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KAPITEL 3: EIN GUTER SPIELER IST NICHT ZU VERHINDERN – ODER EIN TAG MIT ANDI ADMIRA WACKER 1974–1983

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„Hallo, Claus, Andi spricht“, ließ es mich der Messengerdienst des Smartphones am späten Vormittag und kurz vor Ostern wissen. „Ich bin dann am Weg zu meinem Vater und zu meiner Mutter raus. Der Vater ist aus dem Krankenhaus heimgekommen“, so die angenehme Stimme mit bekannt charmanter Wiener Klangfärbung via Sprachnachricht weiter. Dann sollte es wieder nach Hause gehen, um gegen 15.45 Uhr die Kinder in die Südstadt zu bringen, auf dem Parkplatz vor den Stadiontoren ein Interview für Servus-TV zu geben, mich zwischenzeitlich am Hotel in Perchtoldsdorf abzuholen und wieder in die Südstadt zu fahren. Was für ein Programm!

Überhaupt pendelte das Leben des Andi Herzog in diesen Tagen auf einer geraden Linie zwischen seinem südwestlich von Wien gelegenen Wohnort, dem großzügigen Trainingsareal rund um das Admira Wacker-Stadion in der Südstadt sowie dem südwestlich von Laxenburg gelegenen Wohnort seiner Eltern, irgendwo in Niederösterreich – ein ständiges Hin und Her. Mittendrin auf dieser Route hatte ich mein Lager aufgeschlagen, in einem kleinen, aber feinen Stadthotel im noch feineren Perchtoldsdorf, eigentlich beliebt und bekannt durch seine so typischen Heurigenlokale und ebenfalls vor den Toren Wiens.

Doch in diesen Tagen war vieles anders. Die Pandemie hatte auch Österreich voll im Griff, und alles, was auch nur ansatzweise hätte Freude machen können, war geschlossen oder verboten. Und so spielte sich auch das Leben der Familie Herzog in erster Linie draußen ab. Denn während sein zehn Jahre alter Sohn Louis und der 13 Jahre alte Sohn Luca fleißig auf den Plätzen in der Südstadt trainierten, hielt Papa Herzog beharrlich und mit einer – zumindest äußeren – stoischen Gelassenheit stundenlang die Stellung. Mal plauderte er mit den anderen Vätern, die ebenfalls auf ihre Söhne warteten, mal kam ein Fernsehteam vorbei, um mit ihm ein Interview zu führen. Langeweile kam jedenfalls nicht auf, trotz Abstandhalten und Co., obwohl die Lokalität am Rande der Trainingsplätze geschlossen war und man auch am Training selbst nur aus großer Entfernung teilnehmen durfte.

Gegen 16 Uhr leuchtete das Smartphone erneut auf. Diesmal die Nachricht von Andi: „Bin zwischenzeitlich wieder zu Hause gewesen, habe die Jungs zum Platz gebracht, das Servus-TV-Team verspätet sich wegen dichten Verkehrs. Warte im Hotel auf mich.“

Und dann noch sein Wunsch, ob wir noch kurz in der Shopping City vorbeischauen könnten – schließlich stand ja Ostern vor der Tür. Na klar, ich war bei allem dabei – mitten im Alltag des Rekordnationalspielers.

Gesagt, getan: Nachdem sich sein Auto durch die engen Perchtoldsdorfer Gassen und vorbei am beeindruckenden 500 Jahre alten Wehrturm der Marktgemeinde geschlängelt hatte, wurde der weitere Plan für den Nachmittag konkretisiert: Rein in den Sport-Megastore in der Shopping City, Ostergeschenke für die Jungs und Frau Kathi kaufen und wieder raus auf den Platz.

Sofort leuchteten uns die zahlreichen Fußballschuhe in ihrer ganzen Vielfalt wie bunte Ostereier entgegen – irgendwie passend zum Fest. Ein Gespräch über Farben, Form und Vorzüge eben dieser entstand, und dann die brennende Frage, in welchen Fußballschuhen er heute farblich spielen würde: „Für mich war immer wichtiger, dass der Schuh die perfekte Passform hat und das i ned, wenn der Boden ned ganz weich ist, mit Stollenschuh, sondern mit Nockenschuh spielen kann oder einer Mischung aus Nocken- und Stollenschuh. Das heißt auf Wienerisch Gummler.“

Herzog gerät ins Schwärmen: „A Lederschuh, und wenn es dann geregnet hat und du bist rausgestiegen, und das nächste Mal bist du reingestiegen in den Schuh und die Passform hat genau gepasst und dann war er wieder mit Lederfett eingeschmiert und die Streifen wieder weiß nachgemalt, das war extrem edel. A schwarz-weißer Kultschuh wie der Copa Mundial war für mich viel wichtiger wie jetzt die ganzen bunten Schuh, die da rumrennen.“

So kann man sich täuschen, wäre ich doch davon ausgegangen, dass sich Herzog heute für einen weißen Schuh entscheiden würde. Aber wie immer macht es wohl die Mischung. Schwarz für harte Arbeit, Weiß für die Kunst.

Es ist eine Gabe, wenn man mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet ist wie Andreas Herzog, so individuell wie ein Fingerabdruck, etwas Einmaliges, das einem in die Wiege gelegt wurde. Und es ist eine Kunst, dieses ganz spezielle Talent möglichst schnell für sich zu entdecken und auch abzurufen, es zu entwickeln, zu formen und zu verfeinern. Wirkliche Meister wissen, was sie können und wofür sie stehen. Sie reflektieren und regulieren sich selbst und üben zielgerichtet.

Ich hab mir mit meiner Schwester das Kinderzimmer geteilt, und zwischen den zwei Nachtkastln war ein 15 Zentimeter großer Spalt. Mit dem Tennisball bin ich dann durch die ganze Wohnung gedribbelt, vom Wohnzimmer durchs Vorzimmer, schlussendlich ins Kinderzimmer, und dann war des das Tor, der 15-Zentimeter-Spalt. Und dann hab ich immer gestoppt, wie schnell ich vom Balkon weg durchs Wohnzimmer im Spalt war – Hunderte Male. Und meine Schwester hat sich immer beschwert, weil sie hat immer viel gelernt, und es hat immer „bum, bum, bum“ gemacht. (Andreas Herzog)

Talent hatte der junge wie auch kreativ spielende Andreas Herzog jedenfalls von klein auf. Sein Drang war die Offensive, seine Leidenschaft der Chip über die gegnerischen Abwehrreihen hinweg. Er holte sich die Grundlagen zu Hause in der engen Wohnung in Meidling und mit einem Plastikball – beim an die Wand Spielen im Hinterhof, beim Parkoder Käfigfußball, eins gegen eins, drei gegen drei, zwei gegen zwei, mit Kindern aus der Nachbarschaft und einfach bei allem, was man mit dem Ball gerne macht. Herzog liebte vor allem die Freiheiten, die er hatte, wenn man nicht auf das Ergebnis schauen musste. Einfach spielen eben. Dann noch die Trainingseinheiten in der Südstadt, und natürlich sein Vater als Unterstützer.

Mein Vater war von klein auf sehr wichtig für mich. Er war der, der mich das Fußballspielen gelehrt hat und mich auch als Trainer begleitet hat. Es waren oft Kleinigkeiten, Kernaussagen und andere Wichtigkeiten, die er mir mit auf den Weg gegeben hat. (Andreas Herzog)

Mittlerweile waren wir am Trainingsgelände angekommen. Die Sonne strahlte in den frühen Abendstunden, und das Ende März. Es fühlte sich fast wie Sommer an – wenn da nicht die Pandemie gewesen wäre. Hier und da einige Eltern, die das Spiel der U15 der Südstädter gegen Sturm Graz verfolgten. Wir standen ebenfalls weit abseits des Platzes, und ich, mehr als kurzsichtig, konnte nur wenig bis gar keine Aktionen erkennen. Was für ein Glück, dass ich mit Andreas Herzog einen mehr als kompetenten Seher an meiner Seite hatte. In der Tat war ich von seiner Wahrnehmung beeindruckt, jede kleinste Kleinigkeit schien er zu sehen, zu fühlen oder zu riechen. Das Wichtigste war für ihn die Bewegung nach vorne. „Der bleibt schon wieder stehen“, echauffierte er sich dann. Alle sollten immer in Bewegung sein, offensiv und nach vorne, und Sohn Luca am besten beteiligt an Toren. Ganz so wie es sein Vater früher wohl bei ihm gemacht hatte.

Bei Werder Bremen waren wir im ersten Jahr gleich Meister, da habe ich sehr, sehr gut gespielt. Im zweiten Jahr lief es nicht so gut. Da ist einmal mein Vater zum Training gekommen, hat zugeschaut und hat gesagt: „Ich kann dir schon sagen, warum es momentan nicht so gut lauft. Deine Stärke war immer, wenn du den Ball bekommst, dass du ihn gleich mit dem Tempo mitnimmst, dass du gleich den offenen Raum attackierst, auch im Mittelfeld, und jetzt machst du fast alles aus dem Stehen, jetzt wartest du ab. Und so ist es einfacher für den Gegenspieler, die Situation zu lösen.“ Und mit diesem einen kleinen Hinweis von meinem Vater konnte ich das in den nächsten zwei, drei Trainingseinheiten wieder besser lösen. Aber noch einmal: Solche Kleinigkeiten oder Kernaussagen von meinem Vater waren wichtiger, als wenn es dir Otto Rehhagel sagt, oder der beste Trainer der Welt. (Andreas Herzog)

Gut, wenn man neben dem Talent noch einen Unterstützer an seiner Seite hat – und das von Kindheit an. Eine Erkenntnis, auf die auch ein anderer Österreicher hinweist, der in Sachen „Erfolgreich sein“ national über den Tellerrand geschaut hat. So meinte Arnold Schwarzenegger zum 70. Geburtstag über seine außergewöhnliche Karriere: „Ich hatte immer Unterstützer und Ja-Sager um mich herum. Hätte ich nur auf die Zweifler und Nein-Sager gehört, würde ich heute noch in den Alpen jodeln.“ Und dennoch: Ein richtig guter Spieler setzt sich anscheinend auch allein durch – trotz mancher Widrigkeiten.

Ein richtig guter Spieler, der macht sich eh selber, den kann der Trainer ein bisserl begleiten, a bisserl Hilfestellung geben, aber der gute Spieler, der weiß, was er zu tun hat, der setzt sich auf Dauer durch. Es kann nur sein, dass der eine oder andere Trainer ihn verhindert. Dann musst du allerdings wissen: „Ich bin gut“, und wenn der Trainer das nicht so sieht, dann geh ich halt zu einem anderen Verein und setz mich dort durch, zeig dort meine Qualitäten. Aber wenn es dann bei vier, fünf Vereinen gleich ist, und es ist immer der Trainer schuld, dann muss sich schon der Spieler hinterfragen, ob er zunächst einmal bei sich anfangen soll und nicht nur alles von sich wegschiebt. (Andreas Herzog)

Plötzlich und aus dem Nichts kam ein Querschläger des Admira-Wacker- gegen Sturm-Graz-Spiels auf uns zugeflogen. Andi fischte ihn mit dem linken Fuß aus der Luft – der Ball blieb förmlich an seinem Fuß kleben –, um ihn dann wieder mit einer unglaublichen Leichtigkeit auf das Spielfeld zu kicken.

„Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, aber wie gesagt: Ich bin der Meinung: Ein guter Spieler ist nicht zu verhindern. Selbst der dümmste Trainer kann einen guten Spieler nicht verhindern. Das waren gute Aussagen, oder? Wir müssen a bissl Würze in das Buch bringen.“ Er lacht schelmisch.

Aber auch der heutige Rekordnationalspieler musste immer wieder mal mit dem einen oder anderen Trainer kämpfen – und jeder Coach hat halt auch seine eigenen Ansichten, Werte und Glaubenssätze, und die gilt es zu akzeptieren.

So kickte der hochtalentierte Andreas Herzog 1984/85 in einem Qualifikationsspiel für die U16 Österreichs. Ziel war die Teilnahme an der Europameisterschaft 1986 in Griechenland. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn der junge Herzerl wurde in diesem Spiel von seinem Trainer schon nach zehn Minuten ausgewechselt. Der Grund: An beiden Toren soll er schuld gewesen sein. „Konnte aber gar nicht sein“, meinte Herzog. „Denn beim zweiten Tor für die DDR-Auswahl war ich gar nicht mehr auf dem Platz.“ Am Boden zerstört fühlte er sich mit all seiner spielerischen Klasse, „aber auch da war es mein Vater, der mir geholfen hat“, denn schon am nächsten Tag klingelte das Telefon in der Wohnung im 12. Bezirk.

„Ach so, du bist das“, sagte mein Vater. „Geh, weißt was, schleich di! Ruf nie wieder an, und eins sag ich dir: Beruf den Andi ja nicht mehr ein. Weil das verbiete ich hier. Ich verbiete meinem Sohn, dass er noch einmal zur Nationalmannschaft kommt, zur U16!“ Und legte energisch auf.

Ich fragte irritiert: „Papa, wer war denn das?“

„Na, der Verhinderer.“

„Welcher Verhinderer?“

„Na, der Gludovatz.“

„Papa, bist du wahnsinnig? Du kannst doch nicht so mit dem Nationaltrainer sprechen.“

„Na, bleib ruhig, Andi“, sagte er. „Der würde dich mehr verhindern und dir schaden, als dass du in der U16-Nationalmannschaft spielst.“ (Andreas Herzog)

Drei Monate später stieg Andi Herzog in die U18-Nationalmannschaft auf – und bekam einen anderen Trainer. Doch zur Ehrenrettung von Paul Gludovatz, der später verschiedene Profiteams wie auch bei U20-Weltmeisterschaften mit dem ÖFB-Team sehr erfolgreich war: Es muss halt passen.

Rückblickend meint Herzog, dass ihm wohl sein Spielstil nicht gefallen hatte. Er sollte laut Trainer reinhauen, dass die Funken sprühen, sonst würde er nach zehn Minuten ausgewechselt werden – und so zog es der U16-Trainer auch durch. Für Edeltechniker mit anderen Qualitäten war da kein Platz.

Beim nächsten Trainer war es wieder anders. Der hat halt wieder eine andere Idee vom Fußball gehabt. Aber wie ich gesagt habe: Der dümmste Trainer kann einen Riesenspieler nicht aufhalten, wenn der Riesenspieler entweder ein gutes Umfeld hat, also von seinen Eltern, von Menschen, die es wirklich gut meinen, unterstützt wird oder seine eigene Persönlichkeit schon so stark ist – aber das ist in jungen Jahren relativ selten. Bei mir war halt der Vater der Ruhepol und die Hilfe. Und mein Wille, zu spielen. (Andreas Herzog)

Neben allem Talent ist also laut Herzog das Umfeld entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit – Familie, Freunde, Beziehungen. Und er sagt, wie sehr es ihn ärgert, wenn hochtalentierte Spieler nicht den letzten Schritt machen, sich selbst falsch wahrnehmen oder es an der richtigen Einstellung mangelt – auf oder neben dem Platz.

Und so fachsimpelten wir weiter, wie viele Menschen im Leben ihre Talente gar nicht erst entdecken oder sie nur unzureichend abrufen. Über spezielle Talente verfügen viele, doch diese zu formen, mit Freude dranzubleiben und sich auch durchzusetzen – dazu bedarf es anscheinend außergewöhnlicher Willensstärke. So zumindest meine Wahrnehmung. „Passt eh“, meinte Andi. „Darüber müssen wir uns als Nächstes Gedanken machen, also die Sache mit dem Biss.“ Kathi und er wollten schließlich zu Hause auch brave „Buam“ – doch auf dem Platz sollen sie sich plötzlich nichts gefallen lassen. „Das ist gar nicht so einfach!“ Mittlerweile war die Sonne untergegangen, die Märzluft kühlte schnell ab. Wir stiegen wieder ins Auto, die Jungs auf dem Rücksitz, und es ging nach Hause. Kathi rief an und verkündete über die Freisprechanlage, dass es Schinkenfleckerl geben würde. Allgemeiner Jubel im Auto.

Mich dagegen zog es ins Hotel, und ich machte mir noch ein paar Gedanken über Talente, Biss und Co. Vielleicht lag es an den geschlossenen Heurigen und an der Tatsache, dass das nächste Schnellrestaurant fußläufig weit entfernt lag, ich dies also nur mit einer gewissen Entschlossenheit erreichen würde. Jedenfalls kam mir folgende Sätze von Ray Kroc, dem Gründer des McDonald’s-Imperiums, dazu in den Sinn: „Nichts in der Welt kann Beharrlichkeit ersetzen. Talent allein genügt nicht; nichts ist häufiger als erfolglose Menschen mit großen Talenten. Ebenso wenig Genie; verkannte Genies sind geradezu sprichwörtlich. Ebenso wenig kann es Bildung sein; die Welt ist voll von gebildeten Versagern. Beharrlichkeit und Entschlossenheit allein vermögen alles.“

Es gab noch viel zu diskutieren und zu tun. Doch eins war klar: Wenn man das große Glück hat, mit dem entsprechenden Talent zur Welt zu kommen, und dies auch noch für sich in jungen Jahren zu entdecken, ist eine große Karriere mit den nötigen Unterstützern möglich. Mit Kreativität und Durchsetzungskraft – und in diesem Fall am liebsten mit frisch eingefetteten, glänzenden, edlen Fußballschuhen in Schwarz mit weißen Streifen.

Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh

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