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Diese junge Dame ...

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Bertina, die Tochter des Pächters Asbjörn auf Mykja — hoch, dunkel und wunderbar von Wuchs, wie eine Göttin aus unchristlicher Vergangenheit. Leicht war ihr Schritt, und sie wiegte sich sanft in den Hüften. Ihr Mund aber war rot und glich einem gespannten Bogen; in jedem Winkel der Oberlippe schimmerte ein feines Flöcklein schwarzer Flaum. Und Bertinas Stimme — Gott verzeihe ihr — aber Bertinas Stimme war keine gewöhnliche Menschenstimme, so voll und weich und tief, wie sie klang.

Bertina erschien also eines Morgens mit der Pracht ihres dunklen Haares und ihrem gefährlich gespannten Lippenbogen auf Kongshaugen, schritt gelassen über den Hof und auf das Mädchen Marlene zu. „Was willst du hier?“ fragte Marlene unbehaglich.

„Sage deinem Herrn, dass ich ein kleines Wort mit ihm sprechen möchte.“

Marlene wies mit dem Daumen über die Schulter auf die schmale Tür des Verwaltungsgebäudes. „Dein Wort, liebe Bertina, musst du an den alten Autun richten.“

Aber Bertina schritt unbekümmert auf das Herrenhaus zu. Sicherlich hatte sie keine schlimmen Hintergedanken. Sie war ausgesandt worden vom Pächter Asbjörn, der durch Autuns scharfen Brief ausser Rand und Band geriet.

Man muss wissen, dass das Geschlecht Asbjörn auf Mykja lebte, so weit die Menschen in dieser Gegend überhaupt zurückdenken konnten; zuweilen bezahlten sie ihren Pachtschilling, zuweilen bezahlten sie ihn nicht; sie hielten das eine so gut wie das andere. „Was meint er damit?“ rief Asbjörn, als er Autuns Brief gelesen. „Hat er denn keine Scham im Leibe, der alte Kormoran? Augenblicklich musst du mit Erling selber reden.“

Dagegen sträubte Bertina sich lange, doch schliesslich gehorchte sie ... Ins Privatkontor tritt jetzt die Tochter Bertina und erfüllt den Raum sogleich mit einem geheimnisvollen Leuchten. Herr Erling lässt die Feder sinken. Ahnungslos blickte er auf, nickte leicht mit dem Kopf, zum Zeichen, dass er höre. Und da gleitet ihm also die Feder aus den Fingern. Herr Erling zieht seine buschigen Brauen hoch.

Nur einen einzigen Schritt macht Bertina von der Tür her. Nun steht sie auf dem weichen, indischen Teppich. „Mein Vater, Asbjörn auf Mykja, kann seinen Pachtschilling unmöglich zahlen. Er bittet Sie um ein wenig Geduld ...“

„Was für etwas Verrücktes ... Pachtschilling?“ murmelt Herr Erling, aus den Wolken gefallen. „Bist du die Tochter von Mykja? Du milde ...“

„Wie Sie wohl selber wissen, steht es nicht am besten auf Mykja. Asbjörn konnte auch den vorjährigen Pachtschilling nicht zahlen ...“

„Wer? — Nein, schweig endlich vom Pachtschilling“, murmelt Herr Erling betreten. Auf einmal war er wieder ganz Kavalier.

„Autun fordert ihn und droht den Vertrag zu kündigen ...“

„Autun!“ ruft Herr Erling. „Komm nur näher. Wie ruft man dich? — Bertina? Ich habe dich nie gesehen — wie kommt das?“

„Nein“, sagt Bertina. „Der Weg ins Städtchen ist sowohl weit und schlecht, für uns auf Mykja.“

„Sieh, Bertina, das grosse Buch dort auf dem Regal — willst du es mir bringen?“

Als Bertina das Buch vor ihn auf den Tisch legt, betrachtet Herr Erling staunend ihre Hände — schmale Hände, schlanke, biegsame Finger ... sinnliche Hände. „Und so etwas lebt auf Mykja ...“, murmelt Herr Erling, mit einem sonderbaren Schwindel im Kopf.

In dieser Stunde gleicht Herr Erling einem gepflügten Acker — die Saat fällt in die Furchen, und eine strahlende Sonne geht darüber auf ... Nun beginnt es mächtig zu spriessen. Ja, auf einmal geht es heiss und toll zu in Herrn Erlings Brust.

Auf seinem verwirrten Gesicht ruhn still Bertinas Augen. Bertinas Augen — schimmernde Abgründe. Den Blick dieser Augen kann Herr Erling nicht ertragen, er bückt sich tief über das Buch. „Hier haben wir es“, sagt er mit schwingender Stimme. „Schluss damit; kein Wort mehr darüber ... Bertina? Tritt näher; überzeug dich selber — ich mache einen Strich durch alles ...“ Herr Erling macht drei unnötig dicke Striche.

Dann wird es plötzlich still im Privatkontor — eine ereignisgeladene Stille. Bertina steht vor Herrn Erlings Stuhl; irgendwie muss sie wohl um den Tisch herumgeschritten sein. Es ist nichts Besonderes. Sie will ihm doch nur danken für seine Milde. Ihre Hand liegt zwischen seinen fieberheissen Händen. Ihre Hand ist weich und kühl. Die Kühle ihrer weichen Hand erregt ihn noch mehr ... Wie ist dieses Mädchen doch unbewegt und sicher, wundert sich Herr Erling.

In diesem Augenblicke gleicht Bertina einer heidnischen Priesterin. Herr Erling aber gleicht dem Opfer. Ihre weichen, runden Knie berühren sachte seine Knie. Herrn Erlings Knie beben.

Das alles wird verrückt und fast unglaubhaft; doch muss es wohl so und kann nicht anders kommen. Herr Erling, der schon viele Frauen kannte, da er als strahlender Prinz auf diese Welt gesetzt worden, Herr Erling, der bis dahin weder bei den Mädchen der Heimat, noch bei den ausländischen Damen schüchtern war und zögerte — vor dieser Pächterstochter zögert er und wird demütig ...

Marlene, die Magd, erzählte die Begebenheit allerdings etwas anders. Woher nahm Marlene ihre Kenntnisse? Was wusste sie von dieser geheimnisvollen Viertelstunde? Vielleicht stand Marlene vor der Tür, vielleicht träumte sie nur, denn sie war doch selber so masslos aufgeregt. Marlene ging am Abend ins Städtchen hinunter und erzählte es ihren Freundinnen. „Sie ist eine Zauberin“, erzählte Marlene. Und nun hiess es, die Pächterstochter sei überaus kundig im Umgang mit Männern ...

Geschwätz und Lüge, alles zusammen: Bertina stand schlicht und einfach vor Herrn Erlings Stuhl, neigte ihr Haupt und dankte. „Aber Sie sollen durchaus keinen Strich im Buch machen“, sagte sie lächelnd. „Nein, deshalb stehe ich nicht vor Ihnen. Und Sie sollen niemals glauben, dass ich deshalb zu Ihnen kam ...“

„Tu mir den einzigen Gefallen“, bittet Herr Erling. „Erwähn’ es nicht mehr ...“

Aber Bertina erklärt: „Nur um ein paar Monate Geduld bitte ich Sie. Ich will bald nach dem Süden fahren. Ich will eine Stelle annehmen und Ihnen das Geld schicken.“

Er fährt auf: „Du willst fort?“ fragt er hastig. „Nein, das darf nicht geschehn ...“ Und er macht es wohl ohne Überlegung; die Gelegenheit drängte sich ihm doch förmlich auf und zeigte sich günstig. Musste er sie denn nicht zurückhalten von dieser Reise nach dem Süden? Also legte er den Arm um die Mitte ihres Leibes und hielt sie.

Eigentlich zog Bertina sich gar nicht zurück; nein, sie blieb ruhig stehn, wo sie stand und schaute freundlich auf ihn nieder. Sehr behutsam und bescheiden bat sie: „Darf ich jetzt wieder gehn? Ja, ich bitte Sie um ein wenig Barmherzigkeit ...“ Voller Güte sagte sie es, mit einer stillen Wehmut in der Stimme. Aber in ihren Augen stieg jäh ein verwunderliches Flimmern auf.

Nur ein wenig Barmherzigkeit — das war wirklich alles. Darauf liess Herr Erling den Arm sinken; und er senkte sogar noch den Kopf. Dann schritt Bertina langsam und lautlos über den indischen Teppich und schritt zur Tür hinaus.

Hinter seinem grossen Eichentisch blieb Herr Erling zurück, unfähig, das Wunder, das vor seinen Augen geschehn, zu erfassen. Die Verliebheit war mit einem Schlage da und meldete sich als ein gewaltiger Sturm. „Bertina“, murmelte er und begriff nicht, dass so etwas menschenmöglich sein konnte. „Bertina?“

Wie die leibhaftige Versuchung war sie vor ihn hingetreten — war über ihn niedergeprasselt gleich einer Lawine. Sie ist doch nur ein Bauernmädchen, dachte er wohl. Was ist denn das mit mir? Benahm ich mich nicht allzu idiotisch — zum Teufel ...

Nur die Tochter des schwerfälligen Pächters Asbjörn war sie — nur Bertina hiess sie ... Sie kam zur Tür herein und schaute ihn nur still an mit ihren dunklen Augen ... Haha, das war ja so verrückt und unausdenkbar, dass Herr Erling darüber sowohl lachen als fluchen musste. „Das habe ich nun von all der verdammten Stille und Leere“, sagte er zu sich selber.

Für ihn begann eine recht schlimme Zeit.

Fürs erste schrieb er einen Brief und sandte einen Boten nach Mykja; er berief Bertina nach Kongshaugen, einfach und selbstverständlich: der Herr befahl seiner Magd zu kommen. Die Magd kam nicht. „Nein“, sagte sie. Nichts weiter als dieses kleine, unglaubhafte Wort brachte der Bote zurück.

Bertina machte es Herrn Erling durchaus nicht leicht.

„Was zum Satan?“ fragte er und riss vor Überraschung tiefe Falten in seine Stirn. Herr Erling hatte bis dahin noch nie umsonst gerufen. Er wusste wohl selber noch nicht, dass er am Anfang einer schmerzlichen Prüfung stand. Ja, er nahm es noch leicht, nahm es mit unerschüttertem Selbstvertrauen und grossen Worten.

Herr Erling schrieb einen zweiten Brief. Den sandte er durch einen Eilboten nach Mykja. „Du musst ihn ihr sowohl persönlich als eigenhändig ausliefern“, sagte er.

„Das wird geschehn“, versicherte der Eilbote. „Soll ich auf Antwort warten?“

„Wie? Nein, sie hat selber zu erscheinen.“

„Jawohl“, versprach der Eilbote. „Ich werde sie mitbringen.“

Aber nein. Diese Pächterstochter bot dem mächtigen Herrn Erling und der guten alten Überlieferung die Stirn und erklärte dem Eilboten: „Ich wüsste wahrlich nicht, was ich jetzt noch auf Kongshaugen zu tun hätte. Habe ich ihm denn nicht alles gesagt und ausführlich erklärt? Damit muss es genug sein.“

Das war also das zweite Mirakel; und das zweite war noch unbegreiflicher als das erste. „Was schwätzest du da, Mädchen?“ fragte entsetzt der Eilbote. „Nein, das meinst du wohl nicht ...“

„Das verstehst du nicht, guter Magnus“, entgegnete Bertina lächelnd und wandte ihm den Rücken.

Jawohl, der Eilbote war Magnus, der letzte Diener von Kongshaugen, der sein Leben lang nichts anderes vernommen als Gehorsam und Ehrerbietung gegen seine Herrschaft. Verzweifelt schob er seine Mütze auf dem Kopfe hin und her. Gelbliche Haarsträhnen quollen unter dem Mützenrande hervor und fielen ihm bis tief in den Nacken. Magnus fuchtelte mit beiden Händen, als er die Steintreppe von Mykja herunterstieg.

Magnus war so niedergeschlagen, eine solche Botschaft überbringen zu müssen, dass er seinem Herrn gar nicht ins Gesicht schauen durfte. „Sie will nicht kommen“, begann er zögernd und verstummte, starrte zu Boden und schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Will sie nicht?“ fragte Herr Erling. „Was sagte sie denn?“

„Nein, sie war nicht gerade ungnädig; aber sie muss ihren Verstand vollständig verloren haben“, meinte Magnus, gleichsam entschuldigend und mit abgewandtem Gesicht. Er glaubte wohl, gleich werde Herr Erling seine Hand ausstrecken und den Gaard Mykja mit allem, was darauf lebte, völlig vernichten.

Nichts davon, Herr Erling beherrschte sich. Wohl erhob er sich und kam hinter seinem grossen Tisch hervor; aber er trat nur ans Fenster und schaute hinaus. „Es ist gut. Du kannst gehen“, sagte er. Und kein Strafgericht.

Herr Erling schaute hinaus, über den See, über die Wiesen und Äcker und Wälder, über sein weites, weites Land. Und dann schaute er in den tiefen blauen Himmel hinein, der nicht ihm gehörte und dem er nicht befehlen konnte. Weiss Gott, er dachte nicht an eine Paradiesvertreibung; aber er blieb lange am Fenster stehn und zuckte heftig mit den Mundwinkeln. Wahrscheinlich nahm er es auch jetzt noch nicht übermässig schwer. Im Grunde seiner Seele war er nicht einmal aufgebracht oder wütend über Bertinas Widerstand, höchstens verblüfft war er und über alle Massen neugierig. „Diese junge Dame ...“, murmelte er lächelnd und fasste einen mannhaften Entschluss. Mit langen, sicheren Schritten verliess er sein Privatkontor.

Er ging über den Hof, durch den Park, bis an das Seeufer, dort blieb er stehn, besann sich und kehrte um. Bei den Ställen traf er Magnus, und Magnus hatte offenkundig ein schlechtes Gewissen, weil er da stand und seinem Herrn nachschaute. „Sattle mir Jarl!“ befahl Herr Erling.

Wie er nun so den See entlang galoppierte und Jarl schnaubte und weisse Schaumflocken nach beiden Seiten blies und das Lederzeug knirschte und der Wind leise um seine Ohren sang, wähnte Herr Erling sich ungeheuer mächtig. Er wähnte sich unwiderstehlich, und er meinte wohl, es sei ein hervorragender Einfall, dieserart auf den Gaard von Mykja zu reiten.

Wenn er aber glaubte, der Pächter Asbjörn werde mit der Fellmütze in der Hand auf dem Tun stehn und die Tochter Bertina werde errötend und beschämt herbeieilen, so täuschte er sich gewaltig. Verlassen und tot lag der Hof da und glich mit seinen grauen Gebäuden einer düstern Burgruine. Kein Zuruf, kein Gruss, keine Ehrerbietung. „Ei der Teufel“, sagte Herr Erling, fluchte und versündigte sich. Er richtete sich noch steiler im Sattel auf und ritt, ohne mit der Wimper zu zucken am Wohnhaus vorbei. Nicht einen einzigen Blick warf er zum Fenster hinauf, ob sich vielleicht dort ein dunkler Mädchenkopf zeigte. Jetzt, dachte er wohl in seinem Sinn, soll hart auf hart treffen.

Herr Erling ritt quer durch den Föhrenwald nach Sandnes. Der Pächter Eilif war übrigens auch ein Mann, der junge Weiblichkeit im Hause hatte. Dieser Mann besass sogar vier Töchter. Alle vier hatten rührend blondes Haar und dazu blaue Augen; frisch und rotwangig und gut gewachsen waren sie, eine wie die andere. Ausserdem bezahlte Eilif seinen Pachtschilling sogleich, als er Autuns Brief erhalten hatte. Deshalb durfte er nun unerschrocken, aber ehrerbietig auf dem Tun stehen. Eilif nahm die Fellmütze ab, als Herr Erling angeritten kam.

„Ich komme nur so zufällig in deiner Gegend vorbei“, sagte Herr Erling.

Der Pächter Eilif aber wollte die Gelegenheit ausnutzen und ein wenig Neuigkeiten vernehmen. „Wie ich höre, wurde dort unten befohlen, dass sich mehrere Netzmannschaften zur Ausfahrt rüsten sollen. Aber das wird nur loses Gerede sein, da ich bis zur Stunde keine Aufforderung erhielt ...“

„Sollte Autun dich wirklich vergessen haben?“ fragt Herr Erling. „Ja, es geht ihm in diesen Tagen gar manches durch den Kopf. Er will übrigens nur zwei Boote ausschicken.“

Worauf Eilif sich betroffen und zurückgesetzt fühlt, da auch er, so gut wie irgendeiner, zur alten Garde gehört. „Der selige Herr Nikolaj hat mich nie übergangen“, sagt er.

„Ein kleines Versehn, du Eilif. Ich werde ihn daran erinnern.“ Herr Erling zieht ein winziges Büchlein aus der Tasche und einen goldenen Bleistift, schreibt ein paar Worte und nickt.

Es wurde ein Ereignis für Sandnes. Der Hengst Jarl scharrte und schnaubte dazu, und die vier blonden Mädchen zeigten sich überall, auf der Treppe, am Fenster, unter der Haustür. Sie hatten in der Scheune und im Vorratshaus zu tun. Wenn sie an Herrn Erling vorübergingen, knicksten sie und beugten ihre Knie, und wie hübsch sie dabei erröteten.

Vielleicht hatten sie ein paar Sommersprossen im Gesicht; waren aber sonst überaus zart und lieblich. Herr Erling fragte sich selber, ob diese vier wohl lange zögern würden, wenn man sie nach Kongshaugen gerufen hätte. Weiss der Kuckuck, dachte er, wie eine gewisse Dame auf den närrischen Gedanken verfallen konnte, sich unnötig zu zieren und rar zu machen. Wer sollte klug werden aus dieser Pächterstochter Bertina — aber sie hatte nun einmal ihr dunkles Haar. Und sie hatte ausserdem, Gott verzeihe ihr, so vielerlei andere Seltsamkeiten an sich ...

„Hei, du Mädchen mit den blonden Zöpfen!“ rief er keck. „Möchtest du wohl meinem Pferd einen Schluck Wasser geben?“

„Warum denn nicht“, rief Eilifs Tochter und zeigte sich sogleich bereit. Sie wusch zuerst den Eimer am Brunnen und füllte ihn bis zum Rand. Ja, sie wollte es so gut wie nur möglich machen; sie hielt den Eimer zwischen ihren Knien, als Jarl den Kopf senkte. Und während er trank, streichelte sie seinen glatten Hals. „Er ist das schönste Pferd, das ich je gesehen habe“, sagte sie und richtete einen schnellen Blick auf den Reiter. Dann fing sie an bis an den Hals dunkel zu erglühen.

Zerstreut schaute Herr Erling auf ihren runden feinen Nacken und auf das zierliche Haargekräusel darüber. Dann schüttelte er leise, fast traurig den Kopf und wandte sich zum Pächter zurück: „Fast hätte ich es vergessen, du Eilif ... Ich brauche noch ein paar Arbeiter. Die Stallungen sollen umgebaut werden. Verstehst du dich auf Zementguss und so?“

„Meiner Seel, daran fehlt es nicht!“ ruft Eilif erfreut.

„Melde dich morgen bei Magnus.“ Mit der Spitze seiner Reitgerte kitzelte er die Tochter leicht im Nacken, dankte und ritt davon. Die Reitgerte hatte einen goldenen Griff. Wahrlich, das war eine wichtige Begebenheit für Sandnes.

Und die junge Dame Bertina bildete sich doch gar zuviel ein auf ihre dunklen Reize. „Haha“, lachte Herr Erling. Hat man je zuvor etwas Ähnliches von Hochnäsigkeit erlebt in dieser Gegend? Demnach, meinte Herr Erling, fände sich gar kein realer Grund mehr, stumm und stolz und unbemerkt an Mykja vorüberzureiten. So, wie die Dinge nun einmal lagen, konnte er sehr wohl auf den Tun traben, bis unter die Steintreppe, bis an die Hauswand heran. Ein scharfer Schlag mit der Reitpeitsche gegen die grauverwitterten Planken: „Hallo! Asbjörn — schläfst du?“

„Ja, beim Hunde, ich schlief ... Ist das nicht Herr Erling selber?“ rief der Pächter und konnte, wie gewöhnlich, das rechte Wort nicht finden.

Diesmal schielte Herr Erling doch nach den Fenstern empor, über den schwerfälligen Pächter hinweg. Alles vergeblich — kein Gesicht hinter der Gardine. Auf Mykja wollte keine Tochter erscheinen und sich irgendwo etwas zu schaffen machen. Niemand knickste, beugte das Knie und errötete. Hier verlohnte es sich kaum, auf dem feurigen Jarl zu sitzen und mit dem Sattelzeug zu knarren. Trotzdem zog Herr Erling das winzige Büchlein und den Goldstift aus der Westentasche. „Ich reite herum und suche Leute“, sagte er. „Wir haben mit Bauarbeiten begonnen. Komme morgen früh nach Kongshaugen herunter ... Wo hast du deine Tochter?“ fragte er in überflüssiger Strenge. „Ruft man sie nicht Bertina?“

„Doch — und vielen Dank“, antwortete der Pächter Asbjörn verwirrt. „Also morgen früh? Ich werde zur Stelle sein ... und Bertina heisst sie, das ist sicher ...“ Und dann leuchtet sein Gesicht plötzlich auf; ein Gedanke kommt ihm, er steigt schnell die Steintreppe hinauf und ruft in den dunklen Gang: „Bertina — hörst du, Mädchen? Sogleich komm heraus ...“

Stille.

Asbjörn schaut Herrn Erling verständnislos an und murmelt: „Oh, dieses Frauenzimmer ...“ Auf einmal empört er sich, haut mit der Faust auf die Tür: „Bertina ...“

Im dunklen Hausgang taucht Bertina auf, in kurzem Rock, die Ärmel hoch aufgekrempelt, sie trägt einen Milcheimer in der Hand. In Holzschuhen steht sie da, ohne Strümpfe und ist dennoch von einer seltenen Lieblichkeit.

Der Pächter Asbjörn, froh, dem Gesichtskreis des Herrn entzogen zu werden, verschwindet eilig im Haus. Und dort oben steht also bescheiden und still Bertina. Wiederum wird es so unbegreiflich, so über alle Massen verwunderlich. Vor diesem schlichten Bauerndirndlein verliert Herr Erling seine Sicherheit, seine Überlegenheit und ist nicht länger der Prinz. „Wie, Bertina?“ fragt er mit hilflosem Lächeln. „Du willst in den Kuhstall? Kannst du denn melken ...?“

„Ob ich melken kann?“

„Du, mit deinen seidenfeinen Händen“, murmelt Herr Erling überwältigt.

Nun lacht Bertina. Ein leises, ein seltsam heimliches Lachen, tief im Halse. „Aber Herr Erling — was glauben Sie denn ...?“

Er schaut sie immerzu an, wiegt den Kopf und zweifelt. „Ich will dir etwas sagen, Bertina: So, wie du nun dort oben stehst, gleichst du der Prinzessin aus dem Märchen, die sich zu ihrem eigenen Vergnügen als Stallmagd verkleidete. Nein, ich glaube durchaus nicht, dass du melken kannst, ehe ich es mit eigenen Augen sehe. Aber ich glaube, dass du dich vor den Kühen fürchtest. Ja, wahrlich, das glaube ich — zeig mir doch noch einmal deine Hände ...“

Sie tritt bis an den äussersten Rand der Treppe hinaus; ihre Gesichter sind jetzt auf gleicher Höhe, und sie streckt ihm ihre beiden Hände entgegen. Er beugt sich darüber ... „Mit solchen Händen ...“, sagt er leise, „... es wäre ein Verbrechen ...“

Dass diese Worte nicht nur eine lockere Schmeichelei sind, sondern dass sie Herrn Erling aus tiefstem Herzen steigen, dieses versteht Bertina wohl irgendwie; und auch sie wird ein wenig unsicher. Sachte zieht sie ihre Hände zurück, bückt sich nach dem Eimer: „Nein, jetzt muss ich gehn ...“

Grosser Himmel — und dennoch keine Befangenheit, kein Beben, keine aufflackernde Freude — immer nur diese demütige Scheu ... Bertina geht, ohne allzu grosse Hast, die Treppe hinunter, geht über den Hof, der hölzerne Milcheimer in ihrer Hand klappert.

Und da scheint es fast so, als wolle Gottvater selber dem verliebten Herrn Erling ein Zeichen geben: Der Hofhund, der bis dahin nur auf seinen Hinterläufen gesessen und in der Luft schnupperte, fährt mit scharfem Kläffen auf und springt an Jarl empor; Jarl steigt. Doch Herr Erling ist nicht der Reiter, der so leicht aus dem Sattel fällt, und er ist vor allem nicht geneigt, einen Wink von oben oder von unten zu beachten. Er ist auch nicht der Mann, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Deshalb schwingt er sich zur Erde nieder und schreitet neben Bertina her, das Herz voll übermenschlicher Zärtlichkeit. „Ich habe dich gerufen, Bertina“, sagte er mit heiserer, jäh veränderter Stimme. „Aber du bist nicht gekommen.“

Langsam dreht Bertina ihm das Gesicht zu, schaut ihm mitten auf die Stirn: „Ich darf nicht ein zweites Mal zu Ihnen kommen.“

„Du darfst nicht?“ fragt er fassungslos. „Wer sollte es dir wohl verbieten?“

„Nein, nein — niemand verbietet es ...“, entgegnet Bertina und senkt den Kopf.

Und nun zaudert er nicht länger, sondern stürmt wild drauflos. „Du darfst nicht länger als Stallmagd auf Mykja herumgehn, Bertina“, sagt er heftig. „Das will ich nicht, verstehst du ...“

Bei diesem jähen Ausbruch zuckt sie zusammen, schaut ihn fragend an und meint: „Das ist nun mein Los. Und es gefällt mir ganz gut so. Ich liebe die Tiere, und ich liebe die Wälder und die Stille.“

Die ruhige Entschiedenheit, mit der sie das sagt, die einfache Selbstverständlichkeit, mit der sie ihr Leben hinnimmt, überrascht ihn derart, dass er alle Zurückhaltung vergisst und sich hastig zu ihr hinbeugt: „Fürchte dich nicht, Bertina! Du sollst es gut haben auf Kongshaugen; keine schwere Arbeit ... und schöne Kleider sollst du haben, Schmuck und alles ...“

Dieses passt nicht für mich“, wehrt sie lächelnd.

„Ich sage dir doch, du bist viel zu gut für Mykja ...“

„Nein, nein — ich will nicht nach Kongshaugen.“

In grenzenloser Verwunderung dreht Herr Erling sich um. Steht er wirklich vor dem niederen, schiefen Stall auf Mykja? Er blickt fragend zum Himmel auf und meint wohl, gleich müsse etwas Furchtbares geschehen.

Es geschieht weiter nichts, als dass Bertina die Stalltür öffnet und keine Lust verrät, diese Unterhaltung fortzusetzen. Aber Herr Erling bleibt der Sohn seines Vaters, des mächtigen Herrn Nikolaj, dessen Wille in dieser Gegend als ungeschriebenes Gesetz bestand. Durfte er, abgewiesen, vor dieser Tür stehenbleiben?

Hatte Bertina es wirklich darauf angelegt, den jungen Herrn durch ihre sanfte Zurückweisung toll zu machen, so wählte sie die richtigen Mittel und war auf dem besten Wege. Der junge Herr scheut sich nicht, sondern bindet den Vollblüter Jarl kurz entschlossen am Türpfosten an, bückt sich und folgt Bertina in den Kuhstall, tritt nahe an sie heran und sagt: „Ich will dich zu jeder Stunde behandeln wie eine vornehme Dame. Das glaube mir ... Du sollst es niemals bereuen — im Gegenteil ...“

Aber wie heiss er ihr auch in die Augen blickt und wie blass er immer werden mochte vor Sehnsucht und Ergriffenheit, Bertina bleibt standhaft. „Warum quälen Sie mich?“ fragt sie nur sachte und lässt langsam den Kopf sinken. Den Melkkübel hatte sie zu Boden gestellt, sie hat also beide Hände frei, aber sie hebt keine Hand zur Abwehr, sie steht nur stumm und weint.

„Du weinst!“ ruft Herr Erling bestürzt. „Jetzt glaube ich aber ... Weine nicht ... Ich will dir wahrlich nicht weh tun ...“

„Aber mein Herz ist nicht mehr frei“, flüsterte sie, indem sie mit dem Handrücken ihre Augen trocknet.

Darauf war Herr Erling sicherlich am allerwenigsten gefasst. „Oho!“ ruft er aufgebracht. „Das sagst du wohl nicht. Nein, davon kann gar keine Rede sein ... Wer in dieser Gegend wäre deiner je würdig?“ Gleichzeitig versteht er jedoch, dass Bertina die Wahrheit sagt.

Auf einmal ändert er den Ton, wird weise und väterlich: „Du darfst dich nicht wegwerfen an den ersten besten“, sagt er grossartig.

Und da sie darauf nur schweigt und fortfährt, ihre Augen zu trocknen, ruft er hitzig: „Natürlich wird es nur ein gewöhnlicher Bauernbub sein. Aber dazu bist du viel zu gut, Bertina!“

„Nein.“

„Nein?“

„Wie Sie mich plagen, Herr Erling ... Aber schauen Sie sich nur um ... Hier bin ich zu Hause. Der Gaard heisst Mykja. Der Pächter heisst Asbjörn — er ist der Herrschaft den Pachtschilling schuldig. Kann man das vergessen?“

„Ja gewiss, das kann man“, erwidert er bestimmt. Das bringt ihn auf einen neuen Gedanken: „War es nicht deine Absicht, in die Stadt zu reisen, nach Bergen oder Oslo? Was willst du dort unten?“

„Was weiss ich — es wird sich schon etwas finden ...“

„Siehst du! Weshalb solltest du also nicht auf Kongshaugen einen Dienst antreten?“

„Das ist etwas anderes.“

„Du darfst auf keinen Fall reisen!“ ruft er erbittert und zum äussersten gebracht. „Denn die Stadt ist voller Gefahren. Du kennst das Leben dort unten nicht.“

Da lächelte sie nun wieder auf ihre eigene Weise. „Nein. Aber ich fürchte mich nicht vor dem Leben.“

Nun aber wird es zuviel. Wie sie so nahe vor ihm steht, mit demütig gesenktem Scheitel, ein wenig lächelt und ein wenig weint, übersteigt es seine Kraft; er muss die Arme um sie schlingen und sie küssen.

Bertina erwidert Herr Erlings Liebkosungen nicht; nein, sie ist nicht hingerissen und überwunden; doch sie wehrt sich auch nicht dagegen. Sie empfängt seine Küsse mit geschlossenen Augen, und ihre Lippen sind kühl und weich. Ihre Lippen sind leicht geöffnet ... Eine ganz tolle Sache.

„Und jetzt darfst du dich nicht länger dagegen sträuben, Bertina ... Ich erwarte dich morgen. Wegen dem Gaard hier mach dir keine Sorgen; ich werde an deiner Statt zwei gute Mägde nach Mykja schicken. Was sagst du?“

„Es ist unmöglich ... denn Sie sind nicht in meinem Herzen. Darum will ich nicht.“

Herr Erling liess die Arme sinken. Er war nicht eigentlich verdorben, nicht einmal richtig leichtsinnig. Aber nun hatte er die süsse Kühle ihrer Lippen gekostet. „Komm heute abend“, bat er. „Komm so, wie du bist“, drängte er. „Ich sehne mich nach dir ...“ Sein Mund berührte ihr Ohr, und sein Atem ging hastig und heiss. Er wartete eine Weile. Aber da sie stumm und reglos blieb, ging er schnell davon.

Herr Erling ritt nach Hause, liess Jarl über Hecken und Gräben springen. Nicht als Sieger ritt er über sein Land hin, doch in seinem Herzen war klingender Jubel. In froher Unruhe ging er durch die Räume von Kongshaugen, öffnete da eine Tür und dort eine Tür und sagte zu Marlene: „Richte ein Gastzimmer, Marlene. Heute abend wird die Tochter von Mykja eintreten — Bertina; du kennst sie wohl?“

„Bertina?“ fragte Marlene mit einem Riss in der Stimme. „Ich kenne sie nur allzu gut ...“

Für Herrn Erling hatte Kongshaugen und die ganze Welt sich wiederum verändert; alles war aufs neue froh und leicht geworden; Sonnenschein innen und Sonnenschein aussen. Das grosse Haus schwieg nicht länger in düsterer Drohung. Überwunden war die harte Prüfung; Goldstaub erfüllte die Luft.

Der Abend kam; aber nicht Bertina.

Die grosse Standuhr im Saal schlug die neunte Stunde — tickte träge weiter und schlug die zehnte Stunde. Was mochte das bedeuten? Herr Erling klingelte und bestellte Whisky und Sodawasser; er sass in seiner reichverzierten Rauchjacke in einem braunen Lederstuhl gleich einem andern General. Die Zigarette hing ihm an der Unterlippe, er blätterte in einem Buch und war ungeheuer vornehm. Aber nichts von Bertina.

„Das Mädchen von Mykja soll das Zimmer neben der Treppe haben.“

Marlene antwortet und gibt sich kaum Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen: „Bertina hat sich noch nicht gemeldet. Und ich kann es ebenso gut gradeheraus sagen: Bertina wird sich hier nicht zeigen.“

„Das meinst du wohl nicht im Ernst.“

„Ob ich es meine? Hab’ ich vielleicht nicht gleich daran gezweifelt, als Sie heute morgen davon sprachen?“

„Nein, wie du prahlen kannst!“ ruft Herr Erling ärgerlich.

„So? Ich kenne Bertina seit jeher. Ist sie vielleicht nicht sonderbar und unnatürlich? Leif von Sudalen gilt als ihr Liebster ... Schon als kleines Mädchen war sie ein wenig verrückt ...“

„Nein, du Marlene — war sie verrückt?“

„Wurden wir, ich und Bertina, denn nicht am gleichen Tage und im gleichen Wasser getauft? Aber sie war alle ihre Tage steif im Nacken und lang im Stroh. Niemals zeigte sie sich abends auf der Landstrasse, wenn die Jugend tanzte ...“

Voller Unwillen sagt Herr Erling: „Und dann hängte sie sich also an einen ganz gewöhnlichen Burschen — wie nanntest du ihn?“

„Leif — ja, das ist genau so mystisch wie alles übrige. Ein rabiater Kerl ist dieser Leif. Er betreibt den Gaard von Sudalen — ein Rattengaard: vier Kühe, ein Schwein, sechs Schafe, und Schulden mehr als genug ...“

„Nun ja“, nickte Herr Erling. „Es ist gut.“

„Soll ich heisses Wasser auf ihr Zimmer stellen?“ fragte Marlene, die grosse Lust hatte, das Gespräch fortzusetzen.

Doch Herr Erling winkte nur mit der Hand; Marlene warf den Kopf in den Nacken und ging. Bei der Tür zögerte sie, blickte über die Schulter zurück. Nein, Herr Erling machte kein Zeichen; er blätterte wieder in seinem Buch, und die Zigarette baumelte an seiner Unterlippe. Sicherlich sass er in andern Gedanken.

Hatte Marlene sich verplappert und zuviel gesagt? Keine Spur. Marlene hätte weit mehr verraten können, und sie bereute kein Wort ...

Zu dieser Stunde erhob sich der Bauer Asbjörn hinter dem Küchentisch auf Mykja, fuhr mit seinen grossen Händen über sein struppiges Gesicht, gähnte laut. „Was wollte er eigentlich heute morgen von dir, Herr Erling?“

Die Tochter antwortete leichthin: „Er wollte im Grunde gar nichts.“

Darauf ging der Pächter in die Kammer und legte sich ins Bett. Bertina holte ein feines Tuch aus der Truhe, zog die Lampe zu sich heran und begann zu sticken. Einmal stand sie auf und öffnete das Fenster, lauschte hinaus und schloss es wieder.

Es war eine schwüle Sommernacht.

Herr Erlings Magd

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