Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 10

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»Wörtlich und genau auf diesen Fall passend nicht; aber es kommt darauf an, wer ein solches Buch liest und wie er es liest. Man kann wirklich viel daraus lernen und dann in der Wirklichkeit für andere, ähnliche Fälle anwenden.«

»Hm, sonderbar! Scheinen also doch im Westen gewesen zu sein, die so etwas schreiben! Uebrigens stimmt Eure Vermutung mit der meinigen zusammen. Wollen doch ‘mal sehen, ob sie richtig ist.«

»Ich vermute, daß sie nicht eine Tragbahre, sondern eine Schleife angefertigt haben.«

»Warum?«

»Um einen Toten oder überhaupt etwas auf einer Bahre zu tragen, dazu sind zwei Pferde erforderlich, die entweder neben-oder hintereinander hergehen; die Apachen haben aber nur drei Pferde. Bei einer Schleife jedoch genügt ein einzelnes Pferd.«

»Richtig; aber die Schleife macht eine verteufelte Fährte, was für den Betreffenden verderblich werden kann. Uebrigens ist anzunehmen, daß sie gestern kurz vor Abend hier gewesen sind; es wird sich also bald zeigen, ob sie gelagert haben oder während der Nacht geritten sind.«

»Ich möchte das letztere behaupten, weil sie ja doppelten Grund zur Eile haben.«

»Ganz richtig; also laßt uns sehen.«

Wir waren abgestiegen und gingen, unsere Pferde hinter uns führend, auf der Fährte langsam weiter. Sie sah jetzt ganz anders aus als vorher, sie war zwar auch wieder dreifach, doch nicht in der früheren Weise. Der mittlere, breite Strich stammte von den Pferdehufen, und die beiden Seitenstriche waren von der Schleife eingeritzt worden. Sie bestand also wohl aus zwei Hauptstangen und mehreren Querhölzern, die aneinander befestigt und auf welche dann die Leiche gebunden worden war.

»Sind von hier aus hintereinander geritten,« meinte Sam. »Das muß einen Grund haben, denn es ist zum Nebeneinanderreiten genug Platz da. Folgen wir ihnen nach!«

Wir stiegen wieder auf und ritten im Trabe weiter, dabei dachte ich darüber nach, aus welchem Grunde sie wohl von jetzt an hintereinander geritten sein könnten. Ich sann und sann und glaubte bald, das Richtige gefunden zu haben. Darum sagte ich:

»Sam, strengt Eure Augen an! Es wird mit dieser Spur bald eine Aenderung eintreten, die wir nicht bemerken sollen.«

»Wieso? Eine Aenderung?« fragte er.

»Jawohl. Sie haben die Schleife angefertigt nicht nur um sich den Ritt zu erleichtern und die Leiche nicht mehr halten zu müssen, sondern auch um sich trennen zu können.«

»Was Ihr denkt? Sich trennen! Wird ihnen nicht im Traume einfallen, hihihihi!« lachte er.

»Im Traume nicht, aber im Wachen.«

»So sagt mir, wie Ihr auf diese Idee kommt! Da werden Eure Bücher Euch wohl gewaltig in die Irre geführt haben.«

»Das steht nicht darin, sondern ich habe es mir selbst gesagt, allerdings nur infolgedessen, daß ich diese Bücher sehr aufmerksam gelesen und mich in ihren Inhalt sehr lebhaft hineingedacht habe.«

»Nun also?«

»Bisher habt Ihr den Lehrer gemacht; nun werde ich Euch auch einmal fragen.«

»Wird viel Kluges werden; bin neugierig darauf!«

»Weshalb pflegen die Indianer überhaupt meist hintereinander zu reiten? Doch nicht der Bequemlichkeit oder der Geselligkeit halber?«

»Nein, sondern damit der, welcher auf ihre Fährte stößt, nicht zählen könne, wie viele Reiter es gewesen sind.«

»Schau! Ich glaube, ganz derselbe Grund liegt auch hier in diesem Falle vor.«

»Möchte wissen!«

»Aber warum reiten da die Beiden im Gänsemarsch, wo doch Platz wäre für mehr als drei Pferde?«

»Zufall, oder, was wohl das Richtige sein wird, des Toten wegen. Einer reitet vorn als Wegweiser; dann kommt das Pferd mit der Leiche und hinterher der Andere, welcher aufzupassen hat, daß die Schleife fest zusammenhält und der Tote nicht etwa herunterfällt.«

»Mag sein; aber ich muß daran denken, daß sie Eile haben, an uns zu kommen. Der Transport des Erschossenen geht zu langsam; also wird wohl einer von ihnen voraneilen, damit die Krieger der Apachen schneller benachrichtigt werden können.«

»Das gaukelt Euch die Phantasie so vor. Ich sage Euch, daß es ihnen gar nicht einfallen wird, sich voneinander zu trennen.«

Warum sollte ich mich mit ihm streiten? Ich konnte ja unrecht haben; ja, ich hatte es höchst wahrscheinlich, weil er ein erfahrener Scout und ich eben ein Greenhorn war. Darum schwieg ich, aber ich paßte scharf auf den Boden und auf die Fährte auf.

Nicht lange nachher kamen wir an einen nicht tiefen, sondern sehr flachen aber desto breiteren und jetzt vollständig ausgetrockneten Wasserlauf. Das war so eine Flußmulde, welche im Frühlinge die Gebirgswässer aufnimmt und dann, wenn diese sich verlaufen haben, während der übrigen Zeit trocken bleibt. Der Boden zwischen den beiden niedrigen Ufern bestand aus vom Wasser rund geschliffenem Steingrus, zwischen dem sich einzelne Lager feinen, leichten Sandes befanden. Die Spur führte quer hindurch.

Während wir langsam hinüberritten, betrachtete ich den Grus und Sand auf beiden Seiten auf das genaueste. Wenn ich vorhin das Richtige erraten hatte, so war hier für einen der Apachen der geeignetste Ort, abzuweichen. Wenn er ein Stück die trockene Mulde hinunterritt und sein Pferd nicht auf den Sand, sondern nur auf den harten Grus treten ließ, der keine Spur annahm, so konnte er verschwinden, ohne eine Fährte zurückzulassen. Ritt dann der Andere weiter, mit dem Schleifenpferde hinter sich, so konnte man die Spur dieser beiden Pferde noch immer für die von dreien halten.

Ich hielt mich hinter Sam Hawkens. Schon war ich fast hinüber, da bemerkte ich in einer Sandlage, grad wo sie an eine Gruslage stieß, eine runde Vertiefung, deren Ränder eingefallen waren; sie hatte ungefähr die Weite einer großen Kaffeetasse. Ich hatte damals nicht den scharfen Blick, den Scharfsinn und die Erfahrung, die ich später besaß; aber was ich später behauptet und bewiesen hätte, das ahnte ich damals wenigstens, nämlich daß diese kleine Vertiefung von einem Pferdehufe rühre, der von dem höheren Grus in den tiefer liegenden Sand hinabgerutscht war. Als wir am andern Ufer angekommen waren, wollte Sam auf der Fährte weiterreiten; ich aber forderte ihn auf:

»Kommt einmal da nach links hinüber, Sam!«

»Warum?« fragte er.

»Will Euch etwas zeigen.«

»Was?«

»Werdet es gleich sehen. Kommt nur mit!«

Ich ritt am Ufer des Trockenbettes hinab; es war mit Gras bestanden. Wir hatten nicht mehr als zweihundert Pferdeschritte gemacht, da kam die Fährte eines Reiters aus dem Sande herauf und führte ganz deutlich über das Gras in südlicher Richtung hin.

»Was ist das hier, Sam?« fragte ich, nicht wenig stolz, als Neuling recht zu bekommen.

Seine kleinen Aeuglein schienen sich in ihre Höhlen verkriechen zu wollen, und sein listiges Gesicht zog sich in die Länge.

»Pferdestapfen!« antwortete er erstaunt.

»Wo sind sie hergekommen?«

Er blickte über das Trockenbett hinüber, und da er dort keine Spur bemerkte, meinte er:

»Jedenfalls hier aus dem Frühjahrsflusse.«

»Allerdings. Und wer mag der Reiter da gewesen sein?«

»Weiß ich es!«

»Nein, aber ich weiß es.«

»Nun, wer denn?«

»Einer von den beiden Apachen.«

Sein Gesicht dehnte sich noch mehr in die Länge, eine Fähigkeit, die ich ihm bisher gar nicht zugetraut hatte, und er rief aus:

»Von diesen beiden? Nicht möglich!«

»O doch! Sie haben sich getrennt, wie ich vorhin vermutete. Kommt nun zu unserer Fährte zurück! Wenn wir sie genau betrachten, so werden wir sehen, daß sie nun von nur zwei Pferden herrührt.«

»Das wäre ja ganz erstaunlich! Wollen einmal sehen. Bin fürchterlich neugierig!«

Wir ritten zurück und waren nun freilich aufmerksamer, als wir gewesen wären, wenn ich meine Entdeckung nicht gemacht hätte. Wir fanden wirklich heraus, daß von hier an nur zwei Pferde weitergegangen waren. Sam hustete einige Male, betrachtete mich mit mißtrauischen Augen vom Kopfe bis zu den Füßen herunter und fragte:

»Wie seid Ihr denn auf die Idee gekommen, daß die abgezweigte Spur da drüben aus dem Trockenbette kommen werde?«

»Ich habe einen Fußstapfen da unten im Sande gesehen und das übrige daraus geschlossen.«

»Das wäre! Zeigt mir doch einmal den Stapfen!«

Ich führte ihn hinunter, wo ich ihn sah. Da blickte er mich noch viel mißtrauischer an, als vorhin, und fragte:

»Sir, wollt Ihr mir einmal die Wahrheit sagen?«

»Ja. Glaubt Ihr vielleicht, daß ich Euch einmal belogen habe?«

»Hm, Ihr scheint ein wahrheitsliebender und ehrlicher Kerl zu sein; aber in diesem Falle traue ich Euch doch nicht. Ihr seid noch nie in der Prairie gewesen?«

»Nein.«

»Ueberhaupt im wilden Westen nicht?«

»Nein.«

»Auch nicht in den Vereinigten Staaten?«

»Nie.«

»Oder gibt es ein anderes Land, wo es auch Prairien und Savannen gibt und so etwas wie hier der Westen, und dort seid Ihr gewesen?«

»Nein. Ich bin nie aus meiner Heimat weggekommen.«

»So hole Euch der Teufel, Ihr ganz und gar unbegreifliches Menschenkind!«

»Oho, Sam Hawkens! Ist das ein Segensspruch von einem Freunde, wie Ihr zu sein behauptet!«

»Na, nehmt mir’s ‘mal nicht übel, wenn mir bei solchen Dingen der Käfer über die Galle läuft! Kommt so ein Greenhorn nach dem Westen, hat noch kein Gras wachsen und keinen Erdfloh singen gehört und treibt schon gleich beim ersten Kundschafterritte dem alten Sam Hawkens die Schamröte ins Gesicht. Wenn man da kaltes Blut behalten soll, so müßte man im Sommer ein Eskimo und im Winter ein Grönländer sein, wenn ich mich nicht irre. Als ich so jung war, wie Ihr jetzt seid, da war ich zehnmal gescheiter als Ihr, und jetzt in meinen alten Tagen scheine ich zehnmal dümmer zu sein. Ist das nicht traurig für einen Westläufer, der seine Portion Ehrgefühl besitzt?«

»Braucht es Euch nicht so tief zu Herzen zu nehmen.«

»Oho, es greift an! Ich muß gestehen, daß Ihr recht gehabt habt. Woher kommt das nur?«

»Daher, daß ich logisch richtig gedacht und geschlossen habe. Das richtige Schließen ist sehr wichtig.«

»Schließen? Was ist das? Mit einem Schlüssel?«

»Nein. Schlüsse ziehen, meine ich.«

»Das verstehe ich nicht; ist mir zu hoch.«

»Nun, ich habe folgenden Schluß gezogen: Wenn Indianer hintereinander reiten, wollen sie ihre Spur verdecken; die beiden Apachen sind hintereinander geritten, folglich wollten sie ihre Spur verdecken. Das versteht Ihr doch?«

»Selbstverständlich.«

»Durch diesen richtigen Schluß bin ich zu der richtigen Entdeckung gekommen. Der richtige Westmann muß vor allem richtig denken können. Ich will Euch noch so einen Schluß sagen. Wollt Ihr ihn hören?«

»Warum nicht?«

»Ihr heißt Hawkens. Das soll doch “Falke” sein?«

»Yes!«

»So hört! Der Falke frißt Feldmäuse. Ist das richtig?«

»Ja; wenn er sie fängt, da frißt er sie.«

»Nun also ist der Schluß: Der Falke frißt Feldmäuse; Ihr heißet Hawkens, folglich freßt Ihr Feldmäuse.«

Sam machte den Mund auf, jedenfalls um Atem und Gedanken schöpfen zu können, sah mich eine kleine Weile wie abwesend an und brach dann los:

»Sir, wollt Ihr Euch über mich lustig machen? Das verbitte ich mir! Ich bin noch lange kein Bajazzo, dem man auf dem Buckel herumspringen kann. Ihr habt mich beleidigt, schwer beleidigt mit der teuflischen Behauptung, daß ich Mäuse fresse, und noch dazu elende Feldmäuse. Dafür will ich Genugtuung haben. Was denkt Ihr vom Duell?«

»Großartig!«

»Jawohl! Ihr habt studiert, nicht wahr?«

»Ja.«

»So seid Ihr satisfaktionsfähig, und ich werde Euch also meinen Sekundaner schicken. Verstanden?«

»Ja. Aber habt Ihr studiert?«

»Nein.«

»So seid Ihr nicht satisfaktionsfähig, und ich werde Euch also meinen Tertianer oder Quartaner schicken. Verstanden?«

»Nein, das verstehe ich nicht,« meinte er, indem er ein verlegenes Gesicht zeigte.

»Nun, wenn Ihr die Regeln des Duells nicht versteht und nicht einmal wißt, welche Bedeutung Euer Sekundaner und mein Tertianer und Quartaner dabei haben, so könnt Ihr mich doch nicht fordern. Ich will Euch freiwillig eine Genugtuung geben.«

»Welche?«

»Ich schenke Euch mein Grizzlybärenfell.«

Seine Aeuglein blitzten sofort wieder.

»Das braucht Ihr doch selbst!«

»Nein. Ich gebe es Euch.«

»Ist’s wahr?«

»Ja.«

»Heigh-day, das nehme ich sofort an. Danke, Sir, danke außerordentlich! Halloo, werden sich die Andern ärgern! Wißt Ihr, was ich daraus mache?«

»Nun?«

»Einen neuen Jagdrock, einen Jagdrock aus Grizzlyleder! Welch ein Triumph! Werde ihn selber machen. Bin ein ausgezeichneter Jagdrockschneider. Seht Euch diesen da an, wie schön ich ihn ausgebessert habe!«

Er deutete auf den vorsintflutlichen Sack, in welchem er steckte. Da war allerdings ein Lederstück immer wieder auf das Andere geflickt, so daß der Rock die Dicke eines Brettes angenommen hatte.

»Aber,« fügte er in seiner großen Freude hinzu, »die Ohren, die Krallen und die Zähne bekommt Ihr, die brauche ich nicht zum Rocke, und Ihr habt Euch diese Trophäen mit größter Lebensgefahr erkämpft. Ich mache Euch eine Kette daraus; ich verstehe mich auf solche Arbeiten. Wollt Ihr?«

»Ja.«

»Recht so, recht so, denn dann hat ein jeder seine Freude. Ihr seid wirklich ein tüchtiger Kerl, ein ganz tüchtiger Kerl. Schenkt Eurem Sam Hawkens das Grizzlyfell. Nun könnt Ihr meinetwegen von mir behaupten, daß ich nicht nur Feldmäuse, sondern auch Ratten fresse, es wird meine Seelenruhe nicht im geringsten aus der Fassung bringen. Und das mit den Büchern ich sehe doch, daß sie nicht ganz so übel sind, wie ich erst dachte; man kann wirklich vieles daraus lernen. Werdet Ihr wirklich eines schreiben?«

»Vielleicht mehrere.«

»Ueber Eure Erlebnisse?«

»Ja.«

»Und ich komme auch mit hinein?«

»Nur meine hervorragendsten Freunde, so ungefähr um ihnen ein schriftliches Denkmal zu setzen.«

»Hm, hm! Hervorragend! Denkmal setzen! Das klingt freilich ganz anders als gestern. Ich muß mich da sehr verhört haben. Also ich auch?«

»Wenn Ihr wollt, sonst nicht.«

»Hört, Sir, ich will. Ich bitte Euch sogar darum, mich mit hineinzusetzen.«

»Gut; es wird geschehen.«

»Schön! Aber da müßt Ihr mir einen Gefallen tun!«

»Welchen!«

»Ihr erzählt alles, was wir miteinander erlebt haben?«

»Ja.«

»So laßt das weg, daß ich die abgezweigte Spur hier nicht gefunden habe! Sam Hawkens, und so etwas nicht finden! Ich muß mich ja vor allen Lesern schämen, die von Euch lernen sollen. Wenn Ihr die Güte haben wollt, dies zu verheimlichen, so mögt Ihr dafür getrost das von den Mäusen und Ratten hineinsetzen. Was die Leute über mein Essen denken, das ist mir ganz und gar egal; aber wenn sie mich für einen Westmann hielten, der einen Indsman fortreiten läßt, ohne dies an der Fährte zu sehen, das würde mich wurmen, außerordentlich wurmen!«

»Das geht nicht, lieber Sam.«

»Nicht? Warum?«

»Weil ich jede Person, welche ich bringen werde, genau so beschreiben muß, wie sie ist. Da will ich Euch doch lieber weglassen.«

»Nein, nein, ich will mit hinein ins Buch, partout mit hinein! Es ist jedenfalls auch besser, wenn Ihr die Wahrheit sagt. Wenn Ihr meine Fehler bringt, so mag das für die Leser, die ebenso dumm sind, wie ich bin, ein warnendes Beispiel zur Aufmunterung sein, hihihihi; ich aber, da ich nun weiß, daß ich gedruckt werde, werde mir alle Mühe geben, um dergleichen Fehler fernerhin zu vermeiden. Also, wir sind einverstanden?«

»Ja.«

»So wollen wir weiter!«

»Welcher Spur? Der abgezweigten?«

»Nein, dieser hier.«

»Ja; das wird Winnetou sein.«

»Woraus schließt Ihr das?«

»Dieser hier soll mit der Leiche langsamer nachfolgen; der Andere aber reitet voraus, um schnell Krieger zu versammeln; also wird er wohl der Häuptling sein.«

»Yes; stimmt; bin derselben Ansicht. Der Häuptling geht uns jetzt nichts an. Wir reiten nur seinem Sohne nach.«

»Warum diesem?«

»Weil ich wissen will, ob er doch noch Lager gemacht hat; darauf kommt es mir an. Also vorwärts, Sir!«

Es ging im Trabe weiter, ohne daß etwas Erwähnenswertes geschah. Auch die Beschreibung der Gegend, durch welche wir kamen, würde kein Interesse bieten. Erst eine Stunde vor Mittag hielt Sam an und sagte:

»Nun ist’s genug; wir kehren um. Auch Winnetou ist die ganze Nacht hindurch geritten; sie haben also große Eile, und wir können ihren Angriff bald erwarten, vielleicht noch innerhalb der fünf Tage, die Ihr zu arbeiten habt.«

»Das wäre bös!«

»Allerdings. Hört Ihr auf, und machen wir uns aus dem Staube, so bleibt die Arbeit unvollendet; bleiben wir aber da, so werden wir überfallen, und die Arbeit wird doch nicht fertig. Wir müssen die Sache mit Bancroft ernstlich besprechen.«

»Vielleicht bietet sich ein Ausweg.«

»Wüßte nicht, welcher?«

»Daß wir uns einstweilen in Sicherheit bringen und dann, wenn die Apachen sich zurückgezogen haben, den Rest vollenden.«

»Ja, das ginge vielleicht. Werden sehen, was die Andern dazu sagen. Wir müssen uns beeilen, noch vor nacht das Lager zu erreichen.«

Wir schlugen rückwärts denselben Weg ein, den wir herwärts geritten waren. Wir hatten unsere Tiere nicht geschont, aber mein Rotschimmel war noch ganz frisch, und die “neue Mary” tat ganz so, als ob sie soeben erst aus dem Stalle gekommen sei. Wir legten in kurzer Zeit bedeutende Strecken zurück, bis wir ein fließendes Wasser erreichten, wo wir unsere Tiere trinken und ein Stündchen ausruhen lassen wollten. Da stiegen wir ab und streckten uns zwischen Büschen im weichen Grase aus.

Was wir uns zu sagen hatten, das war gesagt worden; darum lagen wir jetzt still da. Ich dachte an Winnetou und den wahrscheinlich bevorstehenden Kampf mit ihm und seinen Apachen, und Sam Hawkens hatte die Augen zugemacht und ah, er schlief; ich sah es den regelmäßigen Bewegungen seiner Brust an. Er hatte in letzter Nacht nicht viel geschlafen. Hier konnte er ein kleines Nickerchen riskieren, weil ich wachte und wir auf dem Herwege in der ganzen Gegend nichts Verdächtiges bemerkt hatten.

Jetzt sollte ich ein Beispiel davon erleben, wie scharf die Sinne der Menschen und der Tiere im wilden Westen sind. Das Maultier steckte mitten im Gebüsch, so daß ich es nicht sehen konnte, und knusperte die Blätter von den Zweigen; es war kein geselliges Tier, mied die Pferde und war am liebsten allein. Mein Schimmel stand in meiner Nähe und mähte mit seinen scharfen Zähnen das Gras ab. Sam schlief, wie ich bereits gesagt habe.

Da ließ das Maultier ein kurzes, seltsames, ich möchte sagen, warnendes Schnauben hören, und im Nu war Sam aufgewacht und stand auf den Beinen.

»Ich schlief; die Mary schnaubte; das hat mich aufgeweckt. Es kommt ein Mensch oder ein Tier. Wo ist mein Maultier?«

»Da in den Büschen. Kommt!«

Wir krochen ins Gesträuch und sahen nun die Mary, wie sie, vorsichtig hinter den Zweigen verborgen, durch dieselben blickte. Ihre langen Ohren bewegten sich lebhaft, und der Schwanz ging auf und nieder. Als sie sah, daß wir kamen, war sie beruhigt; Schwanz und Ohren standen still. Das Tier hatte sich wirklich in sehr guten Händen befunden, und Sam konnte sich beglückwünschen, anstatt eines Pferdes diese Mary gefangen zu haben.

Als wir durch die Zweige blickten, sahen wir sechs Indianer, einer hinter dem andern, von Norden her, wohin wir wollten, auf unserer Fährte geritten kommen. Der Vorderste von ihnen, eine nicht hohe, aber muskulöse Gestalt, hielt den Kopf gesenkt und schien die Augen nicht von der Fährte zu wenden. Sie trugen alle lederne Leggins und dunkle Wollenhemden. Bewaffnet waren sie mit Flinten, Messern und Tomahawks. Ihre Gesichter glänzten vor Fett; quer über dieses ging ein blauer und ein roter Strich hinweg.

Schon wollte diese Begegnung mir Sorge machen, da sagte Sam, ohne seine Stimme vorsichtig zu dämpfen:

»Welch ein Zusammentreffen! Das rettet uns, Sir!«

»Retten? Wieso? Wollt Ihr nicht leiser reden?« Die Kerls sind schon so nahe, daß sie uns hören müssen.«

»Das sollen sie auch. Es sind Kiowas. Der, welcher voranreitet, ist Bao, was in ihrer Sprache Fuchs bedeutet, ein tapferer und auch schlauer Krieger, wie ja schon sein Name sagt. Der Häuptling dieser Leute heißt Tangua, ein unternehmender Indsman, aber mein guter Freund. Sie tragen die Kriegsfarben im Gesicht und sind also wahrscheinlich Kundschafter. Ich habe aber nicht gehört, daß irgend ein Stamm gegen den andern aufgetreten sei.«

Das Wort Kiowa wird Keioweh ausgesprochen. Dieser rote Stamm scheint ein Mischvolk von Shoshonen und Pueblo-Indianern zu sein; es sind ihm im Indianerterritorium Reservationen angewiesen worden, aber es schweifen noch viele Abteilungen in den texanischen Wüsten, namentlich im sogenannten Pan-handle herum und bis nach Neu-Mexiko hinein. Diese Abteilungen sind sehr gut beritten und an Pferden reich. Sie werden den Weißen durch ihre Raublust sehr gefährlich, und darum sind die Ansiedler in den Grenzgebieten ihre erbittertsten Feinde. Auch mit den verschiedenen Apachenstämmen stehen sie auf schlechtem Fuße, da sie auch das Eigentum und Leben dieser ihrer roten Brüder nicht zu schonen pflegen. Sie sind mit einem Worte Räuberbanden. Wodurch sie das geworden sind, das braucht man nicht zu fragen.

Die sechs Kundschafter waren jetzt nahe herangekommen. Wie sie uns retten sollten, das leuchtete mir nicht ein. Sechs Indianer konnten uns wenig oder gar nichts helfen. Bald freilich sollte ich erfahren, wie Sam Hawkens es gemeint hatte. Für jetzt freute ich mich nur darüber, daß sie Sam kannten und wir also von ihnen wahrscheinlich nichts zu fürchten hatten.

Sie waren auf unserer Herfährte gekommen und sahen nun unsere Rückspur, welche in das Gebüsch führte. Daraus schlossen sie natürlich, daß sich Menschen in demselben befanden. Sofort rissen sie ihre außerordentlich kräftigen und beweglichen Pferde herum und jagten zurück, um aus der Tragweite unserer Gewehre zu kommen. Da trat Sam vor das Gebüsch hinaus, hielt beide Hände hohl an den Mund und stieß einen schrillen, weithin schallenden Ruf aus, welcher ihnen bekannt zu sein schien, denn sie hielten ihre Pferde an und schauten zurück. Er rief abermals und winkte ihnen dann. Sie verstanden beides, den Ruf und den Wink; sie sahen Sam, dessen eigentümliche Gestalt nicht zu verkennen war, und kamen im Galoppe zurück. Ich hatte mich neben Sam gestellt. Sie stürmten auf uns zu, als ob sie uns niederreiten wollten; wir blieben ruhig stehen; da rissen sie eine Elle von uns ihre Pferde in die Häksen, schnellten aus dem Sattel und ließen sie laufen.

»Unser weißer Bruder Sam ist hier?« fragte der Anführer. »Wie kommt er in den Weg seiner roten Freunde und Brüder?«

»Bao, der listige Fuchs, hat mich getroffen, weil er sich auf meiner Fährte befindet,« antwortete Sam.

»Wir glaubten, es sei die Spur der roten Hunde, die wir suchen,« meinte der Fuchs in gebrochenem, aber ziemlich verständlichem Englisch.

»Welche Hunde meint mein roter Bruder?«

»Die Apachen vom Stamme der Mescaleros.«

»Warum nennt ihr sie Hunde? Ist ein Streit ausgebrochen zwischen ihnen und meinen Brüdern, den tapfern Kiowas?«

»Das Kriegsbeil ist ausgegraben zwischen uns und diesen räudigen Coyoten.«

»Uff! Das freut mich zu hören! Meine Brüder mögen sich zu uns setzen, denn ich habe ihnen Wichtiges zu sagen.«

Der Fuchs sah mich forschend an und fragte:

»Ich habe dieses Bleichgesicht noch nie gesehen; es ist noch jung; gehört es bereits unter die Krieger der weißen Männer? Hat es sich schon einen Namen erworben?«

Hätte Sam meinen deutschen Namen gesagt, so hätte derselbe keinen Effekt gemacht. Da besann er sich auf das Wort, welches Wheeler ausgesprochen hatte, und antwortete:

»Dieser mein liebster Freund und Bruder ist jüngst erst über das große Wasser gekommen und ein großer Krieger bei seinem Volke. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Büffel oder einen Bären gesehen und dennoch vorgestern mit zwei alten Büffelbullen gekämpft und sie erlegt, um mir das Leben zu retten, und dann gestern den grauen Grizzly des Felsengebirges mit dem Messer erstochen, ohne daß ihm dabei die Haut geritzt worden ist.«

»Uff, uff!« riefen die Roten, mich bewundernd, aus, und Sam fuhr, allerdings in überschwänglicher Weise, fort:

»Seine Kugel verfehlt niemals ihr Ziel, und in seiner Hand wohnt so viel Kraft, daß er jeden Feind mit einem einzigen Hiebe seiner Faust zu Boden schmettert. Darum haben ihm die weißen Männer des Westens den Namen Old Shatterhand gegeben.«

So, da war ich ja ganz ohne meine Einwilligung mit einem Kriegsnamen ausgerüstet worden, den ich seit jener Zeit da drüben stets getragen habe. Das ist so Sitte im Westen. Oft kennen die besten Freunde gegenseitig ihre wirklichen Namen nicht.

Der Fuchs reichte mir die Hand und sagte in freundlichem Tone:

»Wenn Old Shatterhand es erlaubt, werden wir seine Freunde und Brüder sein. Wir lieben solche Männer, welche ihre Feinde mit einem Schlage niederschmettern. Darum wirst du hochwillkommen sein in unsern Zelten.«

Das hieß mit andern Worten: Wir brauchen Spitzbuben von einer solchen Körperkraft, wie du sie besitzest; darum komm zu uns. Wenn du mit uns und für uns mausest, stiehlst und raubst, sollst du es leidlich gut bei uns haben. Trotzdem antwortete ich so ziemlich mit jener Würde, welche ich mir später ganz zu eigen gemacht habe:

»Ich liebe die roten Männer, denn sie sind die Söhne des großen Geistes, dessen Kinder auch die Bleichgesichter sind. Wir sind Brüder und wollen uns beistehen gegen alle Feinde, welche uns und euch nicht achten!«

Ein wohlgefälliges Schmunzeln ging über sein mit Fett und Farbe beschmiertes Gesicht, als er mir hierauf versicherte:

»Old Shatterhand hat wohl gesprochen. Wir wollen die Pfeife des Friedens mit ihm rauchen.«

Hierauf setzten sie sich mit uns an das Wasser. Er zog eine Pfeife hervor, deren lieblich-niederträchtige Penetranz meine Nase schon von weitem empörte, und stopfte sie mit einer Mischung, welche aus zerstoßenen roten Rüben, Hanfblättern, geschnittenen Eicheln und Sauerampfer zu bestehen schien, versetzte sie in Brand, stand auf, tat einen Zug, blies den Rauch gen Himmel und gegen die Erde und sagte:

»Da oben wohnt der gute Geist, und hier auf der Erde wachsen die Pflanzen und die Tiere, welche er für die Krieger der Kiowas bestimmt hat.«

Hierauf tat er vier weitere Züge und fuhr fort, nachdem er den Rauch nach Norden, Süden, Osten und Westen geblasen hatte:

»Nach diesen Gegenden hin wohnen die roten und weißen Männer, welche diese Tiere und Pflanzen unrechtmäßiger Weise für sich behalten. Wir werden sie aber aufsuchen und uns nehmen, was uns gehört. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Welch eine Rede! So ganz anders als diejenigen, welche ich bisher gelesen hatte oder später so oft gehört habe. Dieser Kiowa sagte ja hier mit offenen Worten, daß er die sämtlichen Erzeugnisse des Tier-und Pflanzenreiches als Eigentum seines Stammes ansehe und darum den Raub nicht nur für sein Recht halte, sondern sogar als seine Pflicht betrachte! Und ich sollte dieser Leute Freund nun sein! Aber wer unter die Musikanten gerät, muß mitblasen.

Der Fuchs reichte Sam die unfriedliche Friedenspfeife hin. Der Mann tat wacker seine sechs Züge und sagte:

»Der große Geist achtet nicht auf die verschiedene Haut der Menschen, denn die können sich mit Farbe beschmieren, um ihn zu täuschen, sondern er sieht das Herz an. Die Herzen der Krieger vom berühmten Stamme der Kiowas sind tapfer, unerschrocken und treu. Das meinige hängt an ihnen wie mein Maultier an dem Baume, an welchen ich es gebunden habe. So wird es hängen bleiben allezeit, wenn ich mich nicht irre. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Das war nun freilich Sam Hawkens, der listig lustige kleine Mann, der jedem Dinge und jedem Verhältnisse eine erträgliche Seite abzugewinnen verstand. Seine Rede wurde mit einem allgemeinen, wiederholten »Uff, uff, uff!« belohnt. Leider beging er die Freveltat, nun mir das tönerne Stinktier in die Hand zu schieben. Ich war gezwungen, in den sauern Apfel zu beißen, und nahm mir vor, meine edle Würde zu bewahren und die Züge meines männlich ernsten Gesichtes zu beherrschen. Ich rauche sehr gern, und mir ist nie im Leben eine Zigarre zu stark gewesen. Ich habe sogar den famosen “Dreimännertabak” geraucht, welcher diesen Namen seinem fürchterlichen Geschmacke verdankt; wer ihn raucht, muß, wenn er nicht umfallen will, von drei Männern festgehalten werden. Ich konnte also erwarten, daß mich auch diese indianische Friedensröhre nicht über den Haufen werfen werde. Ich erhob mich also, machte mit der linken Hand eine zur Andacht auffordernde Bewegung und tat den ersten Zug. Ja, es stimmte, die vorhin angegebenen Ingredienzien, nämlich Rüben, Hanf, Eicheln und Sauerampfer, waren alle in dem Pfeifenkopfe anwesend; aber einen fünften Hauptstoff hatte ich nicht genannt; jetzt roch und schmeckte ich, daß auch ein Stückchen Filzschuh dabei sein müsse. Ich blies den Rauch auch gegen den Himmel und gegen die Erde und sagte dann:

»Vom Himmel kommt der Sonnenstrahl und der Regen; von ihm kommt jede gute Gabe und aller Segen. Die Erde empfängt die Wärme und Nässe und spendet dafür den Büffel und den Mustang, den Bären und den Hirsch, den Kürbis, den Mais und vor allem die edle Pflanze, aus welcher die klugen roten Männer den Kinnikinnik bereiten, welcher aus der Friedenspfeife den Duft der Liebe und Verbrüderung spendet.«

Ich hatte nämlich gelesen, daß die Indianer ihren Mischtabak Kinnikinnik nennen, und brachte diese Kenntnis heut schleunigst am richtigen Platz an. Nun sog ich mir den Mund zum zweitenmal voll von Rauch und blies denselben gegen die vier Himmelsgegenden. Der Geruch war noch voller und komplizierter als vorhin; ich glaubte ganz bestimmt, daß noch zwei weitere Bestandteile anzuführen seien, nämlich Kolophonium und abgeschnittene Fingernägel. Nach dieser trefflichen Entdeckung fuhr ich fort:

»Im Westen ragt das Felsengebirge empor, und im Osten dehnen sich die Ebenen; im Norden leuchten die Seen, und im Süden wallt das große Wasser des Meeres. Wäre alles Land mein, was zwischen diesen vier Grenzen liegt, ich würde es den Kriegern der Kiowas schenken, denn sie sind meine Brüder.

Mögen sie in diesem Jahre zehnmal so viel Büffel und fünfzigmal so viel Grizzlybären jagen, als sie Köpfe zählen. Die Körner ihres Maises mögen wie Kürbisse sein und ihre Kürbisse so groß, daß man aus der Schale eines einzigen zwanzig Kanoes schneiden kann. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Mir verursachte es keine unbezahlbaren Ausgaben, ihnen diese Herrlichkeiten zu wünschen, sie aber freuten sich darüber, als ob sie sie wirklich bekommen hätten. Meine Rede war die geistreichste, die ich in meinem Leben gehalten habe, und so wurde sie denn auch mit einem Jubel aufgenommen, welcher in anbetracht der von den Indianern stets bewahrten kalten Ruhe gewiß beispiellos war. So viel hatte ihnen noch kein Mensch, am allerwenigsten ein Weißer, gewünscht und gar schenken wollen; darum wollten die immer wiederkehrenden, anerkennenden »Uff, uff!« gar kein Ende nehmen. Der Fuchs drückte mir wiederholt die Hand, versicherte mich seiner Freundschaft für alle Zeiten und riß bei seinen Howgh, Howgh den Mund so weit auf, daß es mir glückte, die Friedens-und Ingredienzienpfeife loszuwerden, indem ich sie ihm zwischen die langen, gelben Zähne schob. Er schwieg sofort, um den Inhalt in denkbarer Sammlung weiter zu genießen.

Das war meine erste “heilige Handlung” bei den Indianern, denn das Rauchen der Friedenspfeife wird bei ihnen in Wirklichkeit als eine Feierlichkeit betrachtet, welche sehr ernste Gründe und ebenso ernste Folgen hat. Wie oft habe ich später das Kalumet rauchen müssen und bin mir dabei des Ernstes, der Würde der Handlung voll bewußt gewesen. Hier und heut aber hatte sie mich gleich von vornherein angewidert und dann war mir bei Sams Herzen, das “wie ein Maultier am Baume hing”, die Prozedur gar drollig erschienen. Meine Hand stank nach der Pfeife, und meine ganze Seele jubelte im Stillen darüber, daß sie nun im Munde des Häuptlings und nicht in dem meinigen steckte. Ich zog, um selbst die Erinnerung an den Geschmack der Pfeife zu vernichten, eine Zigarre aus der Tasche und brannte sie an. Welch begierige Augen richteten da die Roten auf mich! Der Fuchs öffnete den Mund, daß ihm die Pfeife herausfiel; als geschulter Krieger hatte er die Geistesgegenwart, sie aufzufangen und wieder zwischen die Lippen zu stecken, aber es war ihm anzusehen, daß ihm in diesem Augenblicke eine einzige Zigarre lieber war als tausend Friedens-und Kinnikinnikpfeifen.

Da wir mit Santa Fé in Verbindung standen, von woher wir per Ochsenwagen unsere Bedürfnisse bekamen, war es mir nicht schwer gewesen, mich mit Zigarren zu versorgen. Sie waren ziemlich billig, und ich zog diesen Genuß vor, während die Andern sich mit Brandy betranken. Ich hatte heute früh welche mitgenommen und mich, weil wir womöglich auch erst morgen zurückkehren konnten, gleich für zwei Tage versehen; also konnte ich den sichtlich ungeheuren Appetit der Roten stillen; ich reichte jedem von ihnen eine Zigarre hin. Der Fuchs legte die Pfeife sofort weg und brannte die seinige an; seine Leute verfuhren aber anders; sie steckten die Zigarre nicht bloß mit der Spitze in den Mund, sondern sie schoben sie ganz hinein, um sie zu kauen. Der Geschmack der Menschenkinder ist verschieden. Ein altes Wort sagt, der Eine habe ihn vorn, der Andere hinten; jetzt sah ich, daß dieses Wort wirklich wahr ist, denn die Kiowas hatten ihn hinten. Ich schwur im Stillen, ihnen nie wieder etwas zu schenken, was zum Rauchen aber nicht zum Essen da ist.

Jetzt waren alle Formalitäten erfüllt und die Roten in der besten Stimmung. Sam begann also mit der Frage:

»Meine Brüder sagen, daß das Kriegsbeil zwischen ihnen und den Mescalero-Apachen ausgegraben sei. Ich weiß nichts davon. Seit wie lange ruht es nicht mehr in der Erde?«

»Seit der Zeit, welche die Bleichgesichter zwei Wochen nennen. Mein Bruder Sam wird sich in einer abgelegenen Gegend befunden haben, so daß er es nicht erfahren konnte.«

»Das ist richtig. Die Völker lebten aber doch in Frieden. Was ist der Grund, daß meine Brüder zu den Waffen gegriffen haben?«

»Die Hunde von Apachen haben vier von unsern Kriegern getötet.«

»Wo?«

»Am Rio Pecos.«

»Da stehen doch nicht eure Zelte?«

»Aber diejenigen der Mescaleros.«

»Was wollten eure Krieger dort?«

Der Kiowa besann sich keinen Augenblick, der Wahrheit gemäß zu antworten:

»Es zog eine Schar von unsern Kriegern aus, um des Nachts die Pferde der Mescalero-Apachen zu überfallen. Diese stinkenden Hunde aber wachten gut; sie wehrten sich und töteten unsere tapferen Männer. Darum ist zwischen uns und ihnen das Kriegsbeil ausgegraben worden.«

Also die Kiowas hatten Pferde stehlen wollen, waren aber ertappt und vertrieben worden. Daß dabei einige ihr Leben gelassen hatten, daran waren sie selbst schuld. Dennoch sollten das die Apachen büßen, welche in ihrem Rechte waren, indem sie ihr Eigentum verteidigt hatten. Am liebsten hätte ich den Spitzbuben dies ehrlich ins Gesicht gesagt; ich öffnete wohl auch schon den Mund, denn Sam winkte mir warnend zu und fragte weiter:

»Wissen die Apachen davon, daß eure Krieger gegen sie ausgezogen sind?«

»Denkt mein Bruder, daß wir es ihnen gesagt haben? Wir fallen heimlich über sie her, töten ihrer so viele, wie wir töten können, und nehmen dann alles mit, was wir von ihren Tieren und Sachen brauchen können.«

Das war ja schrecklich! Ich konnte mich nicht enthalten, jetzt die Frage einzuwerfen:

»Warum haben meine tapfern Brüder die Pferde der Apachen haben wollen? Ich habe gehört, daß der reiche Stamm der Kiowas viel mehr Pferde besitzt, als seine Krieger brauchen.«

Der Fuchs sah mir lächelnd in das Gesicht und antwortete:

»Mein junger Bruder Old Shatterhand ist über das große Wasser herübergekommen und weiß also wohl noch nicht, wie die Menschen diesseits dieses Wassers denken und leben. Ja, wir haben viele Pferde; aber es kamen weiße Männer zu uns, welche Pferde kaufen wollten, so viele Pferde, wie wir nicht entbehren konnten. Da erzählten sie uns von den Pferdeherden der Apachen und sagten uns, daß sie für ein Apachenpferd uns ebensoviel Waren und Brandy geben würden wie für ein Kiowapferd. Da sind unsere Krieger fort, um Apachenpferde zu holen.«

Also richtig! Wer war schuld an dem Tode der bisher Gefallenen und an dem Blutvergießen, welches nun noch bevorstand? Weiße Pferdehändler, welche mit Brandy bezahlen wollten und die Kiowas förmlich auf den Pferderaub hingewiesen hatten! Ich hätte wohl meinem Herzen Luft gemacht, aber Sam winkte mir sehr energisch zu und erkundigte sich:

»Mein Bruder, der Fuchs, ist als Kundschafter ausgegangen?«

»Ja.«

»Wann folgen eure Krieger nach?«

»Sie sind um den Ritt eines Tages hinter uns.«

»Von wem werden sie angeführt?«

»Von Tangua, dem tapfern Häuptlinge selbst.«

»Wieviel Krieger hat er bei sich?«

»Zweimal hundert.«

»Und ihr glaubt, die Apachen zu überraschen?«

»Wir werden über sie kommen, wie der Adler über die Krähen, die ihn nicht gesehen haben.«

»Mein Bruder irrt. Die Apachen wissen es, daß sie von den Kiowas überfallen werden sollen.«

Der Fuchs schüttelte ungläubig den Kopf und antwortete:

»Woher sollten sie es wissen? Reichen ihre Ohren bis zu den Zelten der Kiowas?«

»Ja.«

»Ich verstehe meinen Bruder Sam nicht. Er mag mir sagen, wie er dieses Wort meint.«

»Die Apachen haben Ohren, welche gehen und auch reiten können. Wir haben gestern zwei solche Ohren gesehen, welche bei den Zelten der Kiowas gewesen sind, um zu lauschen.«

»Uff! Zwei Ohren? Also zwei Späher?«

»Ja.«

»Da muß ich augenblicklich zum Häuptling zurück. Wir haben nur zweihundert Krieger mitgenommen, weil wir nicht mehr brauchen, wenn die Apachen nichts ahnen. Wenn sie es aber wissen, so brauchen wir weit mehr.«

»Meine Brüder haben nicht alles reiflich überlegt. Intschu-tschuna, der Häuptling der Apachen, ist ein sehr kluger Krieger. Als er sah, daß seine Leute vier Kiowas getötet hatten, sagte er sich, daß die Kiowas den Tod dieser Leute rächen würden, und machte sich auf, euch zu beschleichen.«

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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