Читать книгу Die Macht der virtuellen Distanz - Karen Sobel Lojeski - Страница 20

Typisches Beispiel

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Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie befinden sich in einem Restaurant oder zu Hause beim Essen, und alle Beteiligten starren auf das Display ihres Smartphones – schicken sich SMS, obwohl sie am gleichen Tisch sitzen, oder tauschen Nachrichten mit unsichtbaren Kommunikationspartnern aus.

Obwohl wir physisch nebeneinander oder uns direkt gegenübersitzen, verändert diese Situation die Natur der menschlichen Erfahrung, wie wir alle wissen. Selbst diejenigen, die dieses Szenario lediglich beobachten, berichten, dass sie den Unterschied »spüren« können, der sich bisweilen in abruptem Schweigen und einem auffallenden Mangel an Augenkontakt manifestiert.

Wir können uns direkt neben jemandem befinden und dennoch vollkommen auf »etwas anderes oder jemand anderen« fokussiert sein – der unsichtbar wie ein Geist unsere Aufmerksamkeit beansprucht.

In diesem Buch definieren wir diejenigen als »virtuell« Beschäftigte, die in dem oben beschriebenen Szenario und tausend ähnlich gearteten arbeiten. Fakt ist, dass die geografische Trennung nur eine mögliche Spielart der »virtuellen Distanz« darstellt, wenn die Aufmerksamkeit abgelenkt ist.

Die überzogene Bedeutung der standortbasierten Trennung hat andere Auswirkungen. Nur selten messen Unternehmen, wie sich widersprüchliche oder verwirrende Indikatoren – beispielsweise großes Engagement, aber geringes Vertrauen ihrer Mitarbeiter – letztendlich auf die Bilanz auswirken.

Einer unserer globalen Versicherungsklienten verlangte beispielsweise von 90% seiner Belegschaft an bestimmten weltweiten Standorten die Erfassung der Arbeitszeit anhand einer elektronischen Stempeluhr. Die Unternehmensführung war schockiert, als sich herausstellte, dass der Verlust von $3 Millionen bei einem seiner zahlreichen strategischen IT‐Projekte der virtuellen Distanz geschuldet war. Die Vorstandsetage war gleichermaßen überrascht, als es uns im Lauf der Zeit gelang, Einsparungen in Millionenhöhe und eine Verbesserung der Wettbewerbsposition zu erzielen. Mit dem Index der virtuellen Distanz (Virtual Distance Index = VDI) konnten wir die spezifischen Probleme eingrenzen und die richtigen Ressourcen präzise steuern, um Lösungen umzusetzen, die rasch zu einer positiven Wende bezüglich der finanziellen Ergebnisse, der Mitarbeiterzufriedenheit und des Shareholder Value führten.

Das Phänomen der virtuellen Distanz hat andere, noch schwerwiegendere Auswirkungen auf der menschlichen Ebene. Der Leiter des Bereichs Organizational Learning einer europäischen Bildungseinrichtung vertraute uns beispielweise an:

Früher habe ich meinen Job geliebt. Ich ging jeden Tag gerne zur Arbeit und freute mich darauf, den Leuten etwas Neues beizubringen. Sie erkannten, wie sie dadurch ihre beruflichen Aktivitäten in eine breit gefächerte Perspektive rücken und Fähigkeiten erwerben konnten, die sie andernfalls übersehen hätten. Normalerweise kehrte ich abends mit einem wirklich guten Gefühl nach Hause zurück.

Doch heute frage ich mich oft, warum gehe ich überhaupt zur Arbeit? Um am Schreibtisch zu sitzen, acht Stunden lang auf der Tastatur herum zu hämmern, E‐Mails zu beantworten und mich anschließend auf den Heimweg zu begeben? Damit bringe ich niemandem etwas bei. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind verlorengegangen. Ich unterhalte mich kaum mehr mit den Leuten, verschicke nur noch Mitteilungen, dass sie auf ein bestimmtes Software‐Tool zurückgreifen sollten, aber nichts davon gibt mir das Gefühl, dass ich damit einen Unterschied bewirke – weder für mich noch für sie.

Das ergibt keinen Sinn, und es kommt mir so vor, als würde ich hier nichts anderes mehr tun, als mein Gehalt kassieren, das ich für den Unterhalt meiner Familie brauche.

Leider sind Kommentare dieser Art bei der Arbeit mit Klienten auf allen Unternehmensebenen weit verbreitet. Doch so muss es nicht sein. Wenn es uns gelingt, die virtuelle Distanz zu verringern, verblassen solche Gefühle und die Mitarbeiter kehren oft zu einer optimistischeren Denkweise zurück, weil sie engere Verbindungen zueinander aufbauen können.

Die steigenden finanziellen und sozialen Kosten spiegeln auch das sogenannte Konnektivitätsparadox wider, wie aus Abbildung V.2 ersichtlich.

Die Macht der virtuellen Distanz

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