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INTRO ALMA UND FRIEDRICH

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»Ich hab sofort zugesagt!« Alma stürmt die Stufen hinauf, wirft sich Friedrich, der in der Tür steht, in die Arme. »Indien! Indien!«, jubelt sie. »Stell dir vor, ich werde den Auftrag erledigen, meinen ganzen Urlaub dranhängen und das Land von Norden bis Süden kennenlernen!«

Friedrich schiebt sie behutsam auf Armeslänge von sich: »Alma, das ist großartig!«, und indem er ein Auge zukneift: »Ich schätze, da wird sich Indien warm anziehen müssen!«

»Mensch, Friedrich, was bist du onkelhaft!« Alma fasst ihn um die Taille. »Ich werde arbeiten, ernsthaft arbeiten und mit Verträgen für die genialste Softwareentwicklung ever zurückkommen.«

Friedrich wackelt indisch mit dem Kopf. »Boss will be happy! Und, Alma, solltest du das vergessen haben – ich bin dein Onkel.« Er legt ihr den Arm um die Schultern: »Weißt du, ich sehe dich immer noch kaum ein Jahr alt, unfähig einen Schritt vor den anderen zu setzen, wie du losgestürmt bist – und nach anderthalb Metern, zack, auf der Nase gelegen hast.«

Alma macht sich los und lacht: »Ganz schön draufgängerisch, oder? – Mmmh.«

Sie beugt sich über den Küchentisch, wo rote Chilischoten, Zucchini, gelbe Paprika und Möhren appetitliche Leuchtsignale senden. Mit einer Mohrrübe stupst sie Friedrich vor die Brust: »Sieh mich an. Ich bin jetzt Mitte dreißig«, sie pflanzt sich die Möhre ins Gesicht, »und die Nase ist immer noch dran.«

Friedrich grinst und zieht einen Korbstuhl zum Tisch.

»Außerdem«, fährt Alma fort, »bin ich viel rumgekommen seither, oder?«

»Unbedingt, Meisterin des Universums.« Friedrich deutet eine Verbeugung an und drückt Alma sanft auf den Stuhl. »Und ich sage dir, Indien ist größer. Die Superklasse der Meisterinnen.« Er reicht ihr ein Küchenmesser und ein Büschel Grünes: »Koriander. Schnippeln!«

Mit zärtlichem Blick schaut er auf Almas Kopf, der über das Schneidebrett gebeugt ist. Er greift nach einer Paprikaschote und holt tief Luft: »Alma, Indien ist ein ganz anderes Kaliber als alles, was du bislang erlebt hast.«

Almas Kopf schnellt hoch: »Richtig.« Mit dem Messergriff klopft sie auf den Tisch. »Exakt mein Kaliber!«

Energisch zupft sie Blättchen von einem Korianderstängel, und mit einem Mal ist die Luft von einem bittersüßen Duft erfüllt.

Sie hält abrupt inne und tätschelt Friedrichs Arm: »Damals in den Sechzigern auf eurem Trip durch Indien wart ihr doch Babys, aufgezogen hinter den sieben Bergen, ohne Internet, ohne Welt. Ich bin anders, wir sind heute anders. Ich geh da hinaus, es ist das einundzwanzigste Jahrhundert, und ich bin vorbereitet.«

Alma packt das Messer und mit gezielten Schnitten zerteilt sie die zarten Blättchen. Friedrich wiegt die Paprika in seiner Hand. Er muss lächeln, als er Alma betrachtet, wie sie so verbissen auf den unschuldigen Koriander einhackt, eine Falte aus Trotz, Widerstand und Rechthaberei über der Nasenwurzel. Er nickt. Diese wilde Kratzbürste, die vor Lebendigkeit nur so funkelt, würde er niemals zähmen, so viel steht fest. Und wenn er ehrlich ist, er will es auch gar nicht.

»Indien bleibt immer Indien«, setzt er dennoch nach. »All die rasante Entwicklung, die ich die letzten Jahre gesehen habe, wenn ich bei Suriya in Südindien zu Besuch war, kann das nicht überspielen. Und«, er streckt die Hand aus, »Friede. Ich verspreche: ab hier, vortragsfreie Zone.«

Alma streicht das geschnittene Koriandergrün mit der Handkante in das bereitgestellte Schüsselchen, dann hebt sie den Kopf und mit einem Lächeln schlägt sie ein. Sie hält Friedrichs Hand fest und zieht ihn auf den Stuhl neben sich: »Eines möchte ich aber doch noch wissen: Wie war das damals für dich, diese Geschichte mit dem heiligen Mann? Diesem orangerot gewandeten, unterwegs ins Nirwana.«

»Ach«, Friedrich zieht die Augenbrauen hoch, »daran erinnerst du dich noch?«

Alma nickt.

Er greift sich in den Nacken, überlegt und stützt dann die Ellbogen auf die Knie: »Mein Gott, war ich erschöpft damals. All das Elend, die Armut, das Chaos – und diese Schönheit. Das Nichtverstehen hat mich ausgebrannt. Und dann war da dieser zerlumpte Mann, mit Schmutzkrusten auf der Haut. Er sei ein Anhänger Shivas, hieß es. Hat mich angesehen, Augen wie Kristalle. Mit seinem harten Englisch, seinem harten Daumen und mit Asche hat er mir die Worte in die Stirn gerieben: You take India nice and slow! Immer und immer wieder. Und die Asche ist in meine Augen gerieselt, und Tränen sind geflossen.« Er richtet sich auf und sieht Alma mit einem langen Blick direkt in die Augen: »Ich habe mich immer daran erinnert. Alles war anders danach.«

Alma neigt sich zu Friedrich, nähert ihre Stirn der seinen und flüstert: »Das nehm ich mit. Danke.« Und während sie aufspringt und nach den Zucchini greift: »Rufst du mich an, damit ich’s nicht vergesse?« Mit Daumen und kleinem Finger simuliert sie ein Handy an ihrem Ohr: »Stell dir vor, die haben jetzt Buschtelefon da unten.« Sie dreht den Wasserhahn voll auf. »Und übrigens, auf der Hochzeit der Tochter deines Freundes Suriya vertrete ich dich gerne, aber die Idee mit dem Cousin der Braut, diesem Karthik, als Reisebegleitung – das kannst du komplett streichen.«

»Alma ...«

»Nein!« Sie stößt prustend Luft aus. »Entschuldige mal, ich brauche wirklich kein Kindermädchen!« Blitzschnell dreht sie sich um: »Kapiert?!«, und schleudert eine Zucchini quer durch die Küche. Friedrich erwischt sie mit einem Hechtsprung, kurz bevor sie am Kühlschrank zerschellt wäre.

»Genau!«, ächzt er. »Forever nice and slow!«

Fettnäpfchenführer Indien

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