Читать книгу Fettnäpfchenführer Indien - Karin Kaiser - Страница 21

Оглавление

9

RIKSCHAFAHRER? NO PROBLEM!

HOLY COW, ÜBERNEHMEN SIE!

Mit Alma auf dem Rücksitz bricht die Rikscha schleudernd in einen Kreisverkehr ein, wo inmitten eines Rasenrondells auf einem hohen Sockel Gandhi, der dürre Wanderer, in Überlebensgröße und Goldbronze marschiert, die Augen unerschütterlich, trotz des Dezibelgewitters zu seinen Füßen, in die Ferne gerichtet. Mit einem Ruck, der Alma gegen den Rücken des Fahrers schleudert, landet die Rikscha ausgebremst hinter einem Tata Sumo, dem Geländewagen des größten indischen Autoherstellers Tata.

»Phhhh!« Da passt bloß noch ein hauchdünnes tulsi-Blättchen (indisches Basilikum) dazwischen.

Als ob die Welt angehalten wurde, steht urplötzlich alles still. Der Fahrer breitet die Arme aus und zuckt mit den Schultern. Nach ausgiebigem Protestgehupe nimmt er eine gemütliche Sitzposition ein, Beine über dem Lenker gekreuzt, lehnt sich zurück und gähnt. Alma ist verblüfft. Der gleiche Mann, der eben noch wie ein Berserker Furchen durch den Verkehr gepflügt hat, verwandelt sich plötzlich in einen Buddha der Ruhe. Verständnislos starrt Alma ihn an und verharrt selbst reglos.

Langsam verebbt das Hupkonzert. Aus den Gefährten um sie herum steigen mehr und mehr Männer aus, recken sich, dehnen die Arme über dem Kopf, rufen sich Fragen zu. Spontan entstehen Diskussionsrunden, über Autotüren gelehnt werden Plauschs per Handy geführt. Ein paar Männer schlängeln sich durch die Masse der Fahrzeuge weiter nach vorn, mit ausholenden Gesten rufen sie einem größeren Publikum Mitteilungen zu.

Was in aller Welt ist geschehen? Alma erklimmt das Trittbrett der Rikscha und reckt ihren Hals. Und dort, weiter vorne, entdeckt sie des Rätsels Lösung: eine Gruppe Kühe, fünf hellbraune Tiere mit bunt bemalten Hörnern. Die ganze Straßenbreite nehmen sie ein, haben sich vor Gandhi aufgereiht und blicken wiederkäuend zu ihm auf. Wollen sie sich ihm anschließen? Behäbig lässt sich eines der Tiere nieder. Männer scharen sich nach und nach um die Kühe, stemmen sich gegen die Kuhkörper, schieben, drücken, um sie in die Ausgangsrichtung zurückzubewegen, und reden ihnen dabei gut zu. In Anbetracht der erklärten Heiligkeit der Kühe klingt das dann wohl etwa wie: »Ihre Heiligkeit, würden Sie gnädigst geruhen, sich zu entfernen?«, stellt sich Alma vor und wünscht sich, jemand würde stattdessen in die Luft schießen, um Bewegung in den Laden zu bringen. Die Kühe verkörpern von Kopf bis Huf Unerschütterlichkeit, Monumente der Ewigkeit, wie Gandhi auf seinem Sockel, rühren sich nicht vom Fleck. Nun knickt auch noch eine andere schwerfällig ein und legt sich nieder.

»Das war’s dann wohl für heute«, seufzt Alma. Ist das nicht lächerlich? Fünf Kühe legen den Verkehr auf einer Magistrale der Hauptstadt lahm – andere Länder ... na ja. Eines ist klar, lange würde sie das nicht mitmachen, sie hat ja schließlich noch etwas vor. Das Rote Fort, eine Festungs- und Palastanlage aus der Zeit des Mogulreichs, kann nicht mehr weit sein, zur Not würde sie zu Fuß dorthin gehen.

Im nächsten Augenblick sieht Alma jedoch, wie ein Mann mit einem Bündel riesiger Rettiche im Arm vom Außenrand her die Szene betritt. Was hat das zu bedeuten? Action! Das will sie sehen! Einem Stierkämpfer gleich wedelt der Mann mit den Rettichen vor dem Maul der hintersten Kuh und setzt sich tänzelnd rückwärts in Bewegung. Das Tier reagiert prompt und dreht bei, unerwartet behände in Anbetracht der vorhergehenden katatonischen Darstellung, und strebt dem verlockenden Happen hinterher. Hinweg auch die träge Ruhehaltung der nächsten Kuh. Als auch die liegenden Tiere Witterung aufnehmen und sich aufrappeln, preschen alle Fünfe los und stoßen zwei Männer um, die unter Gejohle wieder aufgerichtet werden.

Und schon kehrt Leben zurück in die Masse der Fahrzeuge, die wie im Dornröschenschlaf der kommenden Dinge geharrt hat. Motoren heulen auf, Zweitakter knattern los, Hupen explodieren, Gandhi verschwindet in Abgaswolken. Im Vorbeifahren sieht Alma am Rand die Kühe träge auf den Rettichen kauen. Ein bisschen neidisch ist sie schon, mit welch unerbittlicher Sturheit diese sanften Tiere dem Rest der Verkehrsteilnehmer ihren Willen aufzuzwingen vermögen und dafür auch noch mit Leckereien belohnt werden. Hat sie da gerade etwa Gandhi ein Auge zukneifen gesehen?

HEILIGE KÜHE

Selbst heute noch ist der Schutz der Kuh in der hinduistischen Religion ein Dogma. Auch für jene, für die die Kuh nicht heilig, sondern nur ein bedeutendes Symbol ist, hat sie doch einen besonderen Stellenwert. Das Töten von Kühen wird in keinem Fall akzeptiert. Für die meisten Hindus, auch wenn sie keine Vegetarier sind, ist es ausgeschlossen, Rindfleisch zu essen. Die besondere Bedeutung der Kuh wird auch heutzutage noch darin begründet, dass sie ein Symbol der Mütterlichkeit, der Fürsorge und der Sanftheit ist und dem Menschen vier lebenswichtige Gaben spendet:

1 das ghee: Butterschmalz zur Zubereitung von Speisen und zur Verwendung bei sakralen Zeremonien, wie bei der Verbrennung der Toten und als Opfergabe für Götterstatuen und -Bilder,

2 der Mist: Brenn- und Baumaterial sowie Dung,

3 der Urin: Heilmittel,

4 die Milch: Eiweißlieferant.

Kühe gehören zum täglichen Straßenbild Indiens. Da sie praktisch immer Vorfahrt haben, stellen sie durch ihre pure Anwesenheit Verkehrsregeln auf. Wer eine Kuh im Straßenverkehr verletzt, kann bestraft werden. Die überall umherstreifenden Tiere sind übrigens nicht immer herrenlos; einige kehren abends unfehlbar zu ihrem Besitzer zurück. Da dieser für das Futter meist nicht aufkommt, fressen sie die Abfälle in den Straßen und auf den Basaren. Dabei verschlingen sie auch alle Arten von Kunststoffen, was zu ihrem qualvollen Tod führen kann.

Mit der Sicherheit eines Trapezakrobaten wirft sich der Fahrer wieder in den Verkehr, kreuzt, schneidet, überholt von rechts und links, drängelt in halsbrecherischem Tempo durch das Gewühl und dreht ungeduldig an Ampeln das Gas hoch, um dann mit einem Satz wieder loszubrausen. Was für ein Wahnsinn, denkt Alma.

In kürzester Zeit erreichen sie das Rote Fort. Einen Fünfzig-Rupien-Schein schon in der Hand fragt sie mit Blick aufs Taxameter: »How much?«, und runzelt die Stirn. Was ist denn das? Jetzt erkennt sie es: Die Zahlen auf dem Taxameter sind aufgemalt! Der Fahrer, der ihren Blick bemerkt hat, lässt die flache Hand auf den kleinen Kasten niedersausen, dass es rasselt.

»Not work!«, ruft er und schaut Alma vorwurfsvoll an.

Wie? Alma ist platt, ist das etwa ihre Schuld?

»One hundred rupies!«, proklamiert er nun den Fahrpreis mit der Miene eines vom Elend heimgesuchten Mannes.

Dreist! Das ist bestimmt das Doppelte des üblichen Preises! Mal wieder gibt es statt korrekter Abrechnung bloß Fantasie und Schneegestöber. Alma funkelt den kleinen Mann mit dem lässig gebundenen Halstuch wütend an und drückt ihm den Schein in die Hand: »Bas!« (Genug!) – das Wort hat sie von Friedrich –, macht auf dem Absatz kehrt und läuft mit großen Schritten auf das Rote Fort zu. Hinter sich hört sie einen Aufschrei, gefolgt von einer wilden Wortkaskade, unbeirrt läuft sie weiter. Er wird seine Rikscha nicht alleine lassen, um ihr nachzusetzen, vermutet sie. Flink und mit einem triumphierenden Lächeln taucht sie gleich darauf in einer Reisegruppe unter.

What’s the problem?

»Alma, Alma, nicht gerade die feine Art«, schüttelt Friedrich missbilligend den Kopf.

Aber, werden Sie vielleicht einwenden, hat Alma nicht einfach aus Selbstschutz gehandelt, um nicht schon wieder über den Tisch gezogen zu werden? Und doch, sie selbst trägt die Verantwortung dafür, dass sie ihre indischen Alltagsgeschäfte in angemessener Form abwickelt und für einen respektvollen Umgang mit Menschen sorgt. Und das bedeutet eben immer wieder, gut vorbereitet und stets wach zu sein. Dann sind solche groben Mittel überflüssig.

No problem – relax!

Mit ein paar klaren Verhaltensweisen an der Hand können Sie dem Abschluss einer Rikschafahrt ruhig entgegensehen.

1 Suchen Sie sich Ihren rickshaw-wallah (Rikschafahrer) immer selbst aus, fahren Sie nicht bei irgendeinem mit, der Sie anspricht. Schlepperalarm!

2 das leidige Taxameterproblem. Alle Rikschas müssen ein Taxameter, geeicht gemäß der entsprechenden städtischen Vorschriften, haben. Doch wen kümmert es? Da gibt es unterschiedliche Einschaltpflichten in verschiedenen Städten, die Umrechnung des angezeigten Betrags erfolgt nach einer unverständlichen Tariftabelle. Oft weigert sich der Fahrer, das Ding überhaupt einzuschalten, und wenn er es tut, ist es meist sowieso kaputt, und selbst wenn es funktioniert, könnte es manipuliert sein. Und obendrauf noch die Verständigungsschwierigkeiten? Vergessen Sie das Taxameter! Besser Sie gehen so vor: Erkundigen sie sich vor der Fahrt im Hotel oder bei Bekannten, was die geplante Strecke üblicherweise ungefähr kosten darf. Nennen sie dem Fahrer das Fahrtziel und fragen Sie im Voraus nach dem Fahrpreis. Ein kräftig überhöhter Preis wird die Antwort sein. Feilschen Sie dann so lange, bis der Preis ungefähr die Zone Ihrer Vorstellung erreicht hat. Bleiben Sie locker, nehmen Sie es als Spiel – Ihr Gegenüber liebt es, zu spielen. Für ihn erhöht Feilschen mit einem entschiedenen Gegner den Spaß und seinen Respekt Ihnen gegenüber. Wenden Sie sich ab, wenn Sie glauben, zu keiner vernünftigen Lösung zu kommen. Winken Sie eine andere Rikscha heran (»auto!« oder »rickshaw!« sind die üblichen Rufe), es schwirren immer genug davon herum. Auch hier gilt: Wir sind die reichen Westler, und es ist unangemessen, verbissen um ein paar Rupien zu kämpfen.

3 Inder hassen es, zuzugeben, dass sie etwas nicht wissen. Es kann also durchaus vorkommen, dass der Fahrer, der bei Ihrer Zielansage – yes, yes! – begeistert mit dem Kopf gewackelt hat, nun ewig in der Gegend herumkurvt, obwohl Sie Ihrer Einschätzung nach schon längst das Ziel erreicht haben sollten. Ganz einfach, er kennt den Weg nicht. Ehrenrühriges Fragen will er auf keinen Fall riskieren und hofft nun schicksalergeben, dass sich der richtige Weg irgendwie vor ihm auftun möge. Stoppen Sie ihn und insistieren Sie, dass er an einem Teestand oder bei einem Kollegen nach dem Weg fragt. Nun wird er sich schlecht fühlen, er hat eine Menge Sprit verbraucht und sich blamiert, also seien sie freundlich zu ihm. Da der Fahrpreis bereits feststeht, ist es bloß Zeit, die Sie verloren haben – und die ist in Indien längst nicht so kostbar wie bei uns.

4 der Akt des Bezahlens. Haben Sie nur einen größeren Geldschein bei sich, zahlen Sie erst, wenn der Fahrer wechseln kann. Einmal das große Geld in seine Hand gegeben, kann es schwierig werden, den Schein wiederzubekommen. Ist alles gut gelaufen, denken Sie beim Bezahlen daran, dass der Fahrer oft zwölf bis 16 Stunden am Tag in einem kriegsähnlichen Verkehr auf den indischen Straßen für sein Überleben schuftet. Die Rikscha, die er fährt, ist in der Regel gemietet, was bedeutet, dass er den größten Teil dessen, was er einnimmt, abgeben muss, und nicht selten dient sie ihm auch als einzige Unterkunft. Und allen widrigen Umständen zum Trotz hat er Sie mit vollem Einsatz heil ans Ziel gebracht.

Fettnäpfchenführer Indien

Подняться наверх