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Was siehst du, Leif?

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Das Leben auf Mykja ist sowohl einfach als einsam.

Der Gaard liegt in einem engen Tal, zwischen Felsen und Wäldern. Ein Bächlein rennt eilig von der Höhe nieder und plätschert über unzählige glatte, grüne Steine. Selten hört man einen andern Laut über Mykja als das Gemurmel des Baches, das dunkle Rauschen der Wälder und das Gebrüll der Kühe.

In den nächsten Tagen wurde es ein wenig lebhafter auf Mykja. Erstens erschien der junge Hofbauer Leif von Sudalen, winkte Bertina vors Haus und war rasend: „Ist jetzt die Reihe an dich gekommen?“ fragte er.

„Was fehlt dir?“ fragte Bertina auf ihre gelassene Weise.

„Beim Hunde“, sagte Leif düster, „jetzt hilft dir das Lügen wenig. Denn ich habe alles erfahren.“

„Ich weiss nicht, wovon du sprichst. Und wenn du etwas erfahren hast, so hast du es von Marlene erfahren ... Aber ich kümmere mich nicht im geringsten darum.“

Leif war so aufgebracht, dass er nicht ruhig stehen konnte, sondern immerzu auf und nieder hüpfte. „Gott und jedermann weiss es ja schon ... Aber ich, Mädchen, ich werde es niemals dulden — verstehst du?“ Er zog ein Messer unter der Jacke hervor: „Schau dir einmal dieses an ...“

Sicherlich war es weder fein noch klug von Leif, sich gleich am Anfang so ungebärdig zu benehmen. Damit verdarb er sich selber das Spiel. Nun hatte doch Bertina vor kurzem ihr seltsames Erlebnis gehabt. Sie brauchte nur die Augen zu schliessen, dann brannte Herrn Erlings Kuss immer wieder aufs neue auf ihren Lippen, und sie hörte seine einschmeichelnde Stimme ... Ohne dass es ihr bewusst ward, schloss sie die Augen, verglich Leifs Stimme und Herrn Erlings Stimme und seufzte.

„Ich verbiete es dir — basta!“ rief Leif. „Und wenn es darauf ankommt, rede ich persönlich ein Wörtlein mit ihm, verstehst du?“

Bertina öffnete ihre Augen wieder, betrachtete den hüpfenden Leif und fragte: „Wie — du willst mit ihm reden?“

„Ho — oder vielleicht nicht?“ rief Leif, indem er mit seinem Messer in der Luft herumfuchtelte.

„Steck dein Messer weg“, sagte darauf Bertina. „Und deine Grobheiten will ich nicht länger anhören. Geh nur gleich wieder über den Berg ...“

Sie unterhielten sich eine Weile. Ein offener Streit wurde im Grunde nicht daraus. Doch die ganze Bertina war zweifellos nicht mehr so, wie sie vor kurzem gewesen. Sie hatte jetzt eine besondere Art, Leif lange und allzu aufmerksam zu betrachten, und ihr Blick war kühl. Fast schien es so, als rücke Leif in die Ferne.

Leif in seinem Zorn glaubte, ein böser Geist habe von Bertina Besitz ergriffen. „Und warum, zum Satan, hast du auf einmal dieses Schillern in deinen Augen? ... Warte nur!“

Bertina tut nun etwas Merkwürdiges: Sie streckt Leif ihre beiden Hände hin: „Was siehst du, Leif?“

Gierig und blutdürstig beugt Leif sich darüber. Weil er aber keinen verdächtigen Ring an ihren Fingern findet, knurrt er ärgerlich: „Nichts als Narrheiten hast du in deinem Kopf ...“

„Oh — du Leif ...“

„Hier stehe ich und frage: Willst du mit ihm brechen oder nicht?“

„Oh — du Leif!“

Ihr unverhüllter Spott reizt ihn noch mehr. Er erklärt: „So viel sehe ich mit eigenen Augen, dass er dir den Kopf verdreht hat. Und ich kenne dich nicht wieder, so verändert, wie du auf einmal bist.“

Dieses kleine Gespräch wurde hinter der Scheune geführt, am Steinwall, der die Hauswiese von der Wildmark trennt. In unbegreiflichem Übermut schwang Bertina sich auf den Steinwall und tat abermals etwas Merkwürdiges: Sie selber betrachtete ihre Hände; strich sachte mit der einen über die andere hin, bog die geschmeidigen Finger zurück. Es war so, als sehe Bertina an diesem Abend zum erstenmal ihre Hände und als freue sie sich an dem Anblick.

Leif freute sich nicht, sondern folgte dem sonderbaren Vorgang mit wachsendem Unbehagen. „Ja, jetzt glaube ich, bist du ganz verrückt geworden“, meinte er verblüfft.

Wie hätte der arme, einfältige Leif dieses begreifen können? Sicherlich hatte er nie etwas vernommen von Prinzessinnenhänden und solchen Dingen. „Zur Hölle mit dem verdammten jungen Affen!“ rief er plötzlich wild. „Aber bald geht er ja ohnedies von selber kaputt. Haha — ist er denn nicht eben daran, Bankrott zu machen ...?“

Aus schmalen Schlitzen wirft Bertina einen besonders langen und geradezu unheimlichen Blick auf Leif, auf die Gestalt, die mit beiden Armen fuchtelnd vor ihr hin und her rennt. „Wahrhaftig — fährt er immer noch da herum“, sagt sie leise. — „So geh endlich. Du musst doch verstehn, dass ich dein Geschwätz nicht länger anhören mag.“

„Himmel und Ozean!“ ruft Leif und knirscht furchtbar mit den Zähnen. Ja, er tritt an die Mauer heran und reisst vor Wut das Moos aus den Steinen. Für ihn wird es keine Kleinigkeit, ein Mädchen wie Bertina zu verlieren.

Wenn sie auch standhaft blieb, Bertina, damals im Stall — irgendwie war es dennoch ein Sündenfall, und die Stimme an ihrem Ohr hatte nicht umsonst geflüstert und gelockt. Gewiss war Bertina bis vor kurzem noch ziemlich unwissend und unberührt von den Stürmen der Liebe. Doch jäh war etwas in ihr erwacht. Sie schaut auf Leif nieder, der sich über einen Stein geworfen hat und seine Muskeln toben lässt. So grausam ist bei den Menschen die Liebe: Völlig unerschüttert kann Bertina Leifs Leidenschaft sehen, und sie achtet nicht den Schmerz, den er um sie leiden muss.

Weil aber der Stein unter ihm zu gross war und nicht nachgab, wollte Leif auf anderem Wege versuchen, das Hindernis, das sich da unversehens vor ihm aufgetan, zu überwinden; er wollte es kurz entschlossen mit Handgewalt versuchen. „Worauf warte ich denn?“ fragte er. „Soll ich vielleicht zuschauen, wie der Affe von Kongshaugen dich mir vor der Nase wegschnappt? Jetzt habe ich dich — jetzt nehm ich dich ... Ja, beim Hunde, ich nehm dich mit allen deinen schwarzen Haaren und deiner Verrücktheit ...“ Und er machte sich wahrhaftig daran, sie vom Steinwall herabzuziehen. Er streckte seine langen Arme aus und meinte wohl, es sei nichts Besonderes dabei.

Dann traf ihn Bertinas Blick, und er zögerte. Ein geheimer Zauber schien von ihr auszugehen. Sie sagte leise, fast sanft: „So, scher dich jetzt weg ... Du wirst ekelhaft, und ich mag dich nicht mehr sehen.“

Das traf ihn wie ein Faustschlag. Er gab den Angriff ohne weiteres auf. Seine Lippen waren blau geworden und zuckten heftig. Mit runden Augen starrte er Bertina an, brachte aber kein Wort hervor und liess den Kopf sinken. Ohne den Kopf wieder zu heben, entfernte er sich, ging über die Wiese und verschwand im nahen Wald. Bertina folgte ihm mit den Augen, und es schien ihr unmöglich, dass es eine Zeit gegeben, da sie an seiner Seite durch diesen Wald geschritten. Zum erstenmal hatte sie vorhin unter den rostbraunen Barthaaren die rohe Form seines Mundes bemerkt ...

Bertina wusste sehr wohl, dass Leif sich am Waldrande niedergeworfen hatte und dass er sie von dort her belauerte. Doch sie fühlte sich so völlig sicher, dass sie aufs neue die Augen schloss. Und so sass sie, in wunderlichem Staunen und tiefer Versunkenheit.

Zwei, dreimal kam vom Waldrande her ein Pfiff. Bertina hörte es nicht. Die Sonne sank in den Föhrenwald; eine ungeheure Feuergarbe schoss in den blassgrünen Himmel empor. Eine graue Bachstelze trippelte auf fadendünnen Beinchen auf dem Steinwall heran; als sie durch irgend etwas erschreckt aufflatterte, erwachte Bertina aus ihrem Traum. Mit einem Seufzer glitt sie auf die Wiese nieder und ging gegen den Hof zu; nicht ein einziges Mal schaute sie sich um. Und so schritt sie dahin, von der heimlichen Herrlichkeit der Abendröte umflossen.

Am Waldrande hingegen lag noch immer ein Mann. Der brach Zweige von den Büschen und zernagte sie mit seinen grossen, gelben Zähnen, der spuckte Späne aus und murmelte Verwünschungen. Zuweilen stach er mit seinem grossen Messer gefährlich in den schwarzen, feuchten Erdboden.

Herr Erlings Magd

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