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MÄNNER? NO PROBLEM!

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RAHUL, ROHIT, RAJ & CO.

Von der Dachterrasse im sechsten Stock flitzt Alma im Slalomlauf die steilen Marmortreppen hinab und taucht, ohne zu stoppen, mitten in den wogenden Strom von Pahar Ganj ein. Sie taumelt ein wenig, aber keine Sorge, hier kann sie unmöglich umfallen – es ist einfach nicht genug Platz. Auf der unasphaltierten Straße, wie üblich ohne Gehweg, drängen sich in der vom Staub gelben Luft nebeneinander, hintereinander, durcheinander Menschen, Motorrikschas, Kühe, Motorräder, Fahrräder, Hunde, Motorroller, Fahrradrikschas, Karren und wieder Menschen. Alma schnappt nach Luft. Um sie herum mäandern Strom und Gegenstrom. Was für ein Getümmel! Handkarren mit Säcken und Stoffballen hoffnungslos überladen schwanken vor ihr her, Fahrradfahrer im Zweierpack auf einem Drahtesel trudeln von einer Seite zur anderen, Motorräder, besetzt mit Papa, den Kleinen vor sich auf dem Tank und Mama, elegant im Sari und Damensitz auf dem Sozius, das Baby im Arm, schlängeln sich durch die Menge. Menschen schlendern. Autos, im Schneckentempo, schieben Fußgänger sanft zur Seite. Alle setzen, völlig unbeeindruckt von dem Gewimmel, unbeirrbar ihren Weg fort, passen sich mit kleinen Wendungen des Körpers der Strömung an, finden zielstrebig eine Lücke fürs Fortkommen.

Wie machen die das? Haben die eingebaute Navigatoren?, staunt Alma, die bei jedem Schritt das Gefühl hat, dass dort, wo sie ihren Fuß hinsetzen will, schon einer ist. Ungeschickt rempelt sie hier eine Schulter an, prallt dort gegen einen langsam voranschnurrenden Ambassador, bleibt zwischen zwei Fahrradrikschas stecken, stößt gegen einen Karren mit Melonen. Immer wieder wird sie selbst zum Hindernis im Fluss und wird – no problem! – elegant umflossen. Sie bemerkt einen jungen Mann, tiefschwarze Tolle, korrekt gescheitelt, ein schmales Bärtchen auf der Oberlippe, der sich dicht an ihrer Seite hält und forsch »Where from? What country?« fragt.

»Germany«, lächelt Alma.

Links von ihr noch ein anderer: »Hello!«, und jetzt schiebt sich ein Dritter vor sie. Das Basecap sitzt locker auf seinen großen braunen Ohren, die von einem breiten Lächeln – »Hi!« – fast berührt werden. Richtig putzig findet Alma den und lächelt amüsiert zurück. Er tritt ihr in den Weg und drängt sich neben sie. Plötzlich fühlt Alma sich eingeengt, will schneller gehen, die Typen abschütteln. Die drei jedoch bleiben ihr auf der Pelle, dicht dran, unangenehm nah – viel zu nah!

»Go, please!«

Mit einer Handbewegung versucht sie die jungen Männer wegzukomplimentieren. Ein dreifaches Auflachen ist die Antwort. Und plötzlich steht Alma vor einer Hauswand, rechts von ihr ein Karren. Sie ist eingekeilt. Die Männer rücken noch näher, sodass sie fast Almas Schultern berühren, flüstern einander zu und kichern. Sie gestikulieren, ein Schwall aus unverständlichen Worten rauscht über Alma hinweg. Zorn brodelt in ihren Adern. Und – verdammt! – einer hat ihr an den Po gefasst! Da geht ihre Ladung hoch: Heftig stößt sie den Typen zurück und schreit mit überschnappender Stimme: »Pfoten weg! Hau ab! Zieh Leine!« Mit beiden Ellbogen stoßend quetscht sie sich an den Männern vorbei.

Ein paar Leute sind stehen geblieben, ein älterer Mann blafft die Jungs an und stellt sich ihnen in den Weg. Die Augen gesenkt, scheren sie zur Seite aus, schlängeln sich geduckt durch die Menge und verdrücken sich so schnell sie können. Als Alma sie so sieht, flüchtend wie geprügelte Hunde, tun sie ihr fast leid, doch sie spürt noch immer den Druck der Finger und beim bloßen Gedanken daran schüttelt sie sich und ballt die Fäuste.

Als sie sich umblickt, fällt ihr auf, dass die ganze Straße nur so von Männern wimmelt. Jungen Männern, alten Männern, Halbwüchsigen, Knaben. Hier und da sieht sie eine Frau, eindeutig zielgerichtet unterwegs. Dort drei Frauen in einer Fahrradrikscha, beladen mit Einkaufstüten, drüben eine alte Frau, die Müll in ein eisernes Wägelchen sammelt. Die Männer hingegen scheinen im Entspannungsmodus, zumindest die jungen. Adrett in Bügelfaltenhose oder Jeans gekleidet und in der Hemdtasche eine Garnitur Kugelschreiber. An Wände gelehnt, auf Plastikstühle gelümmelt, über ihre Motorräder gestreckt, auf Karren hockend räkeln sie sich lässig, locker, beinahe gockelig. Haben die nichts zu tun? In der Hand das unvermeidliche Handy oder ein chai-Glas, palavernd. Und immer wieder der angeberische Griff an die kostbare Männlichkeit. Meine Güte, was für ein Zirkus! Alma muss fast lachen über diese naiven Machoposen. Aber sie ist immer noch wütend. Wehe, einer wagt es, ihr noch mal zu nahe zu kommen! Jawohl, sie wird sich Respekt verschaffen! Vielleicht wäre es eine gute Idee, ihren schwarzen Judogürtel sichtbar zu tragen? Der Spaßvogel, der sie angefasst hat, kann jedenfalls von Glück sagen, dass sie ihn nicht in den Würgegriff genommen hat. Echt!

DEMOGRAFISCHES

Am 11. Mai 2000 überschritt Indiens Bevölkerungszahl offiziell die Milliardengrenze. Mit rund 1,15 Milliarden Einwohnern hat Indien nach der Volksrepublik China den zweiten Platz der bevölkerungsreichsten Staaten der Erde inne. Indiens Reichtum ist seine Jugend: Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre. Ein Drittel der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt, und die Gruppe der 15- bis 20-Jährigen umfasst fast 300 Millionen Menschen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in Indien bei 63 Jahren (Deutschland: 79 Jahre). Indien gehört zu den Ländern, in denen es mehr Männer als Frauen gibt.

Fettnäpfchenführer Indien

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