Читать книгу Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh - Karin Helle - Страница 15
KAPITEL 8: „KLEINES, WANN BEGINNEN SIE ENDLICH ZU LAUFEN?“ – IM FLOW VON HANAPPI RAPID WIEN 1988–1992
ОглавлениеIm Innenstadtbereich von Indianapolis in den USA gibt es eine bemerkenswerte Schule, die Key School. Täglich werden die Kinder hier mit Unterrichtsmaterialien konfrontiert, die so konzipiert sind, dass sie den ganzen Bereich menschlicher Fähigkeiten ansprechen – die künstlerischen, musikalischen und rechnerischen Talente ebenso wie die sprachlichen Fertigkeiten und auch Kreativität, Sport und Bewegung. Großer Wert wird auf die personale Intelligenz gelegt – das Verständnis der eigenen Person und das für andere. Grundlage der Richtlinien und Lehrpläne sind die Gedanken von Howard Gardner, US-amerikanischer Erziehungswissenschaftler und außerordentlicher Professor für Psychologie an der Harvard University. Gardner spricht von sieben multiplen Intelligenzen, die in den sogenannten Key Schools auf besondere Art und Weise gelehrt werden. Dreimal in der Woche suchen die Kinder der Key Schools den Flow Room auf, um sich mit einer Vielzahl von Spielen, Puzzles und anderen Materialien zu beschäftigen. Was die Kinder hier tun, tun sie aus freien Stücken – nicht, weil es ihnen aufgetragen wurde. Es gibt keine Noten, keine guten oder schlechten Beurteilungen. Die Lehrer halten lediglich fest, wie tief das einzelne Kind in seine Tätigkeiten versunken ist. Damit wird im Grund genommen die intrinsische Motivation des Kindes registriert, eine Information, die auf seine tatsächlichen Interessen schließen lässt, auf die Tätigkeit, der es später im Leben einmal nachgehen könnte.
Für Andi Herzog war der Fußballplatz der Flow Room – in der Südstadt als Kind wie später auch im Hanappi-Stadion als Teenager. Er hatte das große Glück, schon früh durch seine Eltern der eigenen Bestimmung folgen zu dürfen, hatte er doch in ihnen wichtige Begleiter an seiner Seite, die ihn von klein auf unterstützten – für ihn und seine Entwicklung sicherlich das optimale Umfeld.
So oder so muss es ein wunderbares Gefühl sein, ein besonderes Talent in sich zu entdecken und die Möglichkeit zu bekommen, dieses immer weiter zu verfeinern. Treffen sich dann noch Gleichgesinnte, die ähnliche Begabungen haben und sich im Team optimal ergänzen, geht einem sicherlich das Herz auf. Denn seien wir ehrlich: Viele Menschen suchen mitunter ihr Leben lang nach ihrem individuellen Fingerabdruck.
Aber belassen wir es beim virtuellen Blick über den Tellerrand, Kopfkino und Co. und schwenken wieder von Indianapolis im Speziellen und den Talenten im Allgemeinen in den 14. Gemeindebezirk von Wien – bleiben jedoch noch kurz bei bildhafter Schulsprache: Andreas Herzog hatte mit seinen Auftritten bei der Vienna sozusagen seine Matura gemacht. Er war in der Bundesliga angekommen, und erste Auftritte im Nationalteam folgten. Nun galt es, in den kommenden Jahren bei Rapid seinen Bachelor zu absolvieren, eine ganz eigene Identität zu entwickeln, die persönliche Handschrift zu verfeinern. Das ging nur über Rapid Wien, obwohl Herzog gerne im 19. Gemeindebezirk geblieben wäre.
Nach diesen sechs Monaten habe ich meine erste Verletzung gehabt, Bänderriss im Knöchel, und dann war halt a Riesenstreiterei, Rapid wollt mich unbedingt zurückholen, ich wollte nicht mehr, ich wollt beim Ernst Dokupil bleiben. Wir ham a superjunge Mannschaft gehabt, rechter Verteidiger Kurt Russ, Peter Stöger im Mittelfeld, Gerald Glatzmayer, wir ham drei oder vier U21-Nationalteamspieler gehabt, die innerhalb von diesen sechs Monaten alle ins Nationalteam gekommen sind. (Andreas Herzog)
Es war Andis Vater, der ihn letztlich davon überzeugte, wieder zu Rapid zu wechseln – oder sich besser gesagt einfach durchsetzte, sein ausgezeichnetes Netzwerk nutzte und verhandelte, ohne seinen Sohn darüber zu informieren. „Hinter meinem Rücken hat er mit Rapid alles klargemacht, dass sie mich ja nicht verkaufen“, blickt Andreas Herzog heute zurück. Sieben Millionen Schilling standen damals für seinen Verkauf im Raum, umgerechnet etwa 500.000 Euro – ein „Wahnsinnsgeld“, wie er heute noch meint, und für einen kleinen Verein wie die Vienna kaum finanzierbar. Dennoch wollte Herzog bleiben.
Ich wollte unbedingt bei der Vienna bleiben, weil ich das halt noch im Hinterkopf gehabt hab, dass ich bei Rapid null Stellenwert gehabt hab, und mein Vater hat das schon besser vorhergesehen, weil da war ich jetzt Nationalspieler, war das größte Talent in Österreich, und er hat gesagt: „Das kann sich Rapid jetzt nicht mehr erlauben, wenn du retour kommst, dass sie dich nicht forcieren.“ (Andreas Herzog)
Darum also dieser Alleingang. Toni Herzog war einfach immer von seinem Sohn überzeugt. Er wusste, dass er sich durchsetzen würde – früher oder später.
Andreas Herzog indes zweifelte, wäre am liebsten bei Dokupil und der aufstrebenden Vienna geblieben, um sich hier in Ruhe weiterentwickeln zu dürfen. Doch dank seines Vaters stieß er im Sommer 1988 ausgerechnet wieder auf den bis dato verständlicherweise wenig geliebten Otto Barić – diesmal allerdings nur für kurze Zeit. Denn schon im Herbst gingen Barić und Rapid getrennte Wege. Barić zog es zu Sturm Graz, dessen Landsmann Vlatko Marković, zuvor schon einmal Trainer der Grün-Weißen, übernahm erneut – Profifußball in den 80ern, das war schon damals ein schnelllebiges Geschäft.
Andi Herzog war über den Wechsel begeistert, bezeichnet er Marković, den späteren Präsidenten des kroatischen Fußballverbandes, doch heute noch als Glücksfall für seine weitere Entwicklung – wenngleich Herzerl von ihm wie auch schon unter Barić immer nur „Kleines“ genannt wurde. Seine Vorzüge jedoch: Marković erkannte Herzogs Wert und dachte offensiv.
„Kleines, will ich, dass Sie spielen wie Ruud Gullit. Aber will ich Sie nicht einmal in der eigenen Hälfte sehen.“
Also quasi nix verteidigen. Nach Gludovatz endlich mal ein Trainer, der wie die Faust aufs Auge zu mir passte. Er will mich nicht in der eigenen Hälfte sehen. Des wird leiwand und lustig. (Andreas Herzog)
Doch es sollte ganz anders kommen. Nach einem klaren 4:0-Sieg gegen den Wiener Sport-Club, bei dem Herzog laut eigener Aussage ein überragendes Spiel inklusive zweier geschossener Tore und einer Torvorlage vorzuweisen hatte, wurden alle Mitspieler in der Kabine überschwänglich gelobt – nur er nicht.
Beim folgenden Gang zum Trainingsplatz hielt Marković plötzlich noch einmal an, winkte mich samt der ganzen Mannschaft zu sich heran und sagte: „Ach, habe ich was vergessen, bevor wir gehen zu Training. Kleines, wann beginnen Sie endlich zu laufen?“
Ich hab mir gedacht: Kleines, das bin ja normal ich, aber der kann mi ned meinen, weil ich hab ja super gespielt. Nein, er hat mich gemeint. (Andreas Herzog)
„Ich war nicht gut seiner Meinung nach“, erzählt Herzog heute schmunzelnd, obwohl er doch mehrere Tore geschossen und mindestens ein weiteres Tor vorbereitet hatte. Ein Phänomen, das ihm noch bei manchen Trainern begegnen sollte – und zwar immer dann, wenn er ein besonders gutes Spiel gemacht hatte. Ähnlich wie später auch Otto Rehhagel hob Marković in solchen Fällen andere Spieler hervor, um Herzerl dann noch ganz bewusst zu kritisieren. Die Absicht dahinter:
Wenn ich gut war und die Schlagzeilen gehabt hab, hat er mich kritisiert und in den Arsch getreten, wenn es mir schlechter gegangen ist, so als junger Spieler, wenn ich ein kleines Tief gehabt hab, hat er dann wieder das Gefühl gehabt und mich wieder aufgebaut. Also, er war der erste Trainer, der von mir extrem viel verlangt hat, aber eigentlich nur dieStärken von mir, wenn ich schlecht war, hat er mich aufgebaut. (Andreas Herzog)
Da sind wir wieder beim dynamischen Selbstbild, das sich nur auf diese Weise entwickeln kann – eben nicht alles beklatschen, sondern durch wenig Lob und sachliches Feedback: Was war gut, was muss noch besser werden. „Damals habe ich das noch nicht kapiert“, meint Herzog rückblickend – um es als heutiger Trainer auf ähnliche Weise umzusetzen. Alles eben eine Sache der Erfahrung.
Lieber mit Stöger und Glatzmayer bei Vienna ballestern: „Ich wollte nicht zurück zu Rapid!“
Diese durfte unser Protagonist in den kommenden vier Jahren bei seiner geliebten Rapid zuhauf sammeln. Im ersten Jahr unter Marković, in den dann folgenden drei Jahren unter Hans Krankl.
Das war schon eine prägende Zeit, denn dann ist der Hans Krankl gekommen. Also, das war ja quasi auf meinem ersten Trainingslager noch mein Vorbild, ich hab mich ja nicht mal gescheit getraut „Hallo“ zu sagen, obwohl er zu mir ein enges Verhältnis gehabt hat, weil mein Vater früher gegen alle gespielt hat, war ich halt schon ein bisschen bekannt, nur ich hab das eigentlich nie ausgenutzt, war sehr ehrfürchtig vor solchen Topstars – wie später bei Bayern. Das war allerdings mein Hauptfehler, unter uns gesagt. (Andreas Herzog)
Bei Rapid hatten zu dieser Zeit viele Topspieler dem Verein den Rücken gekehrt, und Hans Krankl war mit seinen gerade mal 36 Jahren ein noch ganz „frischer“ Trainer, hatte er doch eben erst seine Profilaufbahn beendet und das Team übernommen.
„Für uns junge wilde Horde“, wie Herzog die damalige Mannschaft bezeichnet, genau der Richtige in einer „sehr emotionalen Zeit“. Leider ging in diesen Tagen zweimal das Cupfinale verloren, und auch sonst war die Konkurrenz in der Liga stark – Ernst Happel trainierte Wacker Innsbruck, und die Austria war sowieso immer auf Augenhöhe.
Die ersten Rapid-Jahre müssen für den jungen Andreas Herzog in seiner Spielerkarriere eine absolut prägende Zeit gewesen sein. Sogar zweimal Meister durfte er in der Saison 1986/87 sowie 1987/88 werden, wenngleich er nur selten zum Einsatz kam. Es war vielmehr eine Phase, in der er seine Spielweise durch das bloße Tun und wiederkehrendes Messen mit anderen Profis auf hohem Niveau besonders entwickeln und verfeinern konnte.
Er spielte auf der richtigen Position und hatte seinen festen Stammplatz im Mittelfeld gefunden, verfügte über den nötigen Freiraum und Weite und hatte wichtige Unterstützer im Rücken – im defensiven Mittelfeld genauso wie bei seinen Trainern –, selbst wenn Marković hin und wieder die Rückwärtsbewegung von ihm einforderte. Offensive war angesagt, Pässe, Tempodribblings, feinste Technik – und der vom Gegner gefürchtete Linksschuss aufs Tor.
Österreichs Fußballidol Hans Krankl bezeichnete Andi Herzog während dessen ersten Jahren bei Rapid einmal als den „weißen Gullit“ und meinte: „Seine Klasse ist außergewöhnlich. Er könnte ein Großer des europäischen Fußballs werden, wenn er von Verletzungen verschont bleibt.“