut gestürmt war, schien seine Wachsamkeit etwas nachzulassen. Selbst seine Augen, die permanent nervös an der Eingangstür hängen blieben, verweilten eine Zeitlang auf Lea und kamen etwas zur Ruhe.

„Ja, auch eine Tochter“, sagte er irgendwann gedankenverloren. „Sie ist auch blond. Ein kleiner Engel. So wie du.“ Seine Stimme klang fast zärtlich. Er versuchte, Lea zu streicheln, aber das verschreckte Kind versteckte ihren Kopf unter dem Arm ihrer Mutter.

„Wo ist Ihre Tochter jetzt?“, versuchte Alex erneut, die Aufmerksamkeit des Geiselnehmers auf sich zu lenken.

„Bei meiner Ex-Frau. Sie hat mich verlassen.“

Es war nicht schwer, den Bankräuber in ein Gespräch zu verwickeln. Er wirkte fast, als wäre er froh, sich ein wenig von seinem emotionalen Ballast von der Seele reden zu können. Alex hatte sich nicht geirrt. Er war kein eiskalter Verbrecher, sondern einfach jemand, der aus abgrundtiefer Verzweiflung heraus gehandelt hatte, oder zumindest fest davon überzeugt zu sein schien, keine andere Wahl gehabt zu haben.

„Möchten Sie Ihre Tochter weiterhin sehen?“

Überrascht starrte Heinz Alex in die Augen. „Natürlich! Was soll diese dämliche Frage?“, knurrte er.

„Und warum machen Sie dann so einen Blödsinn?“ Alex machte eine Geste, die den ganzen Vorraum umfasste. „Sehen Sie sich um. Sehen Sie in die Augen dieser Menschen. Sie alle haben Familie, so wie Sie. Sie alle wollen nach Hause. Aber sie können nicht. So wenig wie Sie.“

„Wieso?“, fragte Heinz mit starrem Blick. Er wirkte unglaublich begriffsstutzig. „Was soll das heißen?“

„Was glauben Sie, wird die Polizei mit Ihnen machen? Bewaffneter Raubüberfall? Sie werden für Jahre in den Knast wandern. Wenn Sie entlassen werden, ist Ihre Tochter fast erwachsen.“

„Aber ich tue das doch nur für sie! Damit wir zusammen sein können“, verteidigte sich der Bankräuber schwach. Sein Blick ruhte auf Lea, die leise in Christinas Armbeuge weinte. „Ich brauche doch das Geld, damit wir eine Zukunft zusammen haben!“

Alex schüttelte sanft den Kopf.

„Das Geld wird Ihnen nicht helfen. Im Gefängnis können Sie kein guter Vater für Ihre Tochter sein.“

„Was soll ich also machen?“

„Ergeben Sie sich“, forderte Alex mit sanfter Stimme. „Stellen Sie sich der Polizei und kooperieren Sie. Machen Sie die Sache nicht noch schlimmer, als sie ohnehin schon ist.“

Die Lider des Bankräubers flatterten leicht, als er Alex Blick unsicher erwiderte.

„Ich weiß nicht…“, überlegte er leise, senkte aber trotzdem langsam seine Waffe.

Alex schöpfte Hoffnung. „Sehr gut“, murmelte er, doch sein flüchtiges Lächeln erstarb im selben Augenblick auf seinen Lippen. Mit einem lauten Knall zerbarst eine der großen Schaufensterscheiben und schickte einen feinen Regen aus Glas in den Eingangsbereich. Mit einem lauten Poltern flog eine Dose in den Raum, die einen dichten Nebel verströmte. Der Nebel brannte in den Augen; Alex konnte den Geiselnehmer kaum noch erkennen.

„Nein“, schrie Alex entsetzt, doch es war zu spät. Er war nicht in der Lage, die Geschehnisse zu verhindern, die unaufhaltsam ihren Lauf nahmen. Durch den dicken Dunst konnte er sehen, wie durch das Loch in der Eingangstür dunkle Gestalten in die Bank stürmten und endgültig das Schicksal der Anwesenden besiegelten.

Und ICH bin die Rache

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