Читать книгу Herr Erlings Magd - Karl Friedrich Kurz - Страница 11

Ein freundliches Licht

Оглавление

Soviel ist gewiss. Herr Erling rannte mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen dem Abgrunde zu. Immerhin lag Stil und eine gewisse Grösse in seiner Tollheit.

„Sparen“, sagte er zu seinem Kontoristen Autun. „Sparen, mein Lieber, ist stets ein Eingeständnis der Schwäche. Wir müssen stark sein und verdienen.“

Die Verhältnisse auf Kongshaugen veränderten sich schnell. Sie waren schon so prachtvoll herangereift, dass selbst der vorsichtige Autun einsah, dass hinfort auch die härteste Sparsamkeit nur noch einen lächerlichen Aufschub der Katastrophe bedeuten würde. Darin konnte er seinem jungen, stürmischen Herrn nicht widersprechen. Sollte Kongshaugen jetzt noch gerettet werden, dann musste etwas Grosses, etwas Kühnes und Umfassendes geschehen. Alle Dinge waren in wilden Fluss gekommen.

„Sind denn die Zeiten nicht ausgezeichnet?“ fragte Herr Erling. „Ich habe geheime Nachrichten von Island; dort gibt es, viel früher als gewöhnlich, gewaltige Heringsschwärme ... Zwei kleine Dampfer und eine Galeasse sind mir billig angeboten. Ich habe sie vorläufig für drei Monate gechartert. — Was sagst du dazu, lieber, alter Autun?“

Dem lieben, alten Autun sank die Feder aus der Hand, und er selber sank auf den Stuhl zurück. Das blaue Wunder, das ihm gelobt worden, das sollte er hiermit erleben. Das junge Pferd, das Autun hatte zügeln und zähmen wollen, brannte jetzt durch, mit ihm und Kongshaugen und allem. „Mein armer, sündiger Kopf“, stöhnte Autun, indem er seine mageren Fäuste gegen die Schläfen presste.

Aber war das, was Herr Erling getan, wirklich eine so grenzenlose Dummheit? War es vielmehr nicht das einzige und letzte Mittel zur Rettung? Das begriff Autun, nachdem der erste Schreck verflogen.

Herr Erling war verzaubert; doch stand er im Banne einer guten Fee. Herr Erling irrte in einem grossen, finsteren Wald; aber ein freundliches Licht schwebte vor ihm her und wies ihm wunderbar den Weg.

Auch für Autun gab es nun keine Wahl und kein Zögern mehr. Er selber fing Feuer, setzte sich hin und schrieb Briefe und sandte Telegramme in die Welt hinaus. Gewiss war das Ganze nichts als eine Tollheit und eine Verzweiflungstat. Aber in manchem glich es dem Jagen und Treiben aus des seligen Herrn Nikolajs Zeiten. Es war abermals das Abenteuer und das grosse Spiel, davon wurde der alte Autun ergriffen, und er vergass, dass er auf einem havarierten Schiffe segelte. Nur noch das Wagnis sah er und begann förmlich aufzuleben. Sein eingeschlafener Geist flammte noch einmal auf. Er rechnete und rechnete, trieb Gelder ein, lieh Gelder, verpfändete seine Wertschrift, seine grosse Forderung auf Kongshaugen, verpfändete seinen guten Namen und seine gute Seele. Sicherlich kamen dabei allerhand zweifelhafte Papiere zustande; aber zum Fischhandel braucht man flüssiges Betriebskapital.

Und so wurden denn in aller Heimlichkeit und Eile die beiden Dampfer und die Galeasse ausgerüstet. Herr Erling selber stand jetzt vom Morgen bis zum Abend unten am Hafen und kommandierte in einer Weise, dass die Leute sowohl in Schweiss als in Schrecken gerieten. Ein neuer Geist war in ihn gefahren.

Ein neuer Geist war in alte Dinge gefahren, ein sprühender Feuergeist. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich übrigens, dass Herr Erling gar nicht so unwissend und flatterhaft war, wie die Welt glaubte. Er hatte nun erst sein grosses Erbe angetreten. Und wenn Autun schwach werden wollte und seufzte: „Sollte dieses nicht gut ausgehn, dann stehe uns der Himmel bei!“ Dann zauderte Herr Erling nicht und versicherte: „Es wird glänzend ausgehn ... Ich schrieb meinem Freunde in Schweden; hier, lies seine Antwort.“

Ein Telegramm aus Stockholm, eine Bestellung auf zwanzigtausend Tonnen Islandshering — samt Preis und Lieferfrist.

„Herr im Himmel!“ stöhnte Autun. „Sie haben sich doch wohl nicht fest verpflichtet?“

„Doch, gewiss — der Kontrakt steht.“

Herr des Wassers und der Lüfte; hier handelte es sich um eine Abmachung, wie sie der Fischhandel bis dahin noch nicht erlebt: Der Hering war verkauft, noch ehe er gefangen war. Der Hering schwamm noch in den dunklen Tiefen des Atlantischen Ozeans — wer konnte heute wissen, ob er je gefangen wurde? Und jedenfalls konnte kein Mensch im voraus den Preis bestimmen. Der Heringshandel ist seit jeher ein gewagtes Unternehmen gewesen; das aber, was Herr Erling in jenen Tagen unternahm, war gar kein Handel mehr.

Hussa — hoppla! Toller und toller wurde die Fahrt ... Herr Erling, Herr Erling kutschierte. Der getreue Kontorist Autun sah nur noch feurige Spiralen vor den Augen; er sah weder Weg noch Ziel. Autun wurde vom Sturme mitgerissen — da sauste, schwirrte er durch pfeifende Finsternis; Autun klammerte sich an seinem Stuhle fest und empfahl die unsterbliche Seele Gottvater an.

In einer stillen Nacht fuhren die Schiffe aus und richteten den Bug westwärts. Von seinem Fenster aus sah Herr Erling sie ausfahren und blieb zuversichtlich. Autun hingegen verkroch sich. Das Schicksal aber ging blind und unergründlich über sie beide hin.

Ein Monat verfloss. Von Island liefen die ersten Nachrichten ein. Wohl hatte man dort Heringsschwärme gesichtet; aber sie strichen weit draussen an der Küste vorbei. Das Wetter war stürmisch, so dass die Hochseeboote nicht ausfahren konnten. Das waren keine guten Nachrichten. „Lass ihm nur Zeit, dem Hering“, sagte Herr Erling.

Die Tage gingen. Es stand immer gleich schlecht drüben in Island. Die Galeasse hatte ein paar hundert Tonnen gekauft zu einem Preis, der nur geringen oder gar keinen Verdienst bringen konnte. Die Dampfschiffe fuhren müssig hin und her und verursachten dem Reeder mächtige Unkosten. „Was in aller Welt sollen wir tun?“ fragte Autun, der nie zuvor ratlos gewesen.

„Abwarten“, entschied Herr Erling. Er sandte ein Telegramm nach Island: Nicht kaufen — abwarten.

Und so verstrichen wieder ein paar Tage. Dann geschah das grosse Wunder. In ungeheuren Massen strömten die Heringe plötzlich der Küste zu; ein endloser Brautzug. Raubfische und schwarze Wale bildeten das Gefolge. Ein unerhörter Hochzeitsreigen — sprühendes Liebesleben in der Mitte; gefrässiger Tod rund darum her. Millionen silbern schimmernder Fische fanden ihres Daseins Abschluss in unersättlichen Rachen; doch ihre Zahl wurde nicht geringer. Die Heringsschwärme waren unübersehbar. Meilenweit kochte und schäumte das Meer unter ihren Flossenschlägen. Sie schwamman so dicht, dass die obersten Schichten aus dem Wasser gehoben wurden. Da konnten die Fischer ihre Netze ruhen lassen; sie schaufelten die Heringe vom Meer in ihre Boote. Und wenn die Boote bis zum Sinken belastet waren, ruderten sie ans Land.

Kamen die Schwärme aber an kleinen Buchten vorbei, so wurden die ersten Schichten der Heringe hoch zwischen die Felsen hinaufgepresst. Die Fischer konnten sie trockenen Fusses zwischen den Steinen sammeln und in Tonnen füllen. Wie der helle Widerschein einer langgestreckten Wolke zog es sich der Küste entlang.

An diesem Tage hatte das Meer seine königliche Geberlaune. Es schenkte unermesslich. Es überschüttete eine kahle, arme Felsenküste mit lebendem Silber ...

Ja, das war das Wunder, das Herr Erling erwartete.

Auf Kongshaugen liefen Telegramme ein. Gute Nachrichten, glänzende Nachrichten. Bei diesem Überflusse mussten die Preise natürlich fallen; sie fielen an einem einzigen Tage auf ein Fünftel des Vortages. Zu drei Kronen wurde die Tonne angeboten. Ähnliches hatte man nie zuvor erlebt. Das war das Abenteuer — und nun hiess es zugreifen.

Die Schiffe von Kongshaugen kauften in wenigen Tagen ihre ganze Last ein; die zwanzigtausend Tonnen für Schweden, und dann noch zehntausend Tonnen dazu.

Herr Erling nahm jetzt die Fäden in seine Hand. Autuns Warnung und der ganzen Welt Erfahrung zum Hohn kaufte er weiter. Er kaufte einen Schwarm, der in einer Bucht eingeschlossen war und den die Fischer auf zwölftausend Tonnen schätzten. Herr Erling jagte vorwärts wie ein Orkan. Er schloss Verkäufe ab; er forderte einen Vorschuss aus Schweden und erhielt ihn. So vermochte er die in der Bucht eingeschlossenen Heringe auszuzahlen. Nur ein Netz hielt diesen Fang von den Tücken der See zurück. Jeder kleine Sturm, ein geringer Zufall bloss, konnte das Netz sprengen und den Heringen die Freiheit wiedergeben.

Es folgte eine Woche voll ungeheurer Spannung. Das ganze Städtchen geriet in Fieber und Ungeduld. Alle Leute begeisterten sich über Herrn Erlings Kühnheit.

Die Bescherung kam, der Himmelssegen. In dieser Woche wurden aus dem Netz vierzehntausend Tonnen ausgehoben. Und das Netz sei noch ebenso voll wie zuvor, berichtete Vasting, der Schiffer der Galeasse, der Chef der isländischen Expedition.

Nach einer weiteren Woche waren es über zwanzigtausend Tonnen. Dieser Kauf ins Ungewisse stellte sich, je länger es ging, als ein grosser Treffer heraus. Das Netz schien unerschöpflich. Als es schliesslich dennoch leer wurde, hatte Herr Erling einen Berg von Heringen daraus geschöpft.

Aber da nun die Seegeister aus irgendeinem Grund beschlossen hatten, dem jungen Herrn von Kongshaugen beizustehen, standen sie ihm gründlich bei. Sie liessen die Heringsschwärme wie durch Zauberschlag von der Küste Islands wieder verschwinden. Die Fischer verstanden das nicht. Sie hatten vorher ebensowenig verstanden, aus welchen Gründen die Schwärme früher und zahlreicher als gewöhnlich auftauchten. Nun tauchten sie also abermals unter in den schwarzen Tiefen des Atlantik.

Aus dem Walten der Seegeister wurde Herr Erling wohl nicht klüger als die Fischer an der isländischen Küste; aber er trat an Autuns Tisch und verkündete: „Jetzt, guter Autun, naht unsere Stunde!“

Dass er damit recht hatte, zeigte sich sogleich: die Preise zogen an. Natürlich mussten die Preise steigen, als die Zufuhr ausblieb. Zuerst stiegen sie nur langsam, schwankten unsicher hin und her. Die Käufer zeigten sich zurückhaltend, hofften auf eine Änderung und auf neue Züge. Mit jedem Tage aber wurde diese Aussicht geringer. Die Seegeister hatten sich auf Herrn Erlings Seite geschlagen; kein Hering schwamm mehr zur Küste. Sobald die Käufer dieses gewahrten, suchten sie einander zuvorzukommen und trieben gegenseitig die Preise in die Höhe. Damit wurde es lebhaft und lustig auf Kongshaugen. Vasting, der isländische Chef, telegraphierte wie verrückt über den Nordatlantik und nannte immer neue Nachfragen. „Abwarten“, telegraphierte Herr Erling zurück. Wahrhaftig, es wurde herrlich auf Kongshaugen.

Kein Mensch auf dem ganzen Erdenrund besass in jenen Tagen so viele Heringe wie Herr Erling. Er beherrschte den Markt; er wurde ein wahrer Heringskönig. „Gott helfe mir, jetzt steht die Tonne auf siebzehn“, rief eines Morgens der alte Kontorist Herrn Erling entgegen. Der gute alte Autun; er hatte rote Flecken auf beiden Wangen, er blühte vor Erregung. „Abwarten, abwarten“, sagte Herr Erling.

Jetzt konnte er ruhig warten und die Zeit für sich arbeiten lassen. Die Zeit wurde ihm nicht lang. Die seltsame Magd Bertina glitt durch seine Zimmer. Die Welt ringsum wurde licht und wohlgefällig gegen ihn. Die Welt überhäufte ihn mit Anfragen und bettelte.

Aus grosser Tiefe wurde Herr Erling in ein paar Wochen zu grosser Höhe emporgetragen. Nun wollte er es sich nicht versagen, seinen Überfluss noch ein Weilchen in der Hand zu behalten. Die Zeit arbeitete ja so ausgezeichnet für ihn. Immerzu stiegen die Preise — achtzehn, zwanzig ... Stets mehr Käufer meldeten sich. Ja, es wurde in jeder Beziehung eine Freude zu leben. Einundzwanzig — Autun schlotterte, die Papiere in seiner Hand knisterten. „Ich bin doch im Heringshandel krumm und grau geworden; doch solche Preise habe ich nie erlebt ... Höher geht es nimmer, jetzt kann es nur noch fallen ...“

„Warten wir bis übermorgen“, sagte Herr Erling, denn er musste noch ein wenig mit seiner Beute spielen. Als der Preis auf dreiundzwanzig gestiegen war, verkaufte er.

Dabei verdiente er ein Vermögen. Nicht einmal der selige Herr Nikolaj hatte in seinen allerbesten Tagen ein ähnliches Geschäft gemacht. Herr Erling bezahlte seine Schulden. Herr Erling legte seinem Kontoristen das Darlehen blank auf den Tisch und brachte ihn in grosse Verlegenheit.

Mit blassen Lippen und zerbrochener Stimme bat der alte Autun: „Darf es denn nicht länger stehenbleiben? Warum legen Sie es mir auf den Tisch?“

Herr Erling sagte darauf: „Wenn es dein Wunsch und Wille ist, guter Autun — dann meinetwegen ...“

Ganz gewiss war es Autuns Wille, und er wünschte nichts Besseres.

„Aber es steht hinfort bei mir auf deine eigene Verantwortung und auf dein Risiko, lieber Autun. Du trägst deinen Anteil an Gewinn und Verlust.“

„Ja, gewiss“, sagte Autun und nickte.

Da wurde Herr Erling grossartig und sagte: „Das erstemal war es Hilfe in höchster Not — das zweitemal soll es dir nicht minder hoch angerechnet werden.“

Wusste der alte Kontorist, dass diese Summe auf dem Tisch ungefähr der letzte Rest des Riesenverdienstes war? Natürlich wusste er es, musste es wissen. Die Schulden frassen doch gar zuviel.

Immerhin hatte das Geschick eine herrliche Wendung genommen. Könnte es überhaupt noch besser sein? Herr Erling war abermals der Märchenprinz von ehedem.

Herr Erlings Magd

Подняться наверх