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VORWORT DER MENSCH WIRD ERST AM DU ZUM ICH – ODER EINS VORWEG …

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In einer Zeit, in der sich Egoismus, Starallüren, Selbstbezogenheit und Entfremdung immer mehr ausbreiten, Mitmenschlichkeit und Empathie dagegen anscheinend immer unwichtiger werden oder sogar verloren zu gehen scheinen, ist es wohltuend, sich mit der Biografie von Andreas Herzog befassen zu dürfen, da er sich einfach so gibt, wie er ist – authentisch, ehrlich und echt. Wie brachte es der österreichische Kabarettist und Freund Andreas Herzogs, Alex Kristan, so treffend auf den Punkt: „Wenn Herzerl erzählt, trägt er sein Herz auf der Zunge.“ Genau das berührte auch uns von Anfang an – und so ist es immer eine große Freude, wenn wir uns treffen, austauschen und voneinander lernen dürfen.

Andi Herzog ist in der Tat mit einem feinen Humor gesegnet, er kann darüber hinaus auch über sich selbst lachen, und er ist vor allem eines: ein Meister seines Fachs. All das durfte er sich in endlosen Trainingseinheiten aneignen, in unzähligen Begegnungen mit europäischen Topteams sowie in 103 Spielen für die österreichische Nationalmannschaft. Experten sprechen hier von der seltenen Gabe des intuitiven Erfahrungswissens. Mindestens genauso entscheidend ist jedoch seine Fähigkeit, andere als Mensch und Trainer berühren zu können – mit Herz und Schmäh. Und so hören auch wir ihm seit unserer ersten Begegnung gerne zu.

Es heißt, dass man die wirklich wichtigen Ereignisse im Leben nicht planen kann. So trafen wir auch auf den Rekordnationalspieler. Wie es zu dieser ganz persönlichen Zusammenkunft kam, möchten wir hier in den ersten Zeilen erzählen. Um uns anschließend nur noch dem Protagonisten dieses Buches zu widmen: dem Spieler, Trainer und Menschen Andreas Herzog.

Wir begegneten ihm erstmals im August 2013 auf einem Flug von Wien nach Sarajevo. Damals waren er wie wir in Sachen „US-Nationalmannschaft“ unterwegs – Herzog gehörte zum Trainerteam von Jürgen Klinsmann, und wir waren mit dem Weltstar und dessen Familie verabredet. Klinsi war immer schon ein wenig seiner Zeit voraus. Und da ihm viele junge amerikanische Nationalspieler seiner Meinung nach in Europa „totally lost“ schienen, wünschte er sich, dass wir uns zukünftig um diese Spezies kümmern sollten. Denn fußballerisch entwickeln konnten sich die jungen US-Boys in Europa wesentlich besser als in den USA, so seine Meinung. Für uns logisch und nachvollziehbar wurde in Europa nun einmal weltweit ein besonders gepflegter Fußball gespielt – mit den Besten der Besten in den Topligen Englands, Spaniens oder Deutschlands. Da lag es auf der Hand, dass auch junge Amerikaner an der Herausforderung wachsen würden, wenn denn für das entsprechende Umfeld gesorgt wäre. Und hier sollten wir ins Spiel kommen – uns eben um die Persönlichkeit der Kicker kümmern, genauer gesagt um das Selbst- und Umfeldmanagement, „Mindset and Soul“.

Typisch Jürgen Klinsmann, ging es ihm doch immer um Wachstum und Entwicklung auf der menschlichen Ebene und nicht um Statusdenken oder Komfortzone. In anderen Worten: dynamisches statt statisches Selbstbild. So stießen wir in Bosnien zwecks erster Annäherung zum Trainerteam. „Klinsmanns Eleven“ – wie er selbst sein Team von Spezialisten gerne bezeichnete. Doch das ist eine andere Geschichte.

Da wir in den Bosnien-Tagen in erster Linie mit Klinsmann und Familie unterwegs waren, ehemalige Spielstätten der Olympischen Spiele von 1980 besichtigten (wenn sie denn nicht in den Kriegswirren zerstört worden waren) und auch den Ort aufsuchten, an dem der österreichisch-ungarische Erzherzog Franz-Ferdinand und seine Frau Sophie von einem serbischen Nationalisten umgebracht worden waren, durften wir Andi Herzog in diesen Tagen nur am Rande wahrnehmen.

Zum einen war Herzog täglich mit dem mannschaftlichen Training sowie mit der Spielvorbereitung der US-Jungs gegen Bosnien beschäftigt, zum anderen wollten wir nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, sprich: aufdringlich sein. Und so saßen wir im hoteleigenen Kaffeehaus meist eher an einem Nebentisch und erfreuten uns aus der Ferne an der Stimmung, die Herzog anscheinend am liebsten bei Kaffee und Kuchen und untermalt von einem Feuerwerk an Anekdoten zu verbreiten schien.

„Ein typischer Wiener“, meinte Karin Helle. „Da rennt der Schmäh.“

Richtig kennen und schätzen lernen durften wir Andreas Herzog rund ein Jahr später. Sozusagen ein echter „One Touch“ im November 2014, irgendwo an einem Freitagabend im Regen von London. Zuvor hatte die US-Nationalmannschaft 1:2 gegen Kolumbien verloren. Das Testländerspiel fand vor rund 25.000 Zuschauern und warum auch immer in London statt, genauer gesagt direkt an der Themse im altehrwürdigen Craven Cottage, der eigentlichen Heimstätte des FC Fulham. Doch wer meinte, dass es atmosphärisch möglicherweise leiser als in Kolumbien zugegangen wäre, hatte sich getäuscht. Gefühlt halb Kolumbien bevölkerte die Tribünen – und ein ohrenbetäubendes Geschrei Tausender, vornehmlich weiblicher Fußballfans wurde bei jedwedem Angriff der Los Cafeteros ausgelöst. Das wiederum hing damit zusammen, dass London eine der größten „Colombian Communities“ außerhalb Kolumbiens stellte, erklärte uns Jürgen Klinsmann später. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Wie auch immer und wie nach jeder Niederlage – das ist anscheinend in allen Klubs weltweit so oder ähnlich – herrschte die übliche Untergangsstimmung bis hin zum möglichen Endzeitszenario. Doch während sich Klinsmann über solche Situationen selten Gedanken machte – ihm ging es vielmehr um Entwicklung als um das Ergebnis –, sorgte ein anderer für gute Laune und herzliche Atmosphäre: Andreas Herzog – und das nach beschriebener Niederlage und spät in der Nacht.

Zuvor hatten wir uns nach Spielabpfiff durch die kolumbianischen Menschenmassen in die Tube der Londoner U-Bahn gedrängt – wenngleich sie im Stadtteil Hammersmith über der Erde fährt – und es endlich bis ins Hotel geschafft. Seit unserem Abflug in Dortmund am Freitagmittag hatten wir nichts gegessen. Irgendwie war uns auf dem ganzen Weg hin zum Stadion oder von dort weg kein einziger Foodtruck, keine Imbissbude, kein Würstelstand begegnet – und selbst im Stadion gab es, warum auch immer, nichts dergleichen. Was waren wir doch in Dortmund mit Stadion, Bier- und Essensverköstigung verwöhnt, dachten wir uns, als wir endlich nach Mitternacht und mit Hunger bis unter beide Arme die Klinsmannsche Lounge in Form des dem Hotel angeschlossenen Pubs erreichten – inklusive Erdnüsse, Cracker, Berti Vogts und Andi Herzog.

Letztgenannter fiel einfach aus dem Rahmen: Zunächst durch eine exzellente Analyse des Spiels, also Fachverstand pur, gefolgt von Stimmung, Herz und Schmäh. Zudem war er an allem interessiert, was über den normalen Fußballsachverstand hinausging: Weltliche Themen genauso wie Feinstoffliches und Spirituelles – das begeisterte uns besonders. Er hatte einfach erstaunlich viel zu erzählen, und vor allem nicht nur von sich selbst, sondern auch von vielen anderen Menschen, von denen er lernen durfte. Und so diskutierten wir leidenschaftlich über Inspiration, Motivation, Astrologie und Philosophie bis 4 Uhr morgens.

„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, heißt es so treffend in einem Spruch, und so waren wir von Anfang an begeistert, wie offen und interessiert Andi Herzog uns begegnete. Eigentlich logisch, denn wir kannten Jürgen Klinsmann schon länger, verbunden mit der Tatsache, dass er am liebsten Menschen mit einer gesunden Portion Neugierde um sich scharte, Menschen mit dem berühmten Blick über den Tellerrand, Selbstentwickler, Querdenker und Macher – im Management wie auch in der Fußballwelt rar gesät.

Man sprach anscheinend die gleiche Sprache – und war offen für Neues. Zumal uns noch eine weitere Tatsache unsichtbar verband: Jedenfalls schien es einer dieser seltsamen Zufälle zu sein, dass Karin Helle, geboren in Mödling, ihre Kindheit in Kaltenleutgeben verbringen durfte, samt Großmutter und Ziegen, die sie bei der „Wiener Hütte“ hütete – also nur einen Fußmarsch durch den Wienerwald entfernt von Andi Herzogs heutigem Wohnort. Da schloss sich der Kreis.

„Der Mensch wird erst am Du zum Ich“, heißt es in einem berühmten Zitat des in Wien geborenen jüdischen Philosophen, Religionswissenschaftlers und Erziehers Martin Buber. In anderen Worten: Nur durch die Interaktion mit anderen, durch Begegnungen, Gespräche und Miteinander entwickelt sich die eigene Persönlichkeit.

Genau das hört man immer wieder heraus, wenn man mit Andreas Herzog ins Gespräch kommt. Er erzählt nicht nur von sich, sondern würdigt vor allem die Menschen, durch die er werden konnte, was er heute ist – Wegbegleiter wie Mutter und Vater, seine eigene Familie, Freunde, Ernst Happel, ein Otto Rehhagel, ein Jürgen Klinsmann und viele andere mehr.

Daher möge sich die geneigte Leserschaft an anderer Stelle nicht wundern, wenn wir auch Herzogs Förderern und Forderern hier und da etwas mehr Platz einräumen – und sie in ihrem Tun und ihrer Einzigartigkeit darstellen. Auch das gehört unserer Meinung nach zu einer wahrhaftigen Lebensgeschichte. Denn wie eben erwähnt: Die wirklich Großen erkennen ihr Ich immer am Du. Sie lernen von anderen und wachsen dennoch aus sich selbst heraus. Sie leben die Vielfalt und wissen um ihre Unterstützer und was sie ihnen zu verdanken haben.

In diesem Sinne: Viel Freude mit dem Buch, das Sie in den Händen halten, und hinein in die Biografie von Andi Herzog – authentisch, ehrlich, echt.

Karin Helle und Claus-Peter Niem

Dortmund und Wien, 2021

Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh

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