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Das Konnektivitätsparadox

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Je stärker die virtuelle Vernetzung, desto isolierter fühlen wir uns.


Abb. V.2: Das Konnektivitätsparadox

Während die Entwicklung digitaler Geräte voranschreitet, empfinden wir stärker als jemals zuvor einen schleichenden Verlust der Bindung an unsere Arbeit und an andere Menschen. Damit entsteht eine wachsende Kluft zwischen den zunehmenden Produktivitätserwartungen einerseits und tatsächlichen Produktivitätskennzahlen und dem abnehmenden sozialen Wohlbefinden andererseits.

Eines Tages erhielten wir folgende Webanfrage von einem der weltweit größten Verbrauchsgüterkonzerne:

Ich darf mich kurz vorstellen: Ich bin im Vorstand der Global CPG Inc. tätig und mit der Entwicklung von Führungskräften befasst. Unsere Manager haben uns berichtet, dass es einen Bereich gibt, in dem Defizite vorhanden sind; er betrifft die Fähigkeit, standortverteilte virtuelle Teams zu führen. Wir beauftragten daraufhin zwei Unternehmen mit einem Pilotprojekt, der Durchführung von Schulungen für Kontrollgruppen, gleichwohl mit geringem Erfolg, weil sie nicht in der Lage waren, die relevanten Kernkompetenzen zu vermitteln, nach denen unsere Manager Ausschau hielten. Die Schulungsteilnehmer berichteten, es habe zu viel Theorie, zu viele Modelle, zu viel »Informationsmaterial« gegeben, das sie auch in eigener Regie im Internet gefunden hätten. Nach der Lektüre von mindestens sechs anderen Büchern über virtuelle Teams stieß ich auf Ihr Buch, und ich bin überzeugt, dass Ihr Modell der virtuellen Distanz genau diejenigen Herausforderungen auf den Punkt bringt, mit denen sich unsere Führungskräfte weltweit konfrontiert sehen.

Wir boten daraufhin Trainings und Lösungskonzepte zum Thema virtuelle Distanz auf globaler Ebene an. Während der Vorbereitung auf diesen Einsatz erfuhren wir vom Leiter des Bereichs Informationstechnik (Chief Information Officer = CIO), dass er frustriert war, weil die Top‐Führungsriege Druck wegen der ausbleibenden Kapitalrendite (Return on Investment = ROI) machte, die sie von ihren Technologieinvestitionen in Milliardenhöhe erwartete.

Zuerst wies er einen Großteil der »Schuld« den Mitarbeitern zu, denen es nicht gelungen war, die Technologie angemessen zu nutzen (obwohl es dafür zugegebenermaßen keine hieb‐ und stichfesten Belege gab, sondern nur eine Reihe vager Berichte). Doch nach einer erfolgreichen Demonstration, dass sich die Technologie‐Rendite mit der Verringerung der virtuellen Distanz erhöhte, weil die Leute ihr technologisches Knowhow mehr statt weniger nutzten, wurde ihm klar, dass seine ursprünglichen Mutmaßungen lediglich eine Folge der veralteten Daten waren, die auf früheren Erfahrungen und nicht auf den aktuellen Gegebenheiten basierten.

Aus diesem Fallbeispiel lassen sich zwei Lektionen ableiten:

1 Menschen haben die Neigung, auf diejenigen Aktivitäten zurückzugreifen, die sie am besten beherrschen, um schwierige Probleme zu lösen. Das funktioniert gut in einfachen Fällen, wenn Ursache und Wirkung bekannt sind und Best Practices angewendet werden können. Um zu verstehen, warum die Rendite bei vielen großen Tech‐Investitionen in der komplexen Arbeitswelt von heute hinter den Erwartungen zurückbleibt, müssen wir zulassen, dass neu auftauchende Lösungsansätze in den Vordergrund treten, statt Konzepten den Vorzug zu geben, die auf irrelevanten Annahmen über funktionierende Arbeitsmethoden in der Vergangenheit beruhen und noch heute gang und gäbe sind, ungeachtet der Ergebnisse.

2 Viele Führungskräfte berichten öffentlich von ihrem Eindruck, dass die Produktivitätsraten infolge umfangreicher Investitionen in die Technologie steigen. Doch auf der privaten Ebene gestanden IT‐Leiter, dass sie wie der zuvor erwähnte CIO in ihrem Arbeitsbereich mit massivem Druck oder sogar Entlassung rechnen müssen, wenn die Rendite ausbleibt. Ironischerweise führt eine Reduzierung der virtuellen Distanz oft dazu, optimale Ergebnisse und einen höheren Return on Investment zu erzielen, vor allem dann, wenn das Interesse der Kollegen wächst, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und Merkmale zu erkunden, die engere Beziehungen unterstützen könnten: Verbesserungen, die nichts mit Technologie zu tun haben, sondern mit den menschlich‐basierten Realitäten der virtuellen Distanz.

Die Daten, die wir im Lauf der Zeit gesammelt haben, belegen, dass die unkontrollierte virtuelle Distanz und die fehlgesteuerte Bevorzugung standortverteilter Arbeitsformen negative Auswirkungen sowohl auf die Unternehmensbilanz als auch auf das Wohlbefinden der Beschäftigten haben kann.

Wir hatten vorausgesagt, dass es so kommen würde, und unsere Prognose erwies sich als zutreffend.

Doch damit bietet sich auch die Chance, diese Erkenntnisse als Hebel einzusetzen und nicht nur die Ergebnisse der Unternehmen, sondern im gleichen Atemzug auch die Lebensqualität ihrer Mitarbeiter zu verbessern, weil die Einführung von Strategien zur Verringerung der virtuellen Distanz dazu beiträgt, dass sie wieder mehr Sinn und Zufriedenheit in ihrer Arbeit entdecken.

Manche Leute behaupten, das sei unmöglich und »der Zug sei längst abgefahren«.

Doch das Gute an Bahnhöfen ist: Wenn ein Zug abgefahren ist, taucht ein anderer auf.

Die virtuelle Distanz bietet uns Wahlmöglichkeiten. Wir können einen anderen Zug besteigen und eine andere Route einschlagen, um voranzukommen und ans Ziel zu gelangen.

Die Macht der virtuellen Distanz

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