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Indienreise wird Fall für Justiz
ОглавлениеAnil bestand aber auch dieses Mal auf der Indienreise und schaltete das Kantonsgericht ein. Schliesslich stand im Scheidungsurteil, er dürfe insgesamt drei Wochen Ferien mit seinem Sohn verbringen. Dass Anil alleine mit Asheesh zu seiner Familie flöge, das wollte Beatrix aber unter keinen Umständen zulassen. «Im Übrigen kann ich meinem Ex-Mann in gar keiner Weise trauen», schrieb sie dem zuständigen Zuger Kantonsrichter. Da Anil so sehr an seinem Kind hange, könne sie fast sicher sein, dass sie ihren Sohn nie wiedersehen würde. Indien sei weit weg; in solch einem Fall etwas von der Schweiz aus zu unternehmen, sei sehr schwierig, noch schwieriger, weil ihr Schwiegervater ein hochrangiger Politiker sei und Inder bestechlich seien. «Ich bitte Sie dringlich, mir zu glauben und in Betracht zu ziehen, dass mein Ex-Mann eine andere Mentalität besitzt. Er hat mir mehrmals gedroht, das Kind wegzunehmen. Meine Eltern und viele meiner Freunde, die meinen Ex-Mann kennen, raten mir, äusserste Vorsicht walten zu lassen.» Es gehe um das Wohl des Kindes, für das sie sich verantwortlich fühle. Beatrix’ Eltern doppelten mit einem Schreiben an den Kantonsrichter nach: «Die grösste Sorge für uns ist jedoch, dass, wenn Herr Jetly alleine mit dem Kind nach Indien fährt, er nicht mehr zurückkehren könnte. Wir glauben fest daran, dass diese Gefahr besteht.» Nicht alle teilten diese Bedenken. Der gemeinsame Scheidungsanwalt riet Beatrix, Anil eine Indienreise mit Asheesh zu gewähren, «da dem Kind dadurch sicherlich nichts geschehen wird, da Ihr Ex-Mann selbst zu sehr am Kind hängt und dementsprechend gut zu ihm schauen wird, und dass Sie sicherlich auch nicht befürchten müssen, dass er das Kind nicht mehr zurückbringen würde, da er keinerlei Anstalten trifft, um Haushalt und seine Verpflichtungen aufzulösen, sondern selbst beabsichtigt, noch einige Jahre in der Region Zug zu bleiben.» Zudem, belehrte der Anwalt Beatrix, habe sie letztlich die Möglichkeit, Anil und Asheesh nach Indien zu begleiten. Beatrix beruhigte diese Sichtweise nicht. Sie wusste zu gut, wie schwer sich Anil mit dem Leben in der Schweiz tat, wie sehr er sich nach seiner Heimat und seiner Familie sehnte. Und sie beharrte darauf, dass das Recht auf drei Wochen Ferienzeit erst ab Asheeshs Einschulung gelten solle. Die Justizkommission des Kantons Zug wendete die Gefahr fürs Erste ab. Sie lehnte Anils Antrag ab. Beatrix spürte, dass sich Anil mit dem Urteil nicht abfinden würde. Die Lage entschärfte sich nicht wirklich. Mit jedem Besuchstag wuchs Beatrix’ Angst, Anil könnte mit Asheesh verschwinden. Sie hütete zwar Asheeshs Pass, der eine Auslandreise überhaupt erst ermöglichte, das kümmerte Anil aber nicht. Er liess sich, wie er Beatrix später erzählte, bei einer indischen Vertretung in Italien einen Pass für Asheesh ausstellen. Mitglieder des indischen Vereins in der Schweiz organisierten, ahnungslos über die Entführungspläne, die Flugtickets. Es tat ihnen später leid, was Beatrix aber wenig half.
Am Samstag, dem 28. November, an diesem kalten, stürmischen Tag, flog Anil mit Asheesh von Genf aus zurück nach Bombay, mit Einwegtickets und der festen Absicht, in Indien zu bleiben – vielleicht in der Hoffnung, Beatrix würde sich fügen und mit ihm in Zukunft in Bombay leben. Zumindest lassen sich Anils spätere Briefe so interpretieren. Eine erpresste Versöhnung kam für Beatrix nie infrage, auch wenn die Schwiegereltern für sie gesorgt hätten. Sie stand vor einem Scherbenhaufen: Die Ehe war gescheitert, der Sohn entführt, später verlor Beatrix zudem den Job bei der Baufirma, weil sie sich kaum mehr konzentrieren konnte. Beatrix brauchte erneut psychologische Hilfe. Ihre Verwandten kritisierten sie für die Heirat mit Anil. Hätte sie denn keinen Schweizer gefunden? Musste es unbedingt ein Ausländer sein, einer aus einem so fernen Land? Die Eltern und Freundinnen hingegen stützten Beatrix in dieser schwierigen Zeit. Sie beschloss, um ihren Sohn zu kämpfen, den kleinen Asheesh mit den braunen Locken, der seine Briobahn liebte und es genoss, wenn ihm seine Mutter Kinderlieder vorsang.
Rückblickend wird mir klar, dass ich nicht so lange hätte zuschauen dürfen. Mein kleiner Sohn war öfter in Gefahr in der Obhut seines Vaters. Auch Anils Psychospiele mit mir waren nur schwer zu ertragen und verfolgen mich heute noch in meinen Träumen. Ich wollte Asheesh seinem Vater jedoch nicht entziehen. Anil liebte ihn und verbrachte gerne Zeit mit ihm – es war eine zwiespältige Situation.