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EINREISE? NO PROBLEM!

DER INDISCHE PAPIERTIGER

Alma, auf den Knien, kauert neben dem Immigrationsschalter. Um sie herum, wie nach einer Explosion verstreut, der Inhalt ihrer Tasche.

»Dieser blöde Wisch!«, schnaubt sie. »Will ich hier etwa meine Einbürgerung beantragen? Oder was?«

Mist! Offensichtlich hat sie das obligatorische Einreiseformular – tausenderlei Fragen auf einem winzigen Zettel – im Flugzeug vergessen. Nach zehnstündigem Flug um drei Uhr früh auf dem Indira-Gandhi-Flughafen in Neu-Delhi, nach einer gefühlten Ewigkeit in der Ausländerschlange mit einem Vorgeschmack auf das Schneckentempo der indischen Bürokratie vernebelt Müdigkeit Almas Kopf.

Endlich hat sie ein Ersatzpapier für das vergessene Einreiseformular ausgefüllt und sich erneut am Ende der Schlange eingereiht. Wieder fixiert sie der Beamte missmutig. Mit herablassender Miene blättert er vor und zurück im Pass, hält das Visum dicht vor seine Augen, setzt den Stempel aufs Stempelkissen, legt ihn wieder ab und starrt ihr ins Gesicht. Alma blinzelt. Stimmt etwas mit ihrer Augenfarbe nicht? Jetzt blättert er wieder. Almas Fußspitze tappt auf den Boden, ihre Nackenmuskeln spannen sich an. Mit geradezu übermenschlicher Anstrengung hält sie zurück, was ihr ganz vorne auf der Zunge liegt und was sie Autofahrern, die in zugeparkten Straßen millimeterweise vorankriechen, gerne aufmunternd zuruft: »Come on, baby, du schaffst es!«

Neidisch blickt sie auf die Inder, die lässig und zügig den Schalter für residents passieren und, wie Alma findet, mit einem aufreizend triumphierenden Lächeln zu ihr herüberblicken. Doch, jetzt! Tatsächlich ergreift der Beamte den Stempel und nach einer weiteren zögerlichen Schweberunde landet dieser mit einem Knall wie ein Startschuss auf den Seiten des Visums.

Vor lauter Erleichterung strahlt Alma den alten Miesepeter an, der schon mit allerknappster Handbewegung den nächsten Reisenden heranwinkt.

»Bye, bye!«, flötet sie und eilt erlöst Richtung Gepäckausgabe.

Am Kofferband herrscht Hochbetrieb. Rumpelnd und polternd trifft Koffer auf Koffer über die Rutsche ein. Gepäckkarren, kreuz und quer vor dem Band geparkt und teilweise schon turmhoch bepackt, versperren Alma den Weg. Auf Zehenspitzen tänzelnd versucht sie, ihren Koffer auszumachen. Der vertraute dunkelgrüne ist nicht zu entdecken. Ihre Augen brennen vor Schlafmangel und den Nachwirkungen der Desinfektionswolke, die kurz vor Verlassen der Maschine wie eine Unkrautbekämpfungsmaßnahme von den indischen Stewardessen über alle Passagiere gesprüht wurde. Bei dem Gedanken daran wallt in Alma noch einmal Empörung auf: Kommt sie nicht aus einem geradezu keimfreien Land? Und besucht sie nicht einen zugegebenermaßen von vielen Plagen heimgesuchten Subkontinent? Wie kann es sein, dass sie desinfiziert werden muss? Irgendwie setzt das ganze Empfangsprogramm ihren freudigen Erwartungen einen Dämpfer auf.

Jetzt stoppt die Kofferrutsche. Und wo ist nun ihr Koffer? Sie drängelt sich nach vorne – nichts! Sie hat es ja geahnt! Hier steht sie nun in Delhi, und ihr Koffer wurde einfach nach Vancouver durchgecheckt. Oder Sydney. Alles verloren: ihr weißes Kostüm für den Vortrag bei der Konferenz, ihr neuer Bikini, ihre Sonnencreme Lichtschutzfaktor 50 – ach, ach, ach.

»No problem!«, tönt es da von der Seite.

Alma wendet sich nach links. Aber hallo, klar gibt’s hier ein Problem, möchte sie sofort gereizt dagegenhalten, doch augenblicklich steigt warme Freude in ihr auf, als ihr ein breites Lächeln entgegenblitzt, viele weiße Zähne und strahlende dunkle Augen.

»No problem. Coming, coming!«, beruhigt sie kopfwackelnd der Inder neben ihr, der mit weicher Geste in Richtung der stillstehenden Kofferrutsche wedelt.

Problem hin oder her, plötzlich fühlt Alma sich glücklich. Da hat Indien echt hart daran gearbeitet, dem sich womöglich überlegen fühlenden firangi (Weißer/Fremder) die kalte Schulter zu zeigen, mit giftigen Dämpfen, kleinkrämerischer Bürokratie und arroganten Staatsdienern – und was hat’s genützt? Gar nichts! Ein einziges herzliches Lächeln plus liebenswürdigem Wortgeklingel, und Alma fühlt sich willkommen und freundlich aufgenommen.

Und Wunder über Wunder, nach weiteren zehn Minuten setzt sich die Kofferrutsche abermals aufheulend in Bewegung und speit drei Nachzügler aus, darunter Almas grünen Koffer, den sie mit einer überschwänglichen Umarmung vom Band stemmt.

In der Ankunftshalle empfängt Alma dröhnender Lärm. Massen dunkler Menschen drängen gegen Barrieren, schwenken Schilder mit aufgemalten Namen, winken, rufen, schreien. In Almas Kopf dreht sich alles. Klar, Indien hat mehr als eine Milliarde Einwohner, meldet ihr Verstand, aber warum sind die verflixt noch mal alle hier? Ihr inneres System funkt Alarm: Nix wie weg!

Widerstandslos lässt sie sich vom strudelnden Strom der Reisenden fortspülen. Undeutlich taucht in ihr der Gedanke auf: Geld wechseln? Ach, später! Sie hat ja noch die 2.000 Rupien, etwa 24 Euro, die ein Kollege ihr zugesteckt hat, Überbleibsel von seiner letzten Indienreise. Erst mal raus hier!

Schiebende, schubsende Menschen bugsieren sie auf den Vorplatz. Die Nachtluft, die ihr entgegenschlägt, ein feuchtheißes Tuch, nimmt ihr den Atem. Ihre Wolljacke, Rettung während des tiefgekühlten Flugs, umschließt sie wie ein Panzer. Und plötzlich hat sie das Gefühl, in einen Mahlstrom gerissen zu werden. Überfallartig umringen sie gestikulierende Männer, sie drängeln, überschreien sich: »Taxiiiii! Taxiiiii, Madam!«. Einer zerrt an ihrem Koffer, ein anderer versucht sie in die Gegenrichtung zu schieben, ein Dritter reißt an ihrer Jacke: »Come! Come!«

Dunkle Hände fuchteln vor ihrem Gesicht herum. Alma möchte laut schreien, aber unter dem Angriff versagt ihr die Stimme. Wie ein Schwimmer ans rettende Ufer wirft sie sich auf den Rücksitz eines Ambassador-Taxis, dessen kleiner, flinker Fahrer die Autotür aufgerissen hat, und hievt ihren Koffer neben sich. Entkommen!

What’s the problem?

»Alma, India nice and slow – das war wohl nix«, seufzt Friedrich.

Alma hat sich ihren Start durch ihre Ungeduld und Anspannung ganz schön erschwert. Verständlich, wenn man die Umstände betrachtet. Und schon ganz zu Beginn wird klar, was Indien für uns alle bereithält: eine Lektion in gelassenem Annehmen aller möglichen und unmöglichen Situationen. Wir lernen, dass wir Kräfte sparen, wenn wir langsam und weich reagieren und den indischen Schwingungen Zeit geben zu wirken. Hat sich die angespannte Situation am Kofferband nicht schließlich in Wohlgefallen aufgelöst? Glauben Sie mir, immer wieder wird es Alma so ergehen: Chaotische, nervenzerfetzende, scheinbar ausweglose Situationen lösen sich schließlich wie Zauberknoten, und alles fällt an seinen Platz – na ja, meistens.

Und doch, Alma hat sich an der Stelle, wo sie wirklich empfindlich ist, da, wo bei ihr alle Widerstände gegen autoritäre Behandlung losgetreten werden, bewundernswert beherrscht. Sie hat das Fettnäpfchen »Genervter Ausländer sagt mal ganz klar, was er von dem Betrieb hier hält« tapfer, wenn auch knapp, umschifft. Gut so!

Das Fettnäpfchen aber, in das Alma mitten hineingesprungen ist, ja, das ist schon ein richtig großes, weil regelrecht illegal: ihre unbedachte Mitnahme von Rupien. Es ist definitiv verboten, Rupien einzuführen. Selbst eine so kleine Summe wie 2.000 Rupien kann Ihnen vielfältigen Ärger bescheren, sollte diese bei einer stichpunktartigen Zoll-Überprüfung entdeckt werden.

No problem – relax!

Der Flughafen von Neu-Delhi, Indira Gandhi International Airport, ist Indiens größter Flughafen. Hier kommen die meisten Indien-Reisenden an. Flüge von Europa nach Indien landen regulär zwischen null und vier Uhr morgens. Weitere wichtige internationale Flughäfen sind: Mumbai (Bombay) – Sahar International Airport, Chennai (Madras) – Chennai Madras Meenabakkam International Airport und Kolkata (Kalkutta) – Netaji Subhas Chandra Bose Airport.

Wechseln Sie gleich nach der Ankunft am Flughafen eine größere Summe Bargeld. Die Wechselschalter befinden sich innerhalb der Ankunftshalle, außerhalb dieses Bereichs gibt es keine Möglichkeit mehr, Geld zu tauschen. Lassen Sie sich eine Quittung ausstellen, um sich nicht dem Verdacht der unerlaubten Einfuhr von Rupien auszusetzen. Übrigens, anders als in vielen anderen Ländern erhält man in Indien am Flughafen oft den besten Kurs.

UMGANG MIT GELD

Die Währung in Indien ist die Indische Rupie (INR):

1 Euro = 85 INR

1.000 INR = 11,80 Euro

(Stand: September 2018)

Beim Geldwechseln sollten Sie auf möglichst kleine Werte bestehen. Kleingeld ist immer Mangelware in Indien, und die einzelnen täglichen Ausgaben belaufen sich meist insgesamt auf Beträge unter 200 Rupien. Alle Vorgänge wie Rikschafahrt bezahlen, Obst kaufen, Chai trinken, Trinkgeld geben verkomplizieren sich mit großen Scheinen. Ob Sie Bargeld, Reiseschecks, EC- oder Kreditkarte als Zahlungsmittel einsetzen, ist eine Entscheidung der persönlichen Vorliebe. Getauscht wird an Flughäfen, in Banken, Hotels oder Reisebüros. Der Kurs für Reiseschecks ist meistens etwas besser als der für Bargeld. Mit einer EC-Karte ist es möglich, an den in Städten inzwischen zahlreichen ATM-Geldautomaten Geld zu ziehen.

Einige Banken in Deutschland bieten in Kooperation mit bestimmten ausländischen Banken die Abhebung per EC-Karte im Ausland kostenfrei an. Am besten, Sie informieren sich hierzu vor Abflug bei Ihrem Bankinstitut.

Nehmen Sie keine beschädigten Geldscheine an! Sie werden sie nicht mehr los. Der Umtausch solcher Scheine, der bei einer Bank möglich ist, gestaltet sich meist so zeitaufwendig und umständlich, dass er sich in der Regel nicht lohnt.

Bevor Sie den Einreiseschalter verlassen, überprüfen Sie, ob Ihr Pass ordnungsgemäß abgestempelt wurde, um Komplikationen beim Rückflug zu vermeiden. Überprüfen Sie außerdem Ihr Gepäck vor Verlassen des Flughafens auf eventuelle Beschädigungen. Sollte das der Fall sein, reklamieren Sie diesen Umstand sofort bei der zuständigen Fluggesellschaft.

Für den Zoll können Sie die internationalen Flughäfen durch zwei Ausgänge verlassen: durch einen roten und einen grünen. Rot, wenn Sie zu verzollende Ware anzugeben haben, grün, wenn Sie nichts zu verzollen haben. Sollten Sie beim Verlassen über den grünen Weg dazu aufgefordert werden, etwas, das Sie zum persönlichen Gebrauch mitgebracht haben, zu verzollen, veranlassen Sie, dass ein Eintrag in Ihren Pass gemacht wird, der Sie dazu verpflichtet, den Gegenstand beim Rückflug wieder auszuführen, um keinen Einfuhrzoll bezahlen zu müssen.

Und was das Einreiseformular betrifft, das die Stewardessen kurz vor der Landung verteilen: Besser, Sie halten es sorgfältig ausgefüllt bereit. Vielleicht fehlt Ihnen sonst nach all dem Warteschlangen-stress einfach die Kraft, lächelnd in die neue Daseinsform einzutauchen, die Indien für uns Weißnasen darstellt – und das wäre doch schade.

Fettnäpfchenführer Indien

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