Читать книгу Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh - Karin Helle - Страница 20
KAPITEL 13: „TRAINER, I HÄTT GERN DIE NUMMER 20!“ RAPID WIEN/NATIONALTEAM 1988–1992
ОглавлениеWie muss sich wohl ein klassischer 10er fühlen, einer, der die Offensive liebt und immer den Drang hat, nach vorne zu spielen, zu lupfen, das eins gegen eins im Dribbling zu suchen oder den Torabschluss gekonnt zu vollenden, wenn er sich denn für das Doppelte entscheidet – zumindest, was die Nummer auf dem Rücken betrifft? Da backt anscheinend einer kleine Brötchen, wie man in Deutschland sagen würde. Oder hatte es wieder etwas mit dem eigenen Selbstbild zu tun?
Bei Andreas Herzog war es – wie bei vielen anderen jungen Menschen ebenso – so eine Sache mit dem Selbstvertrauen. Er musste es sich immer ein Stück weit spielerisch erarbeiten, in den U-Mannschaften genauso wie in der Kampfmannschaft. Und so manches Mal musste er an seine Grenzen gehen und darüber hinaus, um dann und bei einem Schritt zurück alles und im Flow abrufen zu können – beispielsweise an den legendären Wochenenden und dem Pendeln zwischen U21, den Rapid-Profis und der U18. Außerdem brauchte er seine Fürsprecher, enge Vertraute und Trainer, die an ihn glaubten. Mit Josef Hickersberger hatte er so einen Coach gefunden. Hickersberger wollte ihn unbedingt in der Auswahl spielen sehen, gab ihm Zeit, erkannte auch die sensible Seite des Ausnahmetalents aus dem offensiven Mittelfeld – und wollte seinem kreativen Kicker aus diesem Grund Sicherheit vermitteln. Wenngleich zu dieser Erkenntnis immer zwei gehören. Der Trainer, der seinem Spieler durch klare Botschaften bis zu einem gewissen Grad Glauben vermittelt, und sein Gegenüber, der dies auch wahrnimmt. Doch was, wenn nicht? Und das kurz vor einer WM …
Und dann lieg i mit meinem Zimmerkollegen, dem Kurt Russ, am Zimmer, und eines Abends, so eine Woche vor dem ersten Spiel gegen die Italiener, kommt der Josef Hickersberger aufs Zimmer und plaudert so mit uns und schaut mi so an und sagt: „Du, und bereite dich vor auf den De Napoli.“ Und i hab mir gedacht: Was meint der jetzt? Meint der jetzt, dass ich von Beginn an spiele? Das glaube i ned, weil in den Medien wird nur spekuliert, des is ein Zweikampf oder Dreikampf um diese Position. Meint er vielleicht, wenn i rein komm, dass ich diesmal besser bin gegen den De Napoli? (Andreas Herzog)
Doch wo kamen diese Zweifel wieder her, hatte er doch in den vergangenen Jahren so manche Schlacht für Vienna und Rapid geschlagen und für das eine oder andere Ausrufezeichen im Nationalteam gesorgt. Zumal die Worte von Hickersberger auf der Hand lagen: Be prepared – bereite dich vor.
Im Nachhinein meint Herzog jedenfalls rückblickend, dass ihn das letzte WM-Vorbereitungsspiel wieder zurückwarf. „Wir waren vorher auf Trainingslager und haben ein Spiel gegen eine Auswahl von Brixen oder Südtirol gehabt“, erzählt er heute. „Und die haben so einen gehässigen Libero gehabt.“ Dieser foulte Thomas Flögel so brutal, dass alle Bänder am Knöchel rissen – und die WM für den jüngsten rot-weiß-roten Kicker vorbei war, bevor sie überhaupt angefangen hatte.
Andi selbst, hinter Flögel und Michael Baur drittjüngster Spieler im Team, kämpfte derweil um einen Startplatz in der Anfangsformation, denn auch ein, zwei andere Kicker wie beispielsweise Alfred „Ali“ Hörtnagl hätten laut Herzog durchaus im offensiven Mittelfeld spielen können. Ein brisantes Duell, wunderbar befeuert durch den Boulevard – und dann war da ja noch der „gehässige Libero“!
I krieg an Ball, lauf dem Libero davon, und der hält mich zurück. Und ich wollt halt unbedingt ein Tor schießen. Ich wollt halt zeigen, dass ich gut drauf bin. Mit einem Tor kann ich meine Position stärken, dachte ich. Das ich halt gegen Italien in der Startposition stehe. Und der hält mich zurück, und wie er mich so hält, hol ich mit dem Ellbogen aus und hau ihm genau ins Gesicht. (Andreas Herzog)
Der Libero flog um – und Andi nicht vom Platz. Es war ein österreichischer Schiedsrichter, der noch einmal beide Augen zudrückte. Hickersberger reagierte prompt, nahm ihn vom Platz und ließ ihn zur Strafe gleich acht Kilometer auf einer Waldrunde hinter dem Stadion laufen. „Alles vorbei!“, dachte der junge Herzog verzweifelt und am Boden zerstört, dabei hatten sich die Gefühle einfach nur in ihm aufgestaut. Erst das brutale Foul an einem Mitspieler, dann das permanente Stoßen und Schubsen eines begrenzt Talentierten. Und dennoch: Das darf einem Ausnahmespieler nicht passieren.
Es war also ein bunter Strauß aus Emotionen, die die eigene Herzogsche Wahrnehmung ins Straucheln brachte. Das bittere Aus des noch jüngeren Mannschaftskollegen Thomas Flögel (für den laut Herzerl „eine Welt zusammenbrach“), der Ellbogen-Ausrutscher gegen den „gehässigen Libero“, die Mitspieler, die Herzerl die Position streitig machen wollten, und dann noch die mitunter brutale Medienwelt, wenn man sich denn mit ihr beschäftigte. Es ist eben alles eine Sache der Wahrnehmung.
„Perception is everything“, heißt es im Englischen. Am Anfang steht immer die Wahrnehmung. Wie nehme ich als Spieler, Trainer, Mensch eine neue Situation, Begegnung, das Umfeld wahr? Bin ich offen und neugierig oder eher zurückhaltend und ängstlich? Gehe ich die Herausforderung als Chance oder als Problem an? Aus der Wahrnehmung entsteht die Einstellung zu den Dingen. Sehe ich das Glas halb voll oder halb leer, bin ich flexibel und möchte dazulernen, brauche ich eher feste Rituale oder werde ich zum Wiederholungstäter und stecke irgendwann fest in den immer gleichen Abläufen, Denkmustern und Glaubenssätzen? Unsere Einstellung führt zu bestimmten Gedanken. Diese prägen unsere Emotionen. Unsere Emotionen führen zu Worten, Taten und Gewohnheiten.
All das wiederum prägt unseren Charakter und damit unsere Persönlichkeit – und auch die eines jungen Andreas Herzog, der kurz vor seinem WM-Debüt stand und sich doch ein Stück weit entfernt wahrnahm. Zumindest nach seinem Auftreten in Brixen und nur eine Woche vor dem Eröffnungsspiel in Rom, als Hickersberger im Teamhotel an die Zimmertür von Russ und Herzog anklopfte.
Herzog ruhte zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht so tief in sich, nahm Hickersbergers Wink mit dem Zaunpfahl nur bedingt oder gar nicht wahr und musste so eben noch ein paar Tage weiterzittern, bis er es dann doch realisierte – angekommen in der Startelf gegen Italien!
Natürlich spürte er von Tag zu Tag mehr Sicherheit, denn im Training wurde auf ihn gesetzt, er spielte im Team, das später auch das Match gegen Italien bestreiten sollte – und wurde eben nicht auf den Nebenplatz geschickt, um mit dem Ball zu jonglieren. Ein wichtiges Gefühl so kurz vor der WM. Und doch waren da immer noch die Zweifel: „Es ist halt eine andere Welt als Klubfußball!“
Erst am Spieltag selbst wurde Andi klar: Hickersberger hatte ihm schon eine Woche zuvor ein Zeichen gegeben. „Be prepared“, lautete das Motto, aber es ist eben alles eine Sache der Wahrnehmung.
Ich war extrem nervös bei der Bundeshymne und beim Spiel in Rom – der Rasen im Olympiastadion, ich kriege heute noch die Gänsehaut, wenn ich daran denk. Ich wollt nicht mal auf den Rasen draufsteigen, weil ich Angst hatte, der Superrasen wird zerstört. (Andreas Herzog)
Noch heute hat er die Bilder von seiner Riesenchance im Kopf: Beim Stand von 0:0 kommt eine Flanke von rechts, Giuseppe Bergomi erwischt den Ball nicht richtig, und der Ball kommt zum zweiten Pfosten.
Und i erwisch den Ball nur mit dem Schienbein und mit dem Knöchel und schieß drei Meter daneben, von acht oder zehn Metern – das war normal genau meine Situation, so ein Volleyschuss mit meinem starken linken Pratzerl. Und i hab die Chance aber verhaut. Und i schwör’s dir, wenn i des Tor geschossen hätte, hätten wir vielleicht 1:0 gewonnen. Dann würde ich heute noch Ehrenrunden in Rom laufen. (Andreas Herzog)
Aber es sollte bei diesem Spiel noch nicht sein. Und so unterlag man kurz vor Schluss durch ein Tor des „kleinen Schillaci“, wie ihn Herzog heute noch liebevoll nennt.
„Und wieso die Rückennummer 20?“, fragte ich den ehemaligen Vorzeige-10er abschließend nach einer langen Gesprächsrunde und am Abend eines verregneten Feiertags in Wien. Viel hatte ich in den vergangenen Stunden erfahren dürfen – von den Anfängen bei Rapid, der unbeschwerten Zeit bei Vienna bis hin zum Nationalmannschaftsdebüt und Italien 1990. Doch das mit der Rückennummer war mir noch nicht klar.
In Rom samma so gesessen beim Abendessen, und der Teamchef hat gesagt: „So, und jetzt zu den Rückennummern.“ Und ich war halt noch ein junger Spieler und wollt die Nummer 10 haben, aber ich war ja noch ein relativer Frischling, hab mich nichts zu sagen getraut. Und dann sind alle Nummern weggegangen, und dann waren nur mehr 12 und 20 über. Naa, mit der 12er spiel i sicher nicht, hab ich mir gedacht (lacht): „Trainer, ich hätt gerne die Nummer 20!“ Da war ich mutig, als Vorletzter habe ich mir die Nummer 20 geschnappt (lacht noch mehr). Und für den Baur Michi ist die Nummer 12 übergeblieben. (Andreas Herzog)