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Denk an das Kind

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Hierauf wurde es abermals Sommer ... Herr Erling hatte während der langen, stillen Winterwochen an dieses und jenes gedacht, an Vergangenes und Zukünftiges. Am meisten dachte er an das Kind.

Erst im Frühling hatte er diese Botschaft vernommen, und er glaubte, nun müsse er noch einen allerletzten Versuch wagen. „Gleich machen wir es gesetzlich, denn nun kannst du dich nicht länger dagegen sträuben. Denk an das Kind ...“

„Das Kind?“ fragte Bertina.

„Wenn es im Herbst zur Welt kommt, muss es doch einen Namen haben.“

Bertina blickte in ihren Schoss und lächelte still vor sich nieder. „Ich denke, dass es ein Knabe sein wird. Er soll Einar heissen. Ja, er soll Einer Höjen heissen ...“

Die Selbstverständlichkeit, mit der Bertina in dieser Sache verfügte, überraschte und verwirrte ihn. „Warum, Liebe, soll er nicht Einar Kongshaugen heissen? Gönnst du mir kein Recht daran?“

„Ich will ihm von seinem Vater erzählen. Und wenn er Verstand genug hat, will ich ihm von Kongshaugen erzählen und von einem grossen Glück ...“

Als sie so sprach, verstand Herr Erling, dass er sie einmal verlieren musste, und er rief bang: „Bertina, jetzt versündigst du dich!“

Es waren ungewöhnliche Liebesleute von Anfang an. Grosse Menschen waren sie wohl alle beide. Aber Bertina liess sich doch gar zu sehr hinreissen in ihrem Stolz. Ihre Liebe und ihren Leib legte sie auf den ewigen Opferstein; doch irgend etwas blieb in ihr, das sie nicht hergeben konnte.

Sie sassen eine Weile und dachten nach, jedes für sich. Dann bat er: „Du solltest es wirklich tun, um des Kindes willen.“

„Ich? Nein, Sie wissen selber, dass es für allezeit unmöglich ist“, sagte sie ungewohnt heftig.

„Soso“, besänftigte er sie. „Reden wir nicht mehr davon.“

„Bedenken Sie doch nur: Wenn das Kind auf Kongshaugen leben muss, wird seine Mutter ihm ein Makel sein. Auf Höjen aber wird sein Vater ihm ein Stolz sein ...“

„Ich verstehe dich nicht in allen Teilen“, gab er nachgiebig zu. „Ich liebe dich, und darum wirst du für mich schliesslich immer das Rechte tun.“

Vor kurzem noch hatte Herr Erling das Leben leicht genommen, und er hatte es gemeistert. Da kam das Leben unerwartet zu ihm und gab ihm ein Rätsel auf. Herr Erling war ausserstande, das Rätsel zu lösen. Nein, dazu war er nicht der Mann.

Jedoch war er stets der Mann der kühnen Tat. Er überliess Bertina und die Zukunft und alle Undurchdringlichkeit den guten Geistern und wandte sich ungestüm den Geschäften zu. Eines wollte er erringen: Kongshaugen musste wieder mächtig und völlig frei von Schulden werden. War das Kind erst einmal auf der Welt, dann mochte sich manches von selber fügen.

In diesem Sommer sollte nicht bloss der Handel mit Islandshering betrieben werden; es sollten ausserdem Fische in den Lofoten gekauft werden. Der grosse Handel des seligen Herrn Nikolaj musste zu neuem Leben erwachen.

Wahrlich, eine frische Nordbrise wehte über Kongshaugen hin; Herr Erling verschwendete nicht länger seine Tage, sondern fuhr geladen mit grossen Plänen umher. Er war zu gleicher Zeit unten am Hafen, in den Lagerhäusern, auf den Trockenklippen, im Kontor und überall. Der alte Autun, der doch diese gewaltige Umwälzung verursachte, wurde sanft beiseitegeschoben; er tauchte wieder still im Schatten unter, und niemand beachtete ihn mehr. Nun sass er, wie früher, grau und schmal und gebückt hinter seinem Tisch und befasste sich mit kleinen Dingen.

Zwei Segelschiffe und drei Dampfer lagen schon fahrbereit im Hafen — diesmal sollte gekauft und verkauft werden, dass die Fischhändler dort unten nicht mehr zur Besinnung kamen. Eine Lawine von Briefen wälzte sich von Kongshaugen hernieder.

„Das Glück hat ihn toll gemacht“, murmelte Autun vor sich hin, während er seine letzten Kräfte hergab. Die ängstliche Seele Autun meinte wohl, im Kopfe seines Herrn müsse irgend etwas in Unordnung geraten sein, und griff verzweifelt nach seinem eigenen.

Das Unternehmen des vergangenen Sommers schrumpfte zusammen zu einem Kinderspiel. Dieses Mal wurde harte Männerarbeit verrichtet. Kein Zweifel, es war unverzeihlich, das, was nun auf Kongshaugen anhob, und Herr Erling hatte das Gleichgewicht verloren; vorwärts getrieben wurde er von fünf Engeln und zehn Teufeln. Er war hager und schmal geworden bei dieser unerhörten Anstrengung. Aus seinem Gesicht trat die Nase scharf wie ein Messer heraus. Und so stand er denn, ein rotes Flackern in den Augen, allein am Steuer und lenkte das schwere Schiff.

Herr Erling vertraute seinem Stern.

Wie im Jahre zuvor verkaufte er eine gewaltige Ladung zum voraus und zu festen Preisen nach Schweden; aber er verkaufte eine noch grössere Ladung nach Hamburg. Jetzt ging es nicht um Kleinigkeiten; jetzt ging es ums Ganze.

Auf Kongshaugen trafen die ersten Nachrichten ein; gute Nachrichten. Schiffer Vasting war wieder der Leiter der Expedition; er trug eine Lederweste mit sechs Taschen für alle die vielen Gelder. Die Weste zog er auch des Nachts nicht aus. Zu der Reise hatte er sich mit hohen Schaftstiefeln und blanker Schirmmütze prächtig ausstaffiert und glich einem Admiral. Auch er, der sonst im täglichen Leben ein vernünftiger Mann war, verlor bei dem allgemeinen Taumel ein wenig seine Fassung. Deshalb telegraphierte er wild drauflos. „Ich habe zehntausend Tonnen auf der Hand“, telegraphierte er, „sieben, acht, zehn.“

„Was bedeutet das?“ fragte der alte Autun.

„Nichts. Er ist ein bisschen verrückt“, sagte Herr Erling und telegraphierte seinerseits: „Ruhig Blut und abwarten.“

Doch Vasting war nun so fein im Zuge; er machte Revolution auf Island. „Zwanzigtausend zu vier“, meldete er.

Abwarten.

Am folgenden Tage: „Jetzt stehn sie auf fünf.“

„Kaufen.“

Eine Woche später stand der Preis auf neun. Herr Erling zog sein kleines Notizbuch aus der Tasche und den Goldstift, schrieb einige Zahlen auf und nickte. Er schritt über den Hof zu den Ställen. Dort traf er Autun.

Autun war aufgeregt und sagte: „Wenn ich Ihnen raten darf, verkaufen Sie!“

„Jetzt? Was fällt dir ein ...“

„Sicher ist sicher“, meinte Autun. „Entschuldigen Sie ... “

Herr Erling wandte sich an Magnus: „Sattle mir Jarl“, befahl er. Dann ritt er über sein weites Land; fort von Vastings Meldungen und Autuns Ängstlichkeit. Erst am Abend kehrte er heim und ging nicht mehr aufs Kontor. Die Zeit sollte wieder für ihn arbeiten.

Er vertraute weiterhin seinem guten Stern und liess durch seinen Admiral noch mehr Aufkäufe machen, zu den höheren Preisen. Auf diese Weise brachte er abermals den grössten Teil des Herings in seine Hand, beherrschte den Markt und war der Heringskönig.

Natürlich war das gegen alle Vernunft und gute Sitte. Doch die Seegeister hatten offenkundig ihr Vergnügen an Herrn Erlings wildem Handel; sie zogen plötzlich die Heringsschwärme von der Küste zurück. Überwältigt schauten die andern Fischhändler einander an. Sie meinten, der Mann von Kongshaugen müsse über einen sechsten Sinn verfügen, oder er sei ein Genie, oder er stehe mit dem schwarzen Mann selber im Bunde. Und nun halfen sie nach Kräften mit, Herrn Erlings Feuer zu schüren.

War der Schiffer Vasting vordem ein wenig nervös, so wurde er jetzt rasend, denn er verstand doch so gut, dass jede Stunde ein Vermögen wert war. „Fünfzehn, achtzehn, neunzehn ...“ Nachfragen flatterten über Kongshaugen. Von Zeit zu Zeit zog Herr Erling sein Büchlein, rechnete und nickte. „Zwanzig, zweiundzwanzig ...“

„Gott tröste mich — worauf warten Sie jetzt noch?“ fragte der alte Autun bebend.

Aber Herr Erling bestieg aufs neue seinen Schimmel Jarl und ritt in der Gegend umher. Es machte ihm abermals grosses Vergnügen, seine Macht noch ein Weilchen festzuhalten. Weshalb zum Beispiel konnte er dieses Jahr den Preis nicht auf fünfundzwanzig treiben? Ein hohes Spiel? Herr Erling war der rechte Mann, es zu wagen. Und er ritt durch Felder und Wälder und wollte erst wieder am Abend auf Kongshaugen eintreffen.

Am Abend, als er an dem Seeufer entlang ritt, traf er eine sehr aufgeregte Persönlichkeit; die winkte schon von weitem mit einem langen, schwarzen Arm und verkündete Unheil. Autun.

Aber Herr Erling ritt gemächlich im Schritt heran. Er wusste ja, was er zu erwarten hatte. „Die Preise fallen!“ rief er selber dem Kontoristen zu.

„Siebzehn“, keuchte Autun ausser Atem. „Wenn Sie eilen, können Sie noch vor Postschluss in die Stadt kommen. Es ist höchste Zeit.“

Hastete Herr Erling und rettete er das, was noch zu retten war? Keine Rede davon; er stieg aus dem Sattel und schritt neben Autun her. „Immer noch bleibt es ein Riesengewinn“, drängte Autun, bis zum Heulen unglücklich.

Umsonst.

„Lass uns darüber schlafen, lieber Autun. Bis morgen werden sie wieder steigen, die Preise.“

Frevelhaft forderte Herr Erling das Schicksal heraus. Darum wurde sein Stern vom Himmel gestossen.

Unabsehbare Heringsschwärme strömten wieder der Küste Islands zu. Sie erschienen nur einen einzigen Tag zu früh; das stürzte Kongshaugen.

Die Nachrichten, die jetzt vom Schiffer Vasting einliefen, waren nicht mehr schön. Die Preise sanken; sie fielen ins Bodenlose. Das wurde das jähe Ende.

Der Weltmarkt brauchte Herrn Erlings Heringe nicht mehr. Die andern Fischhändler schauten einander wieder an; aber jetzt lachten sie. Nein, der Mann von Kongshaugen war keine Grösse mehr. Es gelang ihm, einmal die Marktlage zu verwirren; aber nichts von Finanzgenie. Nicht einmal ein Freund des Teufels war er — haha —, und jetzt lag er auf der Nase.

Kongshaugen musste untergehn.

Schnell brach das Unheil herein, weiss Gott — von einem Abend zum andern Morgen. Ein Blitz, ein Donnerschlag. Der alte Autun sank zerschmettert hinter seinem Tisch zusammen.

Hingegen Herr Erling brach nicht zusammen. Dieser geborene Häuptling war vielleicht nicht so sehr bedeutend in seinem Glück und in den Tagen, da Kongshaugen mächtig gewesen. Doch als der Wind mit Wucht gegen ihn blies und das Verderben unaufhaltsam von allen Seiten über ihn hereinbrach, verliess er nicht seinen Platz am Steuer. Mit einer Art höhnischer Ruhe führte er das Schiff zurück, auch als kein Stern mehr am Himmel stand und kein freundliches Licht ihm durch die Finsternis voranschwebte. Und wie er dabei manövrierte und kaltblütig auch noch im Untergang jeden kleinen Vorteil wahrte, darüber wurde viel geredet im Städtchen. Es sei ein seltenes Meisterstück gewesen, sagten alle, die etwas von dieser Sache verstanden.

Das sinkende Schiff vermochte keine Kunst mehr zu retten.

Doch in gewissem Sinne ging Kongshaugen mit Glanz und Ehre unter, und die Leute bestaunten Herrn Erling als Held.

Herr Erlings Magd

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