Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 12

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»Ja; nur müßt Ihr zur entscheidenden Stunde hier sein.«

»So wollen wir keine Zeit versäumen. Kommt, Mesch’schurs, damit wir noch etwas fertig bringen!«

Sie folgten meiner Aufforderung, obgleich es ihnen wohl nicht wie arbeiten war. Ich bin überzeugt, daß sie alle davongelaufen wären, aber dann wäre die Arbeit nicht beendet worden, und dann hatten sie dem Kontrakte nach keine Bezahlung zu verlangen. Die wollten sie doch nicht einbüßen. Und wenn sie dennoch die Flucht ergriffen hätten, die Apachen wären doch schnell hinter ihnen her gewesen. Nein, sie sahen ein, daß ihre Sicherheit hier die relativ größte war, und darum blieben sie.

Was mich betraf, so gestehe ich aufrichtig ein, daß ich den kommenden Ereignissen ganz und gar nicht gleichgültig gegenüberstand. Es hatte sich ein Zustand meiner bemächtigt, ähnlich demjenigen, welchen man im gewöhnlichen Leben Kanonenfieber zu nennen pflegt. Das war nicht etwa Angst, o nein, denn zur Angst hätte ich viel mehr Veranlassung gehabt, als ich die Büffel und dann den Bären erlegte. Heute handelte es sich um Menschen; das war es, was mich beunruhigte. Um mein Leben handelte es sich weniger; das würde ich schon verteidigen; aber Intschu tschuna und Winnetou! Ich hatte während der letzten Tage so viel an Winnetou gedacht, daß er mir innerlich immer näher getreten war; er war mir wert geworden, ohne daß es seiner Gegenwart oder gar seiner Freundschaft bedurft hatte, gewiß ein eigenartiger seelischer Vorgang, wenn auch nicht grad ein psychologisches Rätsel. Und sonderbar! Ich habe später von Winnetou erfahren, daß er damals ebenso oft an mich gedacht hat, wie ich an ihn!

Meine innere Unruhe wurde auch durch die Arbeit nicht geändert, doch wußte ich gewiß, daß sie im Augenblicke der Entscheidung plötzlich verschwinden werde; darum wünschte ich mir diese nun, da ihr nicht auszuweichen war, recht schnell herbei. Dieser Wunsch sollte in Erfüllung gehen, denn es war erst wenig nach Mittag, so sahen wir Sam Hawkens auf uns zukommen. Der kleine Mann war sichtlich ermüdet, aber die kleinen, listigen Aeuglein blickten außerordentlich heiter über den dunklen Bartwald herüber.

»Alles gelungen?« fragte ich. »Ich sehe es Euch an, alter, lieber Sam.«

»So?« lachte er. »Wo steht das denn geschrieben? Auf meiner Nase oder nur in Eurer Einbildung?«

»Einbildung? Pshaw! Wer Eure Augen sieht, der kann nicht zweifeln.«

»So, also meine Augen verraten mich. Gut für ein anderes Mal, daß ich es weiß. Aber Ihr habt recht. Es ist mir gelungen, weit, weit besser gelungen, als ich denken konnte.«

»So habt Ihr die Kundschafter gesehen?«

»Kundschafter? Gesehen? Weit mehr, weit mehr! Nicht bloß die Kundschafter, sondern die ganze Schar, und nicht nur gesehen, sondern sogar gehört, belauscht habe ich sie.«

»Belauscht? Ah, so sagt schnell, was Ihr da erfahren habt!«

»Nicht jetzt und nicht hier. Nehmt Eure Instrumente zusammen und geht zum Lager! Ich komme nach; muß nur vorher schnell hinüber zu den Kiowas, um ihnen zu sagen, was ich erfahren habe und wie sie sich verhalten sollen.«

Er schritt oberhalb des Teiches auf den Bach zu, sprang hinüber und verschwand dann jenseits unter den Bäumen des Waldes. Wir packten unsere Siebensachen zusammen und suchten das Lager auf, wo wir auf Sams Wiederkehr warteten. Wir hatten ihn weder kommen sehen, noch kommen hören, aber ganz plötzlich stand er mitten unter uns und sagte in übermütigem Tone:

»Da habt ihr mich, Mylords! Habt ihr denn weder Augen noch Ohren? Euch kann ja ein Elefant überrumpeln, dessen Schritte man eine Viertelstunde weit hört!«

»Jedenfalls seid Ihr aber nicht wie ein solcher Elefant aufgetreten,« antwortete ich.

»Mag sein. Wollte euch nur zeigen, wie man an die Menschen kommt, ohne daß sie es bemerken. Habt ruhig dagesessen und nicht gesprochen; seid ganz still gewesen und habt mich doch nicht gehört, als ich herangeschlichen kam. So, grad so war es gestern auch, als ich mich an die Apachen machte.«

»Erzählt uns das, erzählt!«

»Well, sollt es hören. Muß mich aber dazu setzen, denn ich bin sehr müde. Meine Beine sind an das Reiten gewöhnt und wollen sich auf das Laufen nicht mehr einlassen. Ist auch nobler, zu der Kavallerie als zur Infanterie zu gehören, wenn ich mich nicht irre.«

Er setzte sich in meine Nähe, blinzelte uns rundum Einen nach dem Andern an und sagte dann, sehr bedeutsam mit dem Kopfe dazu nickend:

»Also, heute abend geht der Tanz los!«

»Heute abend schon?« fragte ich, halb überrascht und halb erfreut, weil ich mir die Entscheidung bald herbeigewünscht hatte. »Das ist gut; das ist sehr gut!«

»Hm, Ihr scheint ja ganz erpicht darauf zu sein, in die Hände der Apachen zu geraten! Aber recht habt Ihr; es ist gut und ich freue mich auch darüber, daß wir nicht länger zu warten brauchen. Ist kein sehr angenehmes Ding, auf etwas warten zu müssen, was doch einen andern Ausgang nehmen kann, als man denkt.«

»Als man denkt! Ist etwa ein Grund eingetreten, Besorgnisse zu hegen?«

»Ganz und gar nicht. Grad im Gegenteile! Bin nun erst recht überzeugt, daß alles gut ablaufen wird. Aber ein erfahrener Mann weiß, daß aus dem besten Kinde später ein schlimmer Strolch werden kann. So ist’s auch mit den Begebenheiten. Die schönste Sache kann durch irgend einen Zufall auf einen falschen Weg geraten.«

»Aber das ist doch hier nicht zu befürchten?«

»Nein. Nach allem, was ich gehört habe, wird der Erfolg ein ganz vorzüglicher sein.«

»Was habt Ihr denn gehört? Erzählt doch nur, erzählt!«

»Sachte, sachte, mein junger Sir! Alles der Reihe nach! Was ich gehört habe, kann ich jetzt noch nicht sagen, weil Ihr doch wissen müßt, was vorher geschehen ist. Ich ging mitten im Regenwetter fort; brauchte sein Ende nicht abzuwarten, weil der Regen nicht hier durch meinen Rock dringen kann, auch der stärkste nicht hihihihi! Bin bis beinahe zu der Stelle gelaufen, wo wir lagerten, als die beiden Apachen zu uns kamen; da aber mußte ich mich verstecken, denn ich sah drei Rote, welche da herumschnüffelten. Sind Apachenkundschafter, dachte ich, und laufen nicht weiter, weil sie nur bis hierher gehen sollen. So war es auch. Sie suchten die Gegend ab, ohne meine Spur zu finden, und setzten sich dann unter die Bäume, weil es außerhalb des Waldes zum Sitzen zu naß war. Da saßen sie wartend wohl an die zwei Stunden. Hatte mich auch unter einen Baum gemacht und wartete auch zwei Stunden lang. Mußte doch wissen, was es nun geben würde. Da kam ein Reitertrupp, mit den Kriegsfarben bemalt. Kannte sie sofort, Intschu tschuna und Winnetou mit ihren Apachen.«

»Wieviel waren es?«

»Grad so, wie ich gedacht hatte. Habe ungefähr fünfzig Mann gezählt. Die Späher kamen unter den Bäumen hervor und erstatteten den beiden Häuptlingen Bericht. Dann mußten sie wieder vorangehen, und die Schar folgte langsam nach.

Könnt euch denken, Gentlemen, daß Sam Hawkens sich hinterher machte. Der Regen hatte die gewöhnlichen Spuren verwischt, aber eure eingerammten Pfähle waren ja da und dienten als untrügliche Wegweiser. Wollte, ich hätte, so lange ich lebe, lauter so schöne, deutliche Fährten zu lesen. Mußten aber sehr vorsichtig sein, die Apachen, weil sie hinter jeder Biegung des Waldes, hinter jeder Ecke des Gebüsches auf uns treffen konnten, und machten darum nur langsame Fortschritte. Fingen es sehr schlau und vorsichtig an; habe meine helle Freude über sie gehabt und meine nun wie immer, daß die Apachen allen andern roten Nationen über sind. Intschu tschuna ist ein tüchtiger Kerl und Winnetou nicht minder. Die kleinste Bewegung dieser beiden Roten war berechnet. Kein Wort wurde gesprochen; man verständigte sich nur durch Zeichen. Zwei Meilen hinter der Stelle, wo ich sie zuerst gesehen hatte, brach der Abend an. Sie stiegen ab, hobbelten ihre Pferde an und verschwanden im Walde, wo sie bis früh lagern wollten.«

»Und da habt Ihr sie belauscht?« fragte ich.

»Ja. Sie brannten als kluge Kerls kein Feuer an, und weil Sam Hawkens ebenso klug ist wie sie, dachte ich, daß sie mich da nicht leicht sehen könnten. Darum machte ich mich auch unter die Bäume und kroch auf meinem eigenen Bauche, weil ich sonst keinen andern dazu hatte, so weit vor, bis ich in ihre Nähe kam und alles hörte, was sie sprachen.«

»Verstandet Ihr denn alles?«

»Unvernünftige Frage! Werde doch hören, was gesprochen wird!«

»Ich meine, ob sie sich des englisch-indianischen Jargons bedienten?«

»Sie bedienten einander gar nicht, sondern sie sprachen miteinander, wenn ich mich nicht irre, und zwar im Dialekte der Mescaleros, den ich so leidlich inne habe. Ich rückte langsam weiter und weiter vor, bis ich mich in der Nähe der beiden Häuptlinge befand. Die tauschten zuweilen einige Worte miteinander aus, zwar kurz, nach Indianerweise, aber inhaltsreich. Habe da genug erfahren und weiß, woran ich bin.«

»So schießt also los,« bat ich, als er jetzt eine Pause machte.

»So macht Euch beiseite, Sir, wenn Euch mein Schuß nicht treffen soll! Haben es also wirklich auf uns abgesehen. Wollen uns lebendig fangen.«

»Also nicht töten?«

»O doch, ein wenig töten wollen sie uns, aber nicht sofort. Wollen uns nur fangen, ohne uns zu beschädigen, und uns nach den Dörfern der Mescaleros am Rio Pecos schaffen, wo wir an die Marterpfähle gebunden und lebendig geschmort werden sollen. Well, ganz wie Karpfen, die man fängt, nach Hause schafft, ins Wasser setzt und füttert, um sie dann mit allerlei Gewürz zu sieden. Soll mich wundern, was für ein Fleisch der alte Sam da geben wird, besonders wenn sie mich da ganz in die Pfanne tun und mich in meinem Jagdrocke braten hihihihi!«

Er lachte in seiner stillen, heimlichen Weise vor sich hin und fuhr dann fort:

»Haben es ganz besonders auf Mr. Rattler abgesehen, der so still entzückt da unter euch sitzt und mich verklärt anschaut, als ob der Himmel nur so auf ihn warte mit allen seinen Seligkeiten. Ja, Mr. Rattler, habt Euch eine Suppe eingebrockt, die ich nicht auslöffeln möchte. Ihr werdet gespießt, gepfählt, vergiftet, erstochen, erschossen, gerädert und aufgehängt, immer eins hübsch nach dem andern, und von jedem stets nur ein kleines Bißchen, damit Ihr recht lange dabei leben bleibt und alle diese Qualen und Todesarten mit richtigem Geschmack auskosten könnt. Und wenn Ihr dann trotz alledem noch nicht gestorben seid, so werdet Ihr mit Klekih-petra, den Ihr erschossen habt, in eine Grube gelegt und lebendig begraben.«

»Mein Himmel! Sagten sie das?« fragte Rattler, dessen Gesicht vor Entsetzen todesbleich wurde.

»Freilich sagten sie es. Habt es auch verdient; kann Euch da nicht helfen. Will nur wünschen, daß Ihr dann, wenn Ihr alle diese Todesarten hinter Euch habt, nicht wieder eine so ruchlose Tat begeht. Denke aber, daß Ihr es bleiben lassen werdet. Die Leiche Klekih-petras ist einem Medizinmanne übergeben worden, der sie nach Hause schafft. Ihr müßt nämlich wissen, daß diese Roten des Südens ihre Toten so zu behandeln und zu konservieren verstehen, daß sie sich lange halten. Habe selbst Mumien von Indianerkindern gesehen, welche selbst nach einer Zeit von über hundert Jahren so frisch aussahen, als ob sie gestern noch gelebt hätten. Wenn wir alle gefangen werden, wird man uns das Vergnügen machen, zuzusehen, wie sie Mr. Rattlern bei lebendigem Leibe in eine solche Mumie verwandeln.«

»Ich bleibe nicht hier!« rief der Genannte aus. »Ich gehe fort! Mich bekommen sie nicht!«

Er wollte aufspringen; Sam Hawkens zog ihn wieder nieder und warnte:

»Keinen Schritt von hier fort, wenn Euch Euer Leben lieb ist! Ich sage Euch, daß die Apachen vielleicht schon die ganze Umgegend hier besetzt haben. Ihr würdet ihnen direkt in die Hände laufen.«

»Glaubt Ihr das wirklich, Sam?« fragte ich ihn.

»Ja. Es ist keine leere Drohung, sondern ich habe alle Ursache, dies anzunehmen. Habe mich auch in anderer Beziehung nicht getäuscht. Die Apachen sind wirklich schon auch gegen die Kiowas ausgerückt, ein ganzes Heer, zu dem die beiden Häuptlinge stoßen wollen, sobald sie hier mit uns fertig sind. Nur darum ist es möglich geworden, daß sie so rasch zu uns zurückkehren konnten. Sie brauchten, um Krieger gegen uns zu holen, nicht bis in ihre Dörfer zu reiten, sondern sie trafen die gegen die Kiowas ausgezogenen Scharen unterwegs, übergaben Klekih-petras Leiche dem Medizinmanne und einigen andern Leuten zum Heimschaffen, und suchten sich fünfzig gute Reiter aus, um uns aufzusuchen.«

»Wo befinden sich die Trupps, welche gegen die Kiowas bestimmt sind?«

»Weiß es nicht. Ist kein Wort darüber gesprochen worden. Kann uns auch ganz gleichgültig sein.«

Da sollte der kleine Sam unrecht haben. Es war gar nicht gleichgültig für uns, wo sich diese zahlreichen Scharen befanden. Das erfuhren wir schon nach einigen Tagen. Sam erzählte weiter:

»Als ich genug gehört hatte, hätte ich mich gleich zu euch aufmachen können; aber es ist des Nachts schwer, die Fährte zu verbergen; sie hätten sie früh sehen können, und sodann wollte ich sie auch noch gern am Morgen beobachten. Darum blieb ich die ganze Nacht im Walde versteckt und machte mich erst wieder auf die Beine, als sie aufgebrochen waren. Bin ihnen gefolgt bis ungefähr sechs Meilen von hier und habe dann einen Umweg gemacht, um unbemerkt zu euch zu kommen. Well, da habt ihr alles, was ich euch sagen kann.«

»Ihr habt Euch also nicht von ihnen sehen lassen?«

»Nein.«

»Und auch dafür gesorgt, daß sie Eure Spur nicht entdecken?«

»Ja.«

»Aber Ihr sagtet doch, daß Ihr Euch ihnen zeigen wolltet und «

»Weiß schon, weiß! Hätte es auch getan; war aber nicht nötig, denn weil halt, habt ihr es gehört?«

Er war in seiner Rede durch den dreimaligen Schrei eines Adlers unterbrochen worden.

»Das sind die Späher der Kiowas,« sagte er. »Sie sitzen da oben auf den Bäumen. Habe ihnen gesagt, mir dieses Zeichen zu geben, wenn sie die Apachen draußen auf der Savanne erblicken. Kommt, Sir; wollen einmal probieren, was Ihr in dieser Beziehung für Augen habt!«

Diese Aufforderung war an mich gerichtet. Er stand auf, um zu gehen, und ich nahm mein Gewehr, um ihm zu folgen.

»Halt!« sagte er. »Laßt das Gewehr hier! Der Westmann soll sich zwar nicht von seiner Büchse trennen; aber hier erleidet diese Regel eine Ausnahme, weil wir so tun müssen, als ob wir an gar keine Gefahr dächten. Wir wollen uns den Anschein geben, als ob wir Holz zu einem Feuer sammelten. Daraus werden die Apachen schließen, daß wir hier am Abende lagern werden, was ein Vorteil für uns ist.«

Wir schlenderten miteinander, scheinbar ganz harmlos, zwischen den Baum-und Sträucherreihen auf dem offenen Rasenstreifen hin und auf die Savanne hinaus. Dort sammelten wir vom Rande des Gebüsches dürre Aeste und sahen uns dabei verstohlen nach Apachen um. Wenn sich welche in der Nähe befanden, so mußten sie hinter den Sträuchern stecken, welche auf der Savanne, mehr oder weniger entfernt von uns, zerstreut standen.

»Seht Ihr einen?« fragte ich Sam nach einer Weile.

»Nein,« antwortete er.

»Ich auch nicht.«

Wir strengten unsere Augen möglichst an, konnten aber nichts entdecken. Und doch erfuhr ich später von Winnetou selbst, daß er höchstens fünfzig Schritte von uns entfernt hinter einem Busche gelegen und uns beobachtet hatte. Es ist nicht genug, daß man scharfe Augen besitzt, sie müssen auch geübt sein, und das waren die meinigen damals noch nicht. Heut würde ich Winnetou sofort entdecken, und wenn es nur infolge der Mücken wäre, die, von seiner Person angezogen, um den Busch weit dichter spielten als anderswo.

Wir kehrten also unverrichteter Dinge zu den Andern zurück und beschäftigten uns nun alle mit dem Sammeln zum Holze für das Lagerfeuer. Wir brachten mehr zusammen, als wir brauchten.

»Recht so,« meinte Sam. »Wir müssen einen Haufen für die Apachen liegen haben, denn sie sollen, wenn sie uns ergreifen wollen und wir aber verschwunden sind, schnell ein Feuer machen können.«

Hierauf wurde es dunkel. Sam, als der Erfahrenste, versteckte sich ganz vorn, da wo der Grasstreifen, an dessen Ende wir saßen, bei der Savanne seinen Anfang nahm. Er wollte das Kommen der Späher erlauschen, die wir mit Sicherheit zu erwarten hatten, da sie unser Lager auszukundschaften hatten. Das Feuer wurde angezündet und leuchtete über den Grasstreifen hinweg weit in die Savanne hinaus. Für was für unvorsichtige und unerfahrene Menschen mußten die Apachen uns da halten! Dieses große Feuer war ja ganz geeignet, dem Feinde aus weiter Ferne den Weg zu uns zu zeigen.

Wir aßen Abendbrot und lagerten uns so, als ob wir ganz entfernt davon seien, an etwas Arges zu denken. Die Gewehre lagen ein großes Stück von uns entfernt, doch nach der Halbinsel zu, damit wir sie später mitnehmen konnten. Diese letztere war, wie Sam bestimmt hatte, durch unsere Pferde abgeschlossen worden.

Es waren seit Anbruch der Dunkelheit wohl drei Stunden vergangen, da kehrte Sam lautlos wie ein Schatten zurück und meldete mit leiser Stimme:

»Die Kundschafter kommen, zwei Mann, einer auf dieser und der andere auf jener Seite. Habe sie gehört und sogar auch gesehen.«

Sie näherten sich also auf beiden Seiten des Grasstreifens, indem sie sich im Dunkel des Gebüsches hielten. Sam setzte sich zu uns und begann mit lauter Stimme eine Unterhaltung über den ersten besten Gegenstand, der ihm eben einfiel. Wir antworteten ihm, und so entspann sich ein Gespräch, dessen Lebhaftigkeit darauf berechnet war, die Späher in Sicherheit zu wiegen. Wir wußten, daß sie da waren und uns scharf beobachteten, hüteten uns aber sehr, auch nur einen einzigen mißtrauischen Blick in das Gebüsch zu werfen.

Jetzt galt es vor allen Dingen, zu erfahren, wann sie sich wieder entfernten. Hören konnten wir es nicht und sehen auch nicht, und doch durften wir von dem Augenblicke ihres Rückzuges an keinen Augenblick verlieren, denn es stand zu erwarten, daß dann schon nach kurzer Zeit die ganze Schar heranschleichen werde. Inzwischen aber mußten die Kiowas die Halbinsel besetzen. Da war es wohl am besten, nicht zu warten, bis sie sich entfernten, sondern sie dazu zu zwingen. Darum stand Sam auf, tat, als ob er nach Holz suchen wolle, und drang auf der einen Seite in die Büsche ein; ich tat dasselbe auf der andern Seite. Wir konnten nun sicher sein, daß die Späher sich fortgeschlichen hatten. Da hielt Sam die beiden Hände auf den Mund und ließ dreimal den Schrei eines Ochsenfrosches hören. Dies war das Zeichen, daß die Kiowas kommen sollten. Weil wir uns an einem Wasser befanden, konnte der Ruf des Ochsenfrosches nicht auffallen. Hierauf schlich sich Sam wieder vor auf seinen Lauscherposten, um uns die Ankunft des Gros der Feinde melden zu können.

Noch waren kaum zwei Minuten seit dem Rufe des Frosches vergangen, so kamen die Kiowas herbeigehuscht, einer hart hinter dem andern, eine lange Reihe von zweihundert Kriegern. Sie hatten nicht im Wald gewartet, sondern waren, um dem Zeichen rascher folgen zu können, schon vorher bis an den Bach vorgedrungen und dann über denselben gesprungen.

Wie Schlangen schoben sie sich hinter uns in unserm Schatten tief am Boden hin und der Halbinsel zu. Das ging so gewandt und schnell, daß höchstens nach drei Minuten der letzte an uns vorüber war.

Nun warteten wir auf Sam. Er kam und raunte uns leise zu:

»Sie nähern sich, und zwar wieder auf beiden Seiten, wie ich gehört habe. Legt kein Holz mehr an! Wir müssen dafür sorgen, daß, wenn die Flamme verlöscht, noch eine Glut übrig bleibt, an welcher die Roten das Feuer rasch wieder entzünden können.«

Wir schichteten den Holzvorrat, den wir noch hatten, so rund um das Feuer auf, daß dann diese Glut keinen Schein werfen und unser Verschwinden vorzeitig verraten konnte. Als dies geschehen war, mußte ein jeder von uns mehr oder weniger Schauspieler sein. Wir wußten fünfzig Apachen in unmittelbarster Nähe und durften es doch nicht merken lassen. Es hing sehr vieles, ja unser Leben, am nächsten Augenblicke. Wir hatten angenommen, daß sie warten würden, bis wir eingeschlafen zu sein schienen; aber wie nun, wenn sie dies nicht taten, wenn sie eher über uns herfielen? Dann hatten wir zwar in den Kiowas zweihundert Helfer, aber es mußte zum Kampfe, zum Blutvergießen kommen, und das konnte manchem von uns das Leben kosten. Die Katastrophe war da, und das, was ich gewußt hatte, traf zu: ich war ruhig, so ruhig, als ob es nur gelte, eine Partie Schach oder Domino zu spielen. Höchst interessant war es, die Andern zu beobachten. Rattler lag lang ausgestreckt am Boden; er hatte sein Gesicht der Erde zugekehrt und stellte sich schlafend. Die Todesangst hatte ihn mit eiskalten Händen ergriffen. Seine “berühmten Westmänner” stierten einander bleichen Angesichts an; sie konnten nur abgerissene Worte hervorbringen und sollten doch an unserer Unterhaltung teilnehmen. Will Parker und Dick Stone saßen so gemütlich da, als ob es in der ganzen Welt nicht einen einzigen Apachen gäbe. Sam Hawkens machte einen Witz über den andern, und ich lachte möglichst lustig über seine Scherze.

Als in dieser Weise über eine halbe Stunde vergangen war, hatten wir die Ueberzeugung, daß der Ueberfall nach dem Einschlafen erfolgen solle, denn sonst wäre er nun längst unternommen worden. Das Feuer war ziemlich niedergebrannt, und ich hielt es für geraten, die Entscheidung nicht länger zu verzögern. Darum gähnte ich einige Male, dehnte mich und sagte:

»Ich bin müde und möchte schlafen. Ihr nicht auch, Sam Hawkens?«

»Habe nichts dagegen; werde es auch so machen,« antwortete er. »Das Feuer geht aus. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!« sagten auch Stone und Parker; dann rückten wir möglichst weit, aber so, daß es nicht auffallen konnte, vom Feuer weg und streckten uns da aus.

Die Flamme wurde kleiner und kleiner, bis sie ganz erlosch; nur die Asche glühte noch; ihr Schein konnte aber wegen des aufgeschichteten Holzes nicht zu uns dringen. Wir lagen alle vollständig im Dunkeln. Jetzt galt es, uns leise, ganz leise in Sicherheit zu bringen. Ich langte nach meinem Gewehre und schob mich langsam fort; Sam hielt sich an meiner Seite, und die Andern folgten. Sollte einer von ihnen ja ein Geräusch verursachen, so versuchte ich, dasselbe dadurch unhörbar zu machen, daß ich, als ich die Pferde erreichte, eins derselben zum lauten Stampfen brachte, indem ich es hin und her schob; das mußte jeden verräterischen Schall übertönen. Es gelang auch wirklich Allen, die Kiowas zu erreichen, welche schon wie kampfbegierige Panther auf der Lauer standen.

»Sam,« flüsterte ich diesem zu, »wenn die beiden Häuptlinge wirklich geschont werden sollen, so dürfen wir keinen Kiowa über sie lassen. Seid Ihr einverstanden?«

»Ja.«

»Ich nehme Winnetou auf mich; Ihr, Stone und Parker mögt Euch an Intschu tschuna machen.«

»Ihr einen und wir drei zusammen auch nur einen? Dieses Exempel ist nicht richtig wenn ich mich nicht irre.«

»Es ist richtig. Ich werde mit Winnetou schnell fertig; ihr aber müßt zu dreien sein, damit sein Vater sich gar nicht wehren kann, denn wenn er Zeit und Raum zur Verteidigung bekommt, kann dies für ihn leicht Verletzungen oder gar den Tod nach sich ziehen.«

»Well, habt recht! Aber, damit uns da kein Kiowa zuvorkommt, wollen wir ein Stückchen avancieren, damit wir dann gleich die Ersten sind. Kommt!«

Wir postierten uns dem Feuer mehrere Schritte näher und warteten nun in größter Spannung auf das Kampfgeschrei der Apachen, denn daß sie den Angriff ohne dieses nicht unternehmen würden, stand zu erwarten. Es ist ihre Gewohnheit, daß der Anführer durch einen Schrei das Zeichen gibt, und dann stimmen die Andern in möglichst höllischer Weise ein. Dieses Geheul hat den Zweck, dem Angegriffenen den Mut zur Gegenwehr zu rauben. Man kann es so, wie es bei den meisten Stämmen klingt, dadurch nachahmen, daß man im höchsten Fisteltone ein langes “Hiiiiiiiiiih!” ausstößt und dabei mit der flachen Hand sehr schnell aufeinander folgende Schläge gegen die Lippen führt, so daß der Ton als Triller zu hören ist.

Die Kiowas befanden sich in derselben Spannung wie wir. Jeder von ihnen wollte gern auch der Erste sein, und darum drängten sie nach vorn, so daß wir weiter und weiter vorgeschoben wurden. Das konnte dadurch, daß wir den Apachen zu nahe rückten, für uns gefährlich werden, und so wünschte ich sehr, daß ihr Angriff bald erfolgen möge.

Dieser Wunsch wurde endlich, endlich erfüllt. Es ertönte das erwähnte “Hiiiiiiiiiih!” in einem so schrillen, durchdringenden Tone, daß es mir durch Mark und Bein fuhr, und darauf folgte ein Geheul, welches so schrecklich klang, als ob es von tausend Teufeln ausgestoßen würde. Wir hörten trotz der Weichheit des Erdbodens schnelle Schritte und Sprünge. Dann war plötzlich alles still. Einige Augenblicke regte sich nichts rundum. Man hätte, wie man sich auszudrücken pflegt, eine Ameise laufen hören können. Dann hörten wir Intschu tschuna das eine kurze Wort “Ko!” rufen.

Dieses Wort bedeutet Feuer, also Feuer machen. Unsere Asche glühte noch immer, und das dürre Holz und Gezweig, welches dabei lag, brannte leicht. Die Apachen gehorchten dem Befehle schnell und warfen von dem Holze auf die glimmende Asche. Es dauerte nur wenige Sekunden, so loderte die Flamme neu empor, und die Umgebung des Feuers war erhellt.

Intschu tschuna und Winnetou standen neben einander, und es bildete sich schnell ein Kreis von Kriegern um sie, als die Apachen zu ihrem Erstaunen sahen, daß wir fort waren.

»Uff, uff, uff!« riefen sie verwundert.

Winnetou zeigte schon jetzt, trotz seiner Jugend, die Umsicht, welche ich später so oft an ihm bewundert habe. Er sagte sich, daß wir uns noch in der Nähe befinden müßten und die an dem Feuer stehenden, also beleuchteten Apachen im Nachteile seien, weil sie uns für unsere Gewehre ein sicheres Zielen gestatteten. Darum rief er:

»Tatischa, tatischa!«

Dieses Wort heißt, sich entfernen. Er setzte auch schon zum Sprunge an, doch ich kam ihm zuvor. Vier, fünf schnelle Schritte hatten mich an den Kreis gebracht, welcher ihn umgab. Rechts und links die mir im Wege stehenden Apachen auseinander werfend, drang ich hindurch, und Hawkens, Stone und Parker folgten mir auf dem Fuße. Eben als Winnetou sein lautes “Tatischa, tatischa!” gerufen hatte und sich zum Fortspringen umwendete, stand er vor mir und wir sahen uns einen Moment lang in die Gesichter. Seine Hand fuhr blitzschnell in den Gürtel, um das Messer zu ziehen, da aber traf ihn schon mein Faustschlag gegen die Schläfe. Er wankte und brach auf die Erde nieder. Zugleich sah ich, daß Sam, Will und Dick seinen Vater gepackt hatten.

Die Apachen heulten vor Wut auf; aber ihr Geheul war nicht zu hören, denn es wurde übertönt von dem schrecklichen Brüllen der Kiowas, welche sich nun auf sie warfen.

Ich stand, da ich den Kreis der Apachen durchbrochen hatte, mitten in dem kämpfenden und heulenden Knäuel von Menschen, welche miteinander rangen. Zweihundert Kiowas gegen vielleicht fünfzig Apachen, also vier gegen einen! Aber die braven Krieger Winnetous wehrten sich aus allen Kräften. Ich hatte zunächst alles aufzubieten, mehrere von ihnen von mir abzuhalten, und mußte mich darum, da ich mich in ihrer Mitte befand, wie ein Kreisel im Kreise drehen. Dabei gebrauchte ich nur meine Fäuste, denn ich wollte keinen verwunden oder gar töten. Als ich noch vier oder fünf niedergeschlagen hatte, bekam ich Luft, und zu gleicher Zeit wurde der allgemeine Widerstand schwächer. Nach fünf Minuten seit unserm Angriffe war der Kampf zu Ende. Fünf Minuten nur! Aber in einem solchen Falle bedeuten sie doch eine lange Zeit!

Der Häuptling Intschu tschuna lag gefesselt am Boden, neben ihm Winnetou besinnungslos; er wurde auch gebunden. Es war kein einziger Apache entkommen, wohl meist deshalb, weil es diesen tapfern Leuten gar nicht in den Sinn gekommen war, ihre beiden Häuptlinge, welche sofort überwältigt worden waren, zu verlassen und die Flucht zu ergreifen. Viele von ihnen waren verwundet, ebenso eine Anzahl der Kiowas, und leider gab es bei den letzteren auch drei und bei den Apachen fünf Tote. Das hatte freilich nicht in unserer Absicht gelegen; aber der energische Widerstand der Apachen hatte die Kiowas veranlaßt, ihre Waffen nachdrücklicher, als wir es gewünscht hatten, zu gebrauchen.

Die besiegten Feinde waren alle gefesselt. Dazu hatte es gar keines großen Kunststückes bedurft, denn da Vier, oder weil wir Weißen uns doch auch mitrechnen mußten, fast Fünf gegen Einen gestanden hatten, war es nur nötig gewesen, daß drei Kiowas einen Apachen festhielten und der vierte oder fünfte ihn schnell fesselte.

Die Leichen wurden auf die Seite geschafft, und da die verwundeten Kiowas Hilfe bei den Ihrigen fanden, so machten wir Weißen uns daran, die verletzten Apachen zu untersuchen und zu verbinden. Wir bekamen dabei freilich nicht nur die finstersten Gesichter zu sehen, sondern fanden sogar bei Einigen Widerstand. Sie waren zu stolz, sich von ihren Gegnern einen Dienst erweisen zu lassen, und ließen lieber ihre Wunden bluten. Ich fühlte mich dadurch nicht beunruhigt, da die Verletzungen dieser Leute nur leichte waren.

Als wir diese Arbeit beendet hatten, fragten wir uns zunächst, wie die Gefangenen die Nacht hinbringen sollten. Ich wollte es ihnen so leicht wie möglich machen; da aber fuhr mich Tangua, der Häuptling der Kiowas, an:

»Diese Hunde gehören nicht euch, sondern uns, und ich allein habe zu bestimmen, was mit ihnen geschehen soll.«

»Nun was?« fragte ich ihn.

»Wir würden sie aufbewahren, bis wir in unsere Dörfer zurückkehren; aber da wir die Ihrigen überfallen wollen und bis dahin noch einen weiten Weg haben, so werden wir uns nicht lange mit ihnen schleppen. Sie kommen an den Marterpfahl.«

»Alle?«

»Alle!«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum?«

»Weil du vorhin im Irrtum gewesen bist.«

»Wann?«

»Als du sagtest, daß die Apachen euch gehörten. Das war falsch.«

»Das war richtig!«

»Nein. Nach den Gesetzen des Westens gehört der Gefangene dem, der ihn zum Gefangenen gemacht hat. Nehmt euch also die Apachen, welche ihr überwunden habt; dagegen will ich gar nichts haben. Diejenigen aber, die wir ergriffen haben, gehören uns.«

»Uff, uff! Wie klug du redest. Da wollt ihr wohl auch Intschu tschuna und Winnetou behalten?«

»Natürlich!«

»Und wenn ich sie euch nicht lasse?«

»Du wirst sie uns lassen!«

Er sprach in feindseligem Tone; ich antwortete ihm ruhig und bestimmt. Da zog er sein Messer, stieß es bis an das Heft in die Erde und sagte, indem seine Augen mich drohend anfunkelten:

»Legt ihr nur eine Hand an einen einzigen Apachen, so werden eure Leiber sein wie diese Stelle hier, in welcher mein Messer steckt. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Das war sehr ernst gemeint; ich hätte ihm aber doch gezeigt, daß ich keine Lust hatte, mich einschüchtern zu lassen, wenn Sam Hawkens nicht so klug gewesen wäre, mir einen warnenden Blick zuzuwerfen, welcher mich zur Ruhe und Vorsicht mahnte. Ich zog es also vor, zu schweigen.

Die gefesselten Apachen lagen rund um das Feuer, und es wäre am einfachsten gewesen, sie da liegen zu lassen, wo sie ohne Mühe bewacht werden konnten. Aber Tangua wollte mir zeigen, daß er sie wirklich als sein Eigentum betrachte und mit ihnen nach Belieben verfahren könne, darum gab er den Befehl, sie aufrecht an die nahestehenden Bäume zu binden.

Dies geschah, und zwar nicht in zarter Weise, wie man sich leicht denken kann. Die Kiowas verfuhren dabei möglichst schonungslos und waren bemüht, den Gefesselten möglichst große Schmerzen zu bereiten. Keiner der Apachen verzog dabei eine Miene. Sie waren im Erdulden aller Qualen streng erzogen und geübt. Am rohesten verfuhr man gegen die beiden Häuptlinge, deren Fesseln so fest zusammengezogen wurden, daß das Blut aus dem angeschwollenen Fleische spritzen wollte.

Es war ganz unmöglich, daß ein Gefangener nun aus eigener Anstrengung loskommen und entfliehen konnte, dennoch stellte Tangua Wachen rund um das Lager aus.

Unser wieder angefachtes Feuer brannte, wie bereits erwähnt, am inneren Ende des sich nach dem Wasser ziehenden Grasstreifens. Wir lagerten uns um dasselbe und hatten die Absicht, keinen Kiowa bei uns zu dulden, da dies die Befreiung Winnetous und seines Vaters entweder erschweren oder gar unmöglich machen mußte; aber es fiel ihnen auch gar nicht ein, zu uns zu kommen. Sie hatten sich gleich, als sie bei uns ankamen, nicht als freundlich erwiesen, und mein jetziger Wortwechsel mit ihrem Häuptlinge war nicht geeignet gewesen, ihre Gesinnungen zu ändern. Die kalten, fast verächtlichen Blicke, welche sie uns zuwarfen, waren keineswegs vertrauenerweckend, und wir mußten uns sagen, daß wir nur froh sein dürften, wenn es uns gelingen sollte, mit ihnen ohne einen vorherigen Zusammenstoß auseinander zu kommen.

Sie brannten für sich in einer Entfernung von uns, weiter nach der Savanne hinaus, mehrere Feuer an, um welche sie sich lagerten. Dort sprachen sie miteinander nicht in dem zwischen Weißen und Roten gebräuchlichen Idiom, sondern in der Sprache ihres Volkes. Wir sollten sie nicht verstehen, was wir auch als ein für uns ungünstiges Zeichen betrachten mußten. Sie hielten sich für die Herren der Situation, und ihr Verhalten zu uns glich demjenigen eines Menagerielöwen, der ein Hündchen bei sich duldet.

Die Ausführung unseres Vorhabens wurde dadurch erschwert, daß nur vier Personen davon wissen durften, nämlich Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und ich. Die Andern wollten und durften wir nicht in das Geheimnis ziehen, weil sie wahrscheinlich dagegen gewesen und die Ausführung desselben hintertrieben oder gar den Kiowas Mitteilung davon gemacht hätten. Die lagen hier bei uns, und wir mußten hoffen, daß sie später alle schlafen würden. Deshalb und weil, wenn unser Vorhaben gelang, dann von einer Ruhe für uns wohl keine Rede war, meinte Sam, daß es für uns angezeigt sei, zu versuchen, ob wir jetzt ein wenig schlafen könnten. Wir legten uns also nieder, und ich war trotz der seelischen Aufregung, in welcher ich mich befand, so glücklich, bald einzuschlafen. Später wurde ich von Sam geweckt. Damals verstand ich es noch nicht so wie später, die Zeit nach dem Stande der Sterne zu bestimmen; aber es mochte kurz nach Mitternacht sein. Unsere Gefährten schliefen und das Feuer war niedergebrannt. Die Kiowas unterhielten nur ein Feuer und hatten die andern ausgehen lassen. Wir konnten miteinander sprechen, was allerdings nur leise geschehen durfte. Parker und Stone waren auch wach. Sam flüsterte mir zu:

»Es gilt vor allen Dingen, eine Wahl zu treffen, denn alle Vier dürfen wir nicht fort von hier. Es genügen Zwei.«

»Zu denen gehöre natürlich ich!« antwortete ich ihm in bestimmtem Tone.

»Oho, nicht so eilig, bester Sir! Die Sache ist lebensgefährlich.«

»Das weiß ich.«

»Und Ihr wollt Euer Leben wagen?«

»Ja.«

»Well! Ihr seid eben ein braver Kerl, wenn ich mich nicht irre. Aber wir haben es mit noch einer andern Gefahr zu tun, nicht nur mit derjenigen, in welche wir unser Leben bringen.«

»Welche meint Ihr?«

»Es hängt das Gelingen unsres Vorhabens von den Personen ab, die es ausführen.«

»Das ist richtig.«

»Freut mich, daß Ihr dies zugebt, und darum denke ich, daß Ihr darauf verzichten werdet, selbst mitzutun.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Seid vernünftig, Sir! Laßt mich mit Dick Stone gehen!«

»Nein!«

»Ihr seid noch zu neu. Ihr versteht vom Anschleichen so gut wie noch gar nichts.«

»Möglich. Heute aber werde ich Euch beweisen, daß man auch etwas fertig bringt, was man nicht versteht. Man muß nur Lust dazu haben.«

»Und Geschick, Sir, Geschick! Und das habt Ihr eben nicht. Das muß erstens angeboren sein und dann geübt werden. Die Uebung aber ist’s, die Euch fehlt.«

»Es kommt auf eine Probe an.«

»Wollt Ihr eine machen?«

»Ja.«

»Welche?«

»Wißt Ihr, ob der Häuptling Tangua schläft?«

»Nein.«

»Und doch ist es für uns wichtig, dies zu wissen, nicht wahr, Sam?«

»Ja. Ich will mich nachher einmal hinschleichen.«

»Nein; das werde ich tun.«

»Ihr? Warum?«

»Eben um die Probe zu machen.«

»Ah, so! Aber wenn man Euch entdeckt?«

»So schadet es nichts, denn es gibt eine gute Ausrede. Ich habe mich überzeugen wollen, daß die Wachen ihre Schuldigkeit tun.«

»Well, das geht. Aber wozu soll denn diese Probe dienen?«

»Um mir Euer Vertrauen zu erwerben. Ich denke, wenn ich bestehe, so weigert Ihr Euch nicht, mich mit zu Winnetou zu nehmen.«

»Hm! Darüber müßten wir dann noch reden.«

»Meinetwegen! Also ich darf jetzt fort zum Häuptling?«

»Ja. Aber nehmt Euch in acht! Wenn man Euch erwischt, so schöpft man Verdacht, wenn auch nicht jetzt, so doch später, wenn Winnetou fort ist. Man wird denken, daß Ihr ihn losgeschnitten habt.«

»Und sich dabei in keinem sehr großen Irrtum befinden.«

»Nehmt ja jeden Baum und jeden Strauch zur Deckung, und hütet Euch, eine Stelle zu berühren, wohin der Schein des Feuers fällt. Müßt Euch stets im Dunkeln halten!«

»Werde mich im Dunkeln halten, Sam!«

»Hoffe es. Es sind noch wenigstens dreißig Kiowas munter, wenn ich mich nicht irre, die Wächter gar nicht mitgerechnet. Wenn Ihr es fertig bringt, nicht bemerkt zu werden, so will ich Euch loben und bei mir denken, daß doch noch einmal, vielleicht nach zehn Jahren, ein Westmann aus Euch werden kann, obgleich Ihr trotz aller meiner guten Lehren jetzt noch ein Greenhorn seid, wie man es so schön grün und unerfahren in keinem Panoptikum zu sehen bekommt, hihihihi!«

Ich schob das Messer und die Revolver, um sie nicht etwa unterwegs zu verlieren, so tief wie möglich in den Gürtel und kroch von dem Feuer fort. Heut, wo ich dieses erzähle, kenne ich die ganze Verantwortlichkeit, welche ich damals so leicht auf mich nahm, die ganze Verwegenheit des Vorsatzes, den ich gefaßt hatte. Ich wollte nämlich den Häuptling nicht beschleichen!

Ich hatte Winnetou liebgewonnen und wollte ihm das beweisen, womöglich durch eine Tat, bei welcher ich mein Leben wagte. Dazu gab es jetzt die trefflichste Gelegenheit; ich konnte ihn befreien. Aber ich wollte das tun, ich selbst! Und nun kam mir Sam mit seinen Bedenken dazwischen! Er wollte das, worauf ich mich so freute, mit Dick Stone ausführen. Selbst wenn ich jetzt den Häuptling ganz glücklich beschlich, war anzunehmen, daß Sam seine Bedenken doch nicht fallen lassen werde. Darum war ich auf den Gedanken gekommen, gar nicht erst darum zu betteln und mir Mühe zu geben, ihn meinem Wunsche geneigt zu machen. Nein, ich wollte nicht hin zum Häuptling, sondern zu Winnetou!

Dabei setzte ich nicht nur mein Leben, sondern auch das meiner Gefährten aufs Spiel. Wenn ich bei der Ausführung meines Vorhabens erwischt wurde, war es um mich und um sie geschehen. Das wußte ich damals zwar auch, ging aber in jugendlichem Tatendrange leicht darüber hinweg.

Vom Anschleichen hatte ich oft gelesen und seit ich mich im wilden Westen befand, auch oft genug gehört. Besonders Sam hatte mir oft gesagt und es mir auch oft gezeigt, wie es zu machen sei. Ich hatte es ihm nachgemacht; aber von der Fertigkeit, die ich heute eigentlich brauchte, war keine Rede. Das hinderte mich aber keineswegs, fest an mich und an das Gelingen meiner Absicht zu glauben.

Ich lag im Grase und schob mich fort, in die Büsche hinein. Von unserm Lager bis dahin, wo Intschu tschuna und Winnetou nebeneinander an je einen Baum gebunden waren, war es ungefähr fünfzig Schritte weit. Ich hätte mich eigentlich so fortschieben sollen, daß nur meine Finger-und die Stiefelspitzen den Boden berührten; dazu gehört aber eine Kraft und Ausdauer in den Zehen und Fingern, die man sich nur durch lange Uebung aneignen kann; ich besaß sie noch nicht. Darum schob ich mich auf den Knieen und Vorderarmen nach Art eines vierfüßigen Tieres fort. Ehe ich die Hände an eine Stelle setzte, betastete ich sie erst, ob vielleicht ein Stück dürres Holz daliege, welches durch den Druck meines Körpers zerknickt werden und dadurch ein Geräusch verursachen könne. Mußte ich zwischen oder unter Zweigen durch, so flocht ich sie vorher sorgfältig zusammen, so daß sie mir, ohne daß ich sie berührte, dann Durchlaß boten. Das ging langsam, sehr, sehr langsam, aber ich kam doch vorwärts.

Die Apachen waren zu beiden Seiten des offenen Grasstreifens an die Bäume gebunden worden. Die beiden Häuptlinge befanden sich, von unsem Lagerplatze aus gerechnet, auf der linken Seite. Ihre Bäume standen am Rande des Streifens, und ungefähr vier oder fünf Schritte vor ihnen saß, mit dem Gesichte ihnen zugekehrt, ein Indianer, der sie, weil ihre Personen von solcher Wichtigkeit waren, speziell zu bewachen hatte. Dieser Umstand mußte mir mein Werk erschweren, wohl gar unmöglich machen, doch hatte ich mir zurecht gelegt, auf welche Weise ich seine Aufmerksamkeit ablenken wollte, wenigstens für kurze Zeit. Es gehörten hierzu Steine, die es aber leider hier nicht zu geben schien.

Ich hatte vielleicht die Hälfte meines Weges zurückgelegt und dazu über eine halbe Stunde gebraucht; man denke, in einer halben Stunde fünfundzwanzig Schritte! Da sah ich mir zur Seite etwas Helles schimmern. Ich kroch hin und bemerkte zu meiner großen Freude eine kleine, vielleicht zwei Ellen im Durchmesser haltende Bodenvertiefung, welche mit Sand angefüllt war. Wenn der Regen einmal das kleine Flüßchen und den Teich angefüllt hatte, so war das Wasser übergelaufen, nach dieser Seite abgeflossen und hatte diesen Sand hier angeschwemmt. Ich füllte schnell eine Tasche damit und kroch dann weiter.

Nach wieder einer guten halben Stunde befand ich mich endlich hinter Winnetou und seinem Vater, vielleicht vier Schritte von ihnen entfernt. Die Bäume, an welchen sie, mit den Rücken mir zugekehrt, gebunden lehnten, waren nicht ganz mannesstark. Ich hätte mich nicht vollends nähern können, wenn nicht glücklicherweise am Fuße dieser Bäume einiges belaubte Gezweig gestanden hätte, welches mir hinlänglich erschien, mich dem Wächter zu verbergen. Zu erwähnen ist, daß mehrere Schritte seitwärts hinter diesem ein stacheliger Strauch stand, auf den ich es abgesehen hatte.

Ich schob mich zuerst bis hinter Winnetou hinan und blieb da einige Minuten still liegen, um den Wächter zu beobachten. Er schien müde zu sein, denn er hielt die Augen geschlossen und öffnete sie dann und wann in einer Weise, als ob ihm dies Anstrengung koste. Das war mir lieb.

Zunächst galt es zu erfahren, in welcher Weise Winnetou gefesselt war. Ich langte also vorsichtig um den Stamm hinum und betastete seinen Fuß und Unterschenkel. Das mußte er natürlich fühlen, und ich hatte befürchtet, daß er eine Bewegung machen werde, durch welche ich verraten werden könnte; dies geschah aber nicht; er war zu klug und zu geistesgegenwärtig dazu. Ich fand, daß ihm die Füße an den Knöcheln zusammengebunden waren, und außerdem hatte man um sie und den Baum einen Riemen gezogen; es waren hier also zwei Messerschnitte notwendig.

Dann blickte ich nach oben. Beim flackernden Feuerscheine sah ich, daß man seine Hände rückwärts von rechts und links um den Baum gezogen und dort hinter demselben mit einem Riemen zusammengebunden hatte. Da brauchte ich nur einen Schnitt zu tun.

Jetzt nun fiel mir ein Umstand ein, an den ich vorher nicht gedacht hatte. Wenn ich Winnetou losschnitt, so stand nach meinem Dafürhalten zu erwarten, daß er augenblicklich die Flucht ergreifen werde. Das mußte mich in die größte Gefahr bringen. Ich sann hin und her, wie dies vermieden werden könne, fand aber keinen Ausweg; ich mußte es eben riskieren und, falls der Apache sofort entsprang, mich ebenso schnell salvieren.

Wie irrte ich mich da in Winnetou! Ich kannte ihn eben nicht. Als wir später über seine Befreiung sprachen, teilte er mir seine Gedanken mit, die er dabei gehabt hatte. Er hatte, als er meine tastende Hand fühlte, geglaubt, es sei ein Apache. Zwar waren alle, welche er bei sich hatte, gefangen; aber es war doch möglich, daß irgend ein Späher oder Bote ihnen, ohne daß sie davon wußten, gefolgt war, um ihnen von ihrem Haupttruppe eine Nachricht zu bringen. Er war sofort seiner Befreiung sicher gewesen und hatte auf die erlösenden Messerschnitte gewartet. Aber er hätte seine Stellung am Baume ganz gewiß nicht gleich verändert, sondern sie einstweilen noch beibehalten, denn er wäre auf keinen Fall ohne seinen Vater entflohen und wollte auch den, welcher ihn befreite, nicht durch ein augenblickliches Entspringen in Gefahr bringen.

Ich durchschnitt zunächst die beiden unteren Riemen. Den oberen konnte ich in meiner liegenden Stellung nicht erreichen. Und selbst wenn ich ihn hätte erlangen können, so war doch Behutsamkeit geboten, um Winnetou nicht in die Hände zu schneiden. Ich mußte also aufstehen. Da aber war es beinahe sicher, daß mich der Wächter sehen mußte. Um seine Aufmerksamkeit abzulenken, hatte ich den Sand mitgebracht; kleine Steine wären mir freilich lieber gewesen. Ich griff in die Tasche, nahm eine Wenigkeit davon heraus und warf sie an Winnetou und dem Wächter vorbei, auf den Stachelstrauch. Das verursachte ein Rascheln. Der Rote wendete sich um und sah nach dem Strauche, beruhigte sich aber bald wieder. Ein zweiter Wurf erregte sein Bedenken. Es konnte ein giftiges Reptil im Strauche verborgen sein. Er stand auf, ging hin und betrachtete ihn forschend. Dabei kehrte er uns den Rücken zu. Schnell war ich auf und durchschnitt die Riemen. Dabei fiel mir das herrliche Haar Winnetous in die Augen, welches auf dem Kopfe einen helmartigen Schopf bildete und dann noch schwer und lang auf den Rücken niederfiel. Mit der linken Hand eine dünne Strähne desselben fassend, schnitt ich sie mit der Rechten ab und ließ mich dann wieder zu Boden sinken.

Warum ich das tat? Um nötigenfalls einen Beweis in den Händen zu haben, daß ich es war, der ihn losgeschnitten hatte.

Zu meiner Freude machte Winnetou nicht die geringste Bewegung; er stand genau so wie vorher da. Ich wickelte das Haar um die Finger zu einem Ring zusammen und steckte es ein. Dann kroch ich zu Intschu tschuna hinüber, dessen Fesseln ich auf ganz dieselbe Weise untersuchte. Er war genau so gebunden und an den Baum befestigt wie Winnetou und blieb auch so unbeweglich, als er die Berührung meiner Hand fühlte. Ich schnitt auch ihn erst unten los. Dann gelang es mir, auf ganz gleiche Weise die Aufmerksamkeit des Wächters wieder abzulenken, so daß ich auch die Hände des Häuptlings von dem Riemen befreien konnte. Er war grad so bedächtig wie sein Sohn und rührte sich nicht.

Da kam mir der Gedanke, daß es besser sei, die zu Boden gefallenen Riemen nicht finden zu lassen. Die Kiowas brauchten gar nicht zu wissen, auf welche Weise die Gefangenen frei geworden waren. Fanden sie hingegen die Riemen, so sahen sie, daß dieselben durchschnitten worden waren, und dann mußte sich ihr Verdacht auf uns richten. Ich nahm also erst hüben bei Intschu tschuna die Riemen weg und huschte dann wieder hinüber zu Winnetou, um dort dasselbe zu tun, steckte sie ein und machte mich dann auf den Rückweg.

Wenn die beiden Häuptlinge verschwanden, so machte der Wächter augenblicklich Alarm, und dann durfte ich mich nicht mehr in der Nähe befinden. Ich mußte mich beeilen. Darum kroch ich zunächst tiefer in das Gebüsch hinein, bis ich, falls ich mich aufrichtete, nicht gesehen werden konnte, stand dann auf und schlich mich nun, zwar auch vorsichtig, aber bedeutend schneller als vorher, nach unserm Lagerplatze zurück. Erst als ich in der Nähe desselben angekommen war, legte ich mich wieder nieder, um den kleinen Rest des Weges kriechend zu machen.

Meine drei Gefährten hatten große Sorge um mich gehabt.

Als ich bei ihnen angekommen war und wieder zwischen ihnen lag, flüsterte mir Sam zu:

»Wir hatten beinahe Angst, Sir! Wißt Ihr, wie lange Ihr fort gewesen seid?«

»Nun?«

»Beinahe zwei Stunden.«

»Das stimmt. Eine halbe Stunde hin, eine halbe her und eine ganze dort geblieben.«

»Warum mußtet Ihr so lange dort bleiben?«

»Um ganz genau zu erfahren, ob der Häuptling schläft.«

»Wie habt Ihr das denn angefangen?«

»Ich habe so lange nach ihm hingeschaut, und als er sich dann immer noch nicht bewegte, so konnte ich überzeugt sein, daß er schläft.«

»So, ach, schön! Habt ihr’s gehört, Dick und Will? Um zu erfahren, ob der Häuptling munter ist oder schläft, hat er ihn eine ganze Stunde lang angestarrt, hihihihi! Er ist und bleibt ein Greenhorn, ein unverbesserliches Greenhorn! Habt Ihr denn gar kein Hirn im Kopfe, daß Euch kein besseres Mittel eingefallen ist? Ihr habt doch jedenfalls unterwegs genug kleine Holz-oder Rindenstücke gefunden? Nicht?«

»Ja,« antwortete ich, da die letzten Worte wieder an mich gerichtet waren.

»So brauchtet Ihr nur, wenn Ihr nahe genug gekommen waret, so ein Holzstückchen oder ein kleines bißchen Erde nach dem Häuptlinge zu werfen. Wäre er wach gewesen, so hätte er sich sicher augenblicklich bewegt. Na, Ihr habt freilich auch geworfen, wenn ich mich nicht irre, nämlich Blick auf Blick, eine ganze Stunde lang, hihihihi!«

»Mag sein; aber meine Probe habe ich doch bestanden!«

Während ich sprach, richtete ich meine Augen mit Spannung auf die beiden Apachen. Ich wunderte mich, daß sie noch immer so an den Bäumen standen, als ob sie gefesselt wären. Sie konnten schon fort sein. Der Grund war ein sehr einfacher. Winnetou hatte angenommen, daß ich ihn zuerst abgeschnitten hätte und dann zu seinem Vater geschlichen sei, und erwartete nun ein Zeichen von mir. Dasselbe war auch mit seinem Vater der Fall, nur umgekehrt. Intschu tschuna glaubte, ich hätte noch mit Winnetou zu tun. Als dann gar kein Zeichen meinerseits erfolgte, wartete Winnetou einen Augenblick ab, an welchem der Wächter die müden Augen wieder einmal geschlossen hatte, und bewegte dann den Arm, um seinem Vater zu zeigen, daß er nicht mehr gefesselt sei; der Häuptling gab ihm dasselbe Zeichen zurück; sie wußten nun, woran sie waren, und verschwanden augenblicklich von ihren Plätzen.

»Ja, Eure Probe habt Ihr bestanden,« gab Sam Hawkens zu. »Ihr habt den Häuptling eine ganze Stunde lang beobachtet, ohne daß Ihr dabei erwischt worden seid.«

»Folglich werdet Ihr mir nun zutrauen, daß ich auch mit zu Winnetou kann, ohne daß ich Dummheiten mache.«

»Hm! Glaubt Ihr, daß Ihr die beiden Häuptlinge dadurch befreien könnt, daß Ihr sie auch eine voll geschlagene Stunde mit Euern Blicken bombardiert?«

»Nein. Wir schneiden sie los.«

»Das sagt Ihr, als ob es so leicht wäre, wie man einen Ast vom Busche schneidet. Seht Ihr nicht, daß ein Wächter bei ihnen sitzt?«

»Das sehe ich sehr wohl.«

»Der macht es grad so wie Ihr; er kanoniert sie auch mit seinen Blicken. Sie trotz dieser seiner Wachsamkeit loszumachen, dazu seid Ihr noch nicht fertig genug. Es ist so schwer, daß ich nicht einmal weiß, ob es mir gelingen wird. Seht nur einmal hin, Sir! Schon das Anschleichen bis dorthin ist ein wahres Meisterstück, und wenn man dann glücklich bei ihnen angekommen ist, dann good lack! Was ist denn das?«

Er hatte seine Augen auf die Apachen gerichtet gehabt und hielt mitten in seiner Rede inne, weil sie eben jetzt von ihren Bäumen verschwanden. Ich tat, als ob ich das nicht gesehen hätte, und fragte:

»Was ist los? Warum sprecht Ihr nicht weiter?«

»Warum? Weil weil Ist es denn richtig oder täusche ich mich?«

Er rieb sich die Augen und fuhr dann fort:

»Ja, bei Gott, es ist richtig! Dick, Will, schaut doch einmal hin, ob ihr Winnetou und Intschu tschuna noch seht!«

Sie wendeten sich nach der betreffenden Seite und wollten eben ihrem Erstaunen Ausdruck geben, als der Wächter, der die ihm Anvertrauten jetzt auch vermißte, aufsprang, die beiden verlassenen Bäume einige Augenblicke lang anstarrte und dann einen lauten, durchdringenden Schrei ausstieß. Dieser weckte sämtliche Schläfer. Der Wächter schrie ihnen das Geschehene in seiner Sprache, die ich nicht verstand, zu, und nun gab es einen Tumult, welcher ganz unbeschreiblich war.

Alles rannte nach den Bäumen, die Weißen auch alle. Ich folgte ihnen, denn ich mußte so tun, als ob ich gar nichts wisse. Dabei zog ich die Tasche heraus, kehrte sie um und ließ den Sand zu Boden fallen.

Schade, daß ich nur Winnetou und Intschu tschuna hatte losmachen können! Wie gern hätte ich noch mehrere, am liebsten alle befreit, aber es hätte an Verrücktheit gegrenzt, dies auch nur zu versuchen.

Zweihundert und noch mehr Menschen umdrängten die beiden Stellen, an denen die Entflohenen noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatten. Dabei gab es ein Geschrei oder ein Wutgeheul, welches mir sehr deutlich sagte, was meiner wartete, falls die Wahrheit an den Tag kommen sollte. Endlich gebot Tangua Ruhe und erteilte seine Befehle, auf welche wenigstens die Hälfte seiner Leute forteilte, um sich draußen auf der Savanne zu zerstreuen und trotz der Dunkelheit nach den Entflohenen zu suchen. Der Häuptling schäumte förmlich vor Wut. Er schlug dem unaufmerksamen Wächter mit der Faust in das Gesicht und riß ihm den Medizinbeutel vom Halse, um denselben unter die Füße zu treten. Damit war der arme Teufel für ehrlos erklärt.

Man darf nämlich nicht etwa auf Grund des Wortes Medizin annehmen, daß es sich dabei um ein Arznei-oder Heilmittel handle. Das Wort Medizin ist bei den Indianern erst nach dem Auftreten der Weißen in Gebrauch gekommen. Die Heilmittel der Bleichgesichter waren ihnen unbekannt, und sie hielten die Wirkungen derselben für die Folgen eines Zaubers, eines mit dem Uebersinnlichen in Verbindung stehenden Geheimnisses. Seitdem bezeichnen sie alles, was sie für Zauberei halten oder was ihnen nicht erklärlich ist, was sie für die Folgen eines höheren Einflusses, einer höheren Eingebung halten, mit dem Worte Medizin. Natürlich hat jeder Stamm auch einen eigenen, seiner Sprache angehörigen Ausdruck dafür. So heißt Medizin in der Sprache der Mandans Hopenesch, der Tuskaroras Yunnjuh queht, der Schwarzfüße Nehtowa, der Sioux Wehkon und der Riccarehs Wehrootih.

Jeder erwachsene Mann, jeder Krieger hat eine Medizin. Der Jüngling, welcher unter die Männer, die Krieger aufgenommen werden will, verschwindet plötzlich und sucht die Einsamkeit auf. Dort fastet und hungert er und versagt sich sogar den Genuß des Wassers. Er denkt über seine Hoffnungen, Wünsche und Pläne nach. Die Anstrengung des Geistes, verbunden mit solchen körperlichen Entbehrungen, versetzt ihn in einen fieberhaften Zustand, in welchem er den Schein von der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden weiß. Er glaubt, höhere Eingebungen zu empfangen; der Traum ist ihm dann eine überirdische Offenbarung. Hat er dieses Stadium erreicht, so wartet er auf den ersten Gegenstand, der ihm vom Traume oder sonstwie vorgegaukelt wird, und dieser ist ihm dann fürs ganze Leben heilig, ist seine “Medizin”. Sollte dieser Gegenstand zum Beispiele eine Fledermaus sein, so ruht er nicht, bis er eine solche fängt. Ist ihm dies gelungen, so kehrt er mit ihr zum Stamme zurück und übergibt sie dem Medizinmanne, dem Zauberer, welcher sie zu präparieren hat. Sie findet ihren Platz in dem verschieden-, jedoch stets eigenartig ausgestatteten Medizinbeutel, welcher stets getragen werden muß, und ist das kostbarste Eigentum eines jeden Indianers. Medizin verloren, Ehre verloren. So ein Unglücklicher kann sich nur dadurch rehabilitieren, daß er einen berühmten Feind tötet und dann dessen Medizin vorzeigt; sie wird die seinige.

Man kann also denken, welche Strafe es für den Wächter war, daß ihm seine Medizin entrissen und zertreten wurde. Er sagte kein Wort der Entschuldigung oder des Zornes, schulterte sein Gewehr und verschwand zwischen den Bäumen. Er war von heut an für seinen Stamm tot und konnte nur in dem oben angegebenen Falle wieder aufgenommen werden.

Die Wut des Häuptlings richtete sich nicht nur gegen diesen Schuldigen, sondern auch gegen mich. Er kam auf mich zu und schrie mich an:

»Du wolltest diese zwei Hunde für dich haben. Lauf ihnen doch nach und fange sie wieder ein!«

Ich wollte mich von ihm abwenden, ohne zu antworten, da ergriff er mich beim Arme und rief:

»Hast du gehört, was ich dir befohlen habe? Verfolgen sollst du sie!«

Ich schüttelte ihn von mir ab und antwortete:

»Befohlen? Hast du mir zu befehlen?«

»Ja, denn ich bin der Häuptling dieses Lagers, und ihr habt mir zu gehorchen!«

Da zog ich die Sardinenbüchse aus der Tasche und sagte:

»Soll ich dir die richtige Antwort geben, indem ich dich mit allen deinen Kriegern in die Luft sprenge? Sprich noch ein Wort, was mir nicht gefällt, und ich vertilge euch alle mit dieser Medizin!«

Ich war neugierig, ob dieses Possenspiel die beabsichtigte Wirkung hervorbringen werde. Ja, und wie! Er wich weit zurück und schrie:

»Uff, uff! Behalte diese Medizin für dich, und sei ein Hund, wie jeder Apache einer ist!«

Das war eine Beleidigung, die ich wohl nicht so ruhig hingenommen hätte, wenn es nicht klug gewesen wäre, auf seine Aufregung und die Ueberzahl seiner Leute Rücksicht zu nehmen. Wir Weißen kehrten nach unserer Lagerstelle zurück, wo das Ereignis natürlich von allen Seiten beleuchtet wurde, ohne daß einer die gewünschte Erklärung fand. Ich schwieg nicht nur gegen die Andern, sondern auch gegen Sam, Dick und Will. Es machte mir heimlich Spaß, die Erklärung dieses plötzlichen Verschwindens der Gefangenen in den Händen zu haben, während sie so eifrig und doch vergeblich danach suchten. Die Haarlocke Winnetous habe ich auf allen meinen Wanderungen durch den Westen bei mir getragen und besitze sie heute noch.

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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