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KAPITEL 7: JONGLIEREN AUF DEM NEBENPLATZ – VON UNGLÄUBIGEN UND GLÄUBIGEN RAPID WIEN 1986–1992
ОглавлениеIrgendwann hatte es sich einfach so eingespielt: Wenn wir mit Andi zusammensitzen durften, lief auch eine Tonbandaufnahme mit. Zu interessant, kurios, fachlich hervorragend oder einfach humorvoll waren seine Gedanken, Geschichten und Ansichten für uns, nichts sollte verloren gehen. Zudem bereicherten die Aufnahmen die eher tristen Abende in der Zeit des ewigen Lockdowns rund um den Jahreswechsel 2020/21. Wir holten uns sozusagen ein Stück Wiener Kaffeehauskultur in die eigenen vier Wände – verbunden mit einem Achtel Zweigelt, der einen oder anderen von Andreas Herzog so geliebten Süßspeise und manchmal und je nach Stimmungslage zu späterer Stunde mit Elisabeth T. Spiras „Alltagsgeschichten“ – tiefste Wiener Seele eben. Kann sein, dass dies für den echten Wiener ein Stück weit überspitzt sein mag. Bei uns lösten solche Stunden und hier insbesondere die Mitschnitte und herrlichen Geschichten rund um unseren Protagonisten immer wieder positive Emotionen aus.
Überhaupt ist das ja so eine Sache mit dem „guten Gefühl“ – denn genau darauf kam Andreas Herzog immer dann zu sprechen, wenn es um neue Wege ging. Je tiefer wir in die Aufnahmen hineinhörten, desto klarer wurde uns diese Tatsache. Sobald er von einem „guten Gefühl“ im Vorfeld einer Entscheidung gesprochen hatte, war es im Nachhinein auch die richtige Entscheidung. Womit wir wieder bei der an anderer Stelle schon erwähnten hohen Kunst intuitiver Entscheidungskraft wären – und einer erkenntnisreichen WhatsApp an Herzerl.
Servus, Andi, man hört immer wieder heraus aus all den Mitschnitten: „Da hatte ich ein gutes Gefühl.“ Sagst du immer wieder mal. Wie bei Dokupil und Vienna. So gesehen musst du dich immer nur auf deine Intuition verlassen – und bei einem guten Gefühl lagst/liegst du richtig.
PS: Dokupil sagte übrigens mal: „Das Geld war für mich nie wichtig. Was wirklich zählt, ist die Aufgabe.“
Herzliche Grüße aus Dortmund, C
(Claus-Peter Niem)
Hallo, Claus, ja, es ist ja irgendwie logisch, wenn du ein gutes Gefühl hast, dann passt das Drumherum auch anscheinend immer, und für mich war halt schon immer wichtig, dass ich mich wo wohlfühl, und wenn ich irgendwo akzeptiert worden bin und einfach geglaubt hab, dass ich mein Ding machen kann, dass ich mit meinen Stärken spielen kann, dann war das wahrscheinlich auch vorher schon so eine Art Bauchgefühl, dass ich da richtig hinpasse und dass mir der Trainer auch das Vertrauen gibt und auch die Stärken in mir sieht, dass ich die für seine Mannschaft richtig einsetzen kann.
(Andreas Herzog)
Genau dieses Vertrauen spürte Andreas Herzog von Anfang an bei Ernst Dokupil, seinem späteren Trainer bei der Vienna. Wir erinnern uns: Unser Jungprofi pendelte in Hütteldorf auf beeindruckende Art und Weise ständig hin und her – von der U18 zur U21 bis in die Kampfmannschaft hinein und wieder zurück. Sein Antrieb: dabei sein zu dürfen. Während viele Ausnahmetalente, die in ganz jungen Jahren schon einmal mit den ganz Großen kicken durften, bei einem vermeintlichen Schritt zurück eher die Nase rümpfen, so gesehen zu schnell abheben und häufig noch schneller wieder auf dem Boden der Tatsachen landen (oder eine Bruchlandung hinlegen), war es für seine Entwicklung von entscheidendem Vorteil. Denn: Er lernte das Fliegen Schritt für Schritt – starten, abheben, Flughöhe erreichen und halten!
Natürlich, auch ein Ausnahmetalent wie Herzog wollte den nächsten Schritt machen. Und so gerne er auch hin und her pendelte, so sehr brannte er auch darauf, im Hanappi-Stadion sein ganzes Können unter Beweis zu stellen. Doch da er bei Otto Barić, dem er übrigens in seiner Karriere noch öfter begegnen sollte, nur selten von Beginn an in der ersten Mannschaft zum Einsatz kam, machte er sich im Winter 1987 auf in den 19. Gemeindebezirk. Bei einem Hallenturnier war er wieder einmal auf einen seiner alten Unterstützer gestoßen: Ernst Dokupil. Diesen kannte er bereits aus seinen Kindertagen.
Dann ist eben der Ernst Dokupil, Vienna-Trainer, beim Stadthallenturnier in Wien zu mir gekommen und hat gesagt: „Willst nicht zur Vienna kommen?“ Und ich war sofort Feuer und Flamme. (Andreas Herzog)
Andis Vater Anton schien von der Idee seines Sohnes weniger begeistert zu sein. Intensive Diskussionen waren die Folge.
„Papa, i geh zur Vienna.“
„Naa, wieso, bleib bei Rapid.“
„Naa, mit Dokupil hab ich ein sehr, sehr gutes Gefühl, der kennt mich schon von früher.“
Und des war dann der Durchbruch bei mir, die Vienna. (Andreas Herzog)
Interessant an dieser Stelle die Frage an Herzog, ob es sich um eine „Hin-zu-“ oder eine „Weg-von-Motivation“ handelte, als er sich im Frühjahr 1987 den Blau-Gelben aus dem Nobelviertel Döbling anschloss. Damals spielte der Klub mit dem einstmals größten Stadion Wiens und bis dato schon sechs gewonnenen österreichischen Meisterschaften und diversen Cupsiegen noch erfolgreich in der ersten Liga auf, während die Vienna heute einen hoffentlich nicht mehr allzu lang andauernden Dornröschenschlaf in der Wiener Regionalliga Ost fristet – so jedenfalls der sehnliche Wunsch Andreas Herzogs.
Der eine oder andere Leser mag sich darüber hinaus erinnern: Selbst Mario Kempes, argentinischer Weltmeister von 1978, zog es gegen Ende seiner Karriere in der Saison 1986/87 zum First Vienna FC 1894 – bis heute natürlich eine Erwähnung wert in der Historie des ältesten Fußballklubs Österreichs.
Doch zurück zum Sinn unser anfänglichen Frage nach dem „Hin-zu“ oder „Weg-von“ – wobei es eigentlich auf der Hand liegt: Mit einer „Hin-zu-Motivation“ will man etwas erreichen, sich zu einem gesteckten Ziel hin entwickeln. Mit einem klaren Plan vor Augen geht man seinen Weg. „Weg-von“ bedeutet dagegen Flucht, man möchte einem Umstand, einer Situation entkommen.
Was war es also, das unseren jungen Ausnahmekicker für einige Monate hin zum First Vienna FC auf die Hohe Warte lockte? Übrigens ein wunderbar anzusehendes Naturstadion mit noch besserem Blick über die Stadt, gelegen in den Ausläufern des Wienerwalds und lange Zeit das größte Stadion der Donaumetropole. Über 80.000 Zuschauer sollen es sogar einmal gewesen sein zu Beginn der 20er-Jahre – damals übrigens schon eine Art Mehrzweckarena, eben nicht nur für Fußball, sondern auch Heimstätte denkwürdiger Boxkämpfe, Theater- und Opernaufführungen – Wien, wie es leibt und lebt.
Andi Herzog war also Feuer und Flamme, als Ernst Dokupil beim Stadthallenturnier auf ihn zukam, kannte er ihn doch schon aus seinen Anfangszeiten bei Admira Wacker. Die Freude muss jedenfalls groß gewesen sein, und gut kann man sich in die Gefühlswelt des damals gerade mal 19-jährigen Herzogs hineinversetzen. Es war ein alter Weggefährte, der diese positiven Emotionen auslöste, denn Dokupil glaubte einfach an ihn. Beständig wollte er Herzerl in der ersten Mannschaft spielen lassen, aufbauen, weiterentwickeln. Also auf den ersten Blick ein klares „Hin-zu“ oder besser gesagt ein „Auf zu neuen Ufern“!
Aber was war in der Zwischenzeit bei Rapid passiert? Immerhin hatte es Herzog doch schon auf die Bank der Kampfmannschaft geschafft, kam des Öfteren zum Einsatz und war sich laut eigener Aussage für nichts zu schade. Es war eine dieser Initialzündungen, die ihm signalisierte, neue Wege gehen zu müssen. Doch während man mit einer Initialzündung eigentlich etwas Positives verbindet, war es in diesem Falle ein Antrieb in die andere Richtung – eben weg von Rapid (wenn auch nur für eine kurze Zeit).
Du musst dir vorstellen, jetzt bist du eigentlich ein junger, talentierter Spieler bei Rapid, der die Nummer 16, Nummer 18 oder Nummer 22 war. Ganz am Anfang war es sogar so: Wir haben elf gegen elf gespielt, und wir waren 23 Spieler, und der Barić teilt die Trikots aus und sagt: „Oh schade, sind wir 23. Kleines, geh auf Nebenplatz jonglieren!“
Musst dir vorstellen, ich hab eine Stunde am Nebenplatz, auf der roten Erde trainiert, mit Tränen in den Augen, und hab mir gedacht: Du Oarsch du, ich werde es dir zeigen. Eines Tages werde ich es dir zeigen. (Andreas Herzog)
Es war also die Mischung, die für Andi Herzog entscheidend war, ein „Hin-zu“ genauso wie ein „Weg-von“. Hier die in seinen Augen zu geringe Beachtung eines Otto Barić, ein Schuss Ungeduld dazu und zudem natürlich der brennende Wunsch, in der Bundesliga spielen zu dürfen und zu können, dort das Angebot eines alten Bekannten, das einfach nur ein gutes Gefühl in ihm auslöste.
Die Leihe von Rapid zur Vienna war perfekt – trotz aller Bedenken seines Vaters, der vom baldigen Durchbruch seines Sohnes bei den Grün-Weißen, auch unter Barić, überzeugt war. Die Anziehungskraft eines Ernst Dokupil, dem früheren Trainer der Admira und jetzigen Coach von Vienna, war einfach größer. In seiner ersten Besprechung vor dem Spiel berührte er den jungen Herzog jedenfalls zutiefst: „Andi, was soll ich dir sagen, von klein auf hat es mir immer schon einen Spaß gemacht, wenn ich dir beim Fußballspielen zuschauen kann. Jetzt geh raus, spiel mit deinen Stärken und mach mich glücklich.“
Es ist halt eine Sache des Glaubens – und des Selbstvertrauens. Und fast immer sind es Kleinigkeiten, die Selbstzweifel auslösen oder das Ego aus voller Überzeugung heraus handeln lassen. Selbstvertrauen entwickelt sich durch Tun, Offenheit und Neugierde. Nur die, die sich auf den Weg machen, können wachsen und sich entwickeln. Dabei gilt es, bloßes Tun von sinnvollem Handeln zu unterscheiden. Eben an seinen Fähigkeiten zu arbeiten, konzentriert bei einer Sache zu bleiben, diese zu Ende zu bringen, um ein kleines oder großes Erfolgserlebnis zu haben. Das ist mit sinnvollem Tun gemeint – und bringt Vertrauen in die eigene Person, die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten. Motto: Ich kann etwas!
Selbstvertrauen muss man sich erarbeiten. Es kommt – in erster Linie – von Innen, und doch spielen auch äußere Faktoren eine Rolle. Eltern tragen dazu genauso bei wie das nahe Umfeld, ob Trainer, Lehrer oder Freunde – durch Feedbacks, Glaubensvermittlung an die eigenen Stärken, also Rat und Input, um aus jungen Kickern starke Spielerpersönlichkeiten zu entwickeln.
In den ersten drei Spielen habe ich für die Vienna gleich drei Tore geschossen. Im ersten Spiel haben wir 1:1 in Graz gespielt, gleich ins Kreuz, ein Traumtor, und die nächsten zwei Spiele zweimal das Siegestor, und ich war schon in der Nationalmannschaft, musst dir vorstellen. (Andreas Herzog)
Andreas Herzog machte sich auf den Weg und entschied erstmals selbst. Von Jänner bis Juni 1988 spielte er für die Vienna.
Alles eben eine Glaubensfrage – oder besser gesagt eine Frage des Glaubens an sich selbst.