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Elternabsolution von der Verantwortung für ihre Leidensermöglichung (retrospektive Elternabsolution)

Wer sich für Kinder entscheidet, erteilt im selben Atemzug den eigenen Eltern Generalabsolution: Das von den eigenen Eltern zu verantwortende – sofern niemals ganz unwissentlich in Kauf genommene – Kindesleid wird von den sich fortpflanzenden Kindern umdeklariert und in die Sphäre des „Lebens als höherer Gewalt“ transponiert bzw. in einen vermeintlichen „natürlichen Lauf der Dinge“ integriert. Die sich fortpflanzenden Kinder ahmen die leidenschaffende Rolle ihrer Eltern nach und begeben sich im gleichen jedes Rechts auf Klage über eine „böse Welt“, in die man zustimmungslos hineingestellt wurde.

Hinter dem ausgeprägten Wunsch vieler Eltern, Großeltern zu werden, mag somit das Verlangen stehen, mit der Geburt des Enkels vom eigenen Kinde den lebendigen Beweis präsentiert zu bekommen, dass es sein Gezeugtwordensein billigt: Wer seinerseits Nachkommen hat, signalisiert den Eltern, dass das Geschenk des Lebens durchaus zumutbar war (indem nämlich dieses Geschenk weitergereicht wird). Jede Person ist Kind und hatte Gelegenheit, das Leben zu prüfen. Pflanzt sie sich fort, bekundet sie, dass die sie zeugenden Eltern recht taten. In dem Maße, in dem dieser psychische Mechanismus triftig ist, stünde hinter dem Großelternwunsch nicht allein der Wille, zu sehen, dass es über den eigenen Tod hinaus „weitergeht“, sondern immer auch ein Wunsch nach Entlastung von dunkel empfundener Elternschuld, der Wunsch nach Elternabsolution.

Gottesabsolution

Frank Wedekind (1864–1918)

Anders als etwa Georges Poulet macht die Figur Moritz in Wedekinds „Frühlings Erwachen“ die Eltern nicht fürs eigene Dasein verantwortlich, sondern erteilt ihnen Absolution. – Für ein Dasein, dem er jederzeit entweichen könne, sofern er schließlich keinen Kontrakt mit Gott abgeschlossen habe. Mit antinatalistischem Humor entschuldigt sich Moritz für sein Sosein, da er ja schließlich als unzurechnungsfähiger Säugling auf die Welt gekommen war. Zudem werde ein jeder per Zufall geboren, was aufs Ganze gesehen zum Totschießen sei: Moritz überlegt, sich selbst aus dem Sein zu entfernen – das Sein von ihm selbst zu befreien –, in das er hineingestellt wurde:

„MORITZ. Besser ist besser. – Ich passe nicht hinein. Mögen sie einander auf die Köpfe steigen. – Ich ziehe die Tür hinter mir zu und trete ins Freie. – Ich gebe nicht so viel darum, mich herumdrücken zu lassen.

Ich habe mich nicht aufgedrängt. Was soll ich mich jetzt aufdrängen! – Ich habe keinen Vertrag mit dem lieben Gott. Mag man die Sache drehen, wie man sie drehen will. Man hat mich gepreßt. – Meine Eltern mache ich nicht verantwortlich. Immerhin mußten sie auf das Schlimmste gefaßt sein. Sie waren alt genug, um zu wissen, was sie taten. Ich war ein Säugling, als ich zur Welt kam – sonst wär ich wohl auch noch so schlau gewesen, ein anderer zu werden. – Was soll ich dafür büßen, daß alle andern schon da waren!

Ich müßte ja auf den Kopf gefallen sein ... macht mir jemand einen tollen Hund zum Geschenk, dann gebe ich ihm seinen tollen Hund zurück. Und will er seinen tollen Hund nicht zurücknehmen, dann bin ich menschlich und ...

Ich müßte ja auf den Kopf gefallen sein!

Man wird ganz per Zufall geboren und sollte nicht nach reiflichster Überlegung – – – es ist zum Totschießen!“ (Frank Wedekind, Frühlings Erwachen, Werke, Bd. 1, S. 130f)

Smilanskys Elternabsolution

Ähnlich wie vor ihm der Dichter Wilhelm Busch, erteilt der israelische Philosoph Saul Smilansky allen Eltern Zeugungsabsolution, indem er auf die Suizidfähigkeit ihrer Kinder verweist (Suizidzynismus). Zwar könne niemand den Beginn seiner Existenz ungeschehen machen. Laut Smilansky steht es indes jedem frei, die eigene Existenz zu beenden, weshalb nicht zutreffend sei, dass man von den eigenen Eltern unwiderruflich zum Dasein verurteilt wurde:

„Death is bad, but some things are worse than death, and in case the gamble of life fails, death too is an option. So taking the risk of generating life seems reasonable, when coupled with the existence of a possible exit strategy. The existence of this option is not painless, yet it limits the moral problem of bringing people into the world, and puts into relief the significance of the relative rarity of taking it.“ (Saul Smilansky, Life is good, S. 72)

Smilansky unterschätzt in seiner Parentodizee, mit welcher Kraft uns vorrationale Radikale im Dasein halten – zuvörderst der Überlebenswille –, auch wenn die betreffende Person sich aus Vernunftgründen längst gegen ein Fortleben entschieden haben mag. Die von Smilansky registrierte vergleichsweise niedrige Selbstmordrate ist nicht so sehr ein Beleg dafür, dass das Leben gut ist, sondern vielmehr Ausdruck dessen, dass der Frei-Tod recht besehen keiner ist, da der Suizident nicht nur urteilen muss, dass die Fortexistenz unerträglich wäre, sondern auch die Kraft aufbringen muss, die zum Weiterleben drängenden biopsychischen Imperative zu überwinden.

Smilansky

Antinatalismus

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