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Der Karren soll laufen

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Bertina sträubte sich nicht länger. Als alle Welt gegen Herrn Erling stand, stand sie zu ihm. Sie zog in ihr prächtiges Zimmer auf Kongshaugen ein.

Sie wartete zwar noch eine ganze Woche lang und kam erst vom Mykjatal herab, als Leif mit seinem Geld das Postschiff bestiegen und südwärts gedampft war. Aber dann kam sie — hoch, dunkel und ein wenig seltsam.

Nun war doch alles gut.

Wenigstens hätte alles gut sein können. Wenn der alte Autun nicht abermals an den Fäden in seiner Hand gezogen hätte ... Es ging stets ein wenig anders, als Autun es sich ausdachte. Er steuerte und steuerte; aber das Schiff segelte immer wieder seinen eigenen Kurs.

Der alte Kontorist war durchaus nicht der Ansicht, dass Herr Erling seine Aufgabe so vorzüglich löste. Vieles mochte daher rühren, dass Autun den ewigen Zauber frischer Frauenlippen nicht ahnte und dass er nie erschüttert worden war von einem verheissungsvollen leisen Lachen aus der süssen Tiefe einer Frauenbrust. Wie hätte er sich sonst beim Preis für Sudalen lange aufhalten können. „Sie haben den Gaard drei- und vierfach überzahlt“, tadelte er.

„In diesem Falle, lieber Autun“, wandte Herr Erling mit leisem Vorwurf ein.

Just in diesen Tagen, da auf Kongshaugen alles auf Biegen und Brechen stand, habe eine solche Summe sehr viel zu bedeuten, meinte Autun in seiner Einfalt. Dass Herr Erling dazu noch in einer Weise handelte, die der Abmachung zuwiderlief und vielleicht nicht ganz gesetzlich war, das wagte der gute Autun nicht einmal anzudeuten.

In Herrn Erling war eine heftige Krankheit ausgebrochen, und er war durch Fieberhitze getrieben worden. Er rief den Bankdirektor Simonsen aufs Privatkontor und nahm eine Anleihe auf — eine schicklich grosse Anleihe; erstens zur Deckung des Hofkaufes und zweitens für weitere Bedürfnisse. Zu Beginn der Unterredung hob Simonsen wie zur Abwehr seine Hand und zögerte; das überschreite seine Befugnisse, meinte er und wollte zuerst dem Bankrat einen Antrag stellen. Aber zur Hölle mit allen Bankräten — Herr Erling konnte unmöglich warten. Daher bot er Pfänder und Unterpfänder, doppelte Sicherheit. Blieb denn Kongshaugen nicht immer Kongshaugen und die hohe Burg über dem Städtchen? Gut. Auch dieses erfüllte sich.

Abermals hatte Herr Erling viele Scheine und Silberkronen in der Hand. Nun durfte er schalten und walten. Es war vielleicht Sündengeld; ausserdem verstiess es gegen eine gewisse Abmachung. Doch Herr Erling rechnete damit, dass Autun ihn nicht würde fallen lassen — er war doch so verliebt und leichtsinnig, Herr Erling. Er war ein feuriges Pferd, dem man sowohl Trense als Kandare anlegen wollte. Das Pferd bäumte sich und schlug aus.

Aus seiner Haut zu fahren vermag niemand; nicht einmal der alte Autun, der möglicherweise einzig dazu in diese Welt gesetzt worden, seinem jungen Herrn beizustehn. Durfte Autun jemals seine Ansprüche geltend machen? Ausgeschlossen.

„Es eilte, lieber Autun“, sagte Herr Erling. „Und, Autun, der Gaard Sudalen grenzt doch an die Stadt? Wir wollen ihn aufteilen und Bauplätze verkaufen ...“

Leider hatte diese Stadt es seit undenklichen Zeiten in sich, nur langsam und bedächtig zu wachsen. Ein Menschenalter ging dahin, bis eine neue Strasse entstand, und vielleicht entstanden nur ein paar elende Holzhäuser. Nein, Autun erwartete nichts von der Spekulation mit Bauplätzen.

„Wir werden wieder ankurbeln!“ rief Herr Erling feurig. „Der Karren soll laufen ...“ Und da Autun noch immer nicht warm werden wollte, rief er: „Warte nur, lieber Autun, bald sollst du blaue Wunder erleben!“

Die Liebe machte Herrn Erling zuversichtlich und draufgängerisch. Vor keinem Hindernis und vor keinem Wagnis schreckte er zurück. Und er ist doch der Sohn des seligen Herrn Nikolaj, so und nicht anders kennt ihn der alte Autun, der gute Geist ...

Hierauf erschien also Bertina. Der Pächter Asbjörn selber brachte sie mit dem Wagen aus dem Mykjatal herunter, dazu ihre grosse, buntgemalte Kiste.

Dieser Pächter schaute nicht mehr umständlich vor sich nieder und suchte die Stelle am Boden aus, auf die er seinen grossen Fuss setzen durfte. Ganz im Gegenteil; Asbjörn schritt selbstbewusst über den Hof von Kongshaugen und schnaufte lauter als nötig, als er Bertinas Kiste vom Wagen hob. „Steh nicht nur so herum, du Mädchen“, sagte er barsch zu Marlene. „Fass an!“

Damit kam er allerdings bei Marlene nicht ganz an die Richtige. „Was brüllst du so?“ erkundigte sie sich, indem sie ihren Blick ungefähr auf des Pächters Knie richtete. „Du hast hier nichts zu kommandieren, alter Knebel“, sagte sie hochfahrend. „Und wenn deine Kiste nicht Beine hat, musst du sie schon selber tragen.“

„Das sollst du bereuen“, verhiess der Pächter, hob Bertinas Effekten ohne fremden Beistand auf die Schulter und trug sie ins Haus. Er trug sie nicht ohne Würde und wandte sich dem Haupteingang mit den zwei geschnitzten Eichentüren und den schweren Messingbeschlägen zu. Aber Marlene huschte flink wie ein Wiesel an ihm vorbei und verschloss die Tür vor seiner Nase. „Was ficht dich nur an, du Mann mit deiner Kiste?“ rief sie. „Siehst du denn nicht, dass dieses der Herrschaftseingang ist?“

Da half dem Pächter aller Hochmut nichts; er musste den Küchenweg nehmen. Nun wohl, Asbjörn war der Mann, der auch diesen Weg mit Würde zu gehen vermochte.

Der Empfang auf Kongshaugen war nicht so unmässig glänzend; Herr Erling stand nicht selber am Fenster und winkte mit der Hand. Wie hätte jemand solches erwarten dürfen? Dem Pächter Asbjörn schien es auch ohnedies ein rechter Glückstreffer, denn er war ein vernünftiger Mann und zufrieden mit dem, was ihm das Schicksal freiwillig bescherte. Die Magd Marlene, die ihm voranschritt und ihn herausfordernd betrachtete, würdigte er keines Wortes mehr. „Hier ist ihr Zimmer“, sagte Marlene und stiess eine Tür auf. Der Pächter stellte die Kiste nieder, ging wieder durch die Küche hinaus und bestieg seinen Wagen.

Aber er schnalzte zuversichtlich mit der Zunge. Asbjörn hatte jetzt selber zwei Mägde auf Mykja und konnte nach Herzenslust kommandieren und dominieren ... Heissa, hussa — trabe ein wenig, gutes Pferdchen! Du kannst dich darauf verfluchen, vom Gaard Mykja wird hinfort kein Pachtschilling mehr eingetrieben ...

Möglicherweise war selbst dieses noch nicht ganz moralisch, doch die Dinge entwickelten sich dabei hervorragend.

„Du sollst gleich zu ihm hinübergehen“, sagte in der Küche Marlene zu Bertina.

Gut. Was geschehen muss, das geschieht stets und überall und lässt sich durch Menschenlist und Menschenwillen nimmer aufhalten. Die Tür des Privatkontors öffnete sich, und herein schritt Bertina; ihr Gesicht war noch undurchdringlicher als das erstemal ... In sieben schillernde Schleier gehüllt, schwebte Bertina heran. Sie richtete ihre dunkelglühenden Augen auf Herrn Erling und wartete neben der Tür. Und als Herr Erling sich nicht bezähmen konnte, sondern hinter seinem grossen Tisch hervorsprang, spielte ein verstohlenes, sanftes Lächeln um ihren Mund.

Wie ein kleines Mädchen führte er sie an der Hand zu einem der mächtigen Ledersessel hin. Darin versank die Tochter von Mykja, versank in einer weichen Wolke. Wie ein Märchen wurde alles auf einmal: Reichtum, traumhafte Pracht und ein Ahnen von überirdischen Freuden. Barhäuptig kam Bertina nach Kongshaugen.

Ihr Kleid war einfach, doch vom Schnitt der Tagesmode; also sehr kurz und liess ein gutes Stück von den schlanken Beinen sehn. Sie war doch wohl nicht so völlig unwissend, die schöne Tochter Asbjörns — weshalb hätte sie sonst diese feinen Seidenstrümpfe über ihre Beine gezogen? Hauchdünne, schwarze Seidenstrümpfe, durch die ihre Haut hell und zart schimmern durfte. Ach, das mag auch nur der Zug der Zeit gewesen sein — alle Weiblichkeit wollte die Beine zeigen. Hätte Bertina allein einen langen Rock und Wollsocken anziehn und sich schämen sollen?

„Ich bin sicher“, sagte am Abend Marlene zu ihren Freundinnen im Städtchen, „sie schnitt noch Handbreit von ihrem Rock ab, ehe sie die Höhle von Mykja verliess. Ja, ich muss sagen — fast wagte ich nicht hinzuschauen ...“

Doch da sass also Bertina in diesem Ungeheuer von Klubsessel, legte ihre Arme auf die breiten Polster und lehnte sich zurück. Herr Erling wagte hinzuschauen. Lieber Gott, dachte er überquellenden Herzens.

Da er hiermit abermals ein Kavalier und ein grosser Herr war, griff er in die Tasche und holte ein Päcklein hervor. „Sei so gut, Bertina — öffne es.“

Ein Ringlein. Ein goldenes Ringlein mit drei hellen Steinen, mit drei Sonnensplittern, die blaue Blitze warfen. Sie spiegelten sich in Bertinas Augen; eine feine Röte zog ihr langsam vom Halse empor.

„Trag ihn in Gesundheit“, sagte Herr Erling.

Hierauf kam eine Überraschung.

Das Brillantengefunkel in Bertinas Augen wurde noch lebhafter, ja ihre Augen schimmerten verräterisch, und ihr rundes Kinn zuckte ein wenig. Aber sie lächelte und sagte: „Tausend Dank ... Nein, den Ring darf ich nicht annehmen.“

Was in aller Welt?

„Es ist das wenigste, was ich dir zum Willkommensgruss schenken könnte“, sagte Herr Erling.

Aber nein.

„Nein“, erklärte Bertina, „dieses darf nicht sein.“

„In des Himmels Namen!“ rief Herr Erling bestürzt.

Das war ihm neu. Doch er musste sich darein finden, denn er begriff bald, dass es nein blieb, wenn Bertina nein sagte.

„Sie sollen sich meinetwegen keine unnötigen Ausgaben machen“, sagte Bertina noch. „Sonst darf ich nicht auf Kongshaugen bleiben ... Sie hätten das nicht tun sollen ... und nun lege ich ihn wieder hier auf den Tisch.“

Auf der Messingplatte des Rauchtisches lag ein Ring und funkelte. „Hat man je so etwas erlebt“, staunte Herr Erling. „Willst du ihn nicht wenigstens einmal anprobieren?“

Zum erstenmal senkte Bertina ihren Blick und sagte leise: „Wenn ich doch noch zu Ihnen kam, so kam ich nicht um Gold und Gut.“

Grosser Gott, dachte Herr Erling abermals bei sich selber.

Sicherlich übertrieb Bertina ein wenig. Aber es war doch grossartig, wie sie hierauf gehorsam den Goldring an ihren Finger steckte, in rührender Befangenheit Herrn Erling ihre Hand überliess, so dass er den Ring daran betrachten konnte, und wie sie den Ring dann wieder auf den Tisch legte. Doch es war auch unheimlich zu gleicher Zeit.

Herr Erling griff nach ihrer Hand, zog sie an sich und fragte mit einem Beben in der Stimme: „Warum, Berlina, bist du denn zu mir gekommen?“

„Ich hörte, dass es Ihnen nicht gut ging“, gestand Bertina offen.

Bertinas Einzug auf Kongshaugen gestaltete sich doch ganz anders, als Marlene und alle Welt erwarteten. Wohl am schlimmsten traf es Herrn Erling selber. Der Pächterstochter gegenüber fühlte er sich vollständig hilflos ... Dieses Mädchen verlässt sein Vaterhaus, nimmt das Geschwätz der Stadt auf sich und kommt nach Kongshaugen, nicht um zu nehmen, sondern um zu geben. Das begriff Herr Erling nicht, nein, das begriff er durchaus nicht. „Wie?“ fragte Herr Erling sich selber, „wie soll denn dieses Mädchen behandelt werden?“

Alle seine Erfahrungen und Kenntnisse der in- und ausländischen Frauenwelt halfen ihm wenig. Sie alle, die früher in seinem Leben auftauchten, sie kamen und nahmen irgendwie und gingen wieder. Und er vergass sie bald. Dieses hier war etwas Neues und Unbegreifliches schon vom ersten Augenblicke an. Mit einem Gemisch von Neugierde und Ängstlichkeit ruhte Herrn Erlings Auge auf seiner neuen Magd.

Wohl kam dann schliesslich doch noch das, was kommen musste. Aber es kam nicht am ersten Tage und auch nicht am zweiten, und es kam überhaupt so unbegreiflich und fast feierlich. Wenn Herr Erling seine Magd auch schliesslich eroberte, so war er deswegen noch lange nicht der Sieger. Der Sieger? Gott helfe Herrn Erling, er musste wahrlich noch viel lernen zu dem, was er schon konnte.

Welch seltsamer Kampf ... Die Magd unterwarf sich dem Herrn in Demut; aber ihre grosse Demut machte ihn schwach. Der weiche Widerstand der Magd machte ihn wild und verrückt. Er wusste es selber nicht; aber er kämpfte nicht um ihren Leib, er kämpfte um ihre Seele. Und weil er in dieser Beziehung so unwissend war, wandte er die verkehrten Mittel an: er wollte Bertinas Seele kaufen.

Mit jedem Tage bot er mehr; er bot schliesslich mehr, als er selber besass. „Nein, nein“, sagte Bertina sachte.

Er verzweifelte und wollte um jeden Preis ein Ende machen; darum bot er Bertina seine Hand.

Nein.

„Du sollst Herrin auf Kongshaugen werden“, rief er.

Nein.

„Was verlangst du denn, Bertina — sag nur ein Wort ...“

Nichts.

„Hör mich an, Bertina! Keine Macht der Welt kann mich daran hindern, dich zu heiraten ...“

„Aber ich kann nicht.“

„Wenn es doch mein heiliger Wunsch und Wille ist?“

„Zu diesem bin ich nicht geboren“, sagt darauf Bertina. „Ich bin als Magd geboren.“

Da hatte Herr Erling also gar nichts mehr zu bieten, und er liess seine Arme sinken. Sein Blick wurde verzagt und traurig. Geschlagen kauerte er in seinem Ledersessel. Nun kam eine andere Überraschung.

Bertina beugte sich zu ihm nieder, legte den Arm um seinen Nacken, flüsterte ihm irgend etwas ins Ohr und küsste ihn, küsste ihn mitten auf den Mund. Wahrscheinlich schenkte sie ihm da manches, gab alles für nichts.

Sie sagte wohl ungefähr dieses: „Sieh, mir wurde in dieser Welt nichts gegeben als ein bisschen Liebe; die will ich dir heute schenken ...“

Vielleicht sagte Bertina an jenem Abend auch etwas anderes. Man hat das später nie erfahren. Man erfuhr nur, dass Herr Erling aufsprang und seine beiden Arme um Bertinas Leib schlang und dass er über alle Massen heiss und stürmisch wurde. Woher Marlene es wusste, ist nicht gut zu erraten. Marlene hatte ja scharfe Augen und scharfe Ohren, und es ist durchaus nicht bewiesen, dass sie an jenem Abend am Schlüsselloch gestanden. Nein.

Sicherlich hasste Marlene die Pächterstochter; darum darf man ihre Schilderung nicht ganz wörtlich nehmen. Aber Marlene erzählte später: „Man kann sich davon gar keine Vorstellung machen, was dieses mystische Frauenzimmer bei dem guten und unerfahrenen Herrn für ein Unheil anrichtete. Früher ging er herum und war fröhlich; aber jetzt ist er sich selber nicht mehr ähnlich. Weder bei Tag noch bei Nacht findet er seine Ruhe. Und oft schreit er im Traume ...“

„Nein — wieso weisst du das, Marlene?“ fragten die Freundinnen und lachten. „Hihihi ...“

„Was gibt es dabei zu lachen?“ fragte Marlene mit funkelnden Augen. „Muss ich denn nicht jeden Morgen und jeden Abend heisses Wasser auf sein Zimmer tragen? — Nein, es war mehr als grausam, wie sie ihn zappeln liess. Er sass am Tisch, schaute sie an und seufzte; mehr als zwei Wochen lang. Ich an seiner Statt wäre ihrer längst überdrüssig geworden und hätte sie wieder zum Haus hinausgeworfen: Krieche, Schlange, zurück in deine Höhle ... Aber dann musste es also derart kommen, dass sie seinen Ring auf den Tisch legte und nicht einmal seine Frau werden will ... Wo zielt sie nur hin mit ihrem unnatürlichen Getue?“ fragte Marlene. „Ja, das möchte ich wissen!“ rief sie empört.

Im Städtchen entstand ein lebhaftes Gerede und Gerate; in aller Mund war Bertina, die Pächterstochter. Man glaubte vielleicht nicht alles haargenau, was Marlene erzählte; aber man verstand doch, dass auf Kongshaugen seltsame Dinge vor sich gingen.

Jeden Abend versammelte sich eine Schar junger Mädchen um Marlene und erhitzten sich sehr an ihren Berichten. Marlene schaut sich im Kreise um, schüttelt ihren Kopf und fragt: „Könnt ihr nur ahnen, was sie an sich hat und womit sie ihn so toll macht?“

„Nein, nein“, antworten die jungen Mädchen und können der verzweifelten Marlene nicht helfen. „Sträubt sie sich denn noch immer?“

„Ach die! — Alles nur Komödie und Verstellung ... aber ich frage: Hat sie denn etwas anderes an sich als wir alle ...?“

„Oh, du Marlene, du Marlene!“ rufen die Mädchen und lachen.

„Ich bin so sicher, dass sie ihm einen Zaubertrank eingegeben hat“, erklärt Marlene.

Dieses könne wohl möglich sein, meinten die Mädchen.

Aber Marlene richtet sich steil auf und rollt ihre grossen Augen. „Möglich sein? Habe ich denn nicht mit diesen meinen eigenen Augen gesehen, dass sie allerlei dürre Kräuter einstreut zwischen ihre elende Garderobe ...“

„Ja, da hast du es!“ rufen die Mädchen und stöhnen vor Ergriffenheit.

„Wartet nur — ich komme schon noch dahinter“, gelobte Marlene.

Leider kam sie nie dahinter. Selbst der scharfäugigen und hellhörigen Marlene gelang es nicht, herauszufinden, warum Herr Erling nicht mehr von der Pächterstochter lassen wollte.

Tatsache war, dass er einige Wochen umherging mit blassem Gesicht und sorgenvollen Augen. In jeder Menschenseele bleiben schliesslich ein paar dunkle Winkel.

Auch das muss ein dunkler Winkel sein, wie Marlene sich grämte und plagte und trotzdem auf Kongshaugen blieb. Wenn sie den Mädchen erzählte, sie habe in den paar Wochen schon so viel gelitten wie der Sünder am Kreuz, dann sagte sie wenigstens damit die zuverlässigste Wahrheit.

Sollte Bertina je Freude oder gar Stolz über ihren glänzenden Erfolg empfunden haben, so zeigte sie es jedenfalls nicht; sie trug den Kopf nicht höher als zuvor. Sie wollte nicht mehr sein als die Magd Marlene, nun, da sie auf Kongshaugen gesetzliche Herrin und alles miteinander hätte sein können.

Sollte wohl auch dieses nichts als Berechnung sein? Ein Schloss ward ihr angeboten; das war wahrlich viel. Sie schlug es aus — das war noch mehr. Bertina blieb für jedermann ein lebendes Rätsel.

Sie sagte zu Herrn Erling: „Ich bin hierhergekommen, um zu arbeiten. Aber ich weiss nicht ... In der Küche steht Josefa und will nicht dulden, dass ich ihr helfe. Marlene braucht mich erst recht nicht. Wollen Sie mir sagen, was ich tun soll.“

Und er, verrückter als je: „Du sollst durch diese Zimmer gehn. Du sollst dich hier und dort auf einen Stuhl setzen ...“

„Ist das etwas?“ fragte Bertina.

„Das ist sehr viel. Das ist unbezahlbar viel, Bertina ... Ich habe dir feine Kleider bestellt, die werden morgen oder übermorgen hier eintreffen.“

„Sind denn meine Kleider nicht gut genug?“ fragte sie schnell. Aber sie fragte es freundlich und ganz ohne Hochmut.

„Ei gewiss bist du gut genug, so wie du bist. Aber könntest du mir wirklich nicht den Gefallen tun?“

Bertina besann sich und sagte dann leise: „Wollen Sie das Geld nicht lieber zu andern und wichtigeren Dingen verwenden?“

„Das Geld!“ rief er schmerzlich. Ja, er errötete und schämte sich ob seiner Schwäche und fragte traurig: „Warum, Bertina, willst du mich unbedingt arm und unglücklich haben?“

Darüber erschrak sie und besann sich noch einmal. „Nun denn, wenn Sie es wünschen ...“, sagte sie und fügte sich, zögernd zwar und widerstrebend.

Die schönen Kleider trafen richtig auf Kongshaugen ein, Bertina zog sie an und glich einem Märchen. Herr Erling bebte vor Freude. Er legte ihr ein feines Goldkettlein mit einem grossen Funkelstein aufs Haar. „Dieses sollst du tragen, denn es passt sowohl zu deinem Haar wie zum Kleid“, und seine Stimme zitterte vor Erregung. „Du ahnst ja gar nicht, wie wunderbar du in Wirklichkeit bist.“

Sehr sorgsam führte er sie vor den grossen Spiegel hin, so dass sie sich selber betrachten konnte, vom Scheitel bis zur Sohle. Als Bertina sich in ihrer neuen Pracht sah, kam ein feuchtes Schimmern in ihre Augen. Mit einem Male war etwas Neues und Weiches an ihr. „Dieses sind prächtige Kleider“, sagte sie. „Und es ist ein kostbarer Schmuck. Aber ich darf beides nicht besitzen. Ich will es nur leihen.“

Mit so sanften Mitteln beherrschte diese Magd ihren Herrn.

Kein Wunder, dass Marlene, die unermüdlich auf der Lauer lag, hin und wieder ein kalter Schauer über den Rücken jagte.

Bertina beherrschte in gewissem Sinne auch Marlene.

Herr Erling fragte einmal: „Wie kommt das nur, Bertina, du redest nicht die Sprache des Volkes, nicht die Bauernsprache unserer Gegend?“

„Finden Sie das wirklich? Es mag vielleicht daher kommen, dass ich so viele Bücher las. Ich war ja stets allein.“

„Bücher“, sagte Herr Erling. „Wahrlich, du sollst Bücher bekommen.“

Darüber war Bertina sichtlich erfreut.

„Du sollst eine ganze Kiste voll Bücher bekommen, Bertina!“ rief Herr Erling. „Ist es denn nicht eine ewige Schande, dass wir auf Kongshaugen nicht einmal eine Bibliothek haben? Aber siehst du, mein Vater und ich, wir hatten stets anderes zu tun, Geschäfte und so.“

Bücher wurden bestellt; ausserdem wurde der Schreiner Michelsen aufs Schloss befohlen. „Jetzt, liebe Bertina, wollen wir miteinander beraten, welches Zimmer sich am besten für unsere Bibliothek eignet.“

„Nein, nein, nein“, rief Bertina entsetzt.

„Warum denn nicht?“ fragte Herr Erling, betroffen von der Heftigkeit ihrer Abwehr.

Herr Erlings Magd

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