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KAPITEL 10: VOM BALLAUFLEGEN MIT GEFÜHL – UND SEI JA KEIN HUDRIWUDRI! RAPID WIEN 1988–1992

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Wieder einmal hatte ich bei Familie Herzog am Esstisch Platz nehmen dürfen. Gemütlich saß ich mit Andi in einem Teil des Wohnzimmers, während Frau Kathi gleich nebenan in der Küche mit dem Geschirr klapperte. Und wieder einmal drehte sich alles um das runde Leder:

„Jetzt habe ich eine andere Frage: Warum san die Brasilianer und die Afrikaner in Europa momentan so beliebt? Weil sie mit acht oder zwölf Jahren schon in ein Schema reingepresst werden? Oder spielen die frei von der Leber weg, was sie wollen? Des is für mich immer die große Kunst. Die große Frage. Waßt, was i mein? Afrikaner, Brasilaner. Die san …“

„Nicht zu berechnen“, fügte ich ehrfürchtig lauschend hinzu.

„Nicht zu berechnen“, wiederholte Herzog vielsagend.

Irgendwie hatten wir uns in diesen Tagen am Thema „Kreativität“ festgebissen. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass wir uns auch aufgrund seiner fußballbegeisterten Söhne über die Entwicklungen im Jugendbereich unterhielten (und sich Herzog gerne und zu Recht über zu viel Schablonenhaftes echauffierte), vielleicht aber auch einfach daran, dass Herzog nun einmal seiner Kreativität auf dem Platz so ziemlich alles zu verdanken hatte – der an anderer Stelle erwähnte individuelle Fingerabdruck, DAS Thema seines Lebens. Und natürlich Top eins auf der Liste, wenn man ihn nach drei Dingen fragt, die ihn als Spieler immer ausmachten.

Dennoch definierte sich Herzog nicht nur über Kreativität. Es war auch sein Ehrgeiz, der Beste sein zu wollen – allerdings nicht im stupiden Hin- und Herrennen auf dem Trainingsplatz, sondern dann, wenn es um Entscheidendes ging, um Schönheit, Wucht oder Ästhetik. Das war sein Antrieb: „Ich hab mich immer dann geärgert, wenn ein anderer im Training den Ball ins Kreuz geschossen hat und ich ned.“

Als dritten Punkt nennt Herzerl seine körperliche Konstitution. So war er relativ selten verletzt, was er auf eine gesunde Lebensweise zurückführt. Heute würde man wohl von gutem Umfeldmanagement sprechen.

Es war auch so, dass ich dafür gelebt hab. Ich war jetzt nicht so, dass ich die ganze Nacht weg war. Weißt, im Nachhinein, denk i mir, i habe eigentlich nie eine Muskelverletzung gehabt. Und auch wenn viele sagen: „Der is ja nicht so viel grennt“, is des a Blödsinn. Ich bin genauso viel grennt und öfter gefoult worden wie jeder andere vielleicht, und trotzdem war ich jetzt nicht so oft verletzt. Kommt sicher auch noch hinzu, dass ich für einen Sportler vernünftig gelebt habe. (Andreas Herzog)

Inzwischen hatte sich Frau Kathi dazugesellt. Umfeldmanagement – das interessierte sie besonders, hatte sie doch bewusst oder unterbewusst seit Anfang der 90er ein großes Stück dazu beitragen können, dass ihr Andi sich so entwickelte, wie er sich entwickelte. Immer mal wieder hatte sie zuvor neugierig um die Ecke geschaut und gelauscht und natürlich an passender Stelle darauf hingewiesen, dass ihr Mann sich momentan auch „a bissl mehr“ wie ein Sportler ernähren könnte – statt zu großen Gefallen an Wiener Süßspeisen oder Gugelhupf zu finden. Natürlich, welcher Frau würde das nicht gefallen, und natürlich allzu verständlich, lag ihr doch die Gesundheit ihres Mannes am Herzen. Aber irgendwie ließ sie ihn auch einfach so sein, wie er war – was mir wiederum gefiel; wohl das beste Rezept überhaupt für eine lange und tiefe Beziehung.

In ihren Augen war es übrigens auch die Kreativität, die ihren Andi immer schon ausmachte – oder besser gesagt das „einmalige Auflegen von Bällen“ –, wie Kathi Herzog es bevorzugt ausdrückte, wenngleich sie damit etwas ganz anderes meinte, wie sich später herausstellte.

All das machte mich neugierig – und schon gerieten wir alle gemeinsam ins Plaudern, um in den kommenden Minuten nochmals in die ganz speziellen ersten Jahre bei Rapid abzutauchen, in denen er Nationalspieler wurde – und Kathi und Andi sich kennenlernen durften.

Überhaupt ist das ja so eine Sache mit dem Kennenlernen, wenn man mit den Privilegien eines Fußballprofis groß werden darf (keine Frage, es ist auch harte und disziplinierte Arbeit). Da hat man schnell einmal die eine oder andere Spielerfrau an seiner Seite, die man als Elektroinstallateur in der Regel nicht sein Eigen nennen darf (nichts gegen Elektroinstallateure!!). Die Bilder in den Boulevardzeitschriften zeugen jedenfalls davon – „Adabei“, wie es die „Krone“ so herrlich ausdrückt. Doch „Adabei“ wollte Kathi nie sein. Sie machte sich nicht mal etwas aus Fußball. Übrigens ein Wesenszug, den Herzerl später sehr zu schätzen wusste, nämlich immer dann, wenn er nach Niederlagen nach Hause kam und nicht darüber reden wollte.

„Also, wie kam es zu eurer ersten Zusammenkunft?“, wollte ich nun genau wissen. Zuvor hatte mir Andi beim Cruisen durch die Wiener Vorstädte immer mal wieder von fast schon schicksalhaften Parallelen berichtet, die ihm und seiner Kathi widerfahren waren – als sie sich noch nicht kannten.

Während er als Kind in der Südstadt von seiner Mutter in die Admira-Teammitte gehievt wurde – wir erinnern uns –, wohnte Kathi nur rund 200 Meter entfernt in einer Mietwohnung. Ob sie sich damals schon einmal zufällig auf einem Spielplatz begegnet waren – oder gar am Stadion? Erinnern kann sich Andi zudem noch an eine sehr traurige Geschichte, die Südstadt betreffend. So wurde ein Mädchen von nur vier oder fünf Jahren auf der Schnellstraße nahe des Stadions überfahren – sie mag in seinem Alter damals gewesen sein. Und diese wiederum besuchte den gleichen Kindergarten wie Kathi.

Doch zurück zu positiveren Fügungen: Als Andi die ersten Schritte für Rapid machte, als 14-Jähriger in der U16 und hineingestoßen von Ludwig Huyer, hatte Kathi ebenfalls mit ihren Eltern das Wohnterrain gewechselt – und wohnte unweit des Hanappi-Stadions.

Anscheinend sollte alles so kommen, wie es kam. Und so lernte sie ihren Andi Jahre später und ausgerechnet im „Hudriwudri“ kennen, einer Café-Bar, in der sich Ende der 80er die Cliquen eben so trafen.

„Hudriwudri“, fragte ich nach und schaute anscheinend recht verwundert drein. Kathi jedenfalls schnappte sich unmissverständlich ihr iPad und suchte gleich darauf los – wenngleich es ihr zunächst eher um die Bedeutung oder besser um ein Bild ging, als um den einstmaligen Intreff selbst. „Das ist so eine Art Figur“, meinte sie, während sie virtuell im Netz blätterte. Und richtig, kurze Zeit später zeigte sie mir Bilder und Skulpturen des niederösterreichischen Karikaturisten, Grafikers und Cartoonisten Manfred Deix, der wohl inspiriert durch das elterliche Gasthaus „Zur blauen Traube“ in St. Pölten Figuren „mitten aus dem Leben Österreichs“ zeichnete – wie auch in diesem Fall. Fleischhauer, Wirt oder Fliesenleger sollte Deix übrigens werden, wenn es nach dem Wunsch seiner Eltern gegangen wäre – doch er entschied sich lieber für multiple Künste und Kreativität – unter anderem für die typischen Deix-Figuren wie den „Hudriwudri“. Selbst auf einer Zigarettenschachtel sorgte dieser zu Beginn der 90er für Aufsehen. Motto: „Sei bloß kein Hudriwudri.“ Stattdessen kamen die „Tschick“ in edlem Weiß daher – und standen wohl für Coolness, Eleganz, Stil. „Voll in der Balance“, wie man heute wohl sagen würde.

Dass mit „Hudriwudri“ also ein eher unruhiger, nervöser Zeitgenosse gemeint war, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. „Nur nicht hudeln, kennst du eh“, sagte Kathi gleich den dazu passenden Spruch, um nun noch zu entdecken, dass ihr damals so beliebtes „Hudriwudri“ immer noch existierte, wenn es denn auch den Lockdown überstanden haben sollte, und zwar in der Lainzer Straße im 13. Bezirk gelegen.

„Das ‚Hudriwudri‘ lag einfach günstig“, erzählte Kathi weiter – und für Andi sowieso. „Lainzer Straße, mitten in Hietzing gelegen und auf meinem Weg zum Hanappi-Stadion und retour“, rief er aus dem Nebenzimmer, da er mittlerweile mit den Jungs Mathe büffeln musste. Anscheinend hatte er unsere Unterhaltung mit einem Ohr verfolgt.


Gattin Kathi: Immer schon in seiner Nähe – früher 200 Meter entfernt als „Nachbarin“

Ich jedenfalls konnte mir alles bestens vorstellen. Hier Kathi mit der Clique, dort Andi mit dem dunkelroten Golf-Cabrio – das blaue Puch Maxi und der dazu passende blaue Helm mittlerweile Vergangenheit. Ihre besten Freundinnen mussten sie darauf hinweisen, dass das doch einer von Rapid war, der kommende Star, doch da sich die damals 20-jährige Kathi nichts aus Fußball machte, machte sie sich erst einmal auch nichts aus Andi. Dass der Knoten dann doch platzte, lag an Herzerls Gespür für den richtigen Pass – wieder einmal. Diesmal chippte er diesen allerdings nicht mit links und über die Mauer hinweg in den Strafraum des Gegners, sondern aus seinem Handgelenk heraus in Kathis Herz hinein. „Keiner konnte mir beim Squash die Bälle auflegen, doch Andi hatte das richtige Gespür“, sagt sie heute noch. Das intuitive Gefühl war also wieder einmal entscheidend – und von nun an beschritt man gemeinsame Wege.

Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh

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