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PROLOG VON OTTO REHAGEL

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Lieber Andreas,

es war eine große Freude für mich, als Sie sich vor einigen Wochen unverhofft bei mir meldeten. Normalerweise telefonieren wir aus den üblichen Anlässen: Geburtstage, Festlichkeiten im Jahresverlauf, Werder Bremen früher und heute – doch als Sie mich darum baten, ein Vorwort für Ihre Biografie zu schreiben, war ich sofort Feuer und Flamme.

Vielleicht liegt es daran, dass ich Ihre Stimme gerne höre – wir hier im Ruhrpott sprechen klar, direkt und aus dem Herzen heraus, Ihr Wiener Dialekt dagegen klingt spielerisch und leicht – so wie ich Sie als Ausnahmeathlet auch auf dem Platz habe kennen und schätzen lernen dürfen. Oder an der Tatsache, dass ich mit Österreich immer schon angenehme Gedanken verband: Geboren 1938 in Essen wuchs ich als kleiner Junge in Ruinen im Essener Norden auf. Als der Zweite Weltkrieg das Ruhrgebiet 1943 besonders hart traf, wurden meine Mutter, meine Schwester und ich kurzerhand in die Tschechei nach Brünn evakuiert. Auch diese Zeit war geprägt von Entbehrungen, doch an einen ganz speziellen Tag kann ich mich heute noch gut und mit Frohsinn erinnern: ein Ausflug nach Wien. Mit dem Zug fuhren wir in die nur rund zwei Stunden entfernte Donaumetropole. Das war meine erste Berührung mit Österreich. Ich habe noch heute die altehrwürdige Stadt vor Augen, und vor allem den Prater und das Riesenrad – was für eine Sensation für einen kleinen Jungen wie mich damals in Zeiten schlimmster Kriegswirren, einfach ein ganz besonderes Erlebnis. Fortan bestand für mich ein unsichtbares Band der Freundschaft zur Alpenrepublik.

In den kommenden Jahrzehnten war es natürlich der Fußball, der mich immer wieder ins Land der Berge zog oder besser mit diesem berührte. Bei den Offenbacher Kickers Mitte der 1970er-Jahre waren es die österreichischen Spieler Johann „Hans“ Schmidradner und Josef „Pepi“ Hickersberger, die ich als damals noch junger Coach trainieren durfte, bei Werder Bremen der leider viel zu früh verstorbene Bruno Pezzey und später natürlich Sie, Andreas – alles feine Spieler wie auch Menschen, gut zu führen und mit dem Herz am rechten Fleck.

Mein damaliger Spieler Pepi Hickersberger war es schlussendlich auch, der mich in seiner Funktion als Nationaltrainer Österreichs Ende der 1980er auf ein ganz und gar außergewöhnliches Talent hinwies, das in Wien und darüber hinaus schon für Schlagzeilen gesorgt hatte: Andreas Herzog. Fortan behielt ich Ihren Namen im Kopf und Sie im Auge – beispielsweise bei der WM 1990 in Italien –, um mir im April 1992 bei einem Länderspiel im Praterstadion ein eigenes Bild zu machen. Mächtig aggressiv und fast wie ein Abräumer der Abwehr zeigten Sie sich, Andreas, in diesem Match, weil Sie wussten, dass ich im Stadion war – und weil Sie meinten, dass die deutsche Bundesliga eine solche Spielweise von Ihnen erwarten würde. Natürlich waren mir Athletik und Durchsetzungskraft wichtig, viel mehr jedoch Ihre herausragenden Qualitäten als Spielmacher, verbunden mit Ihrer Lockerheit, Leichtigkeit und Ihrem Humor – eine echte Wiener Seele mit Herz und Schmäh.

Andreas, Sie waren von Anfang an genau der Spieler, der mir in meinem Bremer „Puzzle“ noch fehlte. Ein Spielmacher und zugleich auch ein Vollstrecker, ein hochkreativer Linksfuß – und überhaupt ein begeisterter und begeisternder Fußballer. Manchmal erinnerten Sie mich in Ihrer Spielweise und in Ihrem offensiven Denken an Franz Hasil, gegen den ich selbst noch kicken durfte. Hasil, ein begnadeter Techniker, ebenfalls Wiener und Rapidler durch und durch, später ein Jahr lang auf Schalke und danach einer der ganz Großen unter Ernst Happel bei Feyenoord Rotterdam, gehörte für mich zu den besten österreichischen Nationalspielern überhaupt – wenn er denn laut Max Merkel wollte. Denn wie sagte der von mir geschätzte spätere Trainerkollege, ebenfalls Wiener und Grün-Weißer: „Wenn er will, kann er. Doch wann will er …?“

Sie wollten immer. Überhaupt war es Ihre Leichtigkeit, die mir von Anfang an besonders imponierte. Sie konnten auf andere Spieler zugehen, hatten Witz, Charme und Humor und sorgten für eine gute, ausgelassene Stimmung bei allen Mitspielern. An Ihnen war einfach nichts Böses, vielmehr waren Sie das Herz der Mannschaft, ein fröhlicher Mensch, nie missmutig. Ich erinnere mich noch gut, als Sie nach dem Gewinn der ersten Meisterschaft 1993 mit Werder Bremen gemeinsam mit Stürmer Manfred Bockenfeld Wiener Walzer getanzt haben – mitten auf dem Platz des Stuttgarter Neckarstadions. Bilder, die man nicht vergisst. Doch selbst wenn Sie kein begnadeter Tänzer waren – ein Zauberer waren Sie allemal. Manchmal eine Spur zu leichtsinnig, doch das machte Sie andererseits auch wieder aus – eben ein Schuss Genialität.


Herzog über Rehhagel: „Er ist wie ein zweiter Vater für mich!“

Apropos Zauberer: Neben dem Fußball sind es die alten deutschen Dichter und Denker, die mich mein Leben lang begleiten haben und die ich heute noch gerne zitiere – allen voran Goethe und Schiller. Es ist ein Genuss für mich, diese zu studieren und zu rezitieren. Die Ballade vom „Zauberlehrling“ hat mich seit jeher begeistert – und hier insbesondere die Hauptfigur selbst, die vom Meister allein gelassen wird und sich ausprobieren möchte. Das Bestreben, gegen die Autorität aufzubegehren, selbstständig zu handeln, und die Tatsache, wie schnell Übermut und Überheblichkeit zum Chaos führen können – und der Meister am Ende rettend eingreifen muss.

Mag sein, dass Sie, Andreas, in Ihren ganz jungen Jahren auch ein Zauberlehrling waren – wie ein jeder von uns, der auf der Suche nach der eigenen Profession ist, sich ausprobiert, aus Fehlern lernt und zunächst auch Unterstützer an seiner Seite braucht, um sich zu entwickeln. Ihnen stand Ihr Vater zur Seite. Und später ich. Doch in unserer gemeinsamen Zeit bei Werder Bremen entwickelten Sie sich wie von selbst zum Zaubermeister – selten brauchten Sie Anweisungen, immer dagegen Freiraum.

Es ist eine große Freude, seine Bestimmung schon in ganz jungen Jahren zu entdecken, dieser von klein auf zu folgen und zu wissen, wofür man steht und was für eine Aufgabe man im Leben hat. Und es ist schön für mich zu sehen, wenn Menschen ihr Talent voll ausschöpfen, mit ganzem Herzen und ganzer Begabung leben.

„Vor dir Unendlichkeit …“, drückt es Schiller in seinem Gedicht „Die Größe der Welt“ aus. Ich habe es für mich immer so interpretiert: Wir sind nur einen kleinen Moment auf dieser Welt. Da gilt es, das Beste aus sich und seinen Fähigkeiten herauszuholen. Denn am Ende wird dir genau diese Frage gestellt: Wie hast du deine Aufgaben des Lebens gemeistert, was aus dir und deinen Talenten gemacht?

Ich habe immer versucht, mit dem ganzen Herzen dabei zu sein: Unter schwierigsten Bedingungen in der Kriegs- und Nachkriegszeit, als junger Fußballer, späterer Trainer, Familienvater und Mensch. Mir ging es immer darum, das Beste aus jeder Situation zu machen und die Dinge geduldig so hinzunehmen, wie sie sind. Auch der Fußball ist ein Geduldspiel – doch niemand hat heute mehr Geduld. Das darf ich im stolzen Alter von mittlerweile 83 Jahren getrost behaupten.

Auch bei mir war es – wie in Ihrem Leben – immer der Fußball. Um so mehr freut es mich, dass ich Sie als meinen ehemaligen Spieler auf Ihrem Lebensweg begleiten und prägen durfte und bis heute inspiriere – durch meine Werte, Prinzipien und mein Tun.

Am Ende ist es immer auch ein Austausch auf Augenhöhe, denn auch ich lerne von meinem Gegenüber. Daher sei zu guter Letzt noch Folgendes erwähnt: Das Erscheinen Ihrer Biografie inspirierte mich, mir über den Titel meines ganz eigenen „Buch des Lebens“ Gedanken zu machen. „Aus Ruinen zum Olymp“ würde ich es wohl nennen – doch das ist eine ganz andere Geschichte.

Den werten Leserinnen und Lesern wünsche ich nun ganz viel Freude mit Ihrer Biografie „mit Herz und Schmäh“.

Ihr Freund und Mentor

Otto Rehhagel

Essen, Herbst 2021

PS: Habe in meinen persönlichen Zeilen ganz vergessen zu erwähnen, wie sehr es mich freut, dass auch ich Sie inspirieren konnte, den Weg des Trainers zu gehen. Denken Sie immer daran: Erfahrung ist ein hohes Gut. Sie haben alles in sich. Von der Pike auf gelernt …

Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh

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