Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 17

Fünftes Kapitel.
»Schöner Tag«.

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Inhaltsverzeichnis

Als wir jetzt nach dem Pueblo zurückkehrten und bei demselben anlangten, sah ich erst, welch ein mächtiger, imposanter Steinbau dasselbe war. Man hält die amerikanischen Völkerschaften für bildungsunfähig; aber Menschen, welche solche Felsenmassen zu bewegen und zu einer solchen mit den damaligen Waffen uneinnehmbaren Festung aufeinander zu türmen verstanden hatten, konnten unmöglich nur auf der untersten, niedrigsten Kulturstufe gestanden haben. Und wenn man sagt, daß diese Nationen früher bestanden haben und daß die jetzigen Indianer keineswegs Abkömmlinge derselben seien, so will ich das weder zugeben noch bestreiten; aber wenn es wirklich so sein sollte, dann ist das noch kein Grund zu der Behauptung, daß die Indianer geistig nicht vorwärts kommen können. Natürlich, wenn man ihnen nicht die Zeit und den Raum dazu gönnt, so müssen sie verkommen und untergehen.

Wir stiegen mittels der vorhandenen Leitern bis zur dritten Plattform empor, hinter welcher die besten Räume des Pueblo lagen. Da wohnte Intschu tschuna mit seinen beiden Kindern, und da bekamen wir unsere Wohnung angewiesen.

Die meinige war groß. Sie hatte zwar auch keine Fensteröffnungen und erhielt ihr Licht nur durch die Tür, aber diese war so breit und hoch, daß es an der nötigen Helligkeit nicht mangelte. Der Raum war leer, doch Nscho-tschi möblierte ihn mir bald mit Fellen, Decken und Gerätschaften so gut aus, daß ich mich weit mehr als den Verhältnissen angemessen behaglich fühlen konnte. Hawkens, Stone und Parker bekamen zusammen ein ähnliches Gemach angewiesen.

Als mein “Gastzimmer” so weit eingerichtet war, daß ich es betreten konnte, brachte “Schöner Tag” mir eine prächtig geschnittene Friedenspfeife und Tabak dazu. Sie stopfte sie mir selbst und setzte den Tabak dann in Brand. Als ich die ersten Züge tat, sagte sie:

»Dieses Calumet sendet dir Intschu tschuna, mein Vater. Er selbst hat den Thon dazu aus den heiligen Steinbrüchen geholt, und ich habe den Kopf daraus geschnitten. Sie ist noch in keines Menschen Munde gewesen, und wir bitten dich, sie von uns als dein Eigentum anzunehmen und unser zu gedenken, wenn du daraus rauchest.«

»Eure Güte ist groß,« antwortete ich. »Sie beschämt mich fast, denn ich kann dieses Geschenk nicht erwidern.«

»Du hast uns bereits soviel gegeben, daß wir dir gar nicht dafür danken können, nämlich wiederholt das Leben Intschu tschunas und Winnetous, meines Bruders. Beide waren wiederholt in deine Hand gegeben, ohne daß du sie tötetest. Heut wieder konntest du Intschu tschuna das Leben nehmen, ohne daß du dafür bestraft worden wärest; du hast es aber nicht getan. Dafür sind dir unsere Herzen zugewendet, und du sollst unser Bruder sein, wenn du es unsern Kriegern erlaubst, dich als solchen zu betrachten.«

»Wenn das geschieht, so ist mein größter Wunsch erfüllt. Intschu tschuna ist ein sehr berühmter Häuptling und Krieger, und Winnetou habe ich gleich vom ersten Augenblicke an lieb gehabt. Es ist mir nicht nur eine große Ehre, sondern eine ebenso große Freude, der Bruder solcher Männer genannt zu werden. Ich wünsche nur, daß meine Gefährten auch daran teilnehmen dürfen.«

»Wenn sie wollen, wird man sie so betrachten, als ob sie als Apachen geboren worden seien.«

»Wir danken euch dafür. Also du selbst hast diesen Pfeifenkopf aus dem heiligen Thone geschnitten? Wie kunstvoll deine Hände sind!«

Sie errötete über dieses Lob und antwortete:

»Ich weiß, daß die Frauen und Töchter der Bleichgesichter noch viel kunstfertiger und geschickter sind als wir. Ich werde dir jetzt noch etwas holen.«

Sie ging und brachte mir dann meine Revolver, mein Messer, alle meine Munition und die sonstigen Gegenstände, welche sich nicht in meinen Taschen befunden hatten; denn alles, was darin gewesen war, das hatte man mir gelassen. Ich bedankte mich, erkannte an, daß mir nun nicht mehr das Geringste fehle, und fragte:

»Werden auch meine Kameraden wieder bekommen, was ihnen abgenommen worden ist?«

»Ja, alles. Sie werden es jetzt schon haben, denn während ich dich hier bediene, sorgt Intschu tschuna für sie.«

»Und wie steht es mit unsern Pferden?«

»Die sind auch da. Du wirst das deinige wieder reiten und Hawkens seine Mary auch.«

»Ah, du kennst den Namen seines Maultiers?«

»Ja, auch den Namen seiner alten Flinte, welche er Liddy nennt. Ich habe oft, ohne daß ich es dir erzählte, mit ihm gesprochen. Er ist ein sehr scherzhafter Mann, aber doch ein tüchtiger Jäger.«

»Ja, das ist er, und noch weit mehr, nämlich ein treuer, aufopferungsfähiger Gefährte, den man lieb haben muß. Aber ich möchte dich etwas fragen; wirst du mir die richtige Antwort geben, mir die Wahrheit sagen?«

»Nscho-tschi lügt nicht,« antwortete sie stolz und doch so einfach. »Am allerwenigsten aber würde sie dir eine Unwahrheit sagen.«

»Eure Krieger hatten den gefangenen Kiowas alles abgenommen, was sie bei sich hatten?«

»Ja.«

»Auch meinen drei Kameraden?«

»Ja.«

»Warum da mir nicht auch? Man hat den Inhalt meiner Taschen nicht angerührt.«

»Weil Winnetou, mein Bruder, es so befohlen hatte.«

»Und weißt du, weshalb er diesen Befehl gab?«

»Weil er dich liebte.«

»Trotzdem er mich für seinen Feind hielt?«

»Ja. Du sagtest vorhin, daß du ihn gleich vom ersten Augenblicke an lieb gehabt habest; dasselbe ist auch bei ihm mit dir der Fall gewesen. Es hat ihm sehr leid getan, dich für einen Feind halten zu müssen, und nicht nur für einen Feind «

Sie hielt inne, denn sie hatte etwas sagen wollen, wovon sie dachte, daß es mich beleidigen werde.

»Sprich weiter,« bat ich.

»Nein.«

»So will ich es an deiner Stelle tun. Mich für seinen Feind halten zu müssen, das konnte ihm nicht wehe tun, denn man kann auch einen Feind achten; aber er hat geglaubt, daß ich ein Lügner, ein falscher, hinterlistiger Mensch sei. Nicht?«

»Du sagst es.«

»Hoffentlich sieht er nun ein, daß er sich da geirrt hat. Und nun noch eine Frage: Wie steht es mit Rattler, dem Mörder Klekih-petras?«

»Der wird soeben an den Marterpfahl gebunden.«

»Was? Jetzt? Soeben?«

»Ja.«

»Und das sagt man mir nicht? Warum hat man es mir verschwiegen?«

»Winnetou wollte es so haben.«

»Ja, aber warum?«

»Er glaubte, deine Augen könnten es nicht ersehen und deine Ohren es nicht erhören.«

»Wahrscheinlich hat er sich da nicht geirrt, und doch ist es mir möglich, es zu ersehen und auch zu erhören, wenn man meinen Wunsch berücksichtigt.«

»Welchen?«

»Sag erst, wo die Marter stattfinden wird!«

»Unten am Flusse, wo du dich vorhin befunden hast. Intschu tschuna hat euch fortgeführt, weil ihr nicht dabei sein sollt.«

»Ich will aber dabei sein! Welche Qualen hat man denn für ihn bestimmt?«

»Alle, welche gegen Gefangene ausgeübt zu werden pflegen. Er ist das schlimmste Bleichgesicht, welches den Apachen jemals in die Hände geraten ist. Er hat unsern weißen Vater, den wir liebten und verehrten, den Lehrer Winnetous, ohne alle Veranlassung ermordet; darum soll er nicht an nur einigen Qualen sterben, wie es bei anderen Gefangenen zu geschehen pflegt, sondern man wird alle Martern, die wir kennen, nach und nach an ihm erproben.«

»Das darf nicht sein; das ist unmenschlich!«

»Er hat es verdient!«

»Könntest du dabei sein, es mit ansehen?«

»Ja.«

»Du, ein Mädchen!«

Ihre langen Wimpern senkten sich. Sie richtete den Blick einige Zeit zur Erde, hob ihn dann wieder, sah mir ernst, beinahe vorwurfsvoll in die Augen und antwortete:

»Wunderst du dich darüber?«

»Ja. Ein Weib soll so etwas nicht ansehen können.«

»Ist es so bei euch?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Du sagst die Unwahrheit, bist aber doch kein Lügner, denn du sagst sie unabsichtlich, unwissentlich. Du irrst dich.«

»So willst du das Gegenteil behaupten?«

»Ja.«

»Dann müßtest du unsere Frauen und Mädchen besser kennen als ich!«

»Vielleicht kennst du sie nicht! Wenn eure Verbrecher vor dem Richter stehen, so können andere Leute mit zuhören. Ist es so?«

»Ja.«

»Ich habe gehört, daß es da mehr Zuhörerinnen als Zuhörer gibt. Gehört eine Squaw dorthin? Ist es schön von ihr, sich von ihrer Neugierde nach einem solchen Orte treiben zu lassen?«

»Nein.«

»Und wenn bei euch ein Mörder hingerichtet wird, wenn man ihn aufhängt oder ihm den Kopf abschlägt, sind dann keine weißen Squaws dabei?«

»Das war früher.«

»Jetzt ist es ihnen verboten?«

»Ja.«

»Und den Männern auch?«

»Ja.«

»Also ist es allen verboten! Wäre es allen noch erlaubt, so würden auch die Squaws mitkommen. Oh, die Frauen der Bleichgesichter sind nicht so zart, wie du denkst. Sie können die Schmerzen sehr gut ertragen, aber die Schmerzen, welche Andere, Menschen oder Tiere erdulden. Ich bin nicht bei euch gewesen, aber Klekih-petra hat es uns erzählt. Dann ging Winnetou nach den großen Städten des Ostens, und als er zurückkehrte, berichtete er mir alles, was er gesehen und beobachtet hatte. Weißt du, was eure Squaws mit den Tieren tun, die sie kochen, braten und dann essen?«

»Nun?«

»Sie ziehen ihnen die Haut bei lebendigem Leibe ab; sie ziehen ihnen auch, während sie noch leben, den Darm heraus und werfen sie in das kochende Wasser. Und weißt du, was die Medizinmänner der Weißen tun?«

»Was meinst du?«

»Sie werfen lebendige Hunde in das kochende Wasser, um zu erfahren, wie lange sie dann noch leben, und ziehen ihnen die verbrühte Haut vom Leibe. Sie schneiden ihnen die Augen, die Zungen heraus; sie öffnen ihnen die Leiber; sie quälen sie auf noch viele andere Arten, um dann Bücher darüber zu machen.«

»Das ist Vivisektion und geschieht zum Besten der Wissenschaft.«

»Wissenschaft! Klekih-petra ist auch mein Lehrer gewesen; darum weiß ich, was du mit diesem Worte meinst. Was muß euer großer, guter Geist zu einer Wissenschaft sagen, welche nichts lehren kann, ohne daß sie seine Geschöpfe zu Tode martert! Und solche Martern nehmen eure Medizinmänner in ihren Wohnungen vor, wo die Squaws doch mit wohnen und es sehen müssen! Oder hören sie nicht das Schmerzgeheul der armen Tiere? Haben eure Squaws nicht Vögel in Käfigen in ihren Zimmern? Wissen sie nicht, welche Qual dies für den Vogel ist? Sitzen eure Squaws nicht zu tausenden dabei, wenn bei Wettrennen Pferde zu Tode geritten werden? Sind nicht Squaws dabei, wenn Boxer sich zerfleischen? Ich bin ein junges, unerfahrenes Mädchen und werde von euch zu den “Wilden” gerechnet; aber ich könnte dir noch vieles sagen, was eure zarten Squaws tun, ohne daß sie dabei den Schauder empfinden, den ich fühlen würde. Zähle die vielen Tausende von zarten, schönen, weißen Frauen, welche ihre Sklaven zu Tode gepeinigt und mit lächelndem Munde dabei gestanden haben, wenn eine schwarze Dienerin totgepeitscht wurde! Und hier haben wir einen Verbrecher, einen Mörder. Er soll sterben, so wie er es verdient hat. Ich will dabei sein, und das verurteilst du! Ist es wirklich unrecht von mir, daß ich so einen Menschen ruhig sterben sehen kann? Und wenn es ein Unrecht wäre, wer trägt die Schuld, daß die Roten ihre Augen an solche Dinge gewöhnt haben? Sind es nicht die Weißen, welche uns zwingen, ihre Grausamkeiten mit Härte zu vergelten?«

»Ich glaube nicht, daß ein weißer Richter einen gefangenen Indianer zum Marterpfahle verurteilen wird.«

»Richter! Zürne mir nicht, wenn ich das Wort sage, welches ich so oft von Hawkens gehört habe: Greenhorn! Du kennst den Westen nicht. Wo gibt es hier Richter, nämlich das, was du mit diesem Worte meinst? Der Stärkere ist der Richter, und der Schwache wird gerichtet. Laß dir erzählen, was an den Lagerfeuern der Weißen geschehen ist! Sind die unzähligen Indianer, welche im Kampfe gegen die weißen Eindringlinge untergingen, alle schnell an einer Kugel, an einem Messerstiche gestorben? Wie viele von ihnen wurden zu Tode gemartert! Und doch hatten sie nichts getan als ihre Rechte verteidigt! Und nun bei uns ein Mörder sterben soll, der seine Strafe verdient hat, soll ich meine Augen davon abwenden, weil ich eine Squaw, ein Mädchen bin? Ja, einst waren wir anders; aber ihr habt uns gelehrt, Blut fließen zu sehen, ohne daß wir mit der Wimper zucken. Ich werde gehen, um dabei zu sein, wenn der Mörder Klekih-petras seine Strafe erleidet!«

Ich hatte die schöne, junge Indianerin als ein sanftes, stilles Wesen kennen gelernt; jetzt stand sie vor mir mit blitzenden Augen und glühenden Wangen, das lebende Bild einer Rachegöttin, die kein Erbarmen kennt. Fast wollte sie mir da noch schöner als vorher vorkommen. Durfte ich sie verurteilen? Hatte sie unrecht?

»So geh,« sagte ich; »aber ich gehe mit.«

»Bleib lieber hier!« bat sie, wieder in einem ganz andern Tone sprechend. »Intschu tschuna und Winnetou sehen es nicht gern, wenn du mitkommst.«

»Werden sie mir zürnen?«

»Nein. Sie wünschen es nicht, werden es dir aber nicht verbieten; du bist unser Bruder.«

»So gehe ich mit, und sie werden es verzeihen.«

Als ich mit ihr hinaus auf die Plattform trat, stand Sam Hawkens da. Er rauchte aus seiner alten, kurzen Savannenpfeife, denn er hatte auch Tabak erhalten.

»Ist jetzt eine andere Sache, Sir,« sagte er schmunzelnd. »Bis vorhin Gefangene gewesen und jetzt die großen Herren spielen; das ist ein Unterschied. Wie geht es Euch unter den neuen Verhältnissen?«

»Danke, gut,« antwortete ich.

»Mir auch ausgezeichnet. Der Häuptling hat uns selbst bedient. Das ist doch fein, wenn ich mich nicht irre!«

»Wo ist Intschu tschuna jetzt?«

»Fort, wieder nach dem Flusse.«

»Wißt Ihr, was jetzt dort geschieht?«

»Kann es mir denken.«

»Nun, was?«

»Zärtlicher Abschied von den lieben Kiowas.«

»Das weniger.«

»Was denn sonst?«

»Rattler wird gemartert.«

»Rattler wird gemartert? Und da führt man uns hierher? Da muß ich auch dabei sein! Kommt, Sir! Wir wollen schnell hinab!«

»Langsam! Könnt Ihr denn solche Szenen ersehen, ohne daß Euch der Schauder forttreibt?«

»Ersehen? Schauder? Was Ihr doch für ein Greenhorn seid, geliebter Sir! Wenn Ihr Euch erst länger hier im Westen befindet, so werdet Ihr auch nicht mehr ans Schaudern denken. Der Kerl hat den Tod verdient und wird auf indianische Weise hingerichtet; das ist alles!«

»Aber es ist Grausamkeit.«

»Pshaw! Redet doch bei so einem Subjekte nicht von Grausamkeit! Sterben muß er doch! Oder seid Ihr etwa auch damit nicht einverstanden?«

»O ja. Aber sie mögen es kurz mit ihm machen! Er ist ein Mensch!«

»Ein solcher Mann, der einen Andern, welcher ihm nicht das Mindeste getan hat, niederschießt, der ist kein Mensch mehr. Er war betrunken wie ein Vieh.«

»Das ist doch ein Milderungsgrund. Er wußte nicht mehr, was er tat.«

»Laßt Euch nicht auslachen! Ja, da drüben bei Euch im alten Lande, da sitzen die Herren Juristen zu Gericht und rechnen einem Jeden, dem es beliebt, in der Betrunkenheit ein Verbrechen zu begehen, den Schnaps als Milderungsgrund an. Verschärfen sollten sie die Strafe, Sir, verschärfen! Wer sich so sinnlos betrinkt, daß er wie ein wildes Tier über seinen Nebenmenschen herfällt, der sollte doch doppelt bestraft werden. Ich habe nicht das geringste Mitleid mit diesem Rattler. Denkt doch daran, wie er Euch behandelt hat!«

»Ich denke daran, aber ich bin ein Christ und kein Indianer. Ich werde alles versuchen, einen kurzen Tod für ihn zu erreichen.«

»Das laßt bleiben, Sir! Erstens verdient er es nicht, und zweitens wird alle Eure Mühe vergeblich sein. Klekih-petra ist der Lehrer, der geistige Vater des Stammes gewesen; sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust für die Apachen, und der Mord geschah ohne alle Veranlassung. Aus diesen Gründen ist es gewiß unmöglich, die Roten zur Nachsicht zu bewegen.«

»Ich versuche es doch!«

»Aber vergeblich!«

»In diesem Falle schieße ich Rattlern eine Kugel in das Herz.«

»Um seine Qualen zu beenden? Das laßt ums Himmels willen sein! Ihr würdet Euch dadurch den ganzen Stamm zum Feinde machen. Es ist sein gutes Recht, die Art der Strafe zu bestimmen, und wenn Ihr ihn um dieses bringt, so ist es mit der jungen Freundschaft, welche wir geschlossen haben, sofort wieder aus. Also geht Ihr mit?«

»Ja.«

»Schön; aber macht ja keine Dummheiten! Ich will Dick und Will rufen.«

Er verschwand im Eingange zu seiner Wohnung und kehrte bald mit den beiden Genannten zurück. Wir stiegen die Etagen hinab. Nscho-tschi war uns vorangegangen und nicht mehr zu sehen. Als wir aus den Seitentale in das Haupttal des Rio Pecos kamen, sahen wir die Kiowas nicht mehr. Sie waren mit ihrem verwundeten Häuptling fortgeritten, und Intschu tschuna war so klug und umsichtig gewesen, ihnen heimlich Späher nachzusenden, da es ihnen einfallen konnte, unbemerkt zurückzukehren, um sich zu rächen.

Ich habe schon gesagt, daß unser Ochsenwagen auf dem Platze stand. Als wir kamen, hatten die Apachen einen weiten Kreis um denselben gebildet. In der Mitte desselben standen die beiden Häuptlinge mit einigen Kriegern. Nscho-tschi war bei ihnen und sprach mit Winnetou. Obgleich sie die Tochter des Häuptlings war, durfte sie sich nicht in die Angelegenheiten der Männer mischen; wenn sie sich trotzdem jetzt nicht bei den Frauen befand, so war es gewiß nichts Unwichtiges, was sie ihrem Bruder zu sagen hatte. Als sie uns kommen sah, machte sie ihn, wie ich bemerkte, auf uns aufmerksam und zog sich dann zu den Squaws zurück. Sie hatte also wohl von uns mit ihm gesprochen. Winnetou durchbrach den Kreis seiner Krieger, kam uns entgegen und sagte in ernstem Tone:

»Warum sind meine weißen Brüder nicht oben im Pueblo geblieben? Gefallen ihnen die Wohnungen nicht, in welche sie geführt worden sind?«

»Sie gefallen uns,« antwortete ich, »und wir danken unsrem roten Bruder für die Fürsorge, die er für uns getroffen hat. Wir kehren zurück, weil wir hörten, daß Rattler jetzt sterben soll. Ist dies so?«

»Ja.«

»Ich sehe ihn doch nicht!«

»Er liegt im Wagen bei der Leiche des Ermordeten.«

»Welche Todesart soll er erleiden?«

»Den Martertod.«

»Ist dies unvermeidlich beschlossen worden?«

»Ja.«

»Einen solchen Tod kann mein Auge nicht ersehen!«

»Deshalb hat Intschu tschuna, mein Vater, euch nach dem Pueblo gebracht. Warum seid ihr zurückgekehrt? Warum willst du etwas ansehen, was du nicht ersehen kannst?«

»Ich hoffe, daß ich seinem Tode beiwohnen kann, ohne daß ich mich mit Grauen abzuwenden brauche. Meine Religion gebietet mir, für Rattler zu bitten.«

»Deine Religion? War sie nicht auch die seinige?«

»Ja.«

»Hat er nach den Geboten derselben gehandelt?«

»Leider nein.«

»So hast du nicht nötig, ihre Gebote seinetwegen zu erfüllen. Deine und seine Religion verbietet den Mord; er hat trotzdem gemordet, folglich sind die Lehren dieser Religion nicht auf ihn anzuwenden.«

»Nach dem, was er getan hat, kann ich mich nicht richten. Ich muß meine Pflicht erfüllen, ohne nach den Gesinnungen und Taten anderer Menschen zu fragen. Ich bitte dich, eure Strenge zu mildern und diesen Mann eines schnellen Todes sterben zu lassen!«

»Was beschlossen ist, muß ausgeführt werden!«

»Unbedingt?«

»Ja.«

»So gibt es also kein Mittel, meinen Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen?«

Er blickte sehr ernst und nachdenklich zu Boden; dann antwortete er:

»Es gibt eines.«

»Welches?«

»Ehe ich es meinem weißen Bruder sage, muß ich ihn bitten, es lieber nicht in Anwendung zu bringen, weil dir dies bei unsern Kriegern sehr, sehr schaden würde.«

»Inwiefern?«

»Sie würden dich nicht so achten können, wie ich es um deinetwillen wünsche.«

»So ist dieses Mittel ein ehrloses, ein verächtliches?«

»Nach den Begriffen der roten Männer, ja.«

»Sage es mir!«

»Du müßtest unsere Dankbarkeit anrufen.«

»Ah! Das tut allerdings kein braver Mann!«

»Nein. Wir haben dir unser Leben zu verdanken. Wolltest du dich darauf berufen, so würdest du mich und Intschu tschuna, meinen Vater, zwingen, uns deines Wunsches anzunehmen.«

»In welcher Weise?«

»Wir würden eine neue Beratung halten und während derselben so für dich sprechen, daß unsere Krieger den Dank, den du forderst, anerkennen müßten. Dann aber würde alles, was du getan hast, ferner wertlos sein. Ist dieser Rattler ein solches Opfer wert?«

»Allerdings nicht!«

»Mein Bruder hört, daß ich aufrichtig mit ihm rede. Ich weiß, welche Gedanken und Gefühle in seinem Herzen wohnen; aber meine Krieger können solche Empfindungen nicht begreifen. Ein Mann, welcher Dank fordert, wird von ihnen verachtet. Soll Old Shatterhand, welcher der größte und berühmteste Krieger der Apachen werden kann, heute von uns fortgehen müssen, weil meine Krieger vor ihm ausspucken werden?«

Es wurde mir schwer, hierauf eine Antwort zu geben. Mein Herz gebot mir, bei meiner Fürbitte zu bleiben; mein Verstand, oder besser gesagt, mein Stolz war dagegen. Winnetou fühlte Teilnahme für den Zwiespalt in meinem Innern und sagte:

»Ich werde mit Intschu tschuna, meinem Vater, sprechen. Mein Bruder mag hier warten!«

Er ging.

»Macht keine Dummheiten, Sir!« bat Sam. »Ihr ahnt gar nicht, was hierbei auf dem Spiele steht, vielleicht gar das Leben.«

»Das jedenfalls nicht!«

»O doch! Es ist wahr: der Rote verachtet einen Jeden, welcher direkt Dank von ihm fordert, ihn an das mahnt, was er ihm schuldet. Er tut dann wohl das, was man von ihm fordert, aber nachher kennt er den Betreffenden nicht mehr. Wir müßten wirklich heut noch fort und haben die feindlichen Kiowas vor uns. Was das bedeutet, das muß ich Euch doch wohl nicht erst sagen.«

Intschu tschuna und Winnetou sprachen eine Weile sehr ernst miteinander; dann kamen sie zu uns herbei, und der Erstere sagte:

»Hätte Klekih-petra uns nicht so viel von eurem Glauben gesagt, so würde ich dich für einen Mann halten, mit dem zu sprechen eine Schande ist. So aber kann ich deinen Wunsch sehr wohl begreifen, doch meine Krieger würden es nicht verstehen und dich verachten.«

»Es handelt sich nicht nur um mich, sondern auch um Klekih-petra, von dem du redest.«

»Wieso um ihn?«

»Er besaß denselben Glauben, der mir meine Bitte gebietet, und ist in diesem Glauben gestorben. Seine Religion gebot ihm, dem Feinde zu verzeihen. Glaube mir, wenn er noch lebte, so würde er es nicht zugeben, daß sein Mörder eines solchen Todes sterbe.«

»Denkst du das wirklich?«

»Ja, ich bin davon überzeugt.«

Er schüttelte langsam den Kopf und sagte:

»Was sind diese Christen doch für Menschen! Entweder sind sie schlecht, und dann ist ihre Schlechtigkeit so groß, daß man sie nicht zu begreifen vermag. Oder sie sind gut, und dann ist ihre Güte ebenso unbegreiflich!«

Hierauf sah er seinem Sohne und dieser wieder ihm in die Augen. Sie verstanden sich; sie hielten Zwiesprache miteinander nur durch diese Blicke. Dann wendete sich Intschu tschuna wieder mir zu, indem er fragte:

»Dieser Mörder war auch dein Feind?«

»Ja.«

»Hast du ihm verziehen?«

»Ja.«

»So höre, was ich dir sage! Wir wollen erfahren, ob noch eine kleine, kleine Spur des Guten in ihm wohnt. Ist dies der Fall, so werde ich versuchen, dir deinen Wunsch zu erfüllen, ohne daß es dir Schaden macht. Setzt euch hier nieder und wartet, was geschieht. Wenn ich dir einen Wink gebe, so kommst du zu dem Mörder und forderst von ihm, daß er dich um Verzeihung bitte. Tut er dies, so soll er schnell sterben.«

»Darf ich ihm dies sagen?«

»Ja.«

Intschu tschuna kehrte mit Winnetou wieder in den Kreis zurück, und wir setzten uns da nieder, wo wir jetzt gestanden hatten.

»Das hätte ich nicht gedacht,« meinte Sam, »daß der Häuptling doch auf Euren Wunsch eingeht. Ihr müßt sehr gut bei ihm stehen.«

»Das tut es nicht; der Grund ist ein anderer.«

»Welcher?«

»Es ist der Einfluß Klekih-petras, der sich selbst nach seinem Tode geltend macht. Diese Roten haben vom wahren, innern Christentume mehr in sich aufgenommen, als sie ahnen. Ich bin sehr neugierig, was nun geschieht.«

»Werdet es gleich sehen. Paßt nur auf!«

Jetzt wurde die Plahe von dem Wagen entfernt. Wir sahen, daß man einen langen, kofferähnlichen Gegenstand, auf welchem ein Mensch festgebunden war, herabnahm.

»Das ist der Sarg,« meinte Sam Hawkens; »aus hohlgebrannten Baumklötzen zusammengesetzt und mit naßgemachten Fellen überzogen. Wenn das Leder trocken wird, zieht es sich zusammen, und der Sarg wird dadurch luftdicht verschlossen.«

Unfern von der Stelle, wo das Seiten-auf das Haupttal stieß, erhob sich ein Felsen, an welchem aus großen Steinen ein vorn offenes Viereck zusammengesetzt worden war. Daneben lagen noch viele Steine, welche hier zusammengetragen worden waren. Nach diesem Steinvierecke wurde der Sarg mitsamt dem Manne, der mit ihm zusammengebunden war, getragen. Dieser Mann war Rattler.

»Wißt Ihr, warum man dort die Steine zusammengeschafft hat?« fragte Sam.

»Ich denke es mir.«

»Nun, wozu?«

»Man will das Grab daraus bauen.«

»Richtig! Ein Doppelgrab.«

»Für Rattler mit?«

»Ja. Der Mörder wird mit seinem Opfer begraben, was eigentlich nach jedem Morde geschehen sollte, wenn es möglich wäre.«

»Schrecklich! Lebendig an den Sarg des Ermordeten gefesselt zu sein und dabei zu wissen, daß dies zugleich die eigene letzte Lagerstätte ist!«

»Ich glaube gar, Ihr bedauert den Menschen wirklich! Daß Ihr für ihn gebettelt habt, das kann ich noch begreifen, aber Mitleid mit ihm zu haben, das verstehe ich wirklich nicht.«

Jetzt wurde der Sarg aufgerichtet, so daß Rattler auf seine Füße zu stehen kam. Man band beide, den Sarg und den Menschen, mit starken Riemen an die Steinmauer fest. Die Roten, Männer, Frauen und Kinder, näherten sich der Stelle und bildeten einen Halbkreis um dieselbe. Es herrschte tiefe, erwartungsvolle Stille. Winnetou und Intschu tschuna standen neben dem Sarge, der Eine rechts und der Andere links davon. Da erhob der Häuptling seine Stimme:

»Die Krieger der Apachen sind hier versammelt, Gericht zu halten, denn es hat das Volk der Apachen ein großer, schwerer Verlust betroffen, den der Schuldige mit seinem Leben bezahlen soll.«

Intschu tschuna sprach weiter, indem er in der indianischen, bilderreichen Weise von Klekih-petra, seinem Charakter und seinem Wirken redete und dann ausführlich erzählte, in welcher Weise sich die Ermordung ereignet hatte. Er berichtete über die Gefangennahme Rattlers und machte zum Schlusse bekannt, daß dieser jetzt zu Tode gemartert und dann grad so, wie er an den Sarg gebunden war, mit dem Toten begraben werden solle. Hierauf sah er zu mir herüber und gab mir den erwarteten Wink.

Wir standen auf und wurden, als wir hinkamen, in den Halbkreis aufgenommen. Vorhin hatte ich wegen der Entfernung den Verurteilten nicht deutlich sehen können; jetzt stand ich vor ihm und fühlte, so schlecht und gottlos er gewesen war, doch ein tiefes Mitleid mit diesem Menschen.

Der auf das Fußende gestellte Sarg war über doppelt mannesstark und über vier Ellen lang. Er sah aus, als habe man von einem dicken Baumstamm einen Klotz abgesägt und diesen mit Leder überzogen. Rattler war in der Weise mit dem Rücken auf diesen Sarg befestigt, daß seine Arme nach hinten lagen und seine Füße jetzt auseinander standen. Man sah ihm an, daß er weder Hunger noch Durst zu leiden gehabt hatte. Ein Knebel verschloß ihm den Mund; er hatte also jetzt nicht sprechen können. Auch sein Kopf war so befestigt, daß er denselben nicht bewegen konnte. Als ich kam, nahm Intschu tschuna ihm den Knebel aus dem Mund und sagte zu mir:

»Mein weißer Bruder hat mit diesem Mörder reden wollen. Es mag geschehen!«

Rattler sah, daß ich frei war; ich mußte mich also mit den Indianern befreundet haben; das konnte er sich sagen. Darum hatte ich geglaubt, er werde mich bitten, bei ihnen ein gutes Wort für ihn einzulegen. Statt dessen aber fuhr er, sobald der Knebel entfernt worden war, mich giftig an:

»Was wollt Ihr von mir? Packt Euch fort; ich mag nichts mit Euch zu schaffen haben!«

»Ihr habt gehört, daß Ihr zum Tode verurteilt worden seid, Mr. Rattler,« antwortete ich ruhig. »Daran ist nichts zu ändern. Sterben müßt Ihr unbedingt. Aber ich will Euch «

»Fort, Hund, fort!« unterbrach er mich, wobei er mich anspucken wollte, mich aber nicht traf, weil er den Kopf nicht bewegen konnte.

»Also sterben müßt Ihr,« fuhr ich unbeirrt fort, »doch in welcher Weise, das soll auf Euch ankommen. Ihr sollt zu Tode gemartert werden; das heißt, man wird Euch lange, lange quälen, vielleicht heut, vielleicht auch noch morgen den ganzen Tag. Das ist entsetzlich, und ich mag es nicht haben. Auf meine Bitte hat sich Intschu tschuna bereit erklärt, Euch schnell sterben zu lassen, falls Ihr die Bedingung erfüllt, welche er daran knüpfte.«

Ich hielt inne, denn ich dachte, daß er mich nach dieser Bedingung fragen werde. Statt dessen aber warf er mir einen so schrecklichen Fluch zu, daß es ganz unmöglich ist, denselben wiederzugeben.

»Diese Bedingung ist, daß Ihr mich um Verzeihung bitten sollt,« erklärte ich weiter.

»Um Verzeihung? Dich um Verzeihung bitten?« schrie er. »Lieber beiße ich mir die Zunge ab und erleide alle Qualen, die sich diese roten Schufte ausdenken können!«

»Wohlgemerkt, Mr. Rattler, ich bin es nicht, der diese Bedingung gestellt hat, denn ich brauche Eure Bitte nicht. Intschu tschuna hat es so gewollt, und da ich es Euch sagen sollte, so will ich dies hiermit getan haben. Bedenkt, in welcher Lage Ihr Euch befindet, und was Euch droht! Es steht Euch Schreckliches bevor, eine ganz entsetzliche Todesart, welcher Ihr dadurch entgehen könnt, daß Ihr nur das eine, kleine Wort “Pardon” aussprecht.«

»Fällt mir nicht ein, nie, nie! Macht Euch fort von hier! Ich mag Euer schurkisches Gesicht nicht sehen. Geht zum Teufel und meinetwegen auch noch weiter!«

»Wenn ich Euch den Willen tue und fortgehe, ist’s für Euch zu spät; ich komme dann nicht wieder. Also seid verständig, und sagt das kleine Wort!«

»Nein, nein und nein!« brüllte er.

»Ich bitte Euch darum!«

»Fort, fort, sage ich! Himmel und Hölle, warum bin ich angebunden! Hätte ich die Hände frei, so wollte ich Euch den Weg zeigen!«

»Well, Ihr sollt Euren Willen haben, aber ich sage Euch, daß ich nicht wiederkommen werde, wenn Ihr mich nachher ruft.«

»Ich dich rufen? Dich, dich? Das bilde dir ja nicht ein! Packe dich fort, sage ich, packe dich!«

»Ich will gehen. Vorher aber noch Eins: Habt Ihr noch einen Wunsch? Ich will ihn Euch erfüllen. Einen Gruß an irgend Jemand? Habt Ihr Verwandte, denen ich vielleicht Nachricht bringen kann?«

»Geh in die Hölle, und sag dort, daß du ein verdammter Schurke bist! Du hast mit diesen Roten gemeinschaftliche Sache gemacht und mich in ihre Gewalt gebracht. Dafür mag «

»Ihr irrt,« unterbrach ich ihn. »Also Ihr habt keinen Wunsch vor Eurem Tode?«

»Nur den einen, daß Ihr mir bald nachfolgen mögt, nur diesen einen!«

»Gut, so sind wir fertig, und ich habe nichts mehr zu tun, als Euch als Christ den Rat zu geben: Fahrt nicht in Euern Sünden dahin, sondern denkt an Eure Taten und an die Vergeltung, die Euch jenseits erwartet!«

Was er hierauf antwortete, kann ich wieder nicht sagen; es überlief mich eiseskalt bei seinen Worten. Intschu tschuna nahm mich bei der Hand und führte mich fort, indem er sagte:

»Mein junger, weißer Bruder sieht, daß dieser Mörder keine Fürbitte verdient; er ist ein Christ. Ihr nennt uns Heiden; aber würde ein roter Krieger solche Worte sprechen?«

Ich antwortete ihm nicht, denn was hätte ich auch sagen können oder sollen? Dieses Verhalten Rattlers hatte ich nicht erwartet. Er hatte sich früher so feig, so furchtsam gezeigt und wirklich gezittert, als von den Marterpfählen der Indianer die Rede gewesen war. Und nun, heute tat er so, als ob er sich aus allen Qualen der Welt gar nichts mache!

»Das ist nicht etwa Mut von ihm,« sagte Sam, »sondern Wut, nichts als Wut.«

»Worüber?«

»Ueber Euch, Sir. Er denkt, Ihr seid schuld, daß er in die Hände der Roten gefallen ist. Er hat Euch seit dem Tage, an welchem wir gefangen genommen wurden, nicht erblickt; jetzt sieht er Euch und uns frei; die Roten sind freundlich gegen uns, während er sterben soll. Das ist für ihn natürlich Grund genug, anzunehmen, daß wir falsche Karte gespielt haben. Aber laßt nur die Qualen beginnen, so wird er ganz anders pfeifen. Paßt auf, ich habe es gesagt, wenn ich mich nicht irre!«

Die Apachen ließen uns nicht lange auf den Beginn des traurigen Spieles warten. Ich hatte eigentlich die Absicht, mich zu entfernen; aber ich hatte so Etwas noch nicht gesehen und beschloß also, so lange zu bleiben, bis es mir nicht mehr möglich sei, länger zuzusehen.

Die Zuschauer setzten sich nieder. Mehrere junge Krieger traten, mit den Messern in den Händen, vor und stellten sich ungefähr fünfzehn Schritte von Rattler auf. Sie warfen ihre Messer nach ihm, hüteten sich aber, ihn zu treffen, sondern die Klingen fuhren alle in den Sarg, auf den er gebunden war. Das erste Messer stak links und das zweite rechts von seinem Fuße, aber so nahe an demselben, daß fast gar kein Zwischenraum vorhanden war. Die beiden nächsten Messer wurden weiter aufwärts gezielt, und so ging es fort, bis seine beiden Beine von vier Messerreihen eng eingesäumt waren.

Bis jetzt hatte er sich leidlich gehalten. Nun aber schwirrten die Messer höher und immer höher auf ihn zu, denn es galt, die Umrisse seines Körpers mit denselben zu spicken. Da bekam er Angst. Sobald ein Messer auf ihn zugeflogen kam, stieß er einen Angstschrei aus. Und diese Schreie wurden um so lauter und schriller, je höher die Indianer ihr Ziel nahmen.

Als dann der Oberkörper auch zwischen lauter Messern steckte, kam der Kopf daran. Das erste Messer fuhr rechts neben seinem Halse in den Sarg, das zweite links; so ging es hüben und drüben am Gesichte bis zum Scheitel empor, bis keine Klinge mehr Platz finden konnte. Dann wurden die Messer alle wieder herausgezogen. Es war das nur ein Vorspiel gewesen, ausgeführt von jungen Leuten, welche zeigen sollten, daß sie gelernt hatten, ruhig zu zielen und sicher zu werfen. Sie suchten ihre Plätze auf und setzten sich nieder.

Hierauf bestimmte Intschu tschuna ältere Leute, welche auf dreißig Schritte Entfernung werfen sollten. Als der Erste dazu bereit war, trat der Häuptling zu Rattler heran, zeigte auf seinen rechten Oberarm und gebot:

»Hierher treffen.«

Das Messer kam geflogen, traf ganz genau den bezeichneten Punkt und fuhr durch den Muskel, diesen anspießend, in den Sargdeckel. Das war Ernst. Rattler fühlte den Schmerz und stieß ein Geheul aus, als ob es ihm bereits an das Leben gehe. Das zweite Messer fuhr durch denselben Muskel des andern Armes, und das Geheul verdoppelte sich. Der dritte und vierte Wurf waren nach dem Oberschenkel gerichtet und trafen auch dort ganz genau die Stellen, welche der Häuptling jedesmal vorher bezeichnete. Man sah kein Blut fließen, da Rattler nicht entkleidet war und die Indianer für jetzt nur solche Stellen treffen durften, wo die Verwundung keine Gefahr und also keine Verkürzung des Schauspieles mit sich brachte.

Vielleicht hatte Rattler geglaubt, daß man es gar nicht so ernst mit seinem Tode meine; jetzt mußte er einsehen, daß dies eine falsche Ansicht gewesen war. Er bekam noch Messer in die Vorderarme und in die Unterschenkel. Hatte er vorher nur einzelne Schreie ausgestoßen, so heulte er jetzt in Einem fort.

Die Zuschauer murrten, zischten und gaben in vielfältig anderer Weise ihre Mißachtung zu erkennen. Ein Indianer am Marterpfahle benimmt sich da ganz anders. Sobald das Schauspiel, welches mit seinem Tode endigen soll, beginnt, stimmt er seinen Sterbegesang an, in welchem er seine Taten preist und diejenigen, die ihn martern, verhöhnt. Je größere Schmerzen man ihm zufügt, desto größer sind die Beleidigungen, die er ihnen zuwirft; nie aber wird er eine Klage ausstoßen, einen Schmerzensschrei hören lassen. Ist er dann tot, verkündigen seine Feinde seinen Ruhm und begraben ihn mit allen indianischen Ehren. Es ist ja dann auch für sie eine Ehre gewesen, zu einem so ruhmvollen Tode beizutragen.

Anders ist es bei einem Feiglinge, welcher bei der geringsten Verwundung schreit und brüllt und wohl gar um Gnade bittet. Diesen zu martern, ist keine Ehre, sondern beinahe eine Schande; darum findet sich schließlich kein wackerer Krieger mehr, der sich ferner mit ihm beschäftigen will, und er wird erschlagen oder auf sonst eine ehrlose Weise vom Leben zum Tode gebracht.

So ein Feigling war Rattler. Seine Verwundungen waren gering und noch nicht gefährlich; sie mochten ihm zwar einige Schmerzen bereiten, aber von Qualen war noch gar keine Rede. Dennoch heulte und zeterte er, als ob er alle Qualen der Hölle fühle, und brüllte dabei immerfort meinen Namen, mich auffordernd, zu ihm zu kommen. Da ließ Intschu tschuna eine Pause eintreten und forderte mich auf:

»Mein junger, weißer Bruder mag zu ihm gehen und ihn fragen, warum er so schreit. Die Messer können ihm bis jetzt noch gar nicht wehe getan haben.«

»Ja, kommt her, Sir, kommt her!« rief Rattler. »Ich muß mit Euch reden!«

Ich ging hin und fragte:

»Was wollt Ihr nun von mir?«

»Zieht mir die Messer aus den Armen und Beinen!«

»Das darf ich nicht.«

»Aber ich muß doch daran sterben! Wer kann denn so viele Verwundungen aushalten?«

»Sonderbar! Habt Ihr denn etwa geglaubt, daß Ihr leben bleiben sollt?«

»Ihr lebt doch auch!«

»Ich habe niemanden ermordet!«

»Ich kann nicht dafür, daß ich es tat. Ihr wißt ja, daß ich betrunken war!«

»Die Tat bleibt dieselbe. Ich habe Euch oft vor dem Branntwein gewarnt. Ihr hörtet nicht und habt nun die Folgen zu tragen.«

»Ihr seid ein ganz harter und gefühlloser Mensch! So bittet doch für mich!«

»Das habe ich getan. Sagt Pardon, so werdet Ihr schnell sterben und nicht langsam gequält werden.«

»Schnell sterben! Ich will aber nicht sterben! Ich will leben, leben, leben!«

»Das ist unmöglich.«

»Unmöglich? Also gibt es keine Rettung?«

»Nein.«

»Keine Rettung keine, keine, keine!«

Er brüllte das aus vollem Halse hinaus und begann dann ein solches Wehklagen und Jammern, daß ich es nicht länger bei ihm aushalten konnte, sondern mich entfernte.

»Bleibt doch, Sir, bleibt bei mir!« schrie er mir nach. »Sonst fangen sie wieder mit mir an!«

Da fuhr ihn der Häuptling an:

»Heule nicht länger, Hund! Du bist ein stinkender Coyote, den kein Krieger mit seiner Waffe mehr berühren mag.«

Und sich an seine Leute wendend, fuhr er fort:

»Welcher von den Söhnen der tapferen Apachen will sich noch mit diesem Feiglinge abgeben?«

Keiner antwortete.

»Also niemand?«

Wieder dasselbe Schweigen wie vorher.

»Uff! Dieser Mörder ist nicht wert, von uns getötet zu werden. Er soll auch nicht mit Klekih-petra begraben werden. Wie könnte eine solche Kröte neben einem Schwane in den ewigen Jagdgründen erscheinen. Schneidet ihn los!«

Er gab zwei kleinen Knaben einen Wink. Diese sprangen auf, liefen hin, zogen ihm die Messer aus den Gliedern und schnitten ihn von dem Sarge los.

»Bindet ihm die Hände auf den Rücken!« befahl der Häuptling weiter.

Die Knaben, die nicht älter als zehn Jahre waren, taten dies, und Rattler wagte nicht die geringste Bewegung des Widerstandes dabei. Welch eine Schande! Ich schämte mich fast, ein Weißer zu sein.

»Führt ihn an den Fluß, und stoßt ihn in das Wasser!« lautete die nächste Weisung. »Wenn er das jenseitige Ufer glücklich erreicht, soll er frei sein.«

Rattler stieß einen Jubelruf aus und ließ sich von den Knaben nach dem Flusse schaffen. Sie stießen ihn auch wirklich hinein, denn er besaß nicht einmal so viel Ehrgefühl, selbst hineinzuspringen. Er ging zunächst unter, kam aber bald wieder empor und bemühte sich, auf dem Rücken schwimmend vorwärts zu kommen. Das war gar nicht schwer, obwohl ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Der Mensch geht infolge seines geringen spezifischen Gewichtes im Wasser nicht ganz unter, und die Beine hatte er ja frei; er konnte sich mit ihrer Hilfe fortbewegen, was ihm auch ganz leidlich gelang.

Sollte er das jenseitige Ufer erreichen dürfen? Das wünschte ich selbst gar nicht. Er hatte den Tod verdient. Ließ man ihn leben und entkommen, so machte man sich geradezu der Verbrechen schuldig, welche er in Zukunft begehen würde. Die beiden Knaben standen noch hart am Wasser und blickten ihm nach. Da gab ihnen Intschu tschuna den Befehl:

»Nehmt Flinten, und schießt ihn in den Kopf!«

Sie liefen zu der Stelle, wo einige der Krieger ihre Gewehre hingelegt hatten, und nahmen sich jeder eins davon. Diese kleinen Kerls wußten ganz wohl, wie man eine solche Waffe zu handhaben hat. Sie knieten am Ufer nieder und zielten auf Rattlers Kopf.

»Nicht schießen, um Gottes willen, nicht schießen!« schrie er voller Entsetzen.

Die Knaben sprachen einige Worte mit einander; sie behandelten den Vorfall als kleine Sportsmen, indem sie ihn weiter und immer weiter schwimmen ließen, was ihnen der Häuptling stillschweigend zuließ. Ich ersah daraus, daß er gar wohl wußte, ob sie schießen konnten oder nicht. Dann stießen sie mit ihren hellen Kinderstimmen einen auffordernden Schrei aus und schossen ihre Gewehre ab. Rattler wurde in den Kopf getroffen und verschwand augenblicklich unter dem Wasser.

Kein Jubelruf erscholl, wie es sonst Gewohnheit der Roten ist, bei dem Tode dieses ihres Feindes. Ein solcher Feigling war es nicht wert, daß man seinetwegen nur einen Laut hören ließ. Die Verachtung der Indianer war so groß, daß sie sich gar nicht um seine Leiche kümmerten; sie ließen ihn flußabwärts treiben, ohne ihm einen Blick nachzusenden. Er konnte ja auch nur verwundet anstatt erschossen worden sein; ja, er konnte nur so getan haben, als ob er getroffen worden sei, und, so wie ich, untergetaucht sein, um an einer andern, für sie unsichtbaren Stelle wieder auf der Oberfläche zu erscheinen. Sie hielten es aber gar nicht für der Mühe wert, sich weiter mit ihm zu beschäftigen.

Intschu tschuna kam zu mir und fragte:

»Ist mein junger, weißer Bruder jetzt mit mir zufrieden?«

»Ja. Ich danke dir!«

»Du hast keinen Grund zum Danke. Auch wenn ich deinen Wunsch nicht gekannt hätte, würde ich genau so gehandelt haben. Dieser Hund war gar nicht wert, den Martertod zu erleiden. Heut hast du den Unterschied zwischen uns Heiden und euch Christen, zwischen tapfern, roten Kriegern und weißen Feiglingen gesehen. Die Bleichgesichter sind zu allen bösen Taten fähig, aber wenn es gilt, Mut zu zeigen, dann heulen sie vor Angst wie Hunde, welche Schläge bekommen sollen.«

»Der Häuptling der Apachen darf nicht vergessen, daß es überall tapfere und feige, gute und böse Menschen gibt!«

»Du hast recht, und ich wollte dich nicht beleidigen; aber dann darf auch kein Volk denken, daß es besser als ein anderes sei, weil dieses nicht dieselbe Farbe hat.«

Um ihn von diesem heiklen Gegenstand abzulenken, erkundigte ich mich:

»Was werden die Krieger der Apachen jetzt nun tun? Klekih-petra begraben?«

»Ja.«

»Darf ich mit meinen Gefährten dabei sein?«

»Ja. Wenn du nicht gefragt hättest, würde ich dich darum gebeten haben. Du hast damals mit Klekih-petra gesprochen, als wir fortgingen, um die Pferde zu holen. War es nur ein gewöhnliches Gespräch?«

»Nein, sondern ein sehr ernstes, für ihn und auch für mich wichtiges. Darf ich euch sagen, wovon wir geredet haben?«

Ich wendete jetzt die Mehrzahl an, weil Winnetou zu uns getreten war.

»Sage es!« antwortete dieser.

»Als ihr fort waret, setzten wir uns zueinander. Wir bemerkten bald, daß seine Heimat auch die meinige sei, und unterhielten uns in unserer Muttersprache. Er hatte viel erlebt und viel erduldet und erzählte es mir. Er sagte mir, wie lieb er euch habe und daß es sein Wunsch sei, für Winnetou sterben zu können. Der große Geist hat ihm diesen Wunsch nur wenige Minuten später erfüllt.«

»Warum wollte er für mich sterben?«

»Weil er dich liebte, und aus noch einem anderen Grunde, den ich dir später wohl mitteilen werde. Sein Tod sollte eine Sühne sein.«

»Als er sterbend an meinem Herzen lag, redete er zu dir in einer Sprache, welche ich nicht verstand. Welche war es?«

»Unsere Muttersprache.«

»Sprach er da auch von mir?«

»Ja.«

»Was?«

»Er bat mich, dir treu zu bleiben.«

»Mir treu zu bleiben ? Du kanntest mich doch noch gar nicht!«

»Ich kannte dich, denn ich hatte dich gesehen, und wer Winnetou sieht, der weiß, wen er vor sich hat, und er hatte mir ja von dir erzählt!«

»Was antwortetest du ihm?«

»Ich versprach ihm, diesen Wunsch zu erfüllen.«

»Es war sein letzter, den er im Leben hatte. Du bist sein Erbe geworden. Du hast ihm gelobt, mir treu zu sein, hast mich behütet, bewacht und geschont, während ich dich als meinen Feind verfolgte. Der Stich meines Messers wäre für jeden Andern tödlich gewesen, doch dein starker Körper hat ihn überwunden. Ich stehe in tiefer, tiefer Schuld bei dir. Sei mein Freund!«

»Ich bin es längst.«

»Mein Bruder!«

»Von ganzem Herzen gern.«

»So wollen wir den Bund am Grabe dessen schließen, der meine Seele der deinigen übergeben hat! Ein edles Bleichgesicht ist von uns gegangen und hat uns, noch im Verscheiden, ein anderes, ebenso edles zugeführt. Mein Blut soll dein Blut und dein Blut soll mein Blut sein! Ich werde das deinige und du wirst das meinige trinken. Intschu tschuna, der größte Häuptling der Apachen, der mein Vater und Erzeuger ist, wird es mir erlauben!«

Intschu tschuna reichte uns seine Hände und sagte in einem von Herzen kommenden Tone:

»Ich erlaube es. Ihr werdet nicht nur Brüder, sondern ein einziger Mann und Krieger mit zwei Körpern sein. Howgh!«

Wir begaben uns nach der Stelle, wo das Grab errichtet werden sollte. Ich erkundigte mich nach dem Maße, der Bauart und der Höhe desselben und bat mir dann einige Tomahawks aus. Hierauf ging ich mit Sam, Dick Stone und Will Parker flußaufwärts in den Wald, wo wir uns passendes Holz aussuchten und mit Hilfe der Tomahawks aus demselben ein Kreuz zimmerten. Als wir mit demselben nach dem Lagerplatze zurückkehrten, hatten die Trauerfeierlichkeiten begonnen. Die Roten hatten sich um den Bau, der rasch fortgeschritten und beinahe beendet war, niedergelassen und sangen ihre eintönigen, ganz eigenartigen und tief ergreifenden Totenlieder. Der dumpfe, monotone Klang derselben wurde von Zeit zu Zeit von einem schrillen, spitzen Klageschrei übertönt, welcher wie ein rascher Blitz aus schweren, dichten Wolkenmassen emporschoß.

Ein Dutzend Indianer waren unter Anleitung der beiden Häuptlinge an dem Baue beschäftigt, und zwischen ihnen und der klagenden Schar tanzte in grotesken, langsamen Bewegungen und Sprüngen eine sonderbar verhüllte und mit allerlei Insignien behangene Gestalt herum.

»Wer ist das?« fragte ich. »Der Medizinmann?«

»Ja,« antwortete Sam.

»Indianische Gebräuche bei dem Begräbnisse eines Christen! Was sagt Ihr dazu, lieber Sam?«

»Paßt Euch das nicht?«

»Eigentlich nicht.«

»Laßt es Euch ruhig gefallen, Sir! Sagt ja kein Wort dagegen! Ihr würdet die Apachen ganz fürchterlich beleidigen.«

»Aber dieser Mummenschanz widerstrebt mir außerordentlich, mehr, als Ihr denkt!«

»Er ist gut gemeint. Meint Ihr vielleicht, daß er heidnisch sei?«

»Natürlich!«

»Unsinn! Diese braven, guten Leute glauben an einen großen Geist, zu dem der verstorbene Freund und Lehrer gegangen ist. Sie begehen die Abschieds-, die Todesfeier in ihrer Weise, und alles, was der Medizinmann dabei tut und vornimmt, ist von symbolischer Bedeutung. Laßt sie also ruhig gewähren! Sie werden uns auch nicht hindern, das Grabmal mit unserm Kreuze zu krönen.«

Als wir dieses neben dem Sarge niederlegten, fragte Winnetou:

»Soll dieses Zeichen des Christentums mit an die Steine kommen?«

»Ja.«

»Das ist recht. Ich hätte meinen Bruder Old Shatterhand gebeten, ein Kreuz zu machen, denn Klekih-petra hatte in seiner Wohnung eins und betete vor demselben. Darum wünschte ich, daß dieses Zeichen seines Glaubens auch an seinem Grabe wache. Welchen Platz soll es bekommen?«

»Es soll oben aus dem Grabmale ragen.«

»So wie bei den großen, hohen Häusern, in denen die Christen zum guten Geiste beten? Ich werde es so anbringen lassen, wie du es wünschest. Setzt euch nieder, und seht zu, ob wir es richtig machen!«

Nach einiger Zeit war der Bau vollendet; er wurde von unserm Kreuze gekrönt und hatte vorn eine Oeffnung für den Sarg, der jetzt noch im Freien stand.

Da kam Nscho-tschi. Sie war eben im Pueblo gewesen, um zwei aus Ton gebrannte Schalen zu holen, mit denen sie zum Flusse ging, um sie mit Wasser zu füllen. Als sie dies getan hatte, kam sie zu uns und stellte sie auf den Sarg, wozu, das sollte ich bald erfahren.

Jetzt war alles für das Begräbnis vorbereitet. Intschu tschuna gab mit der Hand ein Zeichen, worauf die Klagegesänge verstummten. Der Medizinmann hockte sich auf die Erde nieder. Der Häuptling trat an den Sarg und sprach langsam und in feierlichem Tone:

»Die Sonne geht des Morgens im Osten auf und sinkt des Abends im Westen nieder, und das Jahr erwacht zur Frühlingszeit und geht im Winter wieder schlafen. So ist es auch mit dem Menschen. Ist es so?«

»Howgh!« erschallte es dumpf rund umher.

»Der Mensch geht auf wie die Sonne und sinkt wieder nieder in das Grab. Er kommt wie ein Frühling auf die Erde und legt sich wie der Winter zur Ruhe. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, so erscheint sie am nächsten Morgen wieder, und wenn der Winter verstreicht, so ist der Frühling wieder da. Ist es so?«

»Howgh!«

»So hat uns Klekih-petra gelehrt. Der Mensch wird in das Grab gelegt, aber jenseits des Todes steht er auf wie ein neuer Tag und wie ein neuer Frühling, um im Lande des großen, guten Geistes weiter zu leben. Das hat uns Klekih-petra gesagt, und jetzt weiß er, ob er die Wahrheit gesprochen hat, denn er ist verschwunden wie der Tag und das Jahr, und seine Seele ging ein zur Wohnung der Verstorbenen, nach der er sich immer sehnte. Ist es so?«

»Howgh!«

»Sein Glaube war nicht der unserige, und der unserige war nicht der seinige. Wir lieben unsere Freunde und hassen unsere Feinde; er aber lehrte, daß man auch seine Feinde lieben solle, denn sie seien auch unsere Brüder. Das wollten wir nicht glauben; aber so oft wir ihm und seinen Worten gehorchten, hat es uns zum Nutzen und zur Freude gereicht. Vielleicht ist sein Glaube doch auch der unserige, nur daß wir ihn nicht so begreifen konnten, wie er wünschte, daß wir ihn verstehen sollten. Wir sagen, unsere Seelen gehen nach den ewigen Jagdgründen, und er behauptete, die seinige gehe ein zur ewigen Seligkeit. Oft denke ich, unsere Jagdgründe seien diese ewige Seligkeit. Ist es so?«

»Howgh!«

»Oft erzählte er uns von dem Erlöser, welcher gekommen sei, alle Menschen selig zu machen. Wir haben an die Wahrheit seiner Worte geglaubt, denn in seinem Munde hat es niemals eine Lüge gegeben. Dieser Erlöser ist für alle Menschen gekommen. Ist er auch schon bei den roten Männern gewesen? Wenn er käme, so würden wir ihn willkommen heißen, denn wir werden von den Bleichgesichtern unterdrückt und ausgerottet und sehnen uns nach ihm. Ist es so?«

»Howgh!«

»Das war seine Lehre. Nun spreche ich von seinem Ende. Es ist über ihn gekommen wie das Raubtier über seine Beute. Plötzlich und unerwartet war es da. Er war gesund und rüstig und stand an unserer Seite. Er sollte zu Pferde steigen und mit uns heimkehren; da traf ihn die Kugel eines Mörders. Meine Brüder und Schwestern mögen es beklagen!«

Es erschallte ein dumpfes Wehegeschrei, welches immer stärker und heller wurde, bis es in einem durchdringenden Heulen endete. Dann fuhr der Häuptling fort:

»Wir haben seinen Tod gerächt. Aber die Seele des Mörders ist ihm entgangen; sie kann ihn nicht jenseits des Grabes bedienen, denn sie war feig und wollte ihm nicht im Tode folgen. Der räudige Hund, dem sie gehörte, ist von Kindern erschossen worden, und seine Leiche schwimmt den Fluß hinab. Ist es so?«

»Howgh!«

»Nun ist er fort von uns; aber sein Körper ist uns geblieben, damit wir ihm ein Denkmal setzen, an welchem wir und unsere Nachkommen uns und sich erinnern können an den guten, weißen Vater, der unser Lehrer war und den wir lieb gehabt haben. Er war nicht in diesem Lande geboren, sondern er kam aus einem fernen Reiche, welches jenseits des großen Wassers liegt und welches man daran erkennt, daß dort die Eichen wachsen. Darum haben wir ihm zu Liebe und ihm zu Ehren Eicheln geholt, um sie um sein Grab zu säen. So wie sie keimen und aus der Erde wachsen, so wird seine Seele aus dem Grabe erwachen und jenseits desselben groß werden. Und so wie diese Eichen wachsen, so werden die Worte, die wir von ihm gehört haben, sich in unsern Herzen ausbreiten, daß unsere Seelen unter ihnen Schatten finden können. Er hat stets an uns gedacht und für uns gesorgt. Er ist auch nicht von uns gegangen, ohne uns ein Bleichgesicht zu senden, welches an seiner Stelle unser Freund und Bruder werden soll. Hier seht ihr Old Shatterhand, den weißen Mann, welcher aus demselben Lande stammt, aus welchem Klekih-petra zu uns kam. Er weiß alles, was dieser wußte, und ist ein noch stärkerer Krieger als er. Er hat den Grizzlybären mit dem Messer erstochen und schlägt jeden Feind mit seiner Faust zu Boden. Intschu tschuna und Winnetou waren wiederholt in seine Hand gegeben; aber er hat uns nicht getötet, sondern uns das Leben gelassen, weil er uns liebt und ein Freund der roten Männer ist. Ist es so?«

»Howgh!«

»Es ist Klekih-petras letztes Wort und letzter Wille gewesen, daß Old Shatterhand sein Nachfolger bei den Kriegern der Apachen sein möge, und Old Shatterhand hat ihm versprochen, diesen Wunsch zu erfüllen. Darum soll er in den Stamm der Apachen aufgenommen werden und als Häuptling gelten. Es soll so sein, als ob er rote Farbe hätte und bei uns geboren wäre. Damit dies bekräftigt werde, müßte er mit jedem erwachsenen Krieger der Apachen das Calumet rauchen; aber dies ist nicht nötig, denn er wird das Blut Winnetous trinken, und dieser wird das seinige genießen; dann ist er Blut von unserm Blute und Fleisch von unserm Fleische. Sind die Krieger der Apachen damit einverstanden?«

»Howgh, howgh, howgh!« lautete dreimal die freudige Antwort aller Anwesenden.

»So mögen Old Shatterhand und Winnetou herbei zum Sarge treten und ihr Blut in das Wasser der Brüderschaft tropfen lassen!«

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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